Unterwegs mit dem anderen Zauberer - Eine Reise zur Heilung
(Following the other Wizard - A Journey into Healing)
von jodancingtree, übersetzt von Cúthalion



Kapitel 26
Lichtträger

Radagast und Frodo warteten nur noch, bis die Orks außer Sicht waren, ehe sie das Lager abbrachen und Barad-dûr verließen, um nie zurückzukehren. Hatte Radagast tatsächlich den Wunsch gehabt, wiederzukommen, Frodo hätte es nicht ausgehalten. Noch Monate danach wurde sein Schlaf unterbrochen, wenn Alpträume ihn wieder und wieder an den Rand des Abgrundes brachten, Yargas Messer an seiner Kehle. Yargas Stimme… Die Gnade des Friedens, die ihm in der Wirklichkeit geschenkt worden war, blieb seinen Träumen fern, und ständig wachte er stöhnend auf, in kalten Schweiß gebadet.

“Es wird vorübergehen, Esel, es geht vorüber,” murmelte Radagast in der Dunkelheit, wickelte ihn in eine Decke und hielt seine zitternde Gestalt fest, bis er sich beruhigte. “Du hast einen starken Geist, aber der Körper hat auch etwas dazu zu sagen, selbst wenn es die Gefahr nicht mehr gibt.”

„Gibt es sie wirklich nicht mehr? Glaubst du nicht, dass Yarga uns folgen wird, selbst jetzt noch?” Tagsüber fürchtete Frodo sich nicht, aber im Schlaf war das eine ganz andere Sache.

“Er wird uns nicht folgen. Dein Wagnis hat sich gelohnt, Frodo; lass dir das einen Trost sein! Diese Orks – was immer auch aus ihnen wird – werden nie mehr sein, was sie waren, bevor sie dir begegnet sínd. Du hast ihnen Hoffnung gegeben, und sie haben sich daran festgehalten, alle drei, jeder auf seine eigene Weise. Ich bin wirklich froh, dass du mit mir nach Mordor gekommen bist – in all meinem Verlangen, dieses verwüstete Land zu heilen, ist es mir nie eingefallen, auf das hier zu hoffen… dass der Fluch Morgoths sich von irgend einem seiner Opfer heben könnte!”

Frodo schöpfte daraus Trost und schlief wieder ein. Langsam kamen die Alpträume immer seltener, bis sie schließlich ganz ausblieben.

Sie verbrachten den Sommer in den westlichen Bergen; diesmal versteckten sie sich nicht. Mehrere Male begegneten sie Patrouillen aus Ithilien und schickten Botschaften an den König, Grüße und gute Wünsche. Als das Ende des Sommers näher rückte, folgten Elessars Männer mit voller Absicht ihrer Spur. Sie trugen Geschenke bei sich – weiche, leichte Decken aus elbischer Weberei, ein Päckchen köstlichen Tee, eine kleine Phiole mit Miruvor, den belebenden Stärkungstrunk der Elben, und, am besten von allem (jedenfalls nach Frodos Meinung) einen ordentlichen Vorrat vom feinsten Langgrundblatt, das Siegel des Auenlandes noch darauf, und ein paar neue Pfeifen.

“Der König grüßt euch und wünscht Euch bei der Aufgaben, die ihr euch gewählt habt, jeglichen Erfolg,” sagte der Hauptmann der Patrouille zu ihnen; er stand steif und förmlich da, um seine Botschaft auszurichten. “Weiterhin sagt er, dass jegliches Geschöpf, von welcher Rasse auch immer, das ihr unter Euren Schutz nehmt, sich auch in seiner Obhut befindet, solange es bei euch bleibt.”

Radagast schaute Frodo an. “Ich denke, ein Brief ist in Ordnung, Freund des Königs, um Elessar darüber zu unterrichten, was aus den Geschöpfen geworden ist, deren Schutz wir in seinem Namen beansprucht haben, als wir das letzte Mal hier vorbei gekommen sind. Wirst du ihn schreiben?”

