DIE UNWIRKLICHE STADT 

Die Feuerpredigt (The Fire Sermon)
von Altariel, Prolog und 1. Kapitel übersetzt von Andrea Sternberg
(Überarbeitung der Übersetzung, Übersetzung von Kapitel 2, 3 und Epilog durch Cúthalion)

Bild: „Faramirs Heilung" von Anke Katrin Eißmann

Healing Faramir

1. Kapitel

„Ich dachte an den Schiffbruch meines königlichen Bruders,
und wie mein Vater starb...“
(T.S. Eliot, „Das wüste Land“)

Ich erwachte kurz nach Sonnenaufgang, als die Luft noch kühl und die Welt noch still war. Sobald ich die Augen geöffnet hatte, war Beregond an meiner Seite.

„Guten Morgen, Herr Faramir“, sagte er leise. „Geht es Euch gut?“

Ich überlegte einen Moment. „Ich glaube schon“, antwortete ich, versuchte mich aufzusetzen und scheiterte mit einem schmerzerfüllten Stöhnen.

„Ihr wurdet verwundet, Herr“, sagte Beregond, und ich sah zum ersten Mal, daß meine linke Schulter verbunden war.

„Ihr habt einen Pfeil abbekommen.“ erklärte er, während er mir half, mich aufrecht gegen die Kissen zu setzen.

„Das kann ich sehen – und spüren.“ Ich lehnte mich bequemer zurück. Obwohl ich mich außerordentlich müde fühlte, war es doch nicht die schmerzhafte Erschöpfung, die ich empfunden hatte, als ich nach Osgiliath aufgebrochen war. Die Müdigkeit war beinahe allumfassend, sie fühlte sich natürlich an für einen Körper, der hart gefordert worden war, der sich aber nun erholte.

Beregond schaute mich besorgt an.

„Seid Ihr hungrig?“ fragte er. „Der Aufseher sagte, dass Ihr etwas essen solltet, wenn Ihr erwacht. Ich kann Frühstück holen.“

Ich lächelte ihm zu. Er schien begierig darauf zu sein, etwas für mich zu tun. „Ich bin sehr hungrig“, sagte ich wahrheitsgemäß. „Ich hätte sehr gerne etwas zu essen.“

Er rannte hinaus, fast bevor ich ausgeredet hatte, und ich lehnte mich zurück in die Kissen. Das Fenster war offen und eine morgendliche Brise kam hereingeweht. Als ich die frische Luft einatmete, schien mir, daß ich mich besser fühlte als seit Monaten. Ich war am Leben. Und ich hatte den König gesehen.

Beregond kam zurück, und ich sah erfreut, daß er regelrecht Platte über Platte herantrug. Ich aß immer noch, als sich die Tür noch einmal öffnete und Prinz Imrahil eintrat. Er schaute auf die Überreste meines Frühstücks. „Ich sehe, du kommst wieder zu Kräften!“ Er lächelte, setzte sich auf das Bett und legte seine Hand auf meine Stirn. „Das Fieber hat dich verlassen.“ murmelte er. „Mögen die Valar gepriesen sein! Wir dachten, wir hätten dich verloren.“ Und für einen Moment drückte er meine Hand ganz fest.

Er sah zu, wie ich mein Mahl beendete und beantwortete meine Fragen über den Verlauf der Ereignisse vom gestrigen Tag. Ich war bekümmert zu hören, wie viel mehr meiner Männer getötet worden waren, selbst als wir das Stadttor schon erreicht hatten, und hörte mit Trauer die lange Liste von Freunden, die ich bald danach verloren hatte.

