Wolfsmond
von Cúthalion


Kapitel Fünfzehn
Auf der Lauer

Der Mann hinter dem Schreibtisch in dem kleinen, fensterlosen Büro starrte mit allen Anzeichen von erbitterter Frustration auf den sauber geschriebenen Dienstplan hinunter.

Die Heilerin Phyllis Smith hatte um Entbindung von ihren Pflichten im Janus-Thickey-Flügel gebeten; das hohlwangige Gesicht des Mannes verzog sich angesichts ihrer Begründung zu einer sarkastischen Grimasse. „Smith behauptet, dass sie unfähig sei, den Wunsch von Gilderoy Lockhart nach endlosen Signierstunden noch länger zu ertragen, und nach seinem plötzlichen, körperlichen Angriff auf sie von letzter Woche - hervorgerufen durch ihre strikte Weigerung, ihm Ein Jahr mit dem Yeti zum dritten Mal hintereinander vorzulesen - fürchtet sie um ihre Gesundheit und ihren klaren Verstand.’“

Als ob die Fürsorge für diese armselige Karikatur einer früheren Berühmtheit irgend ein Problem darstellte. Smith hatte nie im ersten Stock gearbeitet, hatte nie die Wunden durch die Hufe eines Zentauren gesehen, durch den Stachel einer Riesenspinne, die Reißer eines Werwolfes. Sie hatte keine Ahnung von den wahren Risiken ihres eigenen Berufes.

William Pemberthy schnaubte verächtlich; er würde ihre Versetzung trotzdem befürworten, er hatte schlichtweg keine Wahl. Nach jener äußerst beunruhigenden Unterhaltung mit Kingsley Shacklebolt Anfang Oktober musste er sehr darauf achten, nicht noch weiter in Ungnade zu fallen. Er erinnerte sich daran, wie er in Shacklebolts Büro gestanden und mit gekränkter Rechtschaffenheit sein Vorgehen im Fall Ruta Lupin gerechtfertigt hatte.

Ich habe die übliche Prozedur befolgt, Minister; die Patientin wurde weder verletzt noch gedemütigt, und ihre Beschwerde muss als Resultat ihrer persönlichen Abneigung gewertet werden. Ich habe keinen Zweifel, dass sie ihre persönliche Bekanntschaft mit Harry Potter ausgenutzt hat, um mein Berufsethos in Frage zu stellen.“

Kingsley Shacklebolt hatte ihn minutenlang wortlos gemustert, sein Gesicht eine Maske aus Ebenholz, die die Gedanken dahinter nicht preisgab. Endlich sprach er, die tiefe Stimme kühl und fest.

Wenn Sie tatsächlich nicht imstande sind, sich vorzustellen, was es für ein unschuldiges Opfer bedeutet, an ein Bett gekettet auf eine Verwandlung zu warten, der sie nicht entgehen kann, dann ist der Dai-Llewellyn-Flügel nicht der richtige Ort für Sie. Miss Lupin hat fast ihr Leben geopfert, um ein Kind zu retten. Sie verdient mehr Respekt, als Sie zu geben bereit sind. Und übrigens – Harry Potter hat sich nicht eingemischt; es war Lottie Stanhope, die diese Beschwerde gegen Sie eingereicht hat. Sie sollten dankbar sein, dass ich mich einstweilen gegen eine gründliche Untersuchung von Miss Stanhopes Vorwurf entschieden habe. Sollte es zukünftig irgendwelche Zwischenfälle geben, könnte ich allerdings jederzeit meine Meinung ändern. Die Einstellung, die Sie an den Tag gelegt haben, hat während der Zeiten nach Voldemorts Rückkehr den schwersten Schaden angerichtet, und ich muss gestehen, dass ich diese Art von Ignoranz und Dummheit herzlich satt habe.“

Binnen einer Woche hatte William Pemberthy sein Büro im Llewellyn-Flügel räumen müssen. Fast ein Jahrzehnt hatte er darauf verwandt, sich geduldig seinen Weg in die Position zu erarbeiten, die Hippocrates Smethwyck dreißig Jahre lang eingenommen hatte, bis er im Dezember 2005 in den Ruhestand ging; mit kaum verhohlenem Triumph hatte er die Tatsache ausgenutzt, dass Augustus Pye – als der wahrscheinlichste Nachfolger von Smethwyck – sich stattdessen für ein Jahr medizinischer Forschungen über magische Schlangen in Australien entschieden hatte.(1) Und jetzt, nach kaum einem Jahr in dieser lang ersehnten Stellung, war Pemberthys Traum vorüber. Zu seinem größten Wut und Bestürzung fand er sich plötzlich in einem kleinen Büro auf der gegenüberliegenden Seite des Cafés wieder, dazu verdammt, lange, banale Listen zu schreiben und die hirnlosen Klagen niederer Heiler zu bearbeiten, die ihm selbst mit seinen Fähigkeiten und seiner Erfahrung nicht das Wasser reichen konnten.

„Sir…?”

Pemberthys Kopf zuckte hoch. Das Klopfen musste ihm entgangen sein; in der halboffenen Tür stand eine schlanke Frau in ihren Vierzigern. Offensichtlich gab sie sich viel Mühe mit ihrer äußeren Erscheinung; er sah ein hübsches, ovales Gesicht mit Augen von einem bemerkenswerten, blassen Grau, eine zarte Stupsnase und volle, rosige Lippen; ihr langes, erdbeerblondes Haar wurde von einem blauen Reif zurückgehalten. Sie beäugte ihn schüchtern.

„Entschuldigen Sie bitte, aber sind Sie William Pemberthy, Vorsteher des Dai-Llewellyn-Flügels?“

Die Kränkung fühlte sich an wie eine frische Wunde. „Ich bin William Pemberthy, soviel ist richtig,“ sagte er steif. „Aber ich bin nicht mehr Vorsteher, Miss...?“

„Stone, Vicky Stone.“ Die Frau trat ein und schloss die Tür hinter sich. „Es tut mir Leid, Mr. Pemberthy. Ich wollte Sie nicht kränken. Ich bin gekommen, weil Sie mir vielleicht helfen können.“ Sie warf einen kurzen Blick auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch. „Darf ich mich setzen?“

„Natürlich,“ sagte er; langsam wurde er neugierig. Ihre Höflichkeit und ihr ruhiger Respekt war seltsam erhebend. „Was kann ich für Sie tun, Miss Stone?“

„Sie können mir ein, zwei Fragen beantworten, hoffe ich. Ich bin Reporterin für den Tagespropheten,“ sagte sie, ihr Gesichtsausdruck offen und geradeheraus. „Aber die Nachforschungen, die ich gerade betreibe, sind streng privat. Ich versuche, etwas über das Schicksal einer engen Freundin herauszufinden.“

Sie seufzte, und ein Lächeln bebte um ihre Lippen.

„Nun ja, wenigstens war sie einmal eine enge Freundin,“ fuhr sie fort. „Wir haben den Kontakt nach dem Abschluss auf Hogwarts verloren, 1980. Ihr Name ist Ruta Lupin.“

Lupin…?”

William Pemberthy starrte sie an und schnappte nach Luft. Sein erster Versuch einer Antwort wurde von einem plötzlichen Hustenanfall erstickt. Er fummelte nach einem Taschentuch, um sich die tränenden Augen zu trocknen, während Vicky Stone geduldig darauf wartete, dass er wieder zu Atem kam.

