Unterwegs mit dem anderen Zauberer - Eine Reise zur Heilung
(Following the other Wizard - A Journey into Healing)
von jodancingtree, übersetzt von Cúthalion



Kapitel 24
Hoffnung und Bedrohung

Radagast schien es nicht eilig damit zu haben, Barad-Dûr zu erreichen. Von der Grenze von Núrn wandten sie sich nach Norden. Aber sie schlugen einen weiten Bogen nach Osten, fort von Saurons Zwingburg. Die Erde war noch immer von den herbstlichen Regenstürmen durchnässt, und sie verstreuten Samen in geschützten Höhlungen zwischen den Felsen.

Sie erreichten den Sporn des Ered Lithui entlang der Grenzlinie des Gorgoroth und folgten der Hügelkette nach Nordosten. Jeden Tag wartete Frodo darauf, dass Canohando dagegen protestierte, dass dieser Weg sie immer weiter von Lúgbúrz fortbrachte, aber der große Ork sagte nichts.

Die Hügel hier waren sogar noch kahler als diejenigen im Westen, wo Gondor herrschte. Sie hatten steile Abhänge, und man hatte sie mehr als einmal kahlgeschlagen: das erste Mal, als Sauron seine Festung baute, dann wieder und wieder, wenn Holz gebraucht wurde für Speerschäfte, Wagen und Kriegsmaschinen. Die Hänge waren stark ausgewaschen; die Ströme, die durch die jüngsten Regenfälle hoch in ihren Betten dahinströmten, waren gelb von Lehm.  

Je tiefer sie in die Hügel eindrangen, desto erregter wurde Lash; er grollte und murmelte in seiner eigenen, groben Sprache vor sich hin, wann immer sie zu einer tief eingegrabenen Höhlung kamen, wo die Erde weggewaschen worden war, bis der Granit darunter zum Vorschein kam. Eines Tages platzte er heraus: „Sogar der Regen tut hier nichts Gutes! Auf nacktem Fels kann dein Samen nicht wachsen, Heiler.“  

Sie standen da und betrachteten eine Auswaschung von etwa zwanzig Fuß Breite, die sich halb den Hang hinunterzog. Lash sprang hinein; das Wasser stand ihm fast bis zur Mitte.

Frodo setzte sich, um auszuruhen und nahm einen Zug aus seiner Wasserflasche. Radagast blickte sich in der felsigen Landschaft um. „Da gibt es etwas, das könnten wir versuchen, aber es wäre schwere Arbeit, weit über das hinaus, was Esel und ich fertig brächten.“

Lash sah sie hoffnungsvoll an, und Canohando sagte: „Wir werden die Arbeit tun, alter Mann, wenn du glaubst, dass es diese Risse im Land zurechtbringt. Sie sind wie Wunden; sie machen, dass mich irgendetwas im Leib schmerzt.“

Der Zauberer gab ihnen die Aufgabe, Felsbrocken zu sammeln und eine grobe Mauer quer durch die Auswaschung zu bauen. Das dauerte beinahe vier Tage, und während die Orks die Mauer aufrichteten, suchten Frodo und Radagast nach jeder geschützten Stelle, die sie innerhalb einer halbtägigen Wanderung finden konnten, und setzten dort Samen ein.

Am letzten Tag fing es wieder an zu regnen, ein kalter Niederschlag, der die nackte Erde in klebrigen Schlamm verwandelte. Sie drängten sich wärmesuchend aneinander, ihre Decken über den Köpfen; sie aßen Rosinen und Streifen aus getrocknetem Fleisch aus dem Sack des Zauberers, während der ihnen Geschichten von Númenor erzählte, seine Ruhmestage und seinen Untergang, und von der schrecklichen Woge, die es zuletzt vernichtet hatte. 

„Viel nasser als wir können sie auch nicht gewesen sein,“ sagte Frodo leichthin und nieste. Radagast streckte die Hand aus, um ihm die Stirn zu fühlen.  

„Wo ist von hier aus der nächste Außenposten, Canohando? Hast du irgendeine Ahnung, wo wir uns befinden?“  

In den Schatten ihres improvisierten Zeltes konnten sie das Gesicht des Orks nicht sehen, aber seine Stimme klang belustigt. „Ich weiß, wo wir sind, alter Mann, und genau genug. Es gibt eine Festung zwei oder drei Tage von hier, unten auf der Ebene.“

„Gut,“ sagte Radagast. „Wir werden uns einen besseren Schutz vor diesem Regen suchen als unsere nassen Decken. Im Frühling gehen wir dann nach Lúgbúrz.“ Und Frodo war im Stillen dankbar für das Niesen, das den bedrohlichen Plan noch ein wenig weiter hinausschob.

Als der Regen endlich aufhörte, trockneten sie ihre Besitztümer, so gut es ging, und machten sich zum Aufbruch bereit. Zum ersten mal hielten sie an, um einen Blick auf die Auswaschung zu werfen, wo sie gearbeitet hatten; sie stellten fest, dass der Regen noch mehr Erde den Abhang hinunter gewaschen hatte, wo sie entlang der Mauer hängen blieb. Radagast kletterte hinunter und warf Samen in den kleinen Erdrand, der die Steine säumte. 