„Denn gestern tobte der Kampf auf den Pelennorfeldern, und der Feind wurde in die Flucht getrieben“, erzählte er mir. „Minas Tirith ist sicher – wenigstens für eine Weile. Zweimal wurden wir im Augenblick unserer größten Not durch die Ankunft unserer Verbündeten gerettet. Der Anführer des Feindes hatte die Stadt betreten, als die Rohirrim auf den Pelennor geritten kamen. Und als die Stärke des Feindes uns wieder überwältigte, kam der Herr Aragorn zum Harlond, und er ließ die Standarte der Erben von Elendil im Wind flattern. Es war ein großer Sieg!“

Er hielt inne und fuhr mir mit der Hand durch das Haar, was er nicht mehr getan hatte, seit ich ein Junge war. „Welch große Taten du bei der Verteidigung Gondors vollbracht hast!“ rief er aus, und seine Augen leuchteten. „Wenn du bei deinem Rückzug nicht standgehalten hättest, wäre nichts von der Stadt übrig geblieben, das die Rohirrim hätten befreien können.“

Als ich antwortete, war es mit Zögern in der Stimme: „Ich weiß wohl, daß er sehr beschäftigt sein wird, dennoch würde ich gern hören, was der Herr Truchseß über mein Betragen denkt, wenn er etwas Zeit für mich übrig hat. “

Er seufzte und nahm wieder meine Hand. Ein kalter Wind blies durch das Fenster, und mich fröstelte.

„Was ist denn, Onkel?“

Er senkte seine Augen. „Ach... es war ein großer Sieg, aber nicht ohne Verluste.“ Dann schaute er mich wieder an und hielt meinen Blick kummervoll fest. „Dein Vater ist tot, Faramir.“

Ich dachte sofort an unsere letzte Begegnung, an die harten Worte, die wir gewechselt hatten, an seine Wut über meinen Ungehorsam und meine Bitterkeit über seine Verachtung. „Das kann nicht sein“, protestierte ich. „Wir sind in Zorn auseinandergegangen...“

Er drückte fest meine Hand. „Bekümmere dich nicht!“ sagte er. „Er hat bereut, was zwischen euch geschehen ist. Und er wusste von allem, was du getan hast. Als er starb, liebte er seinen zweiten Sohn genauso, wie er den ersten geliebt hat.“

Es waren jetzt nicht einmal drei Wochen her, daß das Boot leise über das Wasser auf mich zugeglitten war. Die Nachricht von diesem frischen Verlust war zu viel. „Sie sind beide fort“, flüsterte ich, „und ich bin vollkommen allein.“ Ich ließ den Kopf gegen seinen Arm fallen und weinte um die Trümmer meiner Familie: um den Vater, dessen Liebe mir erst gehörte, als es zu spät war, und um meinen Bruder, den ich mit einem Traum getötet hatte.

Nachdem er mich verlassen hatte, lag ich für eine Weile still und war untröstlich. Das Licht schien sich verdunkelt zu haben. Als es auf Mittag zuging, sank meine Stimmung noch tiefer, und ich spürte erneut Kälte in mir hochkriechen. Mit großer Willensanstrengung zwang ich mich, ihr nicht nachzugeben. Aber ich konnte nicht mehr ruhig liegen. Die Stille des Zimmers bedrückte mich, denn sie zwang meine Gedanken nach innen. Deshalb stand ich trotz Beregonds Besorgnis und trotz dem Protest des Vorstehers am späten Morgen auf.

Als ich mich angezogen hatte, war ich so erschöpft, daß ich an der Weisheit meiner Entscheidung zu zweifeln begann; Aber während ich meine Schulter schützte, indem ich den linken Arm nach innen hielt und mich rechts auf Beregond stützte, kamen wir beide langsam, aber stetig vorwärts, einen kleinen Treppenabsatz hinunter und hinaus in einen kleinen Garten.

Während all dieser Jahre, die diese Stadt mein Zuhause war, war ich nur zweimal zuvor in den Häusern der Heilung gewesen. Das eine Mal, als ich ein Junge war und mein Bruder sein Bein gebrochen hatte, während er mir bis zum fünften Kreis hinterherjagte. Bei dieser Gelegenheit hatte ich den Zorn meines Vaters in seinem vollen Ausmaß zu spüren bekommen. Und ich erinnerte mich undeutlich an einen noch früheren Besuch, als ich noch sehr klein gewesen war... vermutlich, um meine Mutter zu sehen, bevor sie starb. Jedenfalls glaube ich das, ohne ganz sicher zu sein, denn diese Angelegenheit wurde in unserem Haushalt als abgeschlossen betrachtet.

