Das Vermächtnis (The Legacy)
von Anglachel, übersetzt von Cúthalion

2. Kapitel
Der Lausebengel

Abends, Meerstag, der 8. Tag im Halimath

„Onkel Bilbo!“

Bilbo hatte nur dieses Kreischen als Warnung, bevor drei kleine Körper ihn zu Boden krachen ließen.

Er röhrte in gespieltem Zorn und begann ein energisches Gerangel mit seinen jüngeren Vettern. Nach ein paar Minuten hatte er Frodo festgenagelt und hielt Merry mehr oder weniger sicher unter einem Arm gefangen, musste den Sieg allerdings Merle zugestehen, die auf seinem Rücken saß, einen kleinen Arm um seinen Hals und die Finger der anderen Hand fest in seinem Haar vergraben. Das kichernde Knäuel setzte sich auf und es wurde still, als sie Gilda bemerkten, die Herrin von Bockland, die von Esmie gestützt wurde und auf sie herniederstarrte.

Bilbo strahlte. „Hallo Gilda! Es ist so schön, dich zu sehen!“ Die alte Frau fuhr fort damit, ihn anzustarren, Bilbo fuhr fort damit, zu strahlen. „So eine hübsche Krücke hast du!“ Sie starrte, er strahlte. „Ich höre von den höchsten Autoritäten, dass du sie gut einsetzt.“ Gildas Gesicht legte sich in Falten bei dem Versuch, nicht zu lachen. Bilbo wackelte mit den Augenbrauen und tat so, als würde er einen Stockschlag einstecken. Gilda zerschmolz in Gelächter, in das Bilbo und die Kinder auf der Stelle einstimmten. Esmie verdrehte die Augen.

„Also schön, komm hier herauf und gib mir einen Kuss, du ungehobelter Bettler, oder ich zeig dir, wofür diese Krücke gut ist!“ grollte Gilda. Bilbo befreite sich und bedeutete Frodo, den Kleinen beim Aufstehen zu helfen, dann umarmte er die alte Frau behutsam, aber herzhaft. Einst, vor langer Zeit, hatte er ihr den Hof gemacht, dann war ihr Blick auf Rory gefallen und sie hatte ihn nie wieder angesehen. Er konnte das Rory nicht übel nehmen, und er beneidete ihn nie um ihre Herrschsucht, aber er hatte für sie immer ein wärmeres Gefühl als für irgendeine andere seiner Jugendlieben. Selbst in ihrem Alter sah er noch die kecke Achtzehnjährige, die zum ersten Mal auf dem letzten Geburtstag des Alten Tuk seinen Blick auf sich gezogen hatte. Obwohl sie so jung war, wusste sie schon, wie man ein Zimmer voller Jungs beherrschte, und nicht eher, bevor Esmie aufwuchs, gab es eine Rivalin für ihre Herrschaft als die bemerkenswerteste Frau im Auenland. Bilbo sah ihr in die Augen. Sie waren nicht mehr so klar, wie sie gewesen waren, aber Mutwillen blitzte darin und ihr Blick war warm und liebevoll, und er war sehr froh, dass er sich zu dieser Reise entschlossen hatte. Er küsste sie auf die Lippen, dann trat er zurück.

„Also,“ schalt er die Kinder, „wollt ihr denn nicht Eurer Oma guten Abend sagen?“ Frodo trat schnell vor, um Gilda zu umarmen und einen stützenden Arm um die Schulter seiner Tante zu legen, bevor die Kleineren mit ihrer unbändigen Schmuserei irgend einen Schaden anrichten konnten. Bilbo beobachtete, wie ihre Hände und Arme zitterten, während sie Merles und Merrys Haar streichelte. Merry bemerkte es nicht und plapperte darüber, wie er heute Morgen ein Hornissennest heruntergeschlagen hatte, ohne gestochen zu werden. Merle bemerkte es, nahm die Hand ihrer Großmutter sanft zwischen ihre kleinen Handflächen und tupfte winzige Küsse auf Gildas Finger. Frodo drückte Gilda einen liebevollen Kuss auf die Wange, dann hob er ein paar Strähnen aus Merrys Lockenkopf hoch, damit sie sie berühren konnte.

Bilbo nutzte die Gelegenheit, Frodo aus dem Augenwinkel zu studieren, während er laut über Merrys Heldentaten staunte. Er sieht aus wie der Alte Tuk. Oh, da war auch der Beutlin in ihm zu erkennen, kein Zweifel; die dunklen Haare und Augen, die kleinen Hände und Füße, die Art und Weise, wie die Sonne seine Haut ziemlich kräftig gebräunt hatte – alles ein Teil des Harfuß-Erbes. Aber der Rest von ihm war Falbhaut – beinahe voll ausgewachsen, schlank (na gut, dürr, um die Wahrheit zu sagen. Gaben sie dem Jungen denn nichts zu essen?), eine Feinheit seiner Gesichtszüge und eine Grazie in seinen Bewegungen, die den meisten Hobbits abging. Er war das Ebenbild des Alten Gerontius in seiner Jugend. Sara, Pal und Frodo: Der Herr, der Thain und der Lausebengel. Alles Urenkel von Gerontius, und so wie sie aussahen, hätten sie alle seine Söhne sein können. Sie wirkten mehr wie Brüder als es die meisten Brüder normalerweise taten, und Saras jüngerer Bruder Mac rundete das Gruppenbild ab. Außer in der Sonne – Frodo wird braun wie ein Beutlin, und sie werden krebsrot wie die Tuks. Wenn der Winter die goldene Maske des Sommers fortgenommen hatte, würde Frodo seinem Ahnvater mehr gleichen als die anderen. Er teilte sich sogar das Geburtsdatum mit dem legendären Thain, genau wie Bilbo. Alles, was ihm fehlte, warf die weiße Stirnlocke des Alten Tuk.

