Das Vermächtnis (The Legacy)
von Anglachel, übersetzt von Cúthalion

1. Kapitel
Respektabel

„Menschen können dem Geschick beistehen, es aber nicht vereiteln. Sie können seine Muster weben, sie aber nicht zerstören. Und niemals sollten sie sich geschlagen geben, denn da sie seine Absicht nicht kennen und da es gewundene, unbekannte Wege geht, können sie immerzu hoffen, und hoffen heißt, nicht aufzugeben.“
(Machiavelli, Diskurse II, 29)


Mitten am Nachmittag, Meerstag, der 8. Tag im Halimath, im Jahre 1388 des Auenlandes

„Also bitte, Esmeralda, setz dich hin und mach keinen Aufstand!” schalt Bilbo gutgelaunt seine Base, während sie in einer gemütlich abgenutzten Wohnstube im Brandyschloss Tee servierte. Er war kaum eine Stunde zuvor eingetroffen und mit der Bockenburger Fähre herübergekommen, gemeinsam mit drei Hühnerkäfigen, einem Karren voller Rüben und zwei äußerst unbändigen Kindern. Es war eine interessante Überfahrt gewesen, und er hatte das Gefühl, dass dieser Tee wohl verdient war, weil er sie überlebt hatte.

Bilbo wies die Extraportion Rhabarberstrudel nicht zurück, die sie auf seinen Teller löffelte, ebenso wenig das zusätzliche, belegte Brot, das sie auf den Rand schob oder das Stück goldenen, nussigen Käse, der auf das letzte freie Fleckchen auf seinem Teller rutschte, aber er gluckste und mahnte und neckte, bis seine liebliche Base ihren eigenen Teller füllte und sich hinsetzte. Mehrere Minuten lang kam von Bilbo nichts als Schweigen (was bei ihm selten vorkam), bis er eine Bresche in sein Essen geschlagen hatte, die groß genug war, um seinem Hunger die Spitze zu nehmen. Erst dann lehnte er sich in den weichen Ledersessel zurück und schenkte Esmie seine volle Aufmerksamkeit.

Sie war die Urenkelin des Alten Tuk; nicht wenige sagten, dass es sei, als wären in ihr alle drei Töchter von Gerontius in einer Person wieder zum Leben erwacht, mit Belladonnas Intelligenz, Donnamira’s Schönheit und Mirabellas Zähigkeit. Esmeralda war während ihrer Jugend der strahlende Mittelpunkt aller vier Viertel gewesen, mit ihren Locken von einem hellen Kastanienton, den zimtbraunen Augen und ihrem fröhlichen Lachen. Dass sie eine Figur hatte, die Männer stehen bleiben und gaffen ließ, hatte ihr auch nicht gerade geschadet – zwanzig Jahre und zwei Kinder hatten diese lockenden Kurven nur ausgefüllt und Format und Würde hinzugefügt. Die Männer gafften immer noch. Ihre schönen, breiten Füße rundeten das Bild bis zur Vollkommenheit ab. Bilbo bewunderte seine eindrucksvolle Base umso mehr für den scharfen Geist, der hinter der täuschenden Zurückhaltung lag. Da sitzt die wahre Herrin von Bockland, dachte er, oder sie wird es doch sein, sobald Saradoc einmal sein Erbe antritt.

„Ich muss mich entschuldigen, dass ich nicht öfter zu Besuch komme, Esmie,“ er zwinkerte ihr zu, „und nicht bloß deswegen, weil du die am besten gedeckten Tafel im Auenland führst.“ Esmie lachte um eine Mundvoll Strudel herum und schüttelte eine mahnende Gabel in seine Richtung. „Ich muss mich sorgfältiger auf dem laufenden halten. Mir war nicht bewusst, wie krank Gilda gewesen ist,“ fuhr er in einem ernsteren Tonfall fort..„Du hättest mir eher davon erzählen sollen.“

„Gida hat mir verboten, irgend etwas darüber zu sagen, Bilbo! Sie wollte nicht, dass du dir Sorgen machst. Du weißt, wie stur sie sein kann.“ protestierte Esmie. Bilbo verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf. „Oh ja, als ob ich das nicht wüsste! Aber was ist mit Rory? Wie nimmt er es auf?“- „Nicht gut, fürchte ich, Bilbo.“ erwiderte Esmie ernsthaft. „Er hat so schwer getrauert, als er Prim verlor, und ich glaube, er hat sich niemals wirklich von diesem Verlust erholt.“

