Unterwegs mit dem anderen Zauberer - Eine Reise zur Heilung
(Following the other Wizard - A Journey into Healing)
von jodancingtree, übersetzt von Cúthalion



Kapitel 29
Bund der Herzen

Bis sie zum Haus zurückkamen, war es völlig dunkel. Der kleine Bär war auf Lashs Schulter eingeschlafen, eingelullt durch die Bewegung und die Stimme des Orks, ein stetiges Murmeln, zu leise, als dass Frodo irgendwelche Worte hätte ausmachen können. Frodo seinerseits hatte die Waffen getragen, seine ebenso wie die der Orks, während Canohando den Schleppkarren zog.

Der große Ork band das Fleischbündel los und trug es zum Holzschuppen. Er nahm Frodo die Waffen ab und deutete mit dem Kopf zur Tür. „Schlaf. Du bringst tatsächlich Glück, Kümmerling. Ich war nicht sicher, dass wir es fertigbrächten, nur wir drei.“

Das Zimmer war leer, als Frodo eintrat, aber es brannte ein Herdfeuer, und einen Moment später kam Radagast von der Orkseite des Hauses herüber. Er blickte Frodo scharf an, aber dann entspannte sich sein Gesicht in einem Lächeln.

„Na schön, keine Wunde an dir, und Canohando hat bloß einen Kratzer. Wie ist es Lash ergangen? Er arbeitet hart im Holzschuppen; er macht für seinen Bären eine Höhle zm Schlafen, wo es nicht zu warm ist. Ich habe nicht sehen können, ob er irgendwelche Verletzungen davon gertragen hat.“

Frodo warf sich auf sein Bett. „Ich denke nicht. Ich wünschte, du hättest sie sehen können, Radagast! Es war schrecklich, und doch war es schön, wie ein Tanz… so, wie sie sich gemeinsam mit dem Bären bewegt haben.“

Radagast nickte. „Sie müssen sehr geschickt gewesen sein, es mit Morok aufzunehmen und dabei so wenig Schaden zu nehmen. Sie ist ein tödlicher Gegner. Was war dein Anteil an dieser Jagd? Sie können dich wohl kaum nur zum Zuschauen mitgenommen haben.“

„Nein.“ Frodo lachte leise. „Ich war das Kindermädchen. Ich ging in die Höhle und hielt das Junge fest, bis - “ Er wurde plötzlich nüchtern. „Bis es vorbei war. Ich weiß, dass sie essen müssen, Radagast, aber die Bärin tat mir Leid. Sie hat tapfer um ihr Leben gekämpft.“

„Und für ihr Junges,“ sagte der Zauberer. „Nun, wenigstens für das Kleine wird gesorgt werden, so gut, wie seine Mutter es hätte tun können.“

„Lash hat gesagt, er wäre sein Tierkind, ein Bruder für Yargark. Ist es dafür, den Jungen so wild zu machen wie einen Bären?“

Radagast hatte Tee gekocht, während sie sich unterhielten; jetzt reichte er Frodo einen Becher. „Etwas, um dich aufzuwärmen, Esel. Du hattest einen langen Tag. Nein, nicht, um ihn wild zu machen, sondern sanft. Ich habe lange mit Lokka geredet, während ihr fort wart - “

„Ist das ihr Name? Ich habe nie gehört, wie sie ihn sagen – Lash nennt sie ,Weib’ und Canohando sagt ,Lashs Weib’, selbst wenn er direkt mit ihr spricht.“

Der Zauberer zuckte die Achseln. „Es ist so Brauch bei ihrem Volk, nehme ich an. Aber Lokka ist ihr Name, und sie hat mir erzählt, dass Lash schon seit der Zeit von Yargarks Geburt den Plan hatte, ein Bärenjunges für ihn zu finden. Er hatte ein eigenes, als er selbst jung war; er hat ihr gesagt, dass es der Bär gewesen wäre, der ihn lehrte, dass Freundschaft nicht Schwäche bedeutet.“

Ein Bär, um Sanftheit zu lehren? Frodo erinnerte sich daran, wie Lash leise auf den Bären einmurmelte, als er nach Hause kam – irgendwo hatte der Ork Zärtlichkeit gelernt, und sichlich nicht von anderen Orks!

„Dann wollten sie also in Wirklichkeit das Junge, nicht das Fleisch.“

„Oh, das Fleisch brauchen sie auch, und das Bärenfell wird in diesen Winternächten ein warmes Bett abgeben. Aber nach dem, was Lokka sagte, hätten sie die Jagd nicht gewagt, wenn du nicht da gewesen wärst; aus irgendeinem Grund hat deine Gegenwart den Ausschlag gegeben. Sie hat große Angst gehabt – ich denke, dass es das war, was sich hinter ihrer Abneigung dir gegenüber verbarg.“

„Sie hätten nicht – wirklich? Radagast, sie haben mir erzählt, ich würde ihnen auf der Jagd Glück bringen!“ Die Sache verstörte ihn sehr; wäre er nicht gekommen, sie hätten diesen Bären nicht getötet.