„Und Euch allen einen guten Abend!“ Eine laute Stimme riss Bilbo aus seiner Träumerei. Esmies Gesicht leuchtete auf und sie schaute zurück zur Zimmertür. Merle und Merry quietschten und schossen davon, um sich gegen die Beine ihres Vaters zu werfen, als er hereinkam. Gilda seufzte und warf Bilbo einen gequälten Blick zu; was Bilbo mit Besorgnis erfüllte, war, wie schnell das Lächeln aus Frodos Gesicht schwand und von einem mürrischen, verschlossenen Ausdruck ersetzt wurde. Da gibt es böses Blut, oder ich kenne mich überhaupt nicht mehr aus. Er biss die Zähne zusammen und versuchte, Sara anzulächeln. Als er an dem lärmenden Kerl vorbeischaute, sah er seinen alten Freund und Mitverschwörer Rory, und ein echtes Lächeln legte sich auf sein Gesicht.

„Mutter, du solltest nicht so stehengelassen werden! Esmie, was denkst du dir, dass du sie stehenlässt, während die Kinder sie begrabschen?“ Esmie wurde ein bisschen rot und machte sich daran, ihrer Schwiegermutter auf ein Sofa hinüberzuhelfen, das in der Nähe stand. Frodo blieb an der Seite seiner Tante, bis Sara beinahe direkt vor ihnen stand, dann glitt er flink zurück und aus dem Weg... aber nicht schnell genug, um zu vermeiden, dass ihn Saras Ellbogen traf, als sein Cousin sich daran machte, Gildas Arm zu stützen. Der Junge sagte nichts, aber der Blick, den er Sara zuwarf, war nicht angenehm. Bilbo beobachtete, wie Frodo sachte die Stelle rieb, wo ihn Saras Ellbogen erwischt hatte, und er war bereit, darauf zu wetten, dass eine kleine Reihe blauer Flecken auf dem Arm des Zwanzigers zu finden war.

Bilbo streckte die Hand aus und legte sie beruhigend auf Frodos Schulter, entzückt zu sehen, dass das Lächeln auf das Gesicht seines Neffen zurückkehrte. „Rory, du alter Hund, wie geht’s dir?“ Bilbo lachte und bugsierte Frodo mit festem Griff hinüber zu Rory und fort von Sara. Die alten Hobbits umarmten einander und klopften sich gegenseitig auf den Rücken.

„Ah, anders als du, du unnatürliches Scheusal, werde ich alt!“ war die heitere Antwort. Rorys Haar war stark versilbert, während das von Bilbo nur einen Hauch Grau zeigte. Aber der Herr von Bockland war noch immer flink und zog die anderen beiden hinüber zu einer Anrichte. „Was möchtest du haben, meine Liebe?“ fragte er Gilda.

„Was immer auch offen ist, du alter Idiot, und sag deinem Welpen hier, dass ich noch nicht auf meinem Sterbebett liege, also soll er bitte mit dem Theater aufhören!“ Bilbo hörte, wie der Stock auf etwas Weiches traf, gefolgt von einem schmerzerfüllten Grunzen aus der Richtung des Sofas. Er wechselte einen erfreuten Blick mit Frodo.

„Sara, hör auf mit dem Theater, Frau, hör auf, die Leute zu schlagen. Esmie, sei ein gutes Mädchen und trag diesen Stock sonstwohin.“ antwortete Rory ungerührt, was ihm ein Lachen von Esmie eintrug. Bilbo brachte Sara sein Glas, damit Frodo Esmie das ihre bringen konnte. Rory ließ sich neben seiner Frau auf dem Sofa nieder und Merry krabbelte hastig hinauf, um sich zwischen sie zu drängeln. Sara saß in einem breiten Sessel, Merle auf dem Schoß und einen Arm um Esmie gelegt, damit sie sich auf der Lehne halten konnte. Bilbo ging zu dem Sessel auf der anderen Seite des Sofas , und Frodo setzte sich geschwind auf den Boden zu seinen Füßen, wie er es immer tat, wenn Onkel Bilbo zu Besuch kam. Sie wechselten ein schnelles Lächeln. Ich muss ihn von hier fortholen.

„So, Bilbo, was gibt’s Neues in Hobbingen?“ dröhnte Sara gutgelaunt, während er für Merle ein Gesicht zog und sie an der Nase kitzelte. Das ist schon einfacher. Bilbo fing an, all die Neuigkeiten der letzten paar Monate aufzuzählen, an die er sich erinnern konnte. Ich glaube, ich würde einen anständigen Geschichtenerzähler abgeben, hänselte er sich selbst; er war bestrebt, die Dinge leicht und fröhlich zu halten. Wie er es vorhergesehen hatte, sorgte seine Erzählung vom hohlköpfigen Enkel des Alten Eichlers, der versuchte, ein verloren gegangenes Pony durch den großen Schankraum im Grünen Drachen zu bugsieren (worauf das fassbäuchige Viech in einer engen Seitenpforte steckenblieb) für Lachtränen auf allen Gesichtern.

Bilbo sah, dass Sara seinen Arm die ganze Zeit um Esmie gelegt hielt, während er liebevoll und vertraulich ihren Schenkel und Rumpf knetete, Sie schmiegte sich an ihn, streichelte zuweilen mit der freien Hand seine Wange oder sein Haar und gestattete ihm einmal sogar, seinen Kopf seitlich an ihre Brust zu drücken. Was sieht sie bloß in ihm? grübelte Bilbo, während er mit halbem Ohr Rorys Bericht darüber lauschte, wie vor ein paar Monaten eine Gruppe Fremder in grauen Mänteln auf ausgewachsenen Pferden die Straße aus dem Süden von Stock her durch die Marsch geritten kamen, ganz früh am Morgen. So ein guter Liebhaber kann er nicht sein. Esmie gönnte ihrem Mann einen ziemlich verruchten Blick, und er lächelte wissend zurück und drückte ihre Taille. Andererseits... Bilbo seufzte und wandte seinen Blick zu Rory zurück.