Bilbo zog eine Grimasse. Ich glaube nicht, dass irgendeiner von uns das geschafft hat.“ Noch ein schönes Hobbitmädchen, das verloren war. Heutzutage war es nicht mehr so schlimm, mit vielköpfigen Familien und den kleinen Mädchen, die herumrannten, ganz Locken und zerknitterte Röcke, die braunen Beine zerkratzt von den Beerensträuchern. Es waren noch immer genug übrig, die sich an den Grausamen Winter von 1311 erinnerten: wie er ihnen eine viel größere Anzahl der neu geborenen Mädchen entriss als der Jungen; wie viele Gevatterinnen sich ins Geburtsbett niederlegten und nicht wieder daraus aufstanden... wie viele der kleinen, schlaff in ihre Laken gewickelten Gestalten, die man in die gefrorene Erde gebettet hatte, Schwestern und Töchter gewesen waren. Seine eigenen Schwestern waren in diesem Winter gestorben, und Mutter hatte die Totgeburt seines Bruders nur knapp überlebt.

In den Jahren unmittelbar danach waren die Mütter schwach und die Kinder kamen langsam und oft nur tot – die Mädchen häufiger als die Jungen. Manche Frauen wurden überhaupt nicht mehr erfolgreich schwanger. Seine Mutter brachte nie ein weiteres Kind zur Welt. Seine Schwester Mirabella, Rorys Mutter, verlor in jenem Winter Dodinas, genau wie Mutter ihren Sohn verloren hatte, dann bekam sie Asphodele beinahe um den Preis ihres eigenen Lebens, worauf ein weiteres totes Kind folgte.

Dann, zum Entzücken von ganz Bockland , war Primula gekommen; ein großes, pummeliges, fröhliches, gesundes Baby. Ihre Geburt bezeichnete das Ende der Trauer, und die Mädchen starben nicht länger so früh. Und doch waren Kinder zu jener Zeit selten, und die Arme der Mütter waren leerer, als sie es sich wünschten.

Es hatte ein solch entrüstetes Gerede gegeben, als Drogo Prim geheiratet hatte, obwohl er einer von Rorys besten Freunden gewesen war. In aller Hast geschehen, während sie erst achtundzwanzig war und Drogo beinahe noch um die Hälfte älter als sie, wurde die Eheschließung nicht als respektabel betrachtet, nicht während so viele feine Jungs in ihrem eigenen Alter ihr den Hof machten. Zuerst war das Geraune gegangen, sie hätten heiraten müssen, und zwar schnell, aber kein frühes Kind erschien. Dann änderte sich das Geflüster und es wurde behauptet, es gäbe kein Kind, weil die Hochzeit ein solcher Skandal gewesen sei. And Ende mussten die beiden Hobbingen verlassen und wieder in’s Brandyschloss zurückziehen, um den erbarmungslosen Zungen der alten Hennen zu entkommen. Drogo und Prim hatten mehrere Jahre mit Bilbo in Beutelsend gelebt, als sie jung verheiratet gewesen waren, und als sie sich entschieden, fort zu gehen, fehlten sie ihm schrecklich.

Auf der anderen Seite waren Rory und Gilda überglücklich, sie daheim im Brandyschloss willkommen zu heißen. Bilbo hatte zu jener Zeit viele Besuche gemacht und verbrachte Wochen mit Drogo und Prim, Rory und Gilda... alles, um unter den neugierigen Nasen der respektablen Leute in Hobbingen zu entwischen. Sie waren alle so besorgt, als es Prim nicht gelang, Mutter zu werden. Zwanziger Jahre einer kinderlosen Ehe, und dann Frodos wundersame Geburt. Die Feierlichkeiten waren größer als damals, als Prim selbst zur Welt gekommen war.

Bilbo schüttelte den Kopf, seufzte und wandte seine Aufmerksamkeit zu Esmie zurück, die weitergeredet und nicht bemerkt hatte, dass er abgelenkt war.