„Es ist mir endlich gelungen, sie im Lake District aufzustöbern, vor einem Monat,“ sagte sie. „Sie hat dort in einer Gärtnerei gearbeitet und dabei geholfen, Theodore Lupin aufzuziehen, den Sohn ihres Cousins. Aber Ende August muss irgend etwas passiert sein; niemand war bereit, mir zu sagen, was das war. Endlich hat die Großmutter des Jungen durchsickern lassen, dass Ruta wochenlang in St. Mungo gewesen ist... und sie wurde offenbar hergebracht, nachdem nur wenige Tage zuvor irgend eine geheimnisvolle Kreatur in St. Mary Green erlegt worden war, ganz in der Nähe von dort, wo sie lebt.“

Sie beugte sich vor; ihr Blick war messerscharf. William Pemberthy schaute zurück, von ihren Augen hypnotisiert wie das sprichwörtliche Kaninchen von der Schlange.

„Noch einmal, Mr. Pemberthy... diese Nachforschungen sind streng privat. Ich lege meine Karten auf den Tisch; obwohl ich Ihnen versichern kann, dass ich einzig und allein an Rutas Wohlergehen interessiert bin, haben sowohl die offiziellen Stellen im Ministerium als auch die Verwaltung des Krankenhauses sich geweigert, mir zu helfen, und meine Möglichkeiten, die Wahrheit herauszufinden, werden immer geringer. Es mag abgedroschen und lächerlich klingen, aber Sie sind wirklich meine letzte Hoffnung.“

William Pemberthy versuchte, seine Augen tapfer von dem zarten Gesicht der Versucherin vor sich abzuwenden. Ihr war vollkommen klar, dass es strengstens verboten war, an diese Frau, von der er nicht das Geringste wusste, irgendwelche Informationen weiterzugeben. Die Tatsache, dass sie für eine Zeitung arbeitete, verstärkte das Risiko nur noch, egal, ob Miss Stones Geschichte sich herzerweichend wahr anhörte... ganz besonders in diesem Fall. Er hatte starke Zweifel, dass Ruta Lupin sich darüber freuen würde, ihr tragisches Schicksal als Sensationsstory im Tagespropheten wiederzufinden. Und die offiziellen Regeln von St. Mungo enthielten eine lange Liste von Strafen für Heiler, die das strikte Schweigegebot ignorierten, das zu befolgen sie gelobt hatten, als sie ihren Arbeitsvertrag unterschrieben.

Auf der anderen Seite...

Die Tatsache, dass er, William Pemberthy, in diesem kleinen, voll gestopften Büro hockte, unter Tonnen von Formularen und Pergamentrollen begraben, war eine direkte Folge von Ruta Lupins Mangel an Dankbarkeit und Demut. Er hatte sich keine Fehler zuschulden kommen lassen, und der Gedanke, dass sie es tatsächlich wagte, ihm sein Misstrauen übel zu nehmen, erfüllte ihn noch immer mit einem stillen, siedenden Zorn. Er wusste, dass diese Zeitungsschlangen üblicherweise ihre Quellen nicht preisgaben. Die berüchtigte Rita Kimmkorn war ebenso berühmt für ihre Diskretion ihren Informanten gegenüber wie für ihre scheußlichen Geschichten. Vicky Stones Absichten mochten immerhin höchst ehrenhaft sein, und er war wahrscheinlich in Sicherheit, wenn er sich entschloss, den eisernen Regeln seines Berufsstandes nicht zu gehorchen, nur dieses eine Mal.

„Miss Lupin war tatsächlich hier, fast den ganzen September,“ sagte er endlich. „Sie wurde von einem Werwolf gebissen und bis zum Tag ihrer ersten Verwandlung unter strenger Beobachtung gehalten.“

„Meine Güte.“ Vicky Stones blassgraue Augen waren so groß wie Untertassen. „Meine Güte... die arme Ruta.“ Sie schluckte. „Haben Sie sich ganz allein um sie gekümmert? Das muss eine wahre Bürde gewesen sein.“

„Es war hauptsächlich meine Verantwortung, für sie zu sorgen, ja,“ erwiderte er, ihre offene Bewunderung Balsam auf seiner wunden Seele. „Aber sie wurde regelmäßig von der Heilerin besucht, die sie bereits während der Nacht des Überfalls gepflegt hat.“

„Oh – wirklich?“ Vicky Stone betrachtete ihn hoffnungsvoll. „Und wer war das?“

„Ihr Name ist Lottie Stanhope; sie lehrt an unserer Heiler-Akademie,“ sagte Pemberthy, plötzlich ernüchtert von seiner eigenen Gesprächigkeit. „Aber Sie werden Sie nicht kennen lernen können; sie hat London soeben für ihren jährlichen Winterurlaub verlassen. Und...“ Er rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. „... ich muss darauf bestehen, dass das hier nicht weitere Kreise zieht. Sollte ich irgendwelche Details in Ihrer Zeitung entdecken, dann wären die Konsequenzen ziemlich schwerwiegend... für uns beide.“

„Keine Angst,“ entgegnete Vicky Stone mit einem funkelnden Lächeln. „Sie waren eine große Hilfe, und ich werde meinen Informanten nicht verraten.“

Sie erhob sich von ihrem Stuhl und ging in Richtung Tür.

„Vielen Dank, Mr. Pemberthy,“ sagte sie; in ihren Augen leuchtete eine Mischung aus Befriedigung und einer wilden Freude, die er leicht beunruhigend fand. „Ich bin sicher, Ruta wird überglücklich sein, mich wiederzusehen.“

Ehe er noch die richtige Antwort fand, hatte sie das Zimmer bereits verlassen, und er saß hinter seinem Schreibtisch und starrte auf Phyllis Smiths Versetzungsgesuch hinunter, das immer noch darauf wartete, abgesegnet zu werden.

Vielleicht hatte er Ruta Lupin einen äußerst schlechten Dienst erwiesen. Vielleicht war diese hübsche Frau mit ihren angenehmen Manieren keine frühere Freundin, sondern eine zukünftige Gefahr.

Aber selbst dann... Ruta Lupin hatte seinen Ruf geschädigt und seine Karriere ruiniert.

Und schließlich war sie nur ein Werwolf.

*****

Der frühe Novemberabend war kalt und nass, und in St. Mary Green wickelte sich Ruta Lupin in einen warmen Wollumhang, um Teddy zu besuchen und ihm seine gewohnte Gutenachtgeschichte vorzulesen. Sie vergaß Die Legenden von Beedle dem Barden auf dem Kaminsims... aber Teddy machte das nichts aus. Er war vollkommen einverstanden mit den Abenteuern von Thomas der Lokomotive, und er ließ Ruta nicht gehen, bevor er sich selbst für den nächsten Morgen zu einem Frühstück in ihrem Haus eingeladen hatte. Er schlief mit einem selbstzufriedenen Lächeln auf dem Gesicht ein, worauf er von Winkys Kakao träumte und ganz besonders von ihrem Blätterteiggebäck.

Zur selben Zeit tauchte Vindictia Stone aus dem Schatten der Nokturngasse auf, verschmolz mit der Menge der Fußgänger und betrat den Tropfenden Kessel gemeinsam mit einer Gruppe älterer Hexen, die gerade von einem ausgedehnten Einkaufsbummel zurück kamen („Zehn Silbersickel für einen Samtumhang, Marge – das beste Schnäppchen seit Wochen!“) und suchte sich einen Platz in einem stillen Winkel. Sie winkte die junge Kellnerin heran, bestellte sich einen griechischen Salat und ein Glas Kürbissaft; sie würde sich an diesem Abend keinen Alkohol erlauben. Es gab noch immer zuviel zu bedenken, zu viele Fallen, die es zu vermeiden galt. Die mit Paprika und Schafskäse beladene Gabel mitten in der Luft, ging sie ihren Plan noch einmal durch.