Als Rorys Erzählung über die Neuigkeiten von Bockland sich fortsetzte, bemerkte Bilbo, dass Frodo Esmie und Sara beobachtete und sie dabei missbilligend anstarrte. Bilbo streckte die Hand aus und streichelte den Kopf des Jungen, wie er immer getan hatte, als er ein Kind war; er wollte Frodo von den beiden ablenken. Er erwartete, dass Frodo sich nach hinten gegen sein Bein lehnte. Statt dessen duckte sich der Junge unter der Berührung weg, rutschte sorgsam ein Stück vorwärts und brachte sich selbst außer Reichweite. Bilbo ließ die Hand wieder auf sein Knie sinken, ein wenig betrübt. Frodo ist kein kleines Kind mehr, mahnte er sich selbst, und er will nicht getätschelt werden, als wäre er eines. Er vermisste den kleinen Jungen, der sich so auf seinen Schoß gesetzt hätte wie Merle es bei Sara tat, der kicherte und nach Schmusern und Geschichten verlangte.

Bald wurde das Abendessen serviert, und ein ganzes Rudel weiter entfernter Verwandter schlossen sich ihnen im großen Speisesaal an, zu Ehren seiner Ankunft. Der Saal war so groß, dass er nur zu besonderen Anlässen voll war, und während der Hochtags-Essenstafel. Es ging das Gerücht, dass in den Tagen von Gormadoc Tiefgräber Zwerge dabei geholfen hatten, die schweren Säulen und die Steinmetzarbeit zu errichten, die die Decke stützten. Bilbo war sich dessen nicht mehr so sicher, nachdem er in Erebor und Dal echte Zwergenarbeit gesehen hatte. Er hatte gehofft, Frodo während des Abendessens neben sich sitzen zu haben, um ein paar Worte mit dem Jungen zu wechseln, aber alle Plätze am Haupttisch waren von Älteren besetzt, die etwas über das neueste Abenteuer des ,Verrückten Beutlin’ hören wollten.

Bilbo sah flüchtig, dass Frodo mit einer Gruppe von Zwanzigern an der Seite saß; er wirkte durchaus fröhlich. Und er aß eine ganze Menge, was Bilbo erfreute. Das Starrenblut war stark in Bockland, und die Jungs und Mädchen am Tisch waren breit gebaut und untersetzt, mit offenen, ehrlichen Gesichtern, die Wangen rot von Sonne und Vergnügen, und mit dicken, kräftigen Händen. Frodo sah aus wie ein elbisches Ross zwischen plumpen Zugpferden, oder wie ein Jagdhund unter lauter Bulldoggen.

Nachdem das Abendessen vorbei war, bedankte sich Bilbo bei Rory und Gilda und winkte Sara und Esmie abschiednehmend zu, bevor sie zu ihm an den Tisch heraufkommen konnten. Er bedeutete Frodo, ihm zu folgen und schlüpfte schnell durch eine Seitentür hinaus, den Dienstbotengang hinunter und hinein in die Küchen. Mit einem Blinzeln für Frodo und einem Kuss für Maddie, die oberste Köchin, stibitzte Bilbo ein paar Süßigkeiten von einem Tablett und eine Laterne von einem Haken; er schlängelte sich rasch durch den belebten Raum zu einer halb verborgenen Tür, die zu einem wenig benutzten, hinteren Gang führte.

„Du bist besser darin als ich, Onkel Bilbo.“ sagte Frodo bewundernd, während sie im hellen Licht der Lampe den Gang hinuntergingen. „Ich glaube nicht, dass du mir das sagen solltest, mein liebster Lausebengel!“ gluckste Bilbo zurück. „Esmie hat mir mehr von deinen Abenteuern erzählt als dir wahrscheinlich recht ist, dass ich weiß.“ Er erwartete ein Kichern oder ein Aufstöhnen von Frodo. Es kam kein Laut. Bilbo hielt an und hielt die Laterne vor Frodos Gesicht. Es war der selbe Ausdruck, den der Junge gezeigt hatte, als Sara vorhin ins Zimmer kam... aufgebracht und misstrauisch. Was ist das? Bilbo grinste und verlegte sich auf einen verschwörerischen Tonfall. „Und wieso sollte ich auch nicht besser sein? Ich habe viel mehr Erfahrung darin als du! Dein Onkel Rory und ich haben genau diesen Durchgang kräftig genutzt, für so manchen nächtlichen Raubzug in die Küchen!“ Langsam kehrte ein Lächeln in das Gesicht seines Neffen zurück, und endlich kicherte der Junge.

„Du... das kann ich glauben, nach der Anschleicherei an Drachen und all dem.“ schalt Frodo und wackelte missbilligend mit dem Finger. „Aber Onkel Rory würde so was niemals tun!“

„Oh ja, er würde, mein lieber Junge! Wie sonst, glaubst du, habe ich von diesem Gang erfahren, hmm?“ Sie lachten beide und Bilbo legte eine Hand auf Frodos Schulter, um den Jungen umzudrehen und mit ihm weiterzugehen. Er ist fast so groß wie ich, bemerkte er und zog angesichts der Knochigkeit von Frodos Schulter eine Grimasse.