„Mit etwas Glück,“ sagte er, als er wieder zu ihnen hinaufstieg, „werden die Felsen standhalten, und die Erde wird sich dahinter aufhäufen und die Auswaschung füllen. In ein paar Jahren kommen wir wieder und schauen nach.“

Canohando hob die Augenbrauen. „Ich glaube, dann wirst du eine  lange Zeit in Mordor sein, alter Mann,“ sagte er, und Radagast lächelte ihn wohlwollend an.

„Eine ziemlich lange Zeit, sollte ich meinen,“ sagte er.

Sie erreichten Canohandos Festung spät am zweiten Tag. Es regnete wieder, aber deswegen hielten sie nicht an; es war wärmer, zu laufen als stillzusitzen. Frodo nieste regelmäßig und trug sein Taschentuch zusammengeknüllt in der Hand, um sich die Mühe zu sparen, es ständig aus der Hosentasche zu fischen. Richtig krank fühlte er sich nicht, nur schwach, und er hatte Kopfweh, aber Radagast verlor keine Zeit, ihn vor ein Feuer zu setzen und eine Kräutermischung zu brauen, die er trinken konnte. Was immer darin war, machte ihn müde, und er legte sich an Ort und Stelle zum Schlafen hin.

Die Orks hatten die Festung erforscht. „Viel Feuerholz gibt es nicht,“ sagte Lash, brachte einen Arm voll mit und stapelte ihn in einer Ecke.

„Da ist ein unterirdischer Raum, der scheint trocken zu sein,“ sagte Canohando. „Man braucht bloß ein kleines Feuer, um ihn warmzuhalten.“ Er ging zu Frodo, kauerte sich neben ihn und berührte die Wange des Hobbits. „Er hat Fieber, alter Mann.“

„Er hat sich erkältet,“ sagte Radagast. „Esel, wach auf; trink noch einen Becher von meinem Kräuteraufguss.“ Aber es stellte sich als schwierig heraus, Frodo zu wecken, und als er sich endlich aufsetzte, legte er die Hand auf die Brust, als täte ihm das Atmen weh. Der Zauberer schmeichelte einen Becher Tee in ihn hinein und ließ ihn sich wieder hinlegen.

„Gibt es frische Luft in diesem Raum, Canohando?“

Der Ork zuckte die Achseln. „Geh und schau nach, alter Mann; ich bleibe bei dem Kümmerling. Lash, zeig ihm, wo das ist.“

Radagast ging mit Lash; die ganze Zeit über fragte er sich, wo Yarga geblieben war. Aber als sie zurückkamen, lehnte Yarga im Türrahmen und beobachtete Canohando. Frodo schlief noch immer und der große Ork saß dicht bei ihm, mit dem Rücken zum Eingang. Er war sich Yargas Gegenwart nicht bewusst, und er hielt Frodos Hand in der seinen.

„Schlaf, bis es dir gut geht, kleiner Kümmerling, aber nicht zu lange“, sagte er leise. „Es ist ein harter Kampf, und ich brauche meinen Schildbruder.“

„Dieser Raum ist luftig genug“, sagte Radagast rasch, als hätte er es nicht gehört. „Weck ihn auf, Canohando; wir ziehen dort hinunter um, wo wir uns alle warm halten können.“ Er schaute Yarga nicht an, aber der steinerne Ausdruck auf dem Gesicht des Orks war ihm nicht entgangen.

Frodo konnte gehen, aber er schien nur halb wach zu sein. Als sie ins Treppenhaus kamen, stolperte er, und Canohando hob ihn auf und trug ihn in die tiefer gelegene Kammer hinunter. Sie machten es ihm so bequem, wie sie es vermochten und brachten ein kleines Feuer in Gang, und Radagast kochte Essen für sich und die Orks. Aber Frodo wollte nicht essen. Er schlief unruhig, und als die Nacht herabsank, klang  sein mühsamer Atem laut in dem kleinen Raum. Radagast setzte sich mit dem Rücken an der Wand hin und zog den Hobbit hoch, so dass er an seiner Brust lehnte; auf diese Weise schien Frodo leichter Luft zu bekommen.

Mitten in der Nacht wachte er auf; er war hinunter gerutscht und lag auf dem Boden, und wieder fiel ihm das Atmen schwer. Er bewegte sich zu Radagast hinüber und setzte sich neben ihn, den Kopf auf seiner Schulter, und der Zauberer regte sich.

„Wach, Esel? Wie fühlst du dich?"