„... jetzt Gilda dabei zuzuschauen, wie sie auf diese Weise verfällt...“ Esmie brach ab und starrte auf ihren Teller nieder, während sie die eigenen Gefühle unter Kontrolle brachte, „Nun ja, ich mache mir Sorgen. Er ist jünger als du, Bilbo, aber er sieht aus und verhält sich so, als wäre er ein paar Jahrzehnte älter.“ Sie warf ihm einen schlauen Blick zu. „Obwohl manche sagen würden, dass er bloß genauso aussieht, wie er sollte und dass du der jenige bist, der nicht so aussieht, wie er es seinem Alter nach müsste.“

Bilbo zuckte die Achseln. Selbst er fing an, sich ein bisschen über seine jugendliche Erscheinung zu wundern, obwohl er innerlich spürte, wie das Alter näher kroch und ihn erschöpfte. Er hatte sich immer gefragt, was in dem Essen gewesen war, das die Elben ihm in Bruchtal serviert hatten. „Und wie geht es Gilda wirklich?“ fragte er sanft und wandte seine Aufmerksamkeit zu dem eigentlichen Grund für seinen Besuch zurück.

Esmie seufzte. „Ihr Verstand ist so scharf wie immer, und um Rorys Willen versucht sie, guten Mutes zu bleiben. Es hilft, dass sie noch dickköpfiger ist als ein Breeland-Pony, und obendrein das Temperament deines Drachen hat. Sie will nicht, dass sie Leute sie bemitleiden und ist jederzeit bereit, jedem anständig eins mit der Krücke überzuziehen, der versucht, sie zu behandeln, als wäre sie aus Glas. Aber das Zittern in ihren Gliedern wird schlimmer, und sie kann nicht mehr ohne Hilfe laufen. Sie stirbt, und sie weiß es, und sie ist entschlossen, uns Qual zu ersparen.“ Esmie seufzte wieder, aber diesmal klang es mehr, als würde sie sich ärgern. „Natürlich wäre es leichter, wenn sie nicht selbst so eine Qual wäre.“ Sie sahen einander eine ganze Weile an, dann brachen sie in Gelächter aus. Nachdem er seine Erheiterung wieder unter Kontrolle gebracht hatte, sagte Bilbo: „Nun, man hat mir erzählt, dass Heiler die schlimmsten Patienten sind. Gilda ist daran gewöhnt, die Dinge wieder in Ordnung zu bringen, nicht daran, selbst krank zu sein.“

Esmie nickte zustimmend, „Ich denke, es wäre besser für alle, wenn sie nicht so viel über Kräuter und Heilung wüsste. Sie experimentiert dauernd mit verschiedenen Tonikums und Tränken und all solchem Zeug. Ich schwöre, manchmal glaube ich, sie wird sich noch vergiften, während sie ein neues Gebräu ausprobiert.“

Bilbo warf ihr einen erschrockenen Blick zu und Esmie hob beruhigend eine Hand. „Ich mach bloß Witze, obwohl ihr tatsächlich vor ein paar Monaten von irgendwas schlecht geworden ist. Gilda ist niemand, der jemals aufgibt, also musst du dir, was das angeht, keine Sorgen machen.“

Esmie machte sich an den Überrest ihres Essens, bis der Teller leer war und Bilbo tat desgleichen. Nach dem sie beide ihre Teller geleert und eine zweite Portion vertilgt hatten, trug Esmie das gebrauchte Geschirr zu einer Anrichte. Bilbo bereitete seine Pfeife vor, während sie mit Besteck und Porzellan herumwirtschaftete, damit sie sich sauber auf einem Tablett stapelten, dann drehte sie sich um, um ihn anzusehen. Bilbo hielt ihren Blick fest und hob bedeutungsvoll eine Augenbraue. Sie schüttelte den Kopf, dann zuckte sie die Achseln und kehrte zum Sofa zurück.