Aber Frodo schien fröhlich genug zu sein; er hatte die mürrische Art von gerade eben abgelegt. „Ist das hier wie der Tunnel hinunter zu Smaugs Hort, Onkel Bilbo?“ fragte er und deutete auf die Wände um sich herum. „Ich würde hier gern mit Merry und Merle spielen und so tun, als wenn es so wäre.“

„Oh nein, nicht annähernd dunkel, steil oder heiß genug...“ und Bilbo unterhielt Frodo mit einer detaillierten Beschreibung des Durchganges zu Smaugs Kammer, gefolgt von einer Aufzählung von Onkel Rory’s verschiedenen Missgeschicken im Korridor, während sie zu Bilbos Zimmer zurückgingen. Als sie dort waren, stellte Bilbo die Laterne ab, entzündete ein kleines Feuer und kramte in seinem Gepäck herum. Frodo setzte sich vor den Kamin, die Arme um seine Knie geschlungen, und schaute Bilbo beim Herumkramen zu.

„Ah... hier ist sie!“ Bilbo wandte sich zu Frodo um und verbarg den Gegenstand, den er aus dem Gepäck gezogen hatte, hinter seinem Rücken. Frodo versuchte, den Kopf schräg zu legen und zu sehen, was es war. „Frodo, in zwei Wochen ist unser Geburtstag. Du erinnerst dich?“

„Natürlich, Onkel Bilbo, wie könnte ich das vergessen?“

„Nun, mein Junge, ich werde dir mein Geschenk ein bisschen früher geben; es macht wohl nicht viel Sinn, wenn ich es für den ganzen Heimweg nach Hobbingen einpacke und es dann mit der Post wieder hier hin zurückschicke. Mach die Augen zu und streck deine Hände aus.“ Frodo tat sofort, wie ihm geheißen und Bilbo legte eine Pfeife in die nach oben gedrehten Handflächen.

„Oh Onkel Bilbo, sie ist wundervoll!“ Frodos Augen leuchteten. Dann warf er seinem ältesten Vetter einen misstrauischen Blick zu. „Esmie hat es dir erzählt!“ sagte er anklagend. Also, das ist interessant. dachte Bilbo. Er grinste auf seinen verärgerten Gast hinunter. „Esmie hat mir eine ganze Menge Sachen erzählt, mein ungezogener Tunichtgut. Also, warum erzählst du mir nicht deine Fassung der Ereignisse, damit ich die Geschichte anständig zu hören bekomme?“

Der wachsame Ausdruck kehrte auf Frodos Gesicht zurück. „Nein, es ist, wie sie gesagt hat.“ murmelte er und drehte die Pfeife zwischen den Händen. Er wollte nicht zu Bilbo aufschauen.

Das ist nicht interessant, sondern verblüffend. „Weißt du, wo diese Pfeife herkommt?“ Frodo war ganz Neugier. „Sie stammt aus Erebor. Ich habe sie von den Zwergen machen lassen und mit dem Packpony mitgebracht, nur für dich.“ Der Ausdruck des Entzückens, der über Frodos Gesicht huschte, ließ Bilbo sich ein wenig schuldig fühlen für seine nächsten Worte, aber manchmal hatte Bestechung auch ihren Nutzen. „Wie auch immer, wenn ich sie bei dir lassen soll, dann sollte ich hören, worum es ging, glaube ich.“ Bilbo nahm die Pfeife aus Frodos Händen zurück und setzte sich auf die gegenüberliegende Seite des Kamins, den Rücken gegen die Wand gelehnt. Frodos Augen blieben auf die Pfeife in Bilbos Hand gerichtet. Bilbo fischte einen Tabaksbeutel aus seiner Weste und begann sehr langsam und sorgfältig, die Pfeife zu stopfen.

„Ich wollte nichts Falsches tun.“ Die Worte waren so leise, dass Bilbo sie kaum mitbekam.

Er hielt einen Moment inne und lächelte beruhigend, obwohl Frodo nicht aufblickte. „Ich bin mir sicher, dass du das nicht wolltest, Frodo. Ich habe dich selten so kennen gelernt, dass du etwas Falsches im Sinn gehabt hast.“ Ein kleines Lächeln huschte über das Gesicht des Jungen und er zuckte leicht mit den Achseln.

„Einer von den Jungs hatte eine ganze Menge ,Alter Tobi’ von seinem Papa bekommen, und er wollte ihn mit uns allen teilen, aber sie wollten mir keine Pfeife abgeben und sagten, ich bräuchte meine eigene, also hab ich mir eine geborgt.“ Frodos Gesicht wurde ein bisschen rot, aber er wollte immer noch nicht aufschauen. Bilbo war fertig damit, die erste Pfeife zu stopfen und zog seine eigene heraus. Es war nicht so schwer, das eigentliche Problem festzustellen. „Musstest du dir die von Sara leihen?“

„Ich hab nicht die genommen, die er immer raucht! Bloß eine von seinen Ersatzpfeifen, und auch noch die hässlichste!“ protestierte Frodo. Bilbo zuckte mit den Schultern, dann hob er eine Augenbraue, um Frodo zu zeigen, dass er fortfahren sollte. Frodo sackte in sich zusammen und sprach in einem missmutigen Tonfall weiter. „Also hab ich eine Pfeife genommen und bin gegangen, um die anderen Jungs unten am Fluss zu treffen. Sie haben mir nur ein winziges bisschen von dem ,Alten Tobi’ gegeben. Dann hat mir Bargo Wühler meine – Saras – Pfeife gestohlen und wollte sich nicht zurückgeben. Dann dachte einer von denen, es wäre lustig, sie in den Fluss zu schmeißen.“ Frodo blickte finster drein. „Als nächstes meinte ein anderer von denen, es wäre noch lustiger, dafür zu sorgen, dass Sara weiß, dass ich seine Pfeife genommen und verloren habe.“

„Sara hätte die fehlende Pfeife sicher auch bemerkt, wenn ihm keiner etwas gesagt hätte.“ wagte Bilbo einzuwerfen. Frodo schoss einen vernichtenden Blick in seine Richtung.