Selbst hatte ich nie zuvor Grund gehabt, hier zu bleiben. Mein Bruder hatte sich ständig Kratzer und gebrochene Knochen zugezogen, und er steckte sich glühendheiß an mit jedem Fieber, das durch die Stadt zog, aber ließ sich nicht unterkriegen und führte sein Leben bis an alle Grenzen. Ich aber war immer gesund. Unglücklich zu sein, so scheint mir, fordert nicht notwendigerweise körperlichen Tribut.

Beregond half mir zur Mauer hinüber; ich legte meine Rechte auf den Stein, um mich abzustützen und schaute über die vernarbten Felder des Pelennor. Mit Traurigkeit sah ich die niedergebrannten Heimstätten und konnte jenseits davon die Zerstörung des Rammas erkennen, den zu halten wir so erbittert gekämpft hatten. Aber der Fluß leuchtete silbern im Morgenlicht, und die Fahnen vor den Zelten, die auf den Feldern aufgestellt worden waren, flatterten trotzig im Wind. Gondor war stark mitgenommen, aber es war nicht zerstört.

Ich stand da und schaute mich eine Weile um; ich atmete die klare Luft ein und dachte über meinen Vater nach. Dann hörte ich, wie eine hohe Stimme meinen Namen sagte. Ich drehte mich um und schaute auf den Halbling Pippin herunter.

„Mein Herr Truchseß“, sagte er, und ich hörte die Anrede mit Verwunderung, „meine Freunde und ich sind an der anderen Seite des Gartens versammelt. Hast du Lust, dich uns anzuschließen?“

Ich sah in die Richtung, in die er zeigte, und sah drei Gestalten, die meinen Blick erwiderten.

„Danke.“ sagte ich.„Das will ich gern tun.“

Sie beobachteten, wie ich ihnen langsam entgegenging, und mir wurde bewußt, daß ich mich bewegte wie ein alter Mann. Doch als ich näher kam, bemerkte ich, daß sie mich freundlich ansahen. Mit seltsamen Gefährten war der Halbling gereist, Elb und Zwerg und ein weiterer von seiner eigenen Art, der, wie ich jetzt sah, auch ein Gast in diesem Hause war, so wie ich.

„Ah“, murmelte der Elb, als ich mich langsam zu ihnen setzte, „wenn Pippin euren Namen nicht genannt hätte, hätte ich ihn doch gewusst, so ähnlich seid ihr Boromir. Er hat oft von euch gesprochen, und mit Liebe.“

„Dann“, sagte ich mit Staunen, „müßt ihr die anderen sein, die aus Imladris aufbrachen. Zwei aus Eurer Gemeinschaft habe ich schon getroffen.“

Der andere Halbling, Merry, schaute mich voller Verblüffung an, und ich erzählte, wie ich ihren Freunden in Ithilien begegnet war. Dann fragten sie nach meinen Taten nach Boromirs Abreise, und ich erzählte ein wenig von den Waldläufern in Ithilien, was jetzt klang wie Botschaften aus einem anderen Zeitalter. Unseren Rückzug aus Osgiliath erwähnte ich nur kurz. Am längsten verweilte ich bei meinem Zusammentreffen mit Frodo und Samweis, und Merry drängte mich nach mehr Einzelheiten, lachte über Sams Spannung beim Anblick des Mûmak und war froh zu hören, daß ich Frodo bei guter Gesundheit verlassen hatte. Dann erzählten er und Pippin mit großer Gefühlsbewegung vom letzten Gefecht meines Bruders, und Tränen stachen mir in den Augen, als sie davon redeten, wie tapfer er sie verteidigt hatte. In der kurzen Zeit zwischen meiner Rückkehr von Ithilien und meinem Aufbruch nach Osgiliath hatte mein Vater nicht mit mir über die letzten Stunden meines Bruders gesprochen.