„Sara und ich... also, wir kommen damit zurecht, so gut wir können. Er ist so verzweifelt darüber wie Rory, zuzusehen, dass Gilda es nicht schafft, und wahrscheinlich trinkt er mehr, als es weise wäre. Aber er ist ein Trost für seinen Vater, und sie geben einander Kraft.“

Bilbo kannte Rorys ältesten Sohn zu gut, um zu glauben, dass er seinem Vater viel Trost bedeutete, und der Junge hatte immer schon mehr getrunken, als es weise war. Gildas Krankheit war die Entschuldigung, nicht die Ursache. „Was ist mit Mac?“

Esmie schüttelte den Kopf. „Es tut ihm weh, seine Mutter so zu sehen, also bleibt er meistens weg, Mac hat ein Auge auf Nordbockland und hilft Rory auf diese Weise. Er und Nassy haben zuviel mit ihrem eigenen Hof zu tun, um oft hier zu sein, obwohl sie jeden Hochtag zum Abendessen kommen. Du wirst sie morgen sehen.“

Na, dann macht sich wenigstens einer der Jungs nützlich. Bilbo paffte ein bisschen an seiner Pfeife, aber Esmie sagte nichts mehr. „Und du selbst?“ fragte er. Ein Rauchring schwebte aufwärts. Esmie saß eine ganze Weile da und starrte auf ein Bild an der gegenüberliegenden Wand.

„Ich mache mir Sorgen um die Kinder.“ Bilbo machte ein beruhigendes, unverbindliches Geräusch um den Pfeifenstiel herum und versuchte, seine Besorgnis über ihre Antwort nicht zu zeigen. „Merle schafft es immer, mir mit Merry zu helfen. Sie spürt, dass ihre Oma krank ist und sich nicht wieder erholen wird. Merry weiß bloß, dass es ihr schlecht geht. Ich sitze sehr oft bei Gilda, und sie erzählt mir ihre Geschichten und Geheimnisse. Es gefällt uns nicht, aber sie bringt mir bei, Brandyschloss ohne sie zu führen. Es ist eine anspruchsvollere Verantwortung als ich mir vorgestellt hatte. Gilda ist eine der großen Hausfrauen hier. Ihre Pflichten zu übernehmen, ist ein bisschen furchterregend. Ich nehme den beiden nichts übel, aber sich um sie und Rory zu kümmern, während sie alt werden, ist... anstrengend.“ Bilbo paffte an seiner Pfeife und bedachte was gesagt worden war – und was nicht.

Also ist Sara nutzlos, wie üblich. Bilbo ermahnte sich, nicht auf den Stiel seiner Pfeife zu beißen. Sie war ein Geschenk von Balin und es wäre nicht gut, sie zu zerbrechen. Warum sich Esmie für mit ihm eingelassen hatte... Sie hatten nur ein Jahr nach seiner Jährigkeit geheiratet, und wäre sie weniger bemerkenswert gewesen, hätte es wahrscheinlich die üblichen hässlichen Gerüchte gegeben darüber, warum diese ältere Frau den jungen Erben des Herrn zum Mann genommen hatte. Er sog seine Lunge voll Pfeifenrauch und atmete ihn langsam wieder aus. Nutzlos, sich zu fragen, wieso es passiert war. Von denen, die keine Ahnung hatte, wurde es als die großartigste Hochzeit des Auenlandes betrachtet. Die schöne Schwester des Thain, verheiratet mit dem gutaussehenden Sohn des Herrn. Mit etwas Glück ersäuft er sich selbst in Bier oder im Brandywein und überlässt es der wahren Herrin, Brandyschloss zu führen. Bilbo ging zum Kamin hinüber, um seine Pfeife auszuklopfen und Esmie den Rücken zuzuwenden, während er seine Verachtung für ihren unnützen Gatten unterdrückte. Was Bilbo wunderte, war, wie eine derart kluge Frau es mit einem derart dummen Mann aushielt. Sie hätte jeden Hobbit im Auenland haben können, und sie hatte sich Sara ausgesucht.

Esmie wollte kein hartes Wort über diesen Kerl hören, und er wollte sich nicht mit seiner Base anlegen. Nun, sie mag zuerst ein Auge auf ihn geworfen haben, weil er eines schönen Tages der Herr sein würde, aber jetzt ist sie wirklich in ihn vernarrt. Rorys Briefe waren stets voll des Lobes für seine Schwiegertochter, vor allem jetzt. Es war Rory gewesen, der Bilbo wegen Gildas schwindender Gesundheit gewarnt hatte und ihm sagte, dass ein langer Besuch in Ordnung sei, und er hatte von Esmies Sorge für Gilda gesprochen. Bilbo wusste, dass Gilda und Prim Brandyschloss bis zu Prims Tod gemeinsam geführt hatten, einander so nahe wie er, Drogo und Rory es gewesen waren. Er hatte von Rory gehört, dass Gilda die Heirat ihres ältesten Sohnes kühl aufgenommen hatte und danach nicht immer sehr einnehmend gewesen war ihrer Schwiegertochter gegenüber. Prima war nie richtig mit Esmie warm geworden, obwohl die beiden Mädchen miteinander verwandt waren. Er hoffte, dass Gildas Kälte Esmie gegenüber ihr die Aufgabe der Pflege nicht noch schwerer machte.