„Vetter Sara ist meistens zu sehr damit beschäftigt, seine Nase in einen Krug zu stecken, um überhaupt viel von irgendetwas mitzukriegen!“ schnappte Frodo. „Oder damit, Esmie überall zu befummeln.“ Der Junge wandte sich ab, um ins Feuer zu starren, das Gesicht wieder ein wenig gerötet. „Nicht, dass es sie kümmert, wie das aussieht.“ Eine kleine Weile waren sie beide still.

Bilbo dachte, dass er die Dinge jetzt ein wenig klarer sah. Frodo hatte sich sehr wohl in ein Mädchen verguckt, aber dieses Mädchen war Esmie. Er war bereit, darauf zu wetten, dass ein Gutteil der Gerüchte um Frodo und andere Jungen von einem eifersüchtigen Sara verbreitet worden waren. Es würde dir das Maul stopfen Sara, wenn Frodo beschließen würde, diese Geschichten Lügen zu strafen. Bilbo war auch bereit, darauf zu wetten, dass die Idee, Frodo zu Pal zu verfrachten, ebenfalls Saras Werk war.

Frodo seufzte. „Ich nehme an, er hätte es wahrscheinlich bemerkt. Aber sie haben es ihm auf der Stelle erzählt, bevor ich die Gelegenheit hatte, in den Fluss zu kommen und zu schauen, ob ich sie wiederkriege.“ Bilbo saß eine Minute schweigend da und fragte sich, was er als nächstes sagen konnte oder sollte. Er sah, wie Frodo einen verstohlenen Blick auf die neue Pfeife warf.

„Hat Sara... hat er dich dafür geschlagen, dass du seine Pfeife ohne Erlaubnis genommen hast? Gab es einen Satz heißer Ohren?“ Bilbo dachte, dass er wahrscheinlich Sara einen Satz heißer Ohren verpassen würde, wenn er es gewagt haben sollte, Hand an den Jungen zu legen. Frodo sah ihn seltsam an, wachsam wie schon zuvor, dann schüttelte er den Kopf. Also hat er irgend etwas getan. „Was ist passiert?“

„Er... er hat mich vor Oma angebrüllt, und er hat gesagt, ich wäre ein Dieb.“ Frodos Stimme zitterte ein wenig. „Und er sagte, ich wäre ein Nichtsnutz, und dass ich sonstwohin weggeschickt werden sollte, wenn ich so undankbar und falsch wäre, meine Verwandten zu beklauen.“

„Das war nicht sehr nett von ihm.“ sagte Bilbo, so neutral er es fertigbrachte. „Ich denke, mir wären ein paar Ohrfeigen lieber gewesen, als einem Trunkenbold zuzuhören, der vor meiner Oma so üble Dinge verbreitet.“ Saras Androhung, Frodo wegzuschicken, erhärtete Bilbos Verdacht, was Saras Eifersucht anging.

Frodo nickte unglücklich, dann grinste er. „Oma hat ihm mit ihrem Stock ordentlich eins über die Schienenbeine gezogen und gesagt, er hätte gleich zwei von den Pfeifen von seinem Papa verloren, also könnte er den Rand halten.“

Bilbo lachte laut. Ich hätte wissen sollen, dass Gilda ein solches Theater nicht mitmacht, vor allem von ihrem eigenen Sohn! Frodo lächelte ein wenig, aber er lachte nicht. Bilbo bedeutete dem Jungen, sich neben ihn zu setzen, und Frodo kam zu ihm herüber. Bilbo nahm eine seiner Hände und drückte mit Entschiedenheit die neue Pfeife hinein. Frodo schaute freudig zu ihm auf, aber dann umwölkte sich sein Gesicht. „Wieso gibst du mir das, Onkel Bilbo? Ich hab dir gerade erst gesagt, was ich gemacht habe... dass ich Sara eine Pfeife geklaut und sie verloren habe!“ Er erforschte das Gesicht des älteren Hobbits.

„Also, mein lieber Junge, dies ist mein Geburtstagsgeschenk für dich. Ich sagte, dass sie dir gehört, wenn du mir erst einmal deine Geschichte erzählt hast, auch wenn mir nicht gefällt, was ich gehört habe. Also hast du deinen Teil der Abmachung erfüllt, und ich erfülle meinen. Seine Versprechen muss man immer halten!“ Bilbo warf Frodo einen strengen Blick zu und der Junge nickte hastig. „Wie auch immer, du hast Sara die Pfeife nicht gestohlen, was der Idiot hätte wissen sollen. Du hast eine Pfeife gebraucht, du hast überlegt und nur eine von den zweitbesten genommen, mit der klaren Absicht, sie zurückzugeben.“ Frodo nickte beinahe noch heftiger. „Ich denke, die Schuld liegt bei deinen Freunden, die dich gleich mehrfach schlecht behandelt haben, und sie sollten sich schämen.“ Frodo nickte, aber nur einmal und hielt seine Augen auf die Pfeife gerichtet.

„Sie sind nicht wirklich meine Freunde.“ antwortete er ruhig. „Sie sind bloß die Jungs hier aus der Gegend.“

„Nein.“ erwiderte Bilbo im selben Tonfall. „Ich glaube auch nicht, dass sie deine Freunde sind, wenn sie dir so grausame Dinge antun. Ein bisschen geizig sein mit ,Altem Tobi’, das sehe ich noch ein. Wäre die Pfeife bei irgend einem Unfug heruntergefallen – solche Sachen passieren. Aber sie wegzuwerfen und es dann Sara zu erzählen...“ Er seufzte. „So etwas tun Freunde nicht.“ Er spürte, dass Frodo den Kopf schüttelte. „Genug von diesem langen Gesicht, mein Junge! Es ist vorbei, und jetzt hast du eine neue Pfeife und musst deinen flegelhaften Vetter nie wieder belästigen.“

Bilbo holte mit der Kaminzange ein Stück Kohle vom Rost und zündete ihre Pfeifen an. Zuerst würgte Frodo ein wenig, aber bald hatte er den Dreh heraus. Sie saßen eine Weile Seite an Seite in kameradschaftlicher Stille, da und schauten ins Feuer. Wieder wünschte sich Bilbo den kleinen Jungen zurück, der sich auf dem Schoß seines Onkels zusammengerollt hätte und eingeschlafen wäre. Freu dich an der Erinnerung, anstatt dem Verlust nachzutrauern, Beutlin. Lass ihm seinen Freiraum und genieße es, zu beobachten, wie er aufwächst. Als die Pfeifen ausgegangen waren, regte sich Bilbo und Frodo schaute auf.