Die Information, die sie brauchte, aus William Pemberthy herauszuholen, war fast zu einfach gewesen; sie gratulierte sich im Stillen dazu, dass ihre Verbindungen im Stab von St, Mungo noch so gut funktionierten wie in früheren Zeiten. Pemberthys Degradierung hatte ihr die perfekte Waffe auf dem Silbertablett serviert; die Entdeckung von Lottie Stanhope war ein Extrabonus, und Vicky hielt ihn als ihr entscheidendes As im Ärmel. Pemberthy war nicht der Einzige, der sie mit wichtigem Wissen versorgt hatte; Vicky wusste mittlerweile alles über Lottie Stanhopes genaues Aussehen und die Beschwerde, und über die Tatsache, dass sie und nicht William Pemberthy es gewesen war, die Rutas erste Verwandlung überwacht hatte. Ruta betrachtete Miss Stanhope höchstwahrscheinlich als Verbündete und Freundin, und Vicky konnte sich auf ihr ahnungsloses Vertrauen verlassen, um ihren verwickelten Plan auszuführen.

Sie fühlte das Gewicht des kleinen Lederbeutels in der Geheimtasche ihres dunklen Hexengewandes und widerstand der Versuchung, seinen Inhalt zum dritten Mal hintereinander zu überprüfen. Zwei kleine Glasphiolen, sorgsam in weiches Tuch eingeschlagen und in einem kleinen Laden in der Nokturngasse erworben. Die Berufsethik des Besitzers, eines gewissen Venemus Mountebank, hätten Corminius Slug die Haare zu Berge stehen lassen, aber Mountebanks Drogen & Tränke war eine wohl bekannte und überaus hilfreiche Adresse für Kunden mit einem Interesse an gewissen Kräutern und Gebräuen – vor allem, wenn sie gleichzeitig absolut nicht bereit waren, sich um die Gesetze gegen Missbrauch zu kümmern. Vicky erinnerte sich noch lebhaft an ihren ersten Besuch bei Mountebanks Drogen & Tränke; sie war es gewesen, die das Veritaserum gekauft hatte, das Rita Kimmkorn benutzt hatte, um das „Interview“ mit Bathilda Bagshot für ihre Biographie über Albus Dumbledore zu vereinfachen. (2)

Jetzt hatte sie zum zweiten Mal Veritaserum gekauft, und die andere Phiole in ihrer Tasche war mit einer guten Dosis Vielsafttrank gefüllt; Mountebank hatte immer einen Kessel davon, der in seinem Keller vor sich hin blubberte, für diejenigen, die bereit waren, den unverschämt hohen Preis zu zahlen. Ihr größter Schatz allerdings war eine kleine, silberne Dose mit nichts darin außer einer feinen Strähne von grauem Haar; Vicky lächelte, als sie an ihren heimlichen, kleinen Ausflug in den Umkleideraum der Heiler in St. Mungo dachte, ihren Zauberstab in den Falten ihres Umhanges verborgen. Es war sehr leicht gewesen, sich Zugang zu Lottie Stanhopes Spind zu verschaffen. Ihr Gewand war frisch gewaschen, gebügelt und vollkommen fusselfrei, aber gerade, als Vicky die Tür wieder schließen wollte, das Herz brennend vor Enttäuschung, da hatte sie die dünne, fast unsichtbare Strähne entdeckt, die sich im Riegel verfangen hatte und wie Silber glänzte.

Noch immer konnte sie ihr Glück kaum fassen, dass sie drauf und dran war, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen... einfach mit ein paar Haaren von Lottie Stanhope.

Vicky Stone lehnte sich in ihrer Ecke zurück und leerte mit herzhaftem Appetit ihren Teller. Sie nahm die renovierte Schankstube mit zustimmendem Blick zur Kenntnis. Die Dinge entwickelten sich eindeutig zum Besseren, sogar im Tropfenden Kessel. Wieder winkte sie die junge Kellnerin heran.

Sie verdiente eine Belohnung für ihre eigene Raffinesse; ein Glas Rotwein würde sicherlich nicht schaden.

*****

„Oh nein,“ sagte Ruta mit Festigkeit. „Noch eins von diesem Blätterteigteilchen isst du nicht.“

Teddy versuchte, sie zu ignorieren, den Mund noch immer voll von dem letzten knusprigen Kunstwerk aus buttrigem Teig, karamellisierten Mandeln und Zimtzuckerguss. Er gab sich alle Mühe, verhungert drein zu schauen – obwohl es ihm wirklich schwer fiel, voll gestopft, wie er war.

„Aber Miss Ruta,“ quäkte Winky, die riesigen Augen flehend auf die Hausherrin gerichtet. „Master Teddy wächst doch noch, oder nicht?“

„Wenn du ihn weiterhin mit allem fütterst, was dir zwischen die Finger kommt, dann wächst er vor allem in die Breite,“ bemerkte Stephen Seeker, das Lachen sorgsam hinter einem ernsten Gesicht verborgen; allerdings glitzerte es deutlich in seinen schwarzen Augen. „Und Master Teddy sollte in eines in Betracht ziehen: wenn er zu fett wird und man ihn bei einem Streich erwischt, dann kann er kaum noch Fersengeld geben.“

Ruta lächelte. Erinnerst du dich daran, was Onkel Harry dir über seinen Cousin Dudley Dursley erzählt hat?“

Teddys Hand, die sich nach dem letzten Blätterteigteilchen mit eingemachten Birnen und Schokolade ausstreckte, erstarrte plötzlich und wurde langsam zurückgezogen; Harrys Geschichten über „Dudders“, seine zahllosen schmutzigen Tricks und seine groteske Fettleibigkeit hatten einen starken Eindruck hinterlassen. Winky nahm den Teller und eilte in die Küche; die letzte zuckrige Versuchung war somit außer Reichweite. Teddy faltete seine Serviette auseinander, wischte sich Hände und Mund und nahm einen behutsamen Schluck von seinem Apfelsaft.

„Winky backt sogar noch besser als die bei Philemon Pistors Pasteten und Puddings in der Winkelgasse,“ sagte er, gab einen satten Seufzer von sich und grinste zu Stephen hinüber. „Tante Ruta hat mich bei meinem ersten Ausflug nach London dahin mitgenommen, letztes Weihnachten. Und sie hat mir eine Tüte Drachenmuffins gekauft.“

„Und noch eine mit Schokoladenbrezeln,“ fügte Ruta hinzu. „Du hast an dem Abend beide leer gefuttert und musstest am nächsten Tag alle Mahlzeiten auslassen, weil dir so fürchterlich schlecht war... und deine Bettdecke war voll mit roten und orangefarbenen Zuckerspritzern."

„Ja,“ gab Teddy zu und sah dabei immer noch sehr befriedigt aus, „weil die Marzipandrachen obendrauf nach dem ersten Bissen Zuckerguss gespuckt haben. Die waren super; als ich einmal mit dem Essen angefangen hatte, konnte ich einfach nicht mehr aufhören.“ Er betrachtete Ruta nachdenklich. „Du hattest die Nougat-Eclairs am liebsten, oder?“

„In der Tat.“ Ruta lachte. „Ich bin froh, dass ich nicht mehr in London lebe. Als ich in Onkel Corminius’ Apotheke gearbeitet habe, da war Pistors eine ständige Versuchung zur Völlerei.“

Teddy verfiel in Schweigen und nahm noch einen Schluck Apfelsaft.