„Frodo ist ein Schatz. Ich weiß nicht, wie ich ohne ihn mit den Kindern zurechtkäme.“ Esmies Stimme klang jetzt kräftiger und fröhlicher. Bilbo lächelte in den Kamin, dann schaute er über seine Schulter zu ihr zurück. Die Schwermut in ihrem Gesicht war abgeklungen, wenn auch noch nicht völlig verschwunden. „Ich schwöre, manchmal vergesse ich, dass er nicht einer von unseren ist. Merle und Merry könnten sich keinen liebevolleren älteren Bruder wünschen.“

„Ja, wie geht es meinem Jungen? Ich liebe seine Briefe, aber ich weiß, dass er mir nichts über die Blessuren erzählt, die er davonträgt.“ Bilbo kam zu seinem Sessel zurück und ließ sich hineinfallen, bereit für eine fröhlichere Unterhaltung. Er hatte Frodo nicht mehr gesehen, seit der Junge sechzehn geworden war, obwohl sie mehrmals im Monat Briefe wechselten. Bilbo unterdrückte einen Stich der Schuld, dass er Brandyschloss nicht öfter besucht und kein besseres Auge auf Gilda und Frodo gehabt hatte.

„Na ja, er ist jetzt ein Zwanziger, was bedeutet, dass er alles in der Küche aufisst, dass ihn nicht zuerst verschlingt. Er kann ein bisschen patzig sein den Erwachsenen gegenüber, wenn sie ihn nicht tun lassen, was er will, er ist vernarrt in seine kleinen Vettern und er ist ständig in Schwierigkeiten.“ Esmie begleitete all dies mit einem fröhlichen Grinsen, so dass Bilbo nicht allzu besorgt war über die Sache mit den ,ständigen Schwierigkeiten’. „Er kommt mit der Größe von der Tukseite der Familie, die Sturheit hat er von der Brandybockseite und sein Geschmack für Abenteuer kommt von den Beutlins.“ Esmie starrte spöttisch in Bilbos Richtung. Er grinste nur um seine Pfeife herum zurück und wackelte mit den Zehen.

„Also, was hat der Lausebengel angestellt?“ fragte Bilbo gutgelaunt. Ihr gemeinsamer Geburtstag war in zwei Wochen, und er hatte vor, so lange zu bleiben. Er würde neunundneunzig werden, und Frodo einundzwanzig. Bilbo hatte sich ein ziemlich ungewöhnliches Geburtstagsgeschenk für seinen jungen Vetter ausgedacht, und es hörte sich so an, als sei der richtige Augenblick dafür gekommen.

„Maggot von den Marschen kam vor nicht allzu langer Zeit mit einem Korb voller Pilze vorbei. Er sagte, dass der junge Herr Frodo seine Pilzplantagen vielleicht nicht mehr so oft ausräubern würde, wenn er uns reichlicher beliefert.“ Sie lachte und schüttelte den Kopf. „Er wollte mich auch wissen lassen, dass er dem Jungen eine ordentliche Tracht Prügel gegeben hat, um ihn an den Respekt vor der harten Arbeit anderer Leute zu erinnern.“ Bei dieser Neuigkeit runzelte Bilbo die Stirn. Verdient oder nicht, er hielt nichts davon, ein Kind zu schlagen. „Aber keine Sorge, Maggot war nicht wütend. Wirklich, er war ziemlich beeindruckt von Frodos unerschrockener Jagd nach Pilzen. Er hofft nur, dass sich seine Energie auf nützlichere Bestrebungen lenken lässt.“

„Sara und ich haben es in den letzten zwei Jahren wirklich übernommen, uns um Frodo zu kümmern, seit Gilda so krank geworden ist. Rory ist vernarrt in unseren Jungen und Gilda liebt ihn sehr, aber er kann eine ziemliche Handvoll sein, und sie haben nicht das Herz, ihm ,Nein’ zu sagen. Er will nie etwas Falsches tun, abgesehen von dem üblichen Zwanziger-Blödsinn, aber er braucht mehr Führung, als sie ihm geben können. Er und Sara sehen die Dinge nicht immer auf die selbe Weise, fürchte ich, vor allem, da Rory den Jungen ziemlich hat verwildern lassen seit...“ Esmies Stimme erstarb sachte, da sie nicht über das Ertrinken reden wollte.