Also nahm Frodo von dem Hauptmann Schreibmaterial entgegen und schrieb an Aragorn. Er erzählte ihm von den Orks und was aus ihnen geworden war, aber seine eigene Gefährdung streifte er nur kurz. Sie sínd in die nördlichen Berge gegangen, weit im Osten,” beendete er seinen Bericht, „und ich bezweifle, dass sie je wieder so weit nach Westen kommen werden. Wahrhaftig haben sie sich sehr verändert im Vergleich zu dem, was sie waren, und ich, Frodo, bitte darum, dass der Segen des Königs auf ihnen liegen möge.”

Er dachte einen Moment nach, rieb sich mit der Feder seitlich über die Nase und fügte hinzu: „Wir, Radagast und ich, danken Euch für all Eure Geschenke und besonders für das Pfeifenkraut! Wenn Ihr Gelegenheit habt, eine Nachricht in das Auenland zu senden, werdet ihr Sam von mir eine Botschaft schicken? Sagt ihm, dass es mir gut geht, und dass ich ihn nicht vergessen habe. Mit allem Respekt und all meiner Zuneigung – Euer getreuer Untertan, Frodo Beutlin.”

Sie schieden mit vielen Verbeugungen und Höflichkeitsbezeugungen von der Patrouille, aber in Wahrheit tat es Frodo nicht Leid, dass sie wieder unter sich waren. Und an jenem Abend, während er am Feuer saß, atmete er den Duft des Pfeifenkraut-Päckchens tief ein, bevor er sich die Pfeife stopfte.

„Weißt du, du darfst jetzt nach Hause gehen, Esel, wann immer du möchtest.” Radagast betrachtete ihn mit einiger Besorgnis, und Frodo lächelte.

„Nein, ich bin noch nicht bereit, dich zu verlassen, Aiwendil!* Aber es ist trotzdem gut, einen Hauch von Daheim einzufangen. Ich hoffe, Aragorn gibt meine Grüße an Sam weiter.”

„Ich denke, dessen kannst du dir sicher sein, Esel. Vermutlich mit einem ziemlich vollständigen Bericht über deine Taten, soweit Elessar sie kennt.“

Frodo lachte. „Ich würde gern hören, was Sam sagt, wenn er von den Orks hört! Zehn zu eins, dass er nicht ein Wort davon glaubt.“

Als der Herbst kam, wandten sie sich wieder in Richtung Núrn. Dieses Mal wurden sie nicht an der Grenze aufgehalten, und Radagast schaute sich nach Herzenslust im Land um; er fuhr mit den Fischerbooten auf das Núrnen-Meer hinaus, stand im Bug, von seinen Gewändern umflattert, und blickte nach Osten. Er war entzückt von allem, was er sah – das Land war in gutem Zustand, und die früheren Sklaven hatten sich Obmänner und weise Frauen erwählt, die den Frieden so gut aufrechterhielten, wie man es nach Jahrhunderten der Unterwerfung erwarten konnte. Wenigstens dort herrschte noch immer Freiheit, und kein neuer Unterdrücker hatte sich erhoben, um das Volk wieder in seine Knechtschaft zu zerren. Aber sein Gesicht war undurchdringlich, während er nach Osten schaute, und Frodo fragte sich, was in seinem Geist vorging.

Sie verbrachten den Winter in Núrn und den Frühling im Morgai. Am Ende des vergangenen Sommers hatten sie Samen von ihren Pflanzungen gesammelt, und sie reisten so, wie sie es zuvor getan hatten; sie säten auf jeder Stelle, die feucht genug aussah, um die Sämlinge zum Wachsen zu bringen. Aber jetzt kamen sie während ihrer Reise an vielen Grasflecken vorbei, wo zuvor keine gewesen waren, Grasbüschel, hier und da in dem grauen Land verstreut; im Schatten der Dornbüsche schossen ein paar kleine Bäume hoch, dünn und biegsam wie Peitschenstecken, von einer Sorte, die die Rauheit des Landes überdauern würden.