„Zerbrich dir nicht den Kopf darüber, Kümmerling. Sie müssen Fleisch haben, und für Yargark wird es gut sein, seinen Bärenbruder zu haben. Du hast es nicht getan, und doch hatten sie sicherlich Glück, dass sie mit so wenig Verletzungen davongekommen sind. Gib mir diesen Becher und geh schlafen.“

Aber der Morgen offenbarte noch eine weitere Folge der Bärenjagd. Frodo wurde früh von Canohando und Lash geweckt, die ins Zimmer kamen. Radagast kniete an der Feuerstelle und blies die Nachtglut zu Flammen, und Canohando sagte:

„Wirst du gehen und mit Lashs Weib frühstücken, alter Mann? Wir wären gern mit Neunfinger allein.“

Der Zauberer erhob sich langsam und Frodo setzte sich im Bett auf; er fragte sich, was das wohl zu bedeuten hatte. Die Orks machten ernste Gesichter, aber sie sahen nicht zornig aus, und Lash trug etwas in einer Holzschüssel.

Radagast drehte sich fragend zu Frodo um, und Frodo nickte. Der Zauberer ging hinaus und Frodo stand auf; er strich sich die Kleidung glatt und kämmte sich das Haar mit den Fingern.

„Komm her, Kümmerling.“ Die Orks hatten sich im Schneidersitz ans Feuer gesetzt, und Canohande fütterte es mit Holz, immer einen Zweig auf einmal. Frodo ließ sich bei ihnn auf dem gestampften Boden nieder.

„Das Volk meiner Mutter hatte einen Brauch,“ begann Lash. „Es wurde nicht oft getan, aber wenn zwei Krieger gemeinsam dem Tod ins Angesicht geblickt und überlebt hatten – wenn sie im Herzen vereint waren, so dass jeder von ihnen sein Leben geben würde, um den anderen zu retten - “ Er brach ab und fügte ironisch hinzu: „Bei den Orks macht man das nicht.“

„Bis jetzt,“ sagte Canohando und begegnete Frodos Blick. „Aber wir sind ein Herz, Lash und ich, und wir würden dich gern einschließen, Neunfinger, wenn du dazu bereit bist.“

Frodo war eine lange Minute stumm vor Verblüffung. Endlich streckte er ihnen die Hände entgegen. „Ich bin bereit. Was muss ich tun?“

Lash setzte die Schüssel, die er trug, in der Mitte zwischen ihnen auf dem Boden ab. „Wir sind ein Herz, also wollen wir uns ein Herz teilen. Mrog wird mit Wildheit verteidigen, was ihr Eigen ist, und wir werden einander mit Wildheit verteidigen. Wir essen gemeinsam ihr Herz, damit wir eins sind.“

Und Frodo sah, was in der Schüssel war; das große, dunkle Herz des Bären, den sie getöten hatten. Sterne am Himmel! Aber es war Freundschaft, die sie ihm anboten – mehr als Freundschaft – Bruderschaft. Und sie haben mir all diese vielen Jahre am Herzen gelegen, begriff er. Ich werde nicht frei von ihnen sein, solange ich lebe, und das würde ich auch nicht ändern, selbst wenn ich es wollte.

„Eine Sache, Kümmerling,“ warnte Canohando. „Du kannst es nicht kochen – es ist kein Fleisch, es ist ein Versprechen. Du wirst es roh essen müssen, aber ich werde es für dich hacken – mit den kleinen Zähnen, die du hast, könntest du es nicht kauen.“

Frodo schluckte. „Ich denke, wir sind schon eines Herzens,“ sagte er. „Aber ich werde essen.“

Canohando zog sein Messer heraus und schnitt das Bärenherz in drei Teile, dann hackte er eine Portion davon solange, bis sie sehr fein war. Er nahm ein Stück und aß es, dann reichte er Lash die Schüssel. Lash steckte sich das zweite Stück in den Mund, und jetzt war Frodo an der Reihe. Er nahm einen Klumpen von dem Hackfleisch in die Finger und stopfte es sich in den Mund. Es schmeckte kräftig und moschusartig, und er hatte Angst zu würgen, aber er zwang es hinunter und nahm noch mehr. Es brauchte viele Mundvoll, und dann saß er mit zusammengebissenen Zähnen da, finster entschlossen, sich nicht zu übergeben.

Lash schob ihm einen Becher mit Wasser in die Hände; er trank dankbar und spülte sich den scheußlichen Geschmack aus dem Mund. „Es ist getan,“ sagte der Ork. „Macht man bei deinem Volk auch so etwas von dieser Art, um einszuwerden?"