„Es mag kein ,Alter Tobi’ im Kopf sein, aber ich wage zu behaupten, dass diese Pfeife besser ist als alles andere, was du je in Händen gehalten hast. Ich bezweifle, dass Saras beste Pfeife Zwergenarbeit ist.“

Frodo grinste zu ihm hoch, „Ich glaube, das ist das Hübscheste, was ich je geschenkt bekommen habe, Onkel Bilbo. Ich werde gut darauf aufpassen,“ fur er ernsthaft fort, „und ich werde sie nicht verlieren.“

„Stell sicher, dass keiner von diesen ,Freunden’ von dir in der Nähe ist, wenn du sie benutzt.“ mahnte Bilbo.

Frodo fingerte an der Pfeife herum. „Was hat Esmie gesagt?“ fragte er leise. „Hat sie...“ Frodo hielt inne und schluckte hart. „Hat sie gesagt, ich sei ein Dieb?“ Er richtete seine dunklen Augen - genau wie die von Drogo - auf Bilbo und wartete auf eine Antwort.

„Base Esmie hat mir gegenüber nie ein Wort über diese Sache gesagt, Frodo. Und wenn du dich an meine Wort erinnerst,“ er hob eine Hand, um Frodos drohenden Ausbruch zu verhindern, „ich habe nie behauptet, dass sie das getan hat, nur, dass sie mir davon erzählt hat, was für ein Lausebengel du gewesen bist. Und welches von deinen Abenteuern sie mir auch erzählt hat, über dies hier sollte ich Bescheid wissen, und du solltest dir darüber Sorgen machen. Ich bin sehr froh, dass du dich entschieden hast, mir die Geschichte selbst zu erzählen, obwohl ich wünschte, du hättest mir geschrieben und mich davon wissen lassen, als es passiert ist.“ Er strahlte seinen verblüfften Neffen an.

Frodo schüttelte ein wenig den Kopf über die seltsame Art, wie Bilbos Geist funktionierte, dann untersuchte er wieder die Pfeife und bewunderte ihre Kunstfertigkeit und Schönheit. „Ich werde sie sicher aufheben.“ versprach er.

„Warum sollte sie nicht in Sicherheit sein, solange du sie vor diesen jungen Rabauken versteckt hältst?“

Frodo verfärbte sich ein wenig, dann warf er Bilbo einen verstohlenen Seitenblick zu. Bilbo war nicht erfreut über diese Anzeichen der Vorsicht. Sein Junge hatte das Bedürfnis, sich in Acht zu nehmen und vielleicht, ihn zu täuschen. „Ich werde dies hier bloß an einem besonderen Ort aufheben müssen“, begann Frodo langsam und warf ihm noch einen dieser seltsamen Blicke zu, „um sicher zu gehen, dass nichts passiert, wenn ich nicht da bin.“

„Würde Sara sie dir wegnehmen, wenn er sie fände?“

„Er nimmt mir immerzu die Sachen weg, die ich habe.“ sagte Frodo in gleichmäßigem Tonfall, obwohl seine schmal gewordenen Lippen seine Ruhe Lügen straften. „Er sagt, ich bekomme alles, was ich brauche und ich sollte nicht noch mehr haben wollen.“

Bilbo bedachte sich noch etwas gründlicher und dachte, es sei Zeit, ein weiteres Thema anzuschneiden. „Sara hat gedroht, dich fortzuschaffen. Glaubst du, dass du woandershin gehen solltest?“

Frodo sprang auf und wich ein paar Schritte vor Bilbo zurück. „Du denkst auch, ich sollte fortgeschickt werden?“ fragte er angsterfüllt. „Was hat Esmie gesagt? Ist sie schrecklich wütend auf mich? Bist du hier, um mich fort zu holen?“

Bilbo saß mit offenem Mund. Was haben sie dem Jungen erzählt? Er war nicht sicher, was er sagen sollte, aber er wusste, dass er irgendetwas sagen musste, weil es so aussah, als würde das Kind jeden Moment Hals über Kopf flüchten. „Nun, ich kann mich sicher nicht mit dir unterhalten, wenn du so herumzappelst, Frodo.“ schalt er sanft. „Setz dich hin und ich gebe dir deine Antworten.“ Frodo setzte sich langsam auf die andere Seite des Kamins. „Jetzt lass mich noch eine Pfeife vorbereiten, damit ich mich nicht selbst unterbrechen muss. Schlimm genug, wenn andere Leute das tun. Unfassbar rüde, wenn ich es selber mache!“ witzelte er. Frodo lachte nicht; er starrte ihn nur mit seinem großen, erddunklen Augen an und wartete. Bilbo bedeutete Frodo, ihm seine eigene Pfeife herüberzureichen und stopfte alle beide, Ein paar Züge, und er glaubte, einen Ansatz zu haben.