Im Sommer kehrten sie in die westlichen Berge zurück, aber weiter nach Süden, als sie bisher gegangen waren, und in diesem Jahr trafen sie auf keine Patrouillen aus Gondor. Es gab viele Täler, wo die Bäume dreimal so groß waren wie Radagast: junge Bäume wuchsen zwischen verrotteten, alten Stümpfen, die davon Zeugnis ablegten, dass auch dieser Wald in den Dunklen Jahren abgehauen worden war.

„Es heilt sich selbst, Radagast!“ rief Frodo aus. „Wir sind noch nie diesen Weg entlang gekommen, und es heilt sich trotzdem!“ Er ging dem Zauberer voraus, eine schmale Gestalt, und doch drahtig und stark, mit energischen Schritten. Ein Eichhörnchen zeterte von einem Ast über ihm herab, und Frodo schürzte die Lippen und schnatterte zurück; er hörte sich genauso an wie das pelzige Tier. Radagast lachte laut, und es war nicht nur die Heilung des Waldes, die sein Herz froh machte.

Für mehr als ein Dutzend Jahre wanderten sie durch das Land, folgten den Jahreszeiten von Gorgoroth zu den Bergen und wieder zurück; aber  sie kehrten nie in den Nordosten zurück, wohin die Orks gegangen waren. Sie sprachen auch nicht von den Orks, aber die kamen Frodo viele Male in den Sinn. Er hoffte, dass sie noch am Leben waren, dass kein Feind sie gefunden und erschlagen hatte, wie die Männer von Ithilien es getan haben würden. Er hoffte, dass sie in den Bergen weit im Osten eine Heimat gefunden hatten, die ihnen gefiel. Wieder und wieder kehrten seine Gedanken zu ihnen zurück, und er segnete sie.

In einem Jahr wandte er sich endlich nach Osten, als die Sommerhitze sie aus dem Gorgoroth vertrieb. Ohne einen Plan zu haben  oder ein Wort darüber zu reden, löschte er eines Morgens das Frühstücksfeuer und schulterte sein Bündel; ohne Radagast auch nur anzusehen, schaute er nach der Sonne, wo sie über dem Horizont hing, und lief los. Der Zauberer folgte ihm, und das war eine seltsame Sache, denn zuvor war immer Radagast der Führer gewesen, der sagte, wohin sie gehen würden, und wann.

Nach einigen Tagen kamen sie zu dem Bergsporn, der aus dem Ered Lithui an der Grenze zum Gorgoroth entlang hinunter ragte, und Frodo wandte sich nordwärts; er suchte sich einen Weg durch die Hügel, aber nicht hinauf in die Berge, und er ging immer weiter nach Nordosten. Je weiter sie reisten, desto grüner wurde das Land, nachgewachsener Wald, der rings um sie hochschoss. Die Stümpfe der alten, vernichteten Wälder waren nicht mehr als moosbedeckte Buckel zwischen den neuen Bäumen.

Das Ende des Sommers fand sie weit östlich, den Bergsporn hinter sich und tief in der nördlichen Gebirgskette. Dieser Wald war älter, ohne jedes Anzeichen, dass er je gefällt worden war. Es gab wenig Unterholz; die höheren Bäume hatten ihren geringeren Brüdern das Licht weggenommen, und Frodo und Radagast wanderten, wohin sie wollten, ohne einen Pfad nötig zu haben.

Und dann, eines Nachmittags, fanden sie einen Weg. Er war auf dem Waldboden deutlich zu sehen, und er verlief pfeilgerade nach Osten. Frodo stand da und betrachtete ihn, dann blickte er sich in alle Richtungen um und lauschte. Da war nur der Klang der Vögel hoch in den Bäumen, die Bewegung von Schwärmen, die sich für den langen Flug nach Süden sammelten. Endlich ging er einen Steinwurf weit weg, setzte sich und ließ sein Bündel mit einem Seufzer fallen.