Vom Angriff meines Bruders auf ihren Freund schienen sie nichts zu wissen, oder vielleicht wollten sie mich vor der Nachricht bewahren. Ich sah keinen Grund zu fragen oder davon zu erzählen. Es würde noch genug Zeit für solche Geschichten sein, falls wir die kommenden Tage überlebten. Und wenn sie nichts wussten... was wäre gut daran, ihre Erinnerung an einen Mann zu zerstören, den sie für einen Helden hielten, jetzt, da wir alle Hoffnung brauchten? Für den Augenblick war es besser, wenn sie ihn als den furchttlosen und guten Mann in Erinnerung behielten, der er wirklich gewesen war. Denn welch schrecklicher Prüfung auch immer mein armer Bruder ins Gesicht geblickt und versagt hatte, Im Tode hatte ich ihn im Frieden gesehen, und ich zweifelte nicht daran, daß er zuletzt mit Erfolg danach gestrebt hatte, Erlösung zu finden.

Dann hörte ich seltsame Geschichten vom Fangornwald und von den Pfaden der Toten; von Ents und sehenden Steinen; Geschichten vom Krieg in Rohan und den Reitern der Mark, und vom schnellen Marsch der Grauen Kompanie durch den Süden, um Gondor zu befreien. Schließlich brachten meine Gefährten mich mit ihren Erzählungen zurück zu den Feldern des Pelennor, und Merry sprach vom Anführer der Nâzgul, vom Tod Théoden von Rohans und der Tapferkeit der Weißen Herrin. Mit Schrecken hörte ich seine Geschichte, hörte von der Kälte, die ihn durchdrang, als er sein Schwert in diese schreckliche Leere trieb und von der Dunkelheit, die drohte, ihn zu umschließen.

Er hielt inne. „Ich höre hier lieber auf, mein Herr. Denn ich kann sehen, daß du schon viel über den Befehlshaber der schwarzen Reiter weißt.“

Ich zitterte. Obwohl ich jetzt wußte, daß der schwarze Anführer tatsächlich verschwunden war, ließ allein die Erinnerung an ihn mein Blut gefrieren. „Wo war Mithrandir bei all dem?“ fragte ich und zog meinen Umgang enger um mich. „Hätte er nicht wenigstens den König retten können?“ Nachdem es ihm schon nicht gelungen war, meinen Vater zu retten.

Der Blickwechsel zwischen Peregrin und Beregond war in einem kurzen Moment vorbei, aber ich bemerkte ihn dennoch. Es schien, als ob ich nicht der einzige war, der etwas verheimlichte.

„Mithrandir wurde in der Stadt aufgehalten, Herr“, sagte Beregond leise.

„Es muß etwas sehr Wichtiges gewesen sein, das ihn vom Schlachtfeld fernhielt“, hakte ich nach; dann, als ich die Unruhe auf Beregonds Gesicht sah, ließ ich die Sache auf sich beruhen. „Einerlei“, sagte ich. „Ich werde beizeiten alles erfahren, denke ich.“

Mir war schwindelig, und ich hatte ein plötzliches Bedürfnis nach Ruhe, um über all das Gehörte nachzudenken. Ein wenig unsicher stand ich auf, und Beregond sprang herbei, um meinen Arm zu nehmen.

Vergebt mir, meine Freunde, ich verlasse euch jetzt“, sagte ich. „Dies war ein Tag vieler Geschichten, manche seltsam, manche schmerzvoll, und ich glaube, noch sind nicht alle erzählt. Aber ich muß nachdenken und mich ausruhen.“ Ich schaute von einem zum anderen. „Ich danke auch für eure Gesellschaft und eure Bereitwilligkeit, eure Geschichten noch einmal zu erzählen.“ Und ich schaute Merry und Pippin an. „Ich hoffe, meine Neuigkeiten von euren Freunden haben euch etwas Trost gegeben. Eure Erzählung vom Tod meines Bruders hat mir jedenfalls welchen gebracht.“

Beregond nahm wieder meinen Arm, und wir gingen schweigend zurück ins Haus; meine Gedanken drehten sich im Kreis. Es war klar, dass man etwas vor mir verbarg, aber was konnte schlimmer sein als herauszufinden, dass mein Vater gestorben war, ohne dass wir unseren Frieden gemacht hatten? Vor der Tür meines Zimmers hielt ich inne und drehte mich zu meinem Gefährten um.

„Beregond, gibt es irgend etwas, das du mir zu sagen hast?“

Er sah zu Boden.

„Nein, mein Herr“, murmelte er.