Bilbo dachte ein wenig über diese Worte nach. „Nun, Esmie, du weißt, dass ich sehr hoch von ,unserem Jungen’ denke, wie du ihn nennst. Es gibt nicht mehr viel, was er hier in Bockland ordentlich lernen kann. Wenn er sich langweilt, Pilzbeete ausräubert und nicht auf seine Manieren gegenüber Sara achtet, da war er wieder, der wunde Punkt, „dann ist es vielleicht Zeit für ihn, nach Hobbingen zu kommen, damit ich mich um ihn kümmern kann. Es klingt, als hättest du mit Gilda und den Kindern alle Hände voll zu tun. Sara und Mac müssen für Rory und für Bockland sorgen. Du weißt, ich würde nichts lieber tun. Ich hätte gern, dass er mit zu mir nach Hause kommt, wenn ich Ende des Monats nach Hobbingen zurückgehe.“

Esmie warf ihm einen eigenartigen Blick zu; die Art, an die er sich so ziemlich gewöhnt hatte als ein alter Junggeselle mit exzentrischen Angewohnheiten. Er achtete darauf, dass sein Gesicht fröhlich blieb. Nicht du auch noch, Esmie. Sie schüttelte leicht den Kopf. „Frodo ist mir keine Last, Bilbo; wenn überhaupt, dann ist er eine große Unterstützung. Die Kinder lieben ihn, und er ist immer geduldig und hilfsbereit, wenn es um sie geht. Gilda hängt sehr an ihm, weißt du. Prim war für sie wie eine kleine Schwester, und der Junge ist ihr so teuer wie nur irgendeiner ihrer Enkel...“ Bilbo sah, wie sie leicht die Augen abwandte, „und alle Jungen in den Zwanzigern streiten sich mit ihren Vätern, deshalb ist es nicht überraschend, dass Frodo und Sara...“

„Sara ist nicht sein Vater.“ Das kam schroffer heraus, als er es beabsichtigt hatte, also nahm sich Bilbo ein wenig zurück und überschüttete seine nunmehr verärgerte Base mit Freundlichkeiten. „Und ich bin sicher, wäre Sara nicht so besorgt um Gilda,“ oder wenn er auf irgend etwas anderes achten würde als auf Bier, „dann hätte er mehr Kraft auf diesen ungezogenen Vetter zu verschwenden. Und wenn er sich nicht darum sorgen müsste, dass Frodo sich benimmt, dann könnte er Rory mehr unterstützen. Es wird Zeit, dass er sich darauf konzentriert, die Pflichten des Herrn zu lernen.“ Das war so ziemlich das Äußerste an Großzügigkeit, was Bilbo für Saradoc Brandybock übrig hatte.

„Nebenbei, Esmie,“ jetzt warf er ihr einen vorwurfsvollen Blick zu, „während er eine große Hilfe für dich sein mag, ist es doch nicht gerecht, einem Jungen der so helle und wissbegierig ist wie Frodo, die Gelegenheit zu verweigern, mehr Dinge zu lernen, als er in Bockland herausfinden kann, und auch, dass bestimmte Leute im Auenland auf ihn aufmerksam werden. Ich denke, unser Junge hat eine ziemlich eindrucksvolle Zukunft vor sich, und es wird nötig sein, dass er noch als etwas anderes bekannt wird als nur der ,Lausebengel von Bockland’, wenn er dieses Versprechen erfüllen soll. Er muss ins Auenland umziehen, wo man ihn sehen und kennen lernen kann.“

Esmie sah nicht überzeugt aus. „Er muss auch respektabel sein, Bilbo, und mit dir in Verbindung gebracht zu werden ist nicht der schnellste Weg dorthin.“ Wieder starrte sie ihn bedeutungsvoll an. Einen Moment lang studierte Bilbo seine Pfeife, sehr darum bemüht, sich nicht über Esmie zu ärgern.