„Nach der... nach der Nacht damals, da habe ich Gran Dromeda gefragt, ob sie mich nach London mit nimmt,“ sagte er plötzlich. Sie hatte mich zum Fuchsbau gebracht, und Tante Molly war auch echt nett, aber ich wollte dich sehen. Ich wollte zu Pistors gehen und dir Nougat-Eclairs kaufen, als Geschenk, aber Gran und Tante Molly haben mir beide gesagt, dass die mich da bestimmt nicht rein lassen würden.“

Ruta starrte ihn an, und für einen Moment blitzte die wilde Vorstellung von Teddy, der sich mit William Pemberthy stritt, klar und scharf vor ihrem inneren Auge... und noch ein weiteres Bild, dieses Mal eine echte Erinnerung: an seinen ausgestreckten Finger, seine Stimme, schrill vor Panik, und an den Gestank nach versengtem Fell.

Sie werden meiner Tante nicht weh tun!

Sie hielt beide Hände fest im Schoß verschränkt; sie wollte nicht, dass er sah, wie heftig sie zitterten.

„Dromeda hatte Recht,“ sagte sie so sanft wie möglich. „Als ich nach St. Mungo gebracht wurde, da hatten die Heiler dort Angst, ich könnte mich auch ohne den Vollmond verwandeln, wie Fenrir Greyback in jener Nacht. Ich wurde isoliert und ganz genau überwacht. Harry schaffte es, mich einmal zu sehen, aber er war der einzige Besucher aus der Außenwelt.“Sie schluckte; die Erinnerung an diese beängstigenden Wochen kreiste wie Eiswasser in ihren Adern. Sie suchte krampfhaft nach einem Detail, harmlos genug, dass sie es mit dem Jungen teilen konnte.

„Da gab es Lottie Stanhope – eine sehr nette, ältere Dame,“ fuhr sie endlich fort, „die Heilerin, die an dem Morgen nach Greybacks Tod herkam. Sie half damals mit, meine Wunden zu versorgen, und während ich in St. Mungo war, besuchte sie mich mit Büchern... und einem Schachbrett.“

Sie drehte sich um und stellte fest, dass Stephen sie anblickte.

„Du hast in St. Mungo Schach gespielt?“

„Ja,“ sagte sie. „Deine Lektionen waren eine große Hilfe. Und Lottie war eine gute Gegnerin – sehr geduldig.“

Seine Lippen zuckten. „Im Gegensatz zu mir, nehme ich an?“

„Oh nein.“ Ruta lächelte. „Ich habe die Herausforderung genossen, genau wie du.“

„Ich erinnere mich an die Dame,“ warf Teddy ein. „Sie war da, als Gran mir erlaubt hat, dich zu sehen, bevor sie mich zum Fuchsbau gebracht hat. Da warst du natürlich nicht wach... und da war diese Dame, mit silbernen Haaren und jede Menge Fältchen um die Augen, und sie hat nach Lavendel gerochen. Sie hat mir Butterkaramell aus ihrer Tasche gegeben und mir versprochen, dass es dir bald wieder gut geht.“

„Ja, das klingt sehr nach Lottie.“

Teddy warf Ruta einen vorsichtigen Blick zu; sie konnte förmlich sehen, wie sich die Gedanken in seinem Kopf überstürzten. Sein Gesicht war leicht gerötet, und er rutschte unruhig auf seinem Stuhl herum.

„Darf ich dich was fragen?“ sagte er plötzlich.

„Du darfst mich so gut wie alles fragen, Liebchen,“ antwortete sie ernsthaft.

„Wie fühlt es sich an, wenn man sich in einen Wolf verwandelt?“ platzte er heraus. Er holte tief und zittrig Atem, aber er wandte den Blick nicht ab. „Tut... tut das weh?“ Er brach ab, und dann fuhr er wesentlich schneller fort. „Ich weiß, mein V-vater hat sich jeden Monat in einen Wolf verwandelt, fast sein ganzes Leben lang... aber ihn kann ich ja nicht mehr fragen, oder?“

„Nein,“ sagte Ruta zustimmend; ihre Stimme war sehr leise. "Nein, das kannst du nicht.“

Sie setzte sich auf das Sofa, erschüttert von der Direktheit seiner Frage. Niemand hatte bisher gewagt, dieses Thema anzusprechen, nicht Harry, nicht Ginny... und ganz sicher nicht Stephen. Stephen, der ihrem Cousin einmal närrischerweise durch den engen Gang unter der Peitschenden Weide gefolgt war, gedankenlos in seiner Wut und in seinem brennenden Drang, hinter Remus’ dunkles Geheimnis zu kommen.

Als ob der Gedanke ihn zu ihr hingezogen hätte, fühlte sie plötzlich seine Hand auf ihrer Schulter.

„Es ist wahr, dass du deinen Vater nicht mehr fragen kannst,“ sagte er ruhig, „aber ich kann dir erzählen, was er mir darüber gesagt hat.“

Teddys Kopf fuhr hoch, und seine Augen weiteten sich. Ruta öffnete den Mund, um zu protestieren... das konnte nur eine Lüge sein, spontan erfunden, um ihr die Erinnerung zu ersparen, und vielleicht sogar, um das Kind zu trösten. Aber dann verstärkten Stephens Finger ihren Griff und sie entschloss sich zögernd, zu schweigen.

„Haben Sie meinen Vater wirklich gekannt?“ fragte der Junge, die Stimme atemlos vor Überraschung.

„Das habe ich,“ sagte Stephen. „Und es gab eine Zeit, da habe ich den Wolfsbanntrank auch für ihn gebraut... nicht sehr lange allerdings, nur ein paar Monate. Kurz bevor er fort ging, kam er zu mir, um seiner... äh... Dankbarkeit Ausdruck zu verleihen.“

„Wo haben Sie ihn getroffen, und wieso musste er weggehen?“ wollte Teddy wissen. „Hatte er Ärger?“

Stephen ließ sich Zeit mit seiner Antwort, und Ruta hatte Mühe, sich nicht umzudrehen und ihn anzuschauen. Endlich sprach er.

„Ja, den hatte er,“ sagte Stephen schlicht. „Die Gründe waren... kompliziert, und nicht ganz und gar sein Verschulden. Und die Geschichte, wie und wo wir uns kennen gelernt haben, ist zu lang für diesen Morgen.“ Für einen Moment dachte Ruta, dass die Hand auf ihrer Schulter leicht erbebte. „Am letzten Tag kam er zu mir, um mir Lebewohl zu sagen, und er dankte mir dafür, dass ich ihm den Trank gebraut hatte. Tatsächlich hielt er eine kleine Rede.“

Noch eine Pause, und Ruta sah, dass Teddy versuchte, sich die Szene vorzustellen. „Was hat er denn gesagt?“ flüsterte der Junge endlich.

Stephen seufzte. „Er sagte: ,Du wirst wahrscheinlich nie ganz verstehen, was dies für mich bedeutet hat, aber dein Trank hat das Entsetzen fast ein Jahr von mir ferngehalten, und allein für diese Tatsache stehe ich in deiner Schuld. Du wirst wohl nie erfahren, wie es sich anfühlt, wenn dein Körper dem Mond Antwort gibt, wenn das Fell deine Haut durchbricht und deine Arme und Beine zu Pfoten schrumpfen, während die Knochen in deinem Fleisch knistern wie vertrocknetes Feuerholz. Mit deiner Hilfe wurde mein Geist davon abgehalten, jeden Monat in den Wahnsinn abzurutschen. Ich werde das nicht vergessen.“ Und dann drehte er sich herum und verließ das Zimmer.“

Stephen schaute den Jungen an; sein Gesicht war ausdruckslos und bleich.