„Mir geht es gut, wenn ich sitze.“

„Dann bleib sitzen. Ich mische dir etwas Medizin zusammen.“

Ein scheußliche schmeckendes Gebräu zum Trinken und eine Schüssel mit dampfendem Athelas, um sich darüber zu beugen. Allmählich ließ die Enge in seinen Lungen nach, und er fing an, sich erneut schläfrig zu fühlen. Radagast zog ihn wieder an seine Schulter. „Schlaf, Esel.“

Frodo schlief fast während des ganzen nächsten Tages. Er erwachte am späten Nachmittag und fühlte sich fast wieder wie er selbst; er hatte eine schwere Erkältung, aber das war alles. Verwirrt schaute er sich um. „Wieso ist es so dunkel? Ist es noch Nacht?“

Canohando saß neben ihm. „Das hier ist der Kerker, unter der Festung. Nach all deinen Reisen bist du wieder in einem Orkgefängnis.“ Der Ork grinste über die Bestürzung in Frodos Gesicht. „Du bist gerade rechtzeitig aufgewacht für deine Folter, Kümmerling – der alte Mann bringt Lash das Kochen bei. Wie hungrig bist du?“

„Nicht hungrig genug, um eine Ratte zu essen! Kocht Lash wirklich?“ Er blickte zum Feuer hinüber; Lash hockte dort und rührte in etwas herum. Radagast saß ganz in der Nähe und rauchte seine Pfeife, während er das Ganze beaufsichtigte.

„Ich glaube, du solltest besser sehr hungrig sein, Kümmerling,“ sagte Canohando. „Ich bin nicht sicher, dass ein Ork kochen kann, wer immer es ihm auch beibringt.“  

In diesem Moment kam Yarga durch den Türbogen; er trug etwas, das wie ein Dutzend Ratten aussah, an den Schwänzen. Er starrte sie finster an. „Ist Lash noch immer ein Ork?“ fragte er. Sein Blick flackerte über Canohando hinweg wie ein Peitschenschlag. „Bist du’s, Ghul-rakk?“*  

Canohando stand langsam auf; seine Augen flammten. „Du könntest das Fleisch sein, falls ich diesen Namen noch einmal höre. Und ich werde Lash helfen, es zu kochen.“

Frodo starrte mit offenem Mund; die Atmosphäre gutmütiger Spöttelei hatte sich binnen eines Augenblicks in tödliche Bedrohung verwandelt. Lash legte mit sorgsamer Entschlossenheit seinen Löffel hin und erhob sich. „Sein Name is Canohando,“ sagte er. „Und du und ich, wir haben ihn niemals Ghul-rakk genannt.“

Yarga grinste bösartig. „Ich nenne ihn jetzt so. Er isst kein rohes Fleisch; töten tut er auch nicht.“ Er spie auf den Boden neben Canohandos Füßen. „Glaubst du, du verwandelst dich in einen Elb, bloß weil du diesem Halbling die haarigen Füße küsst?“

Radagast bewegte sich an Frodos Seite, zog ihn auf die Füße und packte ihn an der Schulter. Lash befingerte den Knauf seines Messers. „Ich habe dich vor der Grube zurückgehalten, an dem Tag, als die Erde bebte,“ sagte er. „Gemeinsam haben wir diesen hier vom Tod zurückgeholt.“

Canohandos Stimme klang warnend. „Ich bin kein Elb, Yarga. Ich habe nicht vergessen, wie man tötet.“

„Wenn du immer noch ein Ork bist, dann töte den Halbling,“ forderte Yarga ihn heraus.

Canohando wandte sich Frodo zu; eine lange Minute hindurch betrachtete er ihn von Kopf bis Fuß und der Hobbit ertrug es. Er stählte sich dagegen, Furcht zu empfinden, obwohl ihm das Herz in der Kehle hämmerte.  Endlich trat Canohando vor ihn hin und schirmte ihn von Yarga ab.

„Nein,“ sagte er. „Du tötest ihn, wenn du glaubst, dass du es kannst – aber du wirst an mir vorbei müssen.“

Lash kam, stellte sich neben Canohando und zog sein Messer. Er fuhr mit dem Daumen die Klinge entlang, dann hob er seine Augen zu Yarga. „Nur noch drei Orks sind übrig in Mordor, das ist alles“, sagte er. „Müssen wir uns gegenseitig erschlagen, bis es gar keine mehr gibt?“

Yarga stierte sie schweigend an, dann warf er die Ratten vor sie hin. „Futter für die Orks, falls hier welche sind“, sagte er. „Ich glaube, dass in Mordor nur noch ein einziger Ork am Leben geblieben ist.“ Er sammelte Decke und Trommel von seinem Schlafplatz ein und ging hinaus in den schmalen Korridor. Nach ein paar Minuten hörten sie den Klang der Trommel, ein leises Pochen, das verklang, während er sich außer Hörweite und in die oberen Bereiche der Festung davon machte. 

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 Ghul-rakk: wörtlich: Milchsäuger, ein Weichling , ein nutzloser Schwächling. Lashs Bemerkung deutet an, dass dies Canohandos orkischer Name gewesen sein könnte, was erklären würde, dass er Radagasts Quenya-Namen für sich selbst akzeptiert; er ist sehr viel schmeichelhafter!


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