Frodo nickte, als er sich erinnerte. „Es wird nicht oft getan, nicht öfter als bei euch,“ sagte er. „Aber manchmal mischen Hobbits, die Freunde sind, ihr Blut, um zusammenzugehören, auch wenn sie nicht miteinander verwandt sind. Oder sie tun es sogar dann, wenn sie es sind, um ihre Herzen zu verbinden.“

Canohando beobachtete ihn. „Du hast es getan,“ sagte er voller Gewissheit. „An wen hast du dein Herz gebunden, Kümmerling?“

Frodo lächelte plötzlich. „An meinen Vetter Merry. Das war, als ich das Brandyschloss verließ, um bei meinem Onkel zu leben, und Merry war außer sich – er war sicher, wir würden uns fremd werden, und wir waren einander so nahe gewesen. Er war vierzehn Jahre jünger als ich, und ich hatte ihn sein ganzes Leben lang herumgetragen und mit ihm gespielt…“

Merry war sieben gewesen, viel zu jung für ein solches Ritual. Er war die Nacht, bevor Frodo ging, und er hatte seinen kleinen Vetter weinen hören, als er auf dem Weg ins Bett an seinem Zimmer vorbei kam. Natürlich war er hinein gegangen und hatte versucht, den Jungen zu trösten, aber es war hoffnungslos.

„Du wirst mich ganz vergessen, Frodo, da drüben in Hobbingen! Bilbo kommt nicht mehr als ein- oder zweimal im Jahr zu Besuch – wenn du wiederkommst, wird alles ganz anders sein, du wirst glauben, ich bin bloß ein Kind, zu klein, um dich mit mir abzugeben - “

Frodo war es mit all seinen Worten nicht gelungen, das Elend des Buben zu durchdringen, und er war mit seinem Latein am Ende, wie er ihn beruhigen sollte. Plötzlich hatte Merry seine Schluchzer hinuntergeschluckt und sich in Frodos Armen bolzengerade aufgesetzt. „Ich weiß – wir schließen Blutsbrüderschaft; dann wirst du mich nicht vergessen!“

„Mein, Merry, dafür bist du zu jung. Und wir sind doch sowieso schon Vettern.“

„Das ist nicht dasselbe; wie viele Vettern hast du, Frodo? Mindestens fünfzig, wenn du das ganze Auenland mitzählst! Aber du hast keine Blutsbrüder. Wir werden Brüder sein; dann wirst du mich nicht vergessen.“

„Merry, nein! Ich vergesse dich nie, wie könnte ich auch, du Schlingel - “ Aber Merry hatte sich sein kleines Federmesser vom Nachttisch geschnappt und es über seine Handfläche gezogen; bei dem Schmerz schnappte er nach Luft, aber entschlossen war er trotzdem. Frodo hatte entsetzt auf die kleine, blutende Hand gestarrt, und wie im Traum hatte er das Messer genommen und sich in die eigene Handfläche geschnitten. Er presste seine Hand gegen die von Merry, damit sich ihr Blut mischte.

„Jetzt vergisst du mich nicht mehr,“ hatte Merry befriedigt gesagt, während Frodo sene Hand mit einem Stoffstreifen verband, den er vom unteren Rand des Bettlakens abgerissen hatte.

„Nein, du Frechdachs, niemals. Aber das mit dem zerrissenen Bettlaken wirst du deiner Mutter erklären müssen; ich reise gleich nach dem Frühstück ab.“

Merry hatte gekichert. „Ich bin bestimmt den ganzen Tag auf Wasser und Brot,“ meinte er. „aber das ist in Ordnung. Jetzt sind wir Brüder, Frodo.“

„War er derjenige, der dir nach Mordor gefolgt ist?“ fragte Canohando, und Frodo kam mit einem Ruck zurück in die Gegenwart.

„Nein. Nein, aber er ging mit mir, als ich das Auenland verließ; er wollte nicht, dass ich mich allein in Gefahr begab. Ich verließ ihn in Parth Galen, weil ich sein Leben retten wollte, aber er wurde gefangen genommen… er war einer der beiden, der zu den Ents ging, und groß wurde…“

„Aber es war ein anderer, der bis zum Ende mit dir ging."

Frodo nickte. „Sam war der Bruder meines Herzens, ganz ohne Blut, ob durch Verwandtschaft oder Vermischen.“ Er seufzte. Plötzlich vermisste er Sam mit einer Heftigkeit, die ihm Schmerzen bereitete, und er drängte das Gefühl zurück, nicht gewillt, vor den Orks zu weinen.

„Wir haben uns nach eurem Brauch aneinander gebunden,“ sagte er. „Sollen wir es auch nach meinem Brauch tun?“ Er zog sein Messer, presste die Lippen fest zusammen und zog die Klinge quer über seine Handfläche. Es blieb eine dünne, rote Linie zurück, als das Blut darin hochquoll, und er hielt Canohando das Messer hin.

Ohne den Blick von Frodo abzuwenden, schnitt der Ork sich in die eigene Hand und reichte die Klinge ab Lash weiter; dann packte er Frodos Hand. Als sie alle drei die Zeremonie vollzogen hatten, ging Frodo zum Sack des Zauberers hinüber, der an einem Haken an der Wand hing. Er nahm den Salbentopf heraus und schmierte erst ein wenig von der Salbe auf die Hände der Orks, und dann auf seine eigene.

Canohando saß da und betrachtete ihn nachdenklich. „Du überraschst mich immer wieder, Neunfinger,“ sagte er endlich. „Es ist immer mehr an dir dran, als ich erwartet habe.“


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