„Beantwortet das deine Frage?“

Teddy nickte feierlich. „Ja... danke schön.“ Er wandte sich zu Ruta, und für einen kurzen, erschütternden Moment sah sie Remus, der sie voller Liebe und Mitleid betrachtete, widergespiegelt in den kindlichen Zügen seines Sohnes. Plötzlich hatte sie eine sehr klare Vorstellung davon, wie der Junge als erwachsener Mann aussehen würde. „Das klingt ganz schrecklich. Es tut mir so Leid, Tante Ruta.“

„Es ist schrecklich, glaub mir,“ sagte Ruta. „Ich hätte es nicht besser beschreiben können.“

Ihre Stimme brach, und sie rang um Fassung. Endlich traute sie sich selbst genug, um wieder zu sprechen.

„Hör zu, Teddy... du solltest jetzt gehen. Gran Dromeda wartet auf dich. Ich kann dich nach Hause bringen, wenn du möchtest.“

„Oh... machst du das wirklich?“ Teddy hüpfte von seinem Stuhl herunter; er war wieder zu seinem üblichen, lebhaften Selbst zurückgekehrt. „Ich geh schon mal und zieh meinen Mantel an.“

„Gute Idee.“ Sie stellte fest, dass sie tatsächlich imstande war, ihn anzulächeln. „Und vergiss deinen Schal nicht.“

„Alles klar.“ Er war schon an der Tür, als er zögerte und sich zu Stephen umdrehte. „Danke, dass Sie mir von meinem Vater erzählt haben, Mr. Seeker.“

„Schon gut,“ erwiderte Stephen sehr ruhig. „Ich wünsche dir einen guten Tag, Teddy.“

Die Tür schloss sich hinter dem Jungen; sie waren allein in dem stillen Zimmer, und jetzt musterte Ruta den Mann hinter sich mit einem Gefühl, das dem Zorn erschreckend nahe kam.

„Musstest du ihm wirklich einen solchen Bären aufbinden?“ fragte sie. „Das war mehr als gedankenlos – Teddy ist klug, und selbst wenn ihn die Einzelheiten jetzt noch nicht kümmern, selbst wenn er die ganze Sache nur als einen romantischen Tribut an seinen Vater betrachtet, eines Tages wird er mit Sicherheit anfangen, Fragen zu stellen!“

„Mag sein,“ entgegnete Stephen brüsk. „Aber der Junge braucht Antworten, und jede gute Erinnerung an seinen Vater, die er bekommen kann.“ Seine Lippen formten eine dünne Linie. „Und es war nicht nötig, mir irgendetwas auszudenken. Genau das hat Remus Lupin zu mir gesagt, an dem Tag, als er seinen Lehrerposten in Hogwarts aufgab.“

„Er...“ Für einen Moment schloss sie die Augen, als könnte sie diese unerwartete Enthüllung verschwinden lassen, indem sie sich weigerte, sie in seinem Gesicht zu sehen. Aber als sie ihn wieder anschaute, war sie immer noch da, tief eingekerbt in den müden Linien, die sich von seiner Nase zu den Mundwinkeln herunter zogen, versteinert in seinem schwarzen, schonungslosen Blick. „Willst du mir erzählen, dass er herausfand, dass er nach deiner rachsüchtigen... Indiskretion... gehen musste, und dass er trotzdem kam, um dir zu danken?“

„Ganz genau,“ antwortete Stephen; seine Stimme klang trocken und erschöpft. „Glaub mir, ich erinnere mich Wort für Wort an seine edelmütige Ansprache.“

Ruta erhob sich vom Sofa und trat hinüber zum Fenster. Es war ein kalter und windiger Tag, und die Wolken über ihnen faserten auseinander und zeigten wechselnde Muster von einem hellen Blau. Sie war froh, dass der kleine Abstand zwischen ihnen ihr die Chance gab, sich wieder zu sammeln. Stephens überraschende Geschichte – und Remus’ Worte – hatten sie zutiefst schockiert, aber statt heftigem Groll konnte sie nur Trauer und Mitgefühl in ihrem Herzen finden. Sie hatten ihn alle beide im Stich gelassen.

„Remus’ Vater starb vor achtzehn Jahren,“ sagte sie langsam, ihr Atem ein weißer Nebel auf der kühlen Fensterscheibe. „Ich hatte ihn seit mehr als fünf Jahren nicht mehr gesehen, aber der Beerdigung konnte ich wohl kaum fernbleiben. Ich ging Seite an Seite mit meinem Vater hinter dem Sarg her, und die ganze Zeit über beobachtete ich heimlich Remus’ Gesicht. Er war sehr still und gefasst, und wir wechselten nicht ein einziges Wort miteinander, bis wir spät am Nachmittag zurück kamen. Ein paar Gäste versammelten sich in der Küche, für eine Tasse Tee und Kuchen, und plötzlich stellte ich fest, dass ich allein mit ihm war, in dem kleinen Nähzimmer seiner Mutter. In meinem ganzen Leben hatte ich noch nie jemanden gesehen, der so einsam und so traurig war.“

Sie hielt inne. Hinter ihr war es ganz still... aber irgendwie wusste sie, dass er zuhörte.

„Und von einem Moment zum anderen konnte ich es nicht länger aushalten. Die alte Schande brach über mich herein wie ein unaufhaltsamer Erdrutsch, und ich fing an zu weinen. Ich stammelte die Geschichte meiner elenden Untat heraus, verzweifelt und schluchzend. Die meiste Zeit starrte ich auf meine Hände hinunter, weil ich es kaum wagte, ihn anzusehen – während er mitten im Zimmer stand, reglos wie ein Stein.“

Sie schluckte mühsam.

„Als nichts mehr übrig war von meiner Geschichte und meinen Tränen, saß ich da, erledigt und zitternd; ich wartete auf meine Verurteilung. Und dann spürte ich seine Hand; er streichelte meinen Kopf, als wäre ich so jung wie Teddy. ,Kleine,’ murmelte er. ,Um Himmels Willen, Kleine, wie konntest du diese Last bloß die ganzen Jahre tragen?’ Nicht ein Wort über seine eigene Last, keine Anklage, nicht einmal ein Hauch von Zorn. Niemals habe ich mich mehr geschämt. Ich erinnere mich vage, dass irgend ein Gast ihn von draußen rief; er ging mit einer leisen Entschuldigung aus dem Zimmer, und der Moment der Wahrheit war vorüber.“

Ihre Lippen verzerrten sich, während sie die Selbstverachtung, die mehr als zwanzig Jahre in ihrer Seele geschwelt hatte, noch einmal erlebte. Manchmal verstärkten Mitgefühl und Verständnis nur noch den Schmerz, anstatt die Wunden zu heilen.

„Während der folgenden Jahre versuchte Remus, die Sache ein- oder zweimal zur Sprache zu bringen. Ich denke, es wäre viel besser gewesen, diesen unbehaglichen Waffenstillstand zu beenden und wirklich Frieden mit ihm zu schließen. Aber ich habe es nie gewagt, diese Chance zu ergreifen. Wenn ich mir nicht wirklich selbst vergeben konnte, wie um Himmels Willen konnte er es tun?“

Ruta drehte sich zu Stephen um.

„Erinnerst du dich, was du über ,glückliche Missetäter’ gesagt hast, als ich dir zum ersten Mal von meiner vorgetäuschten Schwangerschaft erzählt habe?“

„Natürlich.“

„Ich glaube, wir haben beide Glück gehabt.“ Sie sprach leise. „Und wir sollten lernen, unseren alten Gespenstern die Ruhe zu gönnen, die sie verdient haben.“

Ihre Blicke trafen sich, und sie entdeckte etwas, das verdächtig nach einem kleinen Lächeln aussah.