Es war nicht recht, ihn zu bedrängen. Ich seufzte und ließ ihn mich zurück zum Bett führen.

Mit Erleichterung legte ich mich nieder; ich hatte die Absicht, gründlich über diese Sache nachzudenken. Aber selbst die kurze Zeit im Freien hatte mich so erschöpft, daß ich in einen tiefen Schlaf fiel. Und ich träumte einen düsteren Traum, aber nicht von der Flut. Statt dessen hörte ich das Knistern von Feuer und roch erstickenden Rauch, und ich lag wie erstarrt und konnte mich nicht rühren, während die Dunkelheit immer näher kam.

*****

Am späten Nachmittag erwachte ich, die letzten Sonnenstrahlen des Tages wärmten mein Gesicht. Beregond saß mir in einem Stuhl ausgestreckt gegenüber; er schlief tief und fest.

„Du bist heute morgen aufgestanden, höre ich, mein Herr Truchseß. Das kommt mir ein wenig früh vor.“

Ich wandte den Kopf und sah, daß Mithrandir im Stuhl zu meiner Rechten saß. Als ich mich bemühte mich aufzusetzen - meine Schulter tat noch immer weh - stand er auf, um mir zu helfen, dann setzte er sich zu mir aufs Bett.

„Ein neuer Wind weht vom Meer herüber. Ich dachte, die Luft würde meine Gedanken erfrischen.“

„Und... hat sie das?“

Ich schüttelte langsam den Kopf. „Ach... sie hat mich nur noch unruhiger zurückgelassen.“

Er runzelte die Stirn. „Was bekümmert dich, Faramir?“

Bevor ich antworten konnte, rührte sich Beregond in seinem Stuhl und erwachte. „Mein Herr!“ rief er, sprang auf die Füße und trat schnell an meine Seite. Sein Haar war zerzaust und seine Augen voller Schlaf. „Ich hätte wach sein sollen.“

Ich lächelte ihm zu. „Du hättest schlafen sollen“, sagte ich und hob eine Augenbraue. „Ich glaube, du bist kaum von meiner Seite gewichen, seit ich aus dem Fieber erwacht bin. Mithrandir hat scheinbar an deiner Stelle auf mich achtgegeben, obwohl ich nicht weiß, womit ich solch große Aufmerksamkeit verdient habe.“

„Wir freuen uns, dich am Leben und auf dem Weg der Besserung zu sehen“, sagte der Zauberer ruhig. „Nichts mehr als das.“ Er wandte sich an Beregond. „Du hast für heute genug getan“, sagte er freundlich. “Geh und ruh dich aus.“

Wir sahen ihn hinausgehen, und dann ergriff ich die Gelegenheit, als erster zu sprechen. „Sag mir“, fragte ich, „haben sich die Heerführer heute morgen getroffen? Was haben sie entschieden?“

„Faramir, du bist krank. Du solltest dir noch keine Gedanken um solche Dinge machen!“„Wie viele werden gegen das Schwarze Tor marschieren?“

Er schüttelte den Kopf in Verzweiflung über meine Hartnäckigkeit. „Etwa siebentausend“, gab er nach.

„So wenige...“ murmelte ich. „Ich sollte dabei sein.“

„Du hast schon eine aussichtslose Schlacht geschlagen, Faramir“, sagte er sanft. „Noch eine würde dich sicher umbringen.“

Dazu kann es wohl noch kommen, dachte ich, aber ließ es unausgesprochen.

„Wann zieht das Heer los?“

„In zwei Tagen.“ Seine Augen glitzerten. „Ich weiß, daß du schon alles über die Schlacht gehört hast, die gestern geschlagen wurde, und daher gibt es keine Notwendigkeit für dich, nach mehr zu drängen. Aber bist du jetzt fertig mit deinen Fragen?“

„Nicht ganz“, sagte ich.