„Ich denke nicht, dass du irgendwo hin verfrachtet werden solltest, wo du nicht hin willst, und ich bin nicht hier, um dich fortzuholen. Ich weiß, so etwas würde Esmie nicht machen.“ Er sah, wie der Junge sich entspannte, und er fragte sich, ob er ihm gegenüber Esmies Pläne erwähnen sollte, ihn zu Pal zu schicken. Es ist an ihr, ihm das zu erklären. Und ich habe Zeit bis zum Ende des Jahres, sie davon zu überzeugen, es nicht zu tun. „Sie ist ein klein wenig unglücklich darüber, dass du ziemlich wild bist, mit Kerlen herumhängst, die nicht den besten Charakter haben und in Kalamitäten gerätst, von denen ich lieber nichts wissen möchte.“ Er setzte seinen ärgerlichste Miene auf und starrte so lange, bis Frodo rot anlief, eine Entschuldigung flüsterte und versprach, sich zu benehmen.

„Aber ich sehe nicht, dass du allzu viele schlimme Dinge anstellst, nicht für einen aufgeweckten Jungen, der mehr Zeit hat, als gut für ihn ist.“ fuhr Bilbo in einem sanfteren Tonfall fort, „und Esmie sagt, du bist ein guter Junge. Ich neige dazu, ihr zu glauben.“ Frodo lächelte und fummelte mit seiner Pfeife herum. Bilbo paffte ein paar Mal, um die Dinge richtig auszudrücken. „Esmie sagte, sie glaubt, dass diese Jungs, die du da triffst, nicht die sind, mit denen du spielen solltest.“ Da war er wieder, der seltsame Blick...ein blitzschnelles, halbes Lächeln, niedergeschlagene Augen, ein Achselzucken. „Ich glaube nicht, dass du sie enttäuschen möchtest.“

„Nein, das will ich nicht.“

„Wie ich gesagt habe, ich bin nicht hier, um dich mitzunehmen, Frodo, wenn es das ist wovor du dich fürchtest. Aber ich bin hier, um zu sagen, dass ich denke, dass du über Bockland hinausgewachsen bist und über das, was es dir hier zu bieten hat. Ich mag nicht, was ich von dem mitbekomme, wie Sara dich behandelt. Diese anderen Jungen klingen auch nach Schwierigkeiten. Ich denke, du machst Blödsinn, weil es nichts gibt, das dich beschäftigt hält. Ich würde gern mehr mit dir tun als dir nur Geschichten über Elben zu erzählen.“ Der selbe eigenartige Blick, dann niedergeschlagene Augen. „Ich würde dich gerne Elbisch lehren,“ Frodo schaute ihn neugierig an, „ich möchte, dass du mit Zwergen sprichst,“ die Augen des Jungen wurden riesig, „und dass du vielleicht sogar einem Zauberer begegnest.“ Frodo setzte sich auf, das Gesicht voller Aufregung „Obwohl die Wege von Zauberern seltsam sind, und ich nie weiß, wann Gandalf an die Tür klopfen wird. Und wenn dich das nicht überzeugt, dann solltest du besser kommen und bei mir in Beutelsend leben, Frodo, mein Junge, damit wir unsere Geburtstage bequem zusammen feiern können. Keine Hin- und Herfahrerei mehr.“ Er lehnte sich zurück und wartete darauf, dass die Aussicht, Zwerge und einen Zauberer zu treffen, ihre Magie auf Frodo ausübte, von der geteilten Geburtstagsparty gar nicht zu reden.

Dann tat Frodo etwas, das ihm überhaupt nicht gefiel. Der Blick kam wieder, aber ein wenig anders. Es war der selbe Blick, den Esmie ihm früher an diesem Tag in der Stube zugeworfen hatte, der Blick, der all seine Handlungen und Motive in Frage stellte, und der sie zu einer unglaublich grausamen Antwort zusammenschrumpfen ließ. Was haben sie dem Jungen über mich erzählt? Bilbo wusste, dass er wahrscheinlich sehr wütend gewesen wäre, hätte er sich nicht so elend gefühlt bei dem Gedanken an das, was Sara vielleicht gesagt hatte. Ein Kind sollte nicht einmal wissen, dass es solche Fragen gibt. Er versuchte sein Gesicht ruhig und gelassen zu halten. Frodo schlug die Augen nieder und zuckte erneut auf diese Weise die Achseln, die ihn rasend machte.

„Wenn ihr, du und Esmie, denkt, dass das passieren sollte, und wenn Onkel Rory sagt, es ist in Ordnung,“ Frodo sah ins Feuer und versuchte sein Möglichstes, uninteressiert dreinzuschauen, „na ja, dann nehme ich an, ich muss gehen, richtig?“ Der selbe Blick, schnell, wachsam, misstrauisch.

Bilbo beschloss, die Frage herumzudrehen. „Wieso willst du bleiben?“ Frodo schaute verwirrt. Bilbo drängte weiter. „Was hält dich in Bockland? Du sagst, diese Jungen sind nicht deine Freunde. Sara, der nächste Herr von Bockland, hat dich nicht gerne um sich...“ Frodo zog ein Gesicht und schüttelte den Kopf. Bilbo hob sich das für eine weitere Unterhaltung auf, „... und wenn du nicht vorhast, ein Bauernknecht zu werden, gibt es nicht mehr viel, was du in dieser Gegend lernen kannst. Ich nehme an, du hast so ziemlich jedes Buch in der Bücherei gelesen, ja? Also – wieso willst du hierbleiben?“

Frodo zuckte die Achseln und spielte ein wenig mit der Pfeife herum, dann sagte er: „Ich liebe Esmie und Oma und Onkel Rory und Merle und Merry, und ich will sie nicht verlassen.“ Wieder schaute er zu Bilbo auf; sein Blick war herausfordernd. „Sie brauchen mich. Oma ist krank, und sie hat mich nötig, damit ich ihr helfe, sich durch die Gegend zu bewegen, nachdem Sara,“ er spie den Namen seines Vetters beinahe aus, „zu beschäftigt ist mit seinen eigenen Sachen, um sich um sie zu kümmern. Ich will nicht weg von Esmie. Sie braucht mich, um ihr mit Oma und den Kleinen zu helfen, vor allem, wenn sie noch mehr davon hat.“