„Das klingt nach einem vernünftigen Plan,“ sagte er. „Aber wenn ich du wäre, würde ich mich jetzt beeilen, sonst ist dieser unverbesserliche Junge über alle Berge.“

Oh.“ Ruta starrte ihn einen Moment an, dann ging sie mit raschen Schritten zur Tür. „Gib mir eine halbe Stunde, dann bin ich wieder da.“

„Keine Sorge.“ Stephen verbeugte sich ein wenig spöttisch. „Ich gehe nirgendwo hin.“

*****

Als Ruta mit Teddy das Haus verließ, segelten die meisten Wolken in Richtung der Hügel, und das reiche, herbstliche Licht der Mittagssonne vergoldete die Mauern der Häuser entlang Tulip Close. Teddy blinzelte zum Himmel hoch und lächelte.

„Ich möchte morgen zur Drehscheibe gehen,“ sagte er. „Ich war schon ewig nicht mehr da, nicht seit... der Nacht. Wir könnten Eis essen und Limo trinken und dem Zug zuschauen.“

„Gute Idee,“ sagte Ruta; sie fühlte, wie die kleinen Finger sich um ihre Hand schlossen. Sie gingen auf die Abbiegung zu, und Teddy schwieg eine ganze Weile. Sie schaute ihn aus dem Augenwinkel an und begriff, dass er über irgend etwas nach grübelte. Plötzlich blieb er stehen und ließ ihre Hand los.

„Mr. Seeker und mein Vater – sind sie Freunde gewesen?“

Das kam schneller, als sie erwartet hatte.

„Wieso fragst du?“ antwortete sie; es war ein Versuch, auf Zeit zu spielen. Wie konnte sie dem Jungen die bittere, komplizierte Beziehung dieser beiden Männer erklären? Sollte sie es überhaupt tun oder sich besser eine Geschichte ausdenken... anders als Stephen, der ihm immerhin einen Teil der Wahrheit erzählt hatte?

„Sie müssen Freunde gewesen sein, denke ich, wenn Mr. Seeker ihm den Wolfsbanntrank gebraut hat,“ sagte Teddy nachdenklich. „Er braut den Wolfsbanntrank für dich, weil er dein Freund ist, oder?“

„Ich würde nicht wirklich sagen, dass sie Freunde waren,“ erwiderte Ruta endlich vorsichtig. „Mr. Seeker wurde gebeten, deinem Vater zu helfen, und er war einverstanden. Aber wie er gesagt hat, es ist eine komplizierte Geschichte. Tust du mir einen Gefallen, Teddy?“

„Was für einen Gefallen?“

„Behalte Mr. Seekers Geschichte für dich. Er hat dir nur davon erzählt, damit du eine klarere Vorstellung von Werwölfen hast... und ich bin sicher, dass der Tag kommt, an dem du auch noch den Rest erfährst... sobald du ein bisschen älter bist.“

„Wie alt?“

„Du wirst deinen Brief aus Hogwarts erhalten, sobald du elf bist. Warte bis dahin, dann erzähle ich dir den Rest... wenn Mr. Seeker einverstanden ist, und wenn er es nicht selbst tun will.“

„Versprochen?“ Teddys Gesicht war ernst, und noch einmal sah Ruta, wie sich in den Augen des Sohnes der Vater spiegelte. Sie berührte seine Wange mit einer kleinen, flüchtigen Liebkosung.

„Versprochen.“

Er schenkte ihr ein strahlendes Lächeln; sein quecksilbriger Geist wandte sich bereits einer anderen, interessanten Möglichkeit zu. „Klasse! Weißt du was? Ich möchte gern Miss Stanhope wiedersehen. Sie war sehr nett, und lustig war sie auch. Und ich wette, sie weiß beinahe alles über Werwölfe... wo sie dich doch gepflegt hat und in St. Mungo arbeitet und das alles.“

„Wir können sie irgendwann einmal zusammen besuchen, wenn du willst.“

Sie setzten ihren Weg um die Biegung fort, in Richtung Gardenia Close und Andromedas Haus. Beim Anblick des geschwärzten Stumpfes, der von der verbrannten Eiche übrig geblieben war, wandten sie die Köpfe ab. Sie hielten sich fest an den Händen und gingen ein wenig schneller.

*****

Vicky Stone zog sich hastig in den Schatten eines Vordaches zurück, als die hoch gewachsene Frau und das Kind sich der Straßenecke näherten. Sie hielt den Atem an und versuchte, mit dem rauen Mauerwerk zu verschmelzen. Sie beobachtete, wie sie an ihr vorüber gingen; ihre Gestalten zeichneten sich im hellen Sonnenlicht scharf ab.

Also so sieht sie jetzt aus.

Seit ihrer letzten Begegnung mit Fenrir Greyback hatte Vicky dem Augenblick entgegen geeifert, in dem sie ihre alte Nemesis wiedersah. Der Himmel wusste, wie viel Mühe es sie gekostet hatte, die Anmut und die Schlankheit ihres eigenen Körpers zu bewahren, die glatte Oberfläche, die so viele ihrer Zeitgenossen dazu brachte, den mitleidlosen Geist hinter den sanften, harmonischen Zügen zu unterschätzen.

Hm... Ruta hatte kein Fett angesetzt, um das Mindeste zu sagen. Sehr schlank, fast ein bisschen zu dünn, obwohl... ihr haselnussbraunes Haar war wundervoll, das musste der Neid ihr lassen. Aber da gab es silberne Strähnen, viele silberne Strähnen – und mit boshafter Befriedigung registrierte Vicky die müden Linien in Ruta Lupins Gesicht. Immerhin, Ruta hielt sich sehr aufrecht, und sie bewegte sich mit der natürlichen Geschmeidigkeit von jemandem, der seine Zeit damit zubrachte, im Freien zu arbeiten. Nur ihr rechter Arm hing steif und wahrscheinlich nutzlos herunter.

“…möchte gern Miss Stanhope wiedersehen. Sie war sehr nett, und lustig war sie auch. Und ich wette, sie weiß beinahe alles über Werwölfe... wo sie dich doch gepflegt hat und in St. Mungo arbeitet und das alles.“

„Wir können sie irgendwann einmal zusammen besuchen...“

Stimmen und Schritte verklangen, und Vicky blieb, wo sie war; ihr Herz klopfte wild. Instinktiv tastete sie nach den Phiolen in ihrer Tasche.

Plötzlich formten sich die Umrisse eines neuen Planes vor ihrem inneren Auge, großartig und glanzvoll... und weit weniger gefährlich. Wieso den Versuch wagen, Ruta direkt gegenüber zu treten? Das würde wahrscheinlich bedeuten, dass sie auch mit Severus Snape fertig werden musste, und Vicky Stone wusste zuviel über ihn, um ein solches Risiko einzugehen. Aber wenn sie ihre Aufmerksamkeit statt dessen dem Jungen zuwandte...

Er wollte Miss Stanhope sehen? Merlins Bart, sie würde ihm liebend gern den Gefallen tun.

Und es würde mehr als spannend sein herauszufinden, was er ihr erzählen konnte.

*****

Ruta war weniger als zehn Minuten fort, und Seeker hatte sich gerade mit dem Tagespropheten im bequemsten Sessel niedergelassen, als ganz plötzlich etwas gegen das Wohnzimmerfenster knallte. Er spähte hinaus und entdeckte eine große Schleiereule, die geschäftig auf und ab flatterte und ihn mit gekränkten, gelben Augen anstarrte. Seeker stieß das Fenster auf.