„Dann fahr bitte fort, Herr Truchseß! Und vielleicht wirst du dann auf meinen Rat hören und dich ausruhen! Komm, was willst du sonst noch wissen?“

„Sag mir, Mithrandir, und halte nichts zurück – wie starb mein Vater?“

Seine Augen funkelten in plötzlichem Zorn. „Wer hat mit dir darüber gesprochen? Wenn dieser junge Tuk ein Wort davon erwähnt hat...“

„Nein, niemand hat etwas darüber zu mir gesagt“, beschwichtigte ich, „und das ist es gerade, was mich beunruhigt. Ich treffe nur auf Schweigen oder Ausweichen. Ich weiß, daß er nicht in der Schlacht kämpfte. Und ich träume von Feuer, Mithrandir. Ich träume, daß ich brenne. Kannst du dieses Rätsel für mich lösen?“

„Ich kann“, seufzte er, „aber ich bin nicht sicher, ob es zu deinem Besten wäre. Dein Verstand war schon immer zu schnell als gut für dich ist.“

„Was auch immer es ist“, drängte ich, „es kann nicht schlimmer sein als diese Ungewißheit. Als ich nach Osgiliath aufbrach, ging es meinem Vater gut. Seine Stimmung war unerbittlich – aber das war mir kaum neu! Und jetzt erwache ich und höre, dass ich der neue Truchsess von Gondor bin!“ In meiner Stimme war ein ansteigender Ton, den ich nicht beabsichtigte, den ich aber auch nicht verhindern konnte.

„Was auch immer du denkst, Faramir, es können nur schwere Neuigkeiten sein. Als du aus der Schlacht zurückgetragen wurdest, brach der Geist deines Vaters zusammen. Er nahm sich das Leben und hätte auch das deine genommen, wäre nicht der Ungehorsam von Beregond und Peregrin gewesen.“

„Wie?“ flüsterte ich, aber die Antwort war bereits da, in meinem Traum.

„Er ließ einen Scheiterhaufen errichten und verbrannte sich.“

Ich wandte mein Gesicht ab.

„Am Ende“, sagte er sanft, „war alles, was für ihn zählte, seine Liebe zu dir und seine Reue darüber, wie ihr voneinander geschieden seid!“

„Eine Liebe und Reue, groß genug, um mich umzubringen!“ sagte ich bitter. „Er hatte keinen Erfolg, indem er mich nach Osgiliath schickte. Er musste es noch einmal versuchen.“

„Er war geschlagen, Faramir. Er glaubte, das Ende sei gekommen.“

Ich schaute ihn einen Moment lang durchdringend an. „Welche Rolle spielte dabei der Palantîr?“ fragte ich, dann senkte ich meinen Blick wieder.

Ich bemerkte, wie er rasch einatmete. „Du wußtest davon?“

„Ich habe es erraten.“, sagte ich einfach, „nicht lange nachdem Boromir aufgebrochen war. Viele von uns hatten das Licht an der Spitze des Turms gesehen, und er wußte Dinge, die er unmöglich hatte wissen können... Aber ich habe vieles gelesen, was in der Bibliothek aufbewahrt wird, und das andere nicht gelesen haben.“

„Und du hast nichts gesagt?“ fragte er scharf. „Du mußt um die Gefahr gewußt haben.“

Ich schaute ihn an. „Ich hatte nicht die Kraft für solch eine Auseinandersetzung.“

Das Feuer in seinen Augen verwandelte sich in Mitleid. „Er hat eine große Rolle gespielt“, gab er zu.

Ich seufzte über diesen neuen Kummer. „Obwohl diese Nachricht mir großen Schmerz bereitet, danke ich dir wenigstens für deine Aufrichtigkeit.“

Er lehnte sich herüber und legte stirnrunzelnd seine Hand auf meine vor Anstrengung schweißbedeckte Stirn. „Du mußt ausruhen, Faramir. Ich wollte nicht, daß du diese schlimmen Neuigkeiten so bald erfährst.“

„Lieber gleich das volle Maß der Dunkelheit, wenn ich ohnehin lernen muss, sie zu ertragen.“

„Eine noch größere Dunkelheit könnte uns erwarten.“

„Diese Entscheidung ist bereits getroffen“, antwortete ich, dann schloß ich die Augen und schlief. Und als die Flutwelle, die Númenor verschlungen hatte, mich überwältigte, hieß ich sie mit Erleichterung als das am wenigsten Schreckliche willkommen, von dem ich träumen konnte.


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