„Was nun, Esel?“ fragte Radagast. „Warten wir darauf, dass sie uns finden?“

„Ich nehme es an.  Das wäre besser, als uneingeladen in sie hineinzulaufen, oder nicht? Für den Fall jedenfalls, dass sie uns nicht sehen wollen.“ Frodo kramte in seinem Bündel und zog seine Pfeife und seine Zunderbüchse heraus. Er lehnte sich rauchend an einen Baum, in Gedanken verloren.

Radagast beschäftigte sich damit, einen Flecken Waldboden freizukratzen, um eine Feuergrube anzulegen. Er fing damit an, das Abendessen zu kochen, und das Aroma von Fleisch und Zwiebeln sammelte sich um sie und wurden von der Abendluft davongetragen. Sie aßen, ohne zu reden, während das Dämmerlicht unter den Bäumen verging. Als sie fertig waren, baute Radagast erneut ein kleines Feuer, das golden und orangefarben in der Dunkelheit leuchtete, und er brachte seine Flöte zum Vorschein. Frodo legte sich auf seine Decke, betrachtete das flackernde Licht und lauschte auf die Musik des Zauberers.

Sie hörten keinen Tritt, aber plötzlich mischte sich Vogelgesang in die Musik, Stimmen, die keinen Platz hatten in diesem tiefen Wald; das Glucksen von Wasservögeln und das lärmende Geschnatter von Wandergänsen. Frodo setzte sich auf, grinste und starrte in die Dunkelheit am Rande des Feuerscheins.

„Lash!“ rief er. „Komm und trink einen Becher Tee mit uns, Lash!“

Das Gänsegeschnatter verwandelte sich in den Klang von Möwen, die über dem Wasser schrieen, und Lash trat ins Licht und hockte sich neben den Zauberer. Er gab ein abschließendes Pfeifen von sich – das gequetschte Entenquaken, das er an dem Tag produziert hatte, als Radagast ihm zuerst die Flöte gab; er steckte sie in den Gürtel.

Er war unverändert, und doch war er ein ganz und gar anderer. So hässlich wie immer, krummbeinig und fassbrüstig, sein Lächeln von abgebrochenen Zähnen zerklüftet – aber selbst im Licht des Feuers konnte Frodo das Glück auf seinem Gesicht sehen, die tiefe Zufriedenheit.

„Ich dachte mir, dass du eines Tages kommen würdest, Heiler. Ich habe ihnen gesagt, du kommst. Du und der Lichtträger.“

Frodo wollte gegen den neuen Titel protestieren, der ihm da so plötzlich verliehen wurde, aber Lash schüttelte den Kopf.

„Du hast den Ring zum Berg getragen, aber es war Licht, das du uns gebracht hast, Licht und Hoffnung. Du bist hier willkommen.“

Er zog seine Flöte einmal mehr heraus und blies hinein, und diesmal waren es keine Vogelschreie, sondern Musik, misstönend und fremdartig, packend und vollkommen unähnlich irgendetwas anderen, das Frodo jemals gehört hatte. Dann ertönte eine Trommel weit entfernt in der Finsternis; sie gab Antwort und kam näher, und Frodo spannte sich an und wartete darauf, dass Yarga erschien. Aber es war Canohando, der hinter den Bäumen auftauchte, die Trommel quer über die Schulter geschlungen, damit er im Gehen spielen konnte.

Frodo stand auf und ging ihm entgegen. Die Trommel verstummte abrupt mitten in einer Phrase, und Canohando stieß sie beiseite und fing den Hobbit auf; er zog ihn von den Füßen und geradewegs in eine Umarmung hinein, die gleichzeitig wild war und sanft. Frodo klammerte sich an ihn, und als der Ork ihn wieder absetzte, gingen dem Hobbit die Augen über.