Der Vogel hüpfte herein und sträubte seine Federn mit beleidigter Erhabenheit. Aber er gestattete Seeker, das kleine Stück Pergament aus dem Röhrchen an seinem Bein zu ziehen und setzte sich dann wieder auf das Fensterbrett. Zu seiner Verblüffung entdeckte Seeker seinen eigenen Namen auf der Außenseite des Pergaments; er rollte es auseinander und las die gekritzelte Nachricht.

Mr. Seeker,

können Sie sofort nach Berwick kommen? Jemand hat in der Werwolf-Registratur Nachforschungen über Ruta angestellt und bei der Unterschrift im Gästebuch einen falschen Namen benutzt. Möglicherweise liegt Gefahr in der Luft.

H.P.

Er stand minutenlang da, ohne sich zu rühren. Ein falscher Name im Gästebuch? Die Werwolf-Registratur war immer eine leichte Quelle für Erpressung und Denunziation gewesen… kein Wunder, dass selbst einige von den gutwilligen Opfern des Fluches bitter und misstrauisch wurden, und dass sie Greybacks hasserfüllten Lügen mehr und mehr Glauben geschenkt hatten.

Seeker fühlte einen scharfen Stich der Frustration angesichts seiner eigenen Wissenslücken in dieser Angelegenheit. Vielleicht hatten sich die Regeln unter Shacklebolt ja geändert. Vielleicht hatte das Ministerium entschieden, Werwölfen einen besseren Schutz gegen die Bigotterie und den Abscheu der Zaubererwelt zu gewähren. Und wenn das der Fall war, und wenn es einen unbekannten Feind gab, der danach trachtete, Rutas tragisches Schicksal aufzudecken…

„Winky?”

Die Hauselfe erschien beinahe sofort auf der Türschwelle.

„Was wünscht der Herr?“

„Ich sagte Miss Ruta, ich würde hier bleiben und darauf warten, dass sie zurückkommt. Aber ich habe gerade eine dringende Nachricht erhalten und muss sofort weg. Sag Miss Ruta bitte, sie soll sich keine Sorgen machen; ich komme wieder, sobald ich kann. Und Winky…“

„Ja, Herr?“

„Sag ihr, sie soll das Haus nicht verlassen.“

Die riesigen braunen Augen blitzten alarmiert. „Ist das Fräulein in Gefahr?“

„Ich weiß es noch nicht,“ sagte Stephen Seeker langsam. „Vielleicht.“

Er konzentrierte sich auf das Cottage der Potters in Berwick… auf die rote Tür mit dem Messingknauf, der wie ein Löwenkopf geformt war. Sehr passend für das Zuhause von zwei Gryffindors. Er spürte, wie die Magie ihn mit sich fort riss, und das letzte, was er sah, war Winkys besorgtes Stirnrunzeln.

*****

„Harry, um Himmels Willen, setz dich hin!“ sagte Hermine Weasley. „Wenn das so weitergeht, dann machst du noch einem Trampelpfad im Teppich.“

„Tut mir leid.“ Harry Potter zog den Vorhang zum fünften Mal in fünf Minuten beiseite. „Aber inzwischen muss er die Nachricht doch gelesen haben. Wieso ist er noch nicht hier?“

„Oh bitte,“ seufzte Hermine. „Sokrates ist keine Expresseule; lass ihm ein bisschen mehr Zeit.“

Von draußen kam ein scharfes Peng!; sie straffte den Rücken und wandte instinktiv den Kopf zur Tür. Harry sah, wie sie sich die Lippen leckte und eine Haarsträhne, die sich aus ihrem dicken Pferdeschwanz gelöst hatte, zurück hinter das Ohr strich. Er warf ihr einen ironischen Blick zu.

„Nervös bist du aber nicht, oder?“

„Nein, warum auch?“ schnauzte Hermine. „Das letzte Mal habe ich Professor Snape gesehen, als du seine Erinnerung gerade in einem Fläschchen aufgefangen hast, nur Sekunden, bevor er starb… also schön, bevor er es nicht tat. Kein Grund, sich aufzuregen, aber kein bisschen.“

Der Messingknauf schlug gegen die Vordertür, und sie schwieg und atmete tief ein. Harry ging in die Diele hinaus und öffnete die Tür, und der lange Schatten von Stephen Seeker verdunkelte die Schwelle.

„Guten Morgen, Mr. Potter.“

„Guten Morgen, Mr. Seeker,“ erwiderte Harry. „Ich hoffe, Sie entschuldigen diesen plötzlichen Aufruf, aber wir glauben, wir haben wirklich Grund, uns Sorgen zu machen.“

„Haben wir das?“ Seeker folgte ihm ins Wohnzimmer und entdeckte Hermine, die ihn mit weit aufgerissenen Augen anstarrte. „Guten Morgen, Miss Granger… entschuldigen Sie, Mrs. Weasley.“

„N… natürlich.“ Hermine schluckte. „Sie sind es wirklich! Wissen Sie, ich war schrecklich neugierig… aber ich hätte mir denken können, dass Sie irgend einen Plan für den Notfall im Ärmel hatten, für den Fall, dass der Dunkle Lord beschließen sollte, Sie umzubringen… und der Trank des Lebenden Todes war wirklich die beste Wahl.“

„Gut gemacht,“ antworte Seeker mit einer kleinen Verbeugung. „Aber das sollte mich eigentlich nicht überraschen.“

Er setzte sich auf das Sofa gegenüber von Hermine, die entschieden fassungslos dreinschaute. Kein Wunder, dachte Harry, Snape als Lehrer zu begegnen, hatte für sie immer bedeutet, entweder beleidigt oder ignoriert zu werden, und jetzt hörte sich so ziemlich das Erste, was dieser Mann zu ihr sagte, verblüffend nach einem Kompliment an.

„Hermine arbeitet im Ministerium,“ erklärte Harry, „und nach Greybacks Überfall haben wir beschlossen, dass sie ein Auge auf das Gästebuch der Werwolf-Registratur haben sollte. Die Geschichte, wie Greyback starb, ist viel zu saftig, um nicht einen köstlichen Köder für irgendeinen ehrgeizigen Zeitungsschmierer abzugeben.“

Seeker runzelte die Stirn. „Sie dachten an Rita Kimmkorn?“

„Wir haben an so ziemlich an jeden gedacht, der eine Feder halten kann,“ sagte Hermine mit einer Grimasse. „Aber Reporter dürfen die Einträge in der Werwolf-Registratur nicht einsehen, nicht, seit Kingsley Shacklebolt sein Amt angetreten hat… und auch sonst keiner, nicht ohne eine Sondererlaubnis. Als ich gestern Abend beschlossen habe, die letzten Einträge zu überprüfen, da fand ich eine frische Unterschrift im Gästebuch… von einer gewissen Lottie Stanhope.“

„Lottie Stanhope?“ Stephen Seeker schüttelte den Kopf. „Das ist… interessant.“

„Ja, ist es,“ sagte Hermine zustimmend. „Vor allem, nachdem Lottie Stanhope die Person war, die Ruta in der Werwolf-Registratur eingetragen hat. Als die erste, kundige Heilerin, die sich um ihre Wunden gekümmert hatte, war sie dafür verantwortlich, dass das geschah. Und nach Ruta gab es keine weiteren Einträge mehr.“

„Guter Punkt.“

„Vielen Dank,“ antwortete Hermine, die ihren früheren Lehrer einmal mehr mit ungläubiger Verblüffung anstarrte. „Ich wurde neugierig und beschloss, Miss Stanhope persönlich zu fragen. Und wissen Sie, was ich herausgefunden habe?“

„Ich habe keine Ahnung,“ sagte Seeker und lehnte sich auf dem Sofa zurück. „Aber ich nehme an, Sie werden es mir sofort mitteilen.“

„Lottie Stanhope ist gar nicht in England,“ verkündete Hermine. „Sie ist vor zwei Tagen in ihren Winterurlaub abgereist… nach Adelboden in der Schweiz.“

„Was natürlich bedeutet…“

„… dass die Person, die im Gästebuch unterschrieben hat, nicht Lottie Stanhope gewesen sein kann!“ beendete Hermine triumphierend den Satz. „Also habe ich mir die… ähm… Freiheit genommen, von der fraglichen Seite eine Kopie zu machen. Ich… hm… habe sie da gelassen und das Original mit gebracht.“

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand Ihnen dafür eine Sondererlaubnis geben würde.“ Seekers Augenbrauen stiegen in Richtung Haaransatz, und er betrachtete Hermine mit einer gewissen belustigten Hochachtung.