„Jetzt komm, Esmie,“schmeichelte er, als er seine Verstimmung bemeistert hatte, „mein Ruf, ich sei so verrückt wie der Tag lang, ist reichlich übertrieben, wie du sehr wohl weißt.“ Er schenkte ihr sein einnehmendstes Lächeln. „Und ich bin seit fast fünfzig Jahren nicht mehr auf Abenteuerfahrt gewesen! Na ja, das Wagemutigste, was ich heutzutage tue, ist quer durch das Auenland zu wandern, um meine Bockländer Verwandten zu sehen!“ Er lächelte breit und stählte seinen Willen, um nicht zornig auf sie zu werden. Sie sah nicht sehr beschwichtigt aus, Zeit, die Taktik zu ändern. „Aber genug davon – Frodos Zukunft wird warten. Was tut er jetzt sonst noch, außer Maggot Schwierigkeiten zu machen? Wer sind seine Freunde? Hat er sich schon in irgend ein rotwangiges Mädel verguckt?“ Er war nicht auf den bestürzten Ausdruck vorbereitet, der über Esmies Gesicht huschte. „Esmie, was ist los?“

Sie stand auf und ging zur Zimmertür hinüber, um zu überprüfen, wer sich im Flur befand. Bilbo konnte schwach gedämpfte Stimmen und das Geklapper von Geschirr hören. Andere nahmen ebenfalls ihren Nachmittagstee, und kaum jemand lief herum. Sie machte die Tür fest zu und begann, langsam durch den Raum zu gehen. Endlich blieb sie dicht vor dem Kamin stehen, drehte sich um, lehnte sich gegen den Sims und sah ihn an.

„Tatsächlich habe ich daran gedacht, ihn zu Pal zu schicken. Das wird ihn ins Auenland bringen und ihm erlauben, bekannt zu werden. Pal wird darauf schauen, dass die Dinge respektabel sind. Ich glaube wirklich, dass ich das tun sollte. Vielleicht Anfang des nächsten Jahres.“ Sie warf ihm einen herausfordernden Blick zu. Ihn zu Pal schicken. Man würde mir niemals erlauben, Frodo zu sehen, und das weiß sie.

Bilbo versuchte, sich nicht um Pals Kälte ihm gegenüber zu kümmern. Immerhin, mit Rums ziemlich skandalösen Possen zurechtzukommen, war eine von Pals weniger angenehmen Pflichten als Erbe des Thains. Pal war ein mürrischer Bursche, aber besonnen und Eglantine und ihren drei kleinen Mädchen sehr ergeben. Die meisten Leute unten im Tukland wussten, dass sie mit ihren Kümmernissen zu Pal gehen mussten, anstatt sich um Rum zu scheren. Es war beinahe die entgegengesetzte Lage wie hier in Bockland, wo man sich wünschte, die Söhne des Herrn wären im Alter vertauscht, oder dass Rory niemals starb. Wenigstens hat Rory Mac. Niemand war Pal eine große Hilfe, wenn es um Rum ging. Pal mochte nichts, das seltsam oder fremdartig war. Anders als die meisten Thains konnte Pal Gandalf nicht leiden, und er hatte den Zauberer angewiesen, sich nicht mehr auf der Türschwelle der Groß-Smials blicken zu lassen.

Was einfach deutlich machte, wie falsch es sein würde, Frodo zu Pal und Eglantine zu schicken. Pal würde Frodos Neugier nicht schätzen und dem Jungen jeden Kontakt mit Bilbo verbieten, oder mit irgend einer anderen interessanten Person. Alles, was er jemals sehen würde, waren seine öden Vettern und die ganz und gar nicht abenteuerlustigen Bauern im Südviertel. Pal konnte mit dem Jungen nicht viel anfangen, nicht mit all den Thainspflichten und der Aufsicht seiner ausgedehnten Pflanzungen in Weißbrunn, südlich von Buckelstadt, und Eglantine hat alle Hände voll mit den Mädchen zu tun. Es war nicht gerade etwas Neues, dass sie so lange noch mehr Kinder bekommen würden, bis sie einen Sohn hatten. Dort würde es nicht besser sein als im Brandyschloss, wie Esmie ganz genau wusste. Sie war selbst dort aufgewachsen und wusste, was für ein Karnickelbau das war.