„Du bist am Leben!“ Er lachte unter Tränen, und Canohando stand da, eine Hand auf seiner Schulter, und betrachtete ihn. Endlich beruhigte er sich und wandte sich zum Feuer, aber Radagast war schon zur Stelle, und der Tee war zubereitet.

„Hast du solche Angst um mich ausgestanden, Kümmerling?“ Der Ork setzte sich ans Feuer, wie er es so viele Male getan hatte, seinen Becher in der Hand, und es war, als wären die Jahre rückwärts gerollt. Doch da waren nur zwei Orks.

„Ich hatte Angst um euch alle, denn wen gibt es, der nicht euer Feind wäre? Aber wo ist Yarga?“

Canohando steckte noch einen Holzscheit ins Feuer, ehe er antwortete; er stocherte damit, bis er aufflammte und das Licht an Kraft gewann. „Yarga ist seit neun Jahren tot,“ sagte er endlich, die Augen fest auf Frodo gerichtet. „Wirst du um ihn trauern?“

Frodo begegnete seinem Blick ohne Verstellung. „Ja, ich werde um ihn trauern.“ Er ging um das Feuer herum und setzte sich neben Canohando, seine Schulter gegen die Flanke des Orks gelehnt. „Ich kann sehen, dass du um ihn trauerst, selbst jetzt noch. Wie ist er gestorben?“

„Was habe ich dir über Orks gesagt, Kümmerling? Wir leben, bis wir erschlagen werden. Er wurde erschlagen, auf den Feldern von Núrn.“

„Ihr seid dorthin zurückgegangen--“

„Wir gingen zurück, um meine Flöten einzutauschen,“ sagte Lash. „Wir waren vorher schon zwei- oder dreimal gegangen, nicht öfter, denn es ist ein langer Weg. Wir hielten an der Grenze an, und die Leute kamen, um mit uns zu tauschen, denn sie haben Dinge, die wir nicht machen können.“ Er lächelte Radagast an. „Dinge, die zu wollen du uns gelehrt hast – Kochtöpfe, Tee – und sie mochten meine Flöten, also waren sie dazu bereit.“

„Aber diesmal überquerten wir die Grenze, denn da war Schlachtenlärm in der Entfernung, und eine große Rauchsäule stieg auf. Wir konnten diese Leute inzwischen gut genug leiden, und es gab Ärger.“

„Es war eine Orkbande,“ nahm Canohando die Geschichte auf. „Wir waren ein paar Mal in den Bergen an ihnen vorbei gekommen, aber sie hatten sich seit den Dunklen Jahren nicht geändert, deshalb blieben wir für uns. Sie kamen, um sich in Núrn zu nehmen, was sie haben wollten, oder vielleicht wollten sie sich dort wieder zu Herren machen, ich weiß es nicht. Sie hatten viele von den Leuten getötet und das Dorf in Brand gesetzt, ehe wir kamen. Es waren viele, aber unsere Pfeile streckten sie nieder.“

Er verstummte und starrte ins Feuer. „Und Yarga?“ fragte Frodo endlich.

„Yarga hatte all seine Pfeile aufgebraucht,“ sagte Lash. „Ein großer Ork erhob sich hinter Canohando, mit einer Streitaxt in den Händen, und Yarga schrie eine Warnung, aber er hörte sie nicht. Yarga warf sich dazwischen – vielleicht dachte er, er könnte ihn aus dem Gleichgewicht bringen und rückwärts umwerfen, aber die Axt erwischte ihn in der Seite. Dann hörte Canohando ihn, und er drehte sich um und erschlug diesen Ork mit seiner eigenen Axt, aber es war schon zu spät.“

„Er starb in meinen Armen,“ Canohandos Stimme war flach und er weinte nicht, aber Frodo konnte spüren, wie er zitterte. Er nahm die Hand des Orks, hielt sie in seinen eigenen und lehnte die Wange dagegen. Wahrhaftig, wahrhaftig, er trauerte um Yarga, jetzt, da er hörte, wie er ums Leben gekommen war.