Bei diesen Worten gingen Bilbos Augenbrauen in die Höhe. Ihr war nicht klar gewesen, dass Esmie die Absicht hatte, noch mehr Kinder zu bekommen, nach ein paar Dingen, die Gilda ihm in ein paar von ihren Briefen gesagt hatte – obwohl er den Verdacht hatte, dass Sara einen zweiten Jungen wollte. Noch eine Sache, über die er in den kommenden Tagen mit Esmie reden würde. „Nun, Frodo, Sara muss sich um manche Angelegenheiten kümmern,“ er hat üblicherweise bloß zu viel im Bierhaus zu tun, um das zu schaffen, „genau wie dein Onkel Rory. Es ist die Aufgabe des Herrn, nach den Dingen zu sehen.“

„Na siehst du, Sara und Rory sind beschäftigt, also werde ich gebraucht!“ Frodos Stimme war ein bisschen zu ängstlich, um sicher zu sein. Zeit, den Schlag zu führen. „Nein, Frodo, tatsächlich brauchen sie dich wahrscheinlich nicht.“ Bilbo sah, wie das Gesicht seines Neffen sich verzog, und er hoffte, der Junge würde nicht weinen. Er hatte sich nie gegen Tränen wehren können. „Sie lieben dich genauso wie du sie lieb hast, und sie würden dich wahrscheinlich für immer hier behalten, wenn sie könnten. Aber brauchen tun sie dich nicht. Es gibt jede Menge Leute hier in Bockland, die es als Ehre ansehen würden, bei der Pflege der Herrin zu helfen... erwachsene Damen, die mehr über das Heilen und die Pflege wissen als du. Damen, die ein gutes Stück vernünftiger sind als ein oberflächlicher Zwanziger, der die halbe Zeit über nicht zu finden ist, weil er das Gemüse von irgendeinem Bauern klaut.“

Bilbo ließ Frodo eine Minute lang in seinem schlechten Gewissen schmoren. „Soweit es Esmie und die Kinder betrifft... komm, Junge, benutz deinen Kopf! Ich spreche normalerweise nicht so offen, aber du bist alt und vernünftig genug, um solche Dinge zu verstehen. Sara ist ein eifersüchtiger Mann und er mag nicht, dass du so an seiner Frau klebst.“ Frodos Gesicht wurde so rot wie die Glut im Kamin und er weigerte sich, aufzuschauen. Soviel dazu, dass Frodo Geschmack an Jungen findet, dachte Bilbo und schnaubte vor sich hin, Esmie hat ganz entschieden noch einen liebeskranken Verehrer. „Ich denke, ich muss dir nicht erklären, was für ein Blödsinn dein närrischer Vetter sich in den Kopf setzt,“ oder was für einen Blödsinn du in deinem närrischen Kopf hast, „wenn du noch länger in der Nähe seine Frau bleibst. Vor allem, wenn noch ein weiteres Kind kommt.“

„Wie auch immer, das ist nichts, was jetzt entschieden werden kann oder sollte.“ schloss Bilbo in einem heiteren Tonfall. Frodo starrte ihn einen Moment lang an, dann seufzte er und stand auf.

„Ich sollte ins Bett gehen, Onkel Bilbo.“ sagte er und trat zu ihm herüber. Er kam vor ihm zum Stehen und erforschte sein Gesicht, all die Fragen in den Augen, um die ein Kind sich normalerweise nicht scheren sollte. Dann schenkte er Bilbo ein gewinnendes Lächeln, das seine Augen nicht ganz erreichte. „Ich sollte gehen.“ wiederholte der Junge.

Bilbo war sich nicht sicher, was er von all dem halten sollte, aber er dachte, dass es nicht das beste Ende des Abends sei, wenn Frodo ihn so verließ. Er setzte sein fröhlichstes Lächeln auf und streckte die Arme für eine Umarmung aus. „Dann sehe ich dich morgen früh, Frodo!“ Der Junge trat in die Umarmung hinein, dann wandte er den Kopf und streifte Bilbos Wange mit einem Kuss, der ihm einen kleinen Schauder den Nacken hinunterrieseln ließ. Bilbo gab Frodo einen ordentlichen Kuss von der Sorte „Alter-Verwandter-küsst-kleines-Kind-auf-die Wange“, nahm ihn bei den Schultern und schob ihn von sich.

„Es ist so gut, dich wiederzusehen, mein Junge!“ Bilbo hoffte, dass nichts von dem Schrecken, den er auf seinem Gesicht spürte, in seiner Stimme zu hören war. Frodo starrte ihn für einen Sekundenbruchteil mit diesem beunruhigenden Ausdruck an, dann breitete sich ein glückliches Lächeln auf seinem Gesicht aus, und er trat vor, um Bilbo eine Umarmung zu schenken, die sich natürlicher anfühlte. Jetzt sah er wieder wie ein Kind aus.

„Ich bin so froh, dass du gekommen bist, Onkel Bilbo! Bleibst du bis zu unserem Geburtstag?“ Er klang auch wie ein Kind, ganz großäugige, eifrige Freude.

„Oh, ich denke, das lässt sich einrichten, mein lieber Junge.“ versicherte ihm Bilbo.

Frodo grinste und wandte sich in Richtung Tür, dann blieb er stehen und hielt ihm die neue Pfeife hin. „Onkel Bilbo, bewahrst du das auf, so lange du hier bist? Ich glaube, ich werde sie nicht rauchen, wenn ich nicht bei dir bin.“

„Natürlich tu ich das.“ Bilbo nahm die Pfeife, dann legte er einen Arm um Frodo und ging mit ihm zur Tür. Er küsste den Jungen auf die Stirn, wünschte ihm süße Träume und schickte ihn weg. Dann setzt er sich vor den Kamin und rauchte und grübelte, bis er zu müde war für beides.


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