Auch hatte Bilbo den Verdacht, dass Pal keine Skrupel haben würde, Frodo’s Erbteil einzufordern, selbst wenn ihm sonst nicht sehr viel an dem Jungen lag. Drogo war ein in Gelddingen einigermaßen gut gestellter Edelhobbit gewesen (Bilbo hatte dafür Sorge getragen) und Prim hatte noch einigen Anteil am Erbe ihrer Mutter. Im Brandyschloss bewachten Rory und Gilda dieses Erbe. Pal würde auch keine Skrupel haben, die Mittel zu kontrollieren, die ihm in die Hände fielen, während Frodo noch minderjährig war. Eglantine war noch schlimmer. Die Leute waren überrascht gewesen, als diese mäuschenhafte Frau aus einer unbedeutenden Familie den Erben des Thain für sich gewann, aber Bilbo wusste, dass sie große Pläne hatte.

Er erlaubte sich, etwas mehr von seinem wachsenden Zorn zu zeigen. „Sag mir, wieso würdest du ihn in den nächsten Karnickelbau schicken, wo er nichts weiter ist als noch ein Gesicht in einem Rudel schlecht überwachter Zwanziger, die herumlaufen und Ärger machen? Pal und Eglantine haben keine Zeit für ihn. Das klingt nicht nach einer sehr guten Situation für Frodo.“ Er ließ ihren Blick nicht los. „Habe ich wirklich einen so – verderblichen – Einfluss?“

„Ich möchte nicht, dass er ermutigt wird.“

Bilbo konnte sehen, in welche Richtung diese Unterhaltung steuerte, und sein Zorn verwandelte sich sehr schnell in etwas, das Smaugs Raserei über ein bestimmtes fehlendes Stück aus seinem Hort ähnelte. „Und würde es dir etwas ausmachen, mir klar und deutlich zu erklären, was es ist, wozu ich ihn ermutigen würde?“ fragte er in einem leisen, gefährlichen Tonfall, den er Gandalf bei nur einigen wenigen Gelegenheiten hatte benutzen hören.

Wenigstens hatte Esmie soviel Anstand, zu erröten und verlegen dreinzuschauen. „Frodo ist immer noch ein Junge, und leicht zu beeindrucken. Es muss respektable Leute um sich haben und lernen, selbst ein respektabler Edelhobbit zu sein. Er verkuckt sich überhaupt nicht in irgend ein Mädchen,“ sagte sie endlich, starrte auf den Teppich und vermied es, seinem Blick zu begegnen, „und er verbringt zuviel Zeit mit... mit... anderen Jungs.“ endete sie lahm. „Der falschen Sorte Jungs. Sara und ich sind beide der Ansicht, dass er die Gesellschaft dieser Jungen ein bisschen zu sehr genießt.“ fuhr sie hastig fort, wobei sie noch immer auf den Teppich starrte. „Er braucht Vorbilder, respektable Vorbilder, nicht einen Ort, an dem Fremde und seltsames Volk die ganze Zeit ein- und ausgehen. Ein Platz mit einem anständigen Ehepaar. Ich dachte, es könnte gut für ihn sein, bei respektablen Verwandten zu leben und mehr junges Volk kennenzulernen, ein paar neue junge Damen, die vielleicht besser sind als die hier in Bock...“Ihre Worte wurden abrupt von Bilbos festem Griff um ihr Kinn abgeschnitten, der sie zwang, aufzuschauen und seinem ablehnenden Blick zu begegnen.

„Lass uns Klartext reden, Base. Deine Annahme, dass du weißt, mit welcher Art von Person ich mein Bett teile oder auch nicht, macht mich wütend, und deine Andeutung, ich würde mich in lüsterner Weise an irgendeinem Kind vergreifen, macht mich krank.“ sagte er mit einer Stimme, die wenig mehr war als ein Flüstern. „Die größte Beleidigung aber, die, die mich am meisten abstößt, ist, dass dir in Wahrheit so wenig an ,unserem Jungen’ liegt. Weil ich nicht respektabel bin, würdest du ihn in den Groß-Smials den Wölfen vorwerfen, damit er sich alleine durchschlägt? Ist Respektabilität so wichtig für dich, dass du ihm alles verweigern würdest, was ich ihm zu bieten habe?“

Bilbo drehte sich auf dem Absatz um und verließ das Zimmer.


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