Lash berührte Canohando am Arm. „Sie gaben ihm den Scheiterhaufen eines Kriegers, diese Leute von Núrn. Andere hatten den Rauch gesehen und kamen zu Hilfe, aber da war es schon vorbei. Es war gut, dass ein paar von ihnen uns kannten, und dass einige aus dem Dorf noch am Leben waren, um zu sagen, dass wir nicht bei den Angreifern gewesen waren! Sie begruben ihre eigenen Toten in der Erde, aber das ist nicht unser Brauch, also machten sie einen Scheiterhaufen für Yarga und verabschiedeten ihn mit Musik und Trommelschlag.“

Canohando zog seine Trommel nach vorne, damit Frodo sie sehen konnte. „Wir haben ihm eine Trommel mitgegeben, aber nicht seine eigene. Die gab er mir, damit ich mich an ihn erinnere… bevor er starb. Damit ich mich an ihn erinnere,“ wiederholte er, und er senkte den Kopf und stöhnte tief in der Kehle.

„Auch wir erinnern uns an ihn, und in Ehren,“ sagte Radagast. „Er hat tatsächlich Morgoths Griff abgeschüttelt, und er gab sein Leben für seinen Freund. Ihr habt ein Lied für ihn gemacht?“

Lash nickte und setzte seine Flöte an die Lippen. Er wartete, bis Canohando mit einem pulsierenden Rhythmus begann, einem Herzschlag gleich, und dann wand sich die Melodie der Flöte darum herum und darunter hindurch, und die Trommel schlug schneller, wie jemand, der in den Kampf eilt und dem Feind seine Verachtung entgegenschreit, und die Flöte schrillte einen Schlachtruf. Canohando fing an zu singen, und das ungehobelte Orkisch fügte sich in die Musik und war sogar schön, weil es so gut passte. Frodo konnte die Schlacht sehen, wie sie sich in dem Lied entfaltete, und Yargas warnenden Schrei hören, und den tödlichen Streich mit der Axt. Er hörte Canohandos Wut, als er den Mörder niederstreckte, und seinen schrecklichen Kummer über Yargas Tod. Und dann hielt die Trommel inne und Canohando verstummte, und die Flöte fuhr alleine fort, und sie sang von Freiheit. Eine andere Flöte stimmte mit ein, und es war Radagast. Er verschmolz sein Spiel mit Lashs Musik, und dann zog er sie mit in eine tiefere Tonlage, und sie sang vom Heimgehen. Und dann war alles still, abgesehen von Canohandos rauem Weinen; es war, als würde die Trauer ihn in Stücke reißen, selbst noch nach so vielen Jahren. Frodo legte die Arme um ihn und der Ork lehnte sich gegen ihn, bis das Gewicht den Hobbit fast umwarf, und brennend heiße Tränen tropften auf seinen Hals.

Endlich war es vorbei. Canohando richtete sich auf, rieb sich mit den Händen über das nasse Gesicht und schüttelte sich das Haar aus den Augen.

„Jetzt gibt es vier Orks,“ sagte er, und Frodo lächelte.

„Es freut mich, das zu hören, aber – wie?“

„Ich habe Söhne,“ sagte Lash, und als Frodo aufsprang, ihm die Hand schüttelte und ihm gratulierte, schaute er verlegen drein.

„Du hast eine Gefährtin gefunden,“ sagte Radagast strahlend, und Canohando grunzte.

„Keinen Ork,“ sagte er. „Eine von den Frauen von Núrn, die den Angriff auf dieses Dorf überlebt hat. Sie ist ihm in die Berge gefolgt; den ganzen Weg bis hierher ist sie ihm nachgelaufen! Sie wollte nicht zurückgelassen werden.“

Lash zuckte die Achseln. „Ihre ganze Familie wurde erschlagen – sie ist verrückt geworden vor Kummer. Aber eine gute Frau, das ist sie.“

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AiwendilVogelzähmer: Radagasts Name auf Quenya. 


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