„Nein.“ Hermine hatte soviel Anstand, rot anzulaufen. „Aber ich dachte, diese besondere Situation erfordert besondere Maßnahmen.“ Sie zog ein zusammen gerolltes Stück Pergament aus einer Ledertasche neben ihrem Sessel. „Hier…“

Stephen nahm das Pergament und breitete es auf dem Tisch aus Er fand vier Namen in der Spalte für die Unterschriften; die ersten drei kannte er nicht, und ihre Besuche lagen mehr als zwei Jahre zurück. Und da war auch Lottie Stanhopes Name, mit klaren, runden Buchstaben geschrieben, und einem kleinen, fröhlichen Schnörkel unter dem letzten „e“.

Er drehte das Blatt um und fand ein Dutzend Einträge auf der Rückseite. Da war noch einmal Lottie Stanhopes Name, von einem Besuch aus dem Jahr 2001. Die Unterschrift sah genauso aus wie die vom Abend zuvor.

„Nun,“ sagte er langsam und zog den Schnörkel mit einem langen Finger nach. „Wenn das nicht Miss Stanhope war, wer hat dann ihren Namen missbraucht, um das Register nach Rutas Eintrag zu durchsuchen?“

„Darf ich?“ Hermine beugte sich über das Pergament und zog ihren Zauberstab aus dem weiten Ärmel. Sie berührte die Unterschrift mit der Spitze.

Nomen verum revelio!”

Die Buchstaben schienen auf dem Pergament zu tanzen, und als sie sich wieder niederließen, hatte sich ihre Form dramatisch verändert. Sie waren steil und arrogant und bildeten den Namen Vindictia Stone.

„Vindictia Stone?“ fragte Harry, dessen Verwirrung immer mehr zunahm. „Wer um Himmels Willen ist Vindictia Stone? Und wo hast du diesen Zauberspruch her?“

„Ein paar Studien, während unseren Ferien in Frankreich,“ erwiderte Hermine bescheiden. Sie zog eine zusammen gefaltete Zeitung aus ihrer Tasche. „Und Vindictia Stone ist eine Journalistin. Schaut euch das an: MUGGEL UND IHR SCHLECHTER EINFLUSS AUF DIE ZAUBERERGESELLSCHAFT. Das ist ein Artikel vom Januar 1998; fürchterlicher Blödsinn, nebenbei bemerkt, aber sie folgt buchstabengetreu den Richtlinien des Ministeriums in der damaligen Zeit. In dem Jahr war Rita Kimmkorn immer noch persona non grata, wegen ihrer Geschichte über dich im Klitterer.“

Stephen Seeker rieb sich das Kinn, das Gesicht wachsam und nachdenklich. „Also hat Miss Stone für den Tagespropheten geschrieben. Und für wen schreibt sie heutzutage?“

„Ich habe keine Ahnung,“ gestand Hermine; sie schaute tatsächlich beschämt drein.

„Ich schon.“ Die Stimme kam von hinter ihnen; es war Ginny Potter, die hinter dem Sofa stand und ein Teetablett trug. Ihre Augen leuchteten vor Aufregung; sie stellte das Tablett mit solchem Nachdruck auf den Tisch, dass Seeker das Pergament nur um Haaresbreite davor retten konnte, von heißem Darjeeling durchweicht zu werden.

„Vor drei Wochen war ich in London, um meine Chancen für ein unbezahltes Praktikum beim Tagespropheten auszuloten,“ sagte Ginny. „Kreacher ist fast fertig mit der Renovierung des Hauses am Grimmauld Place - er ist gestern zurück gekommen – und falls wir nächstes Jahr dort hinziehen sollten, habe ich vielleicht die Gelegenheit, ein bisschen Praxis als Reporterin zu kriegen.“ (3)

Sie lächelte Seeker an.

„Der Tagesprophet braucht endlich ein paar anständige Schreiber, glaube ich, und geschrieben habe ich immer schon gern... wenn auch am liebsten über Sport,“ fuhr sie fort. „Und als ich mich mit Barnabas Cuffe zu einem Gespräch traf, da habe ich Vicky Stone kennen gelernt. Sie arbeitet immer noch für den Propheten, obwohl sie im Augenblick nicht sehr viele Artikel verfasst. Sie ist Rita Kimmkorns persönliche Assistentin.“

„Oh?”

„Ja. Tatsächlich fand ich sie ziemlich nett; eine hübsche Frau, ungefähr in Rutas Alter, aber sie verbringt ganz sicher mehr Zeit vor einem Spiegel.“ Ginny sah Seekers Blick, lief scharlachrot an und biss sich auf die Lippen. „Es tut mir Leid... ich wollte nicht sagen, dass...“

„Ich habe eine ziemlich klare Vorstellung davon, was Sie sagen wollten,“ meinte Seeker, ein schattenhaftes Grinsen in den Mundwinkeln. „Wie auch immer: Miss Stone war eine nette und hübsche Frau – was wissen Sie sonst noch über sie?“

Plötzlich wurden Ginnys Augen groß und rund vor Bestürzung, und eine ihrer Hände flog an ihren Mund.

„Meine Güte,“ flüsterte sie. „Sie hat mir erzählt, dass sie gerade mit den letzten Recherchen für Kimmkorns neuestes Buch fertig wäre.“

„Klingt sehr nach Rita,“ bemerkte Harry trocken, „dass sie sich jemanden für die Drecksarbeit zugelegt hat. Was für ein Buch ist es? Noch eine von ihren grässlichen Biographien?“

„Ja,“ sagte Ginny und starrte Seeker an. „Eine Biographie über Severus Snape.“

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Anmerkungen der Autorin:

(1) Als sich Arthur Weasley in Harry Potter und der Orden des Phönix einen Schlangenbiss von Nagini einfing, während er im Ministerium für Magie Wache hielt, war es Augustus Pye, der versuchte, die Wunde ausgerechnet mit Muggelmedizin zu kurieren. Deshalb dachte ich, er würde ein paar Extrastudien ganz nützlich finden.:-)

(2) Das habe ich mir nicht aus den Fingern gesogen. Rita Kimmkorn hat Bathilda Bagshot tatsächlich Veritaserum eingetrichtert (was für eine Frau in ihrem Alter sicher nicht sehr gesund gewesen sein kann). Und "Venemus Mountebank" ist als Name für den Apotheker von dem Kimmkorn das Gift bezog, die reine Ohrfeige; übersetzt bedeutet er soviel wie Giftiger Scharlatan.

(3) Laut J.K. Rowling begann Ginny Potter in späteren Jahren eine Karriere als Sportreporterin für den Tagespropheten.


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