Sing mich nach Haus (Sing me home)
von shirebound, übersetzt von Cúthalion

Kapitel 3:
Herr der Winde

Weiß war das Schiff, und es dauerte lange, es zu bauen.
(Das Silmarillion)

Frodo fand es interessant zu sehen, dass Sam anscheinend eine sehr ernste Unterhaltung mit Elrond, Gandalf und Galadriel hatte; was auch immer er ihnen erzählte, es schien ihnen sehr wichtig zu sein. Als er und Círdan näher kamen, hörte Sam allerdings abrupt auf zu reden und wandte sich Frodo mit einem Lächeln zu.

„Ist das nich’ ein aufregender Ort, Herr Frodo? Und die ganze Zeit so dicht am Auenland!“ Er seufzte. „Mir tut bloß der Grund leid, warum wir ihn seh’n.“

„Ich weiß, Sam.“ Frodo hielt ihm die Hand hin. „Kommst du mit uns? Das ist Círdan, und er wird mir das Schiff zeigen, das er für uns gebaut hat.“

Sam verbeugte sich vor dem hochgewachsenen Elben. „Ist mir eine Ehre, dich zu treffen, Herr.“

„Die Ehre ist ganz meinerseits, Samweis.“

Hand in Hand begleiteten die beiden Hobbits den großen Elben durch die kleine Hafenstadt, gefolgt von einer stetig wachsenden Menge. Ihre Augen weiteten sich angesichts der Zahl schöner Schiffe, groß und klein, die am Anleger warteten – aber sie schrumpften alle zu Zwergengröße im Vergleich mit dem riesigen, schneeweißen Gefährt, bei dessen Anblick Frodo der Atem stockte. Es wirkte zur selben Zeit uralt und brandneu, und jede Rundung und Linie war voller Grazie. Als sie näher herankamen, mussten die Hobbits den Kopf in den Nacken legen, um am Bug des Schiffes entlang immer weiter hinauf zu schauen. Sie sahen, dass zarte Silberbänder – oder vielleicht war es Mithril – zu Bildern von Blättern, Sternen und Wasserfällen verwoben waren und in Abständen den Rumpf schmückten, so dass das gesamte Schiff in der späten Nachmittagssonne glitzerte und funkelte.

Sam war sprachlos vor Staunen, und Frodo brauchte ein paar Augenblicke, um seine Stimme wiederzufinden. Ohne seine Augen von dem Schiff zu nehmen, wandte er sich an Círdan, der hinter ihnen stand.

„Du... Círdan, das hast du gebaut? Wie baut man denn nur so etwas Wunderschönes?“

Der Elb lächelte freudig. „Wir haben lange Jahre daran gearbeitet, es zu voller Schönheit zu bringen.“

„Ich hätte mir nie träumen lassen, dass irgendein Schiff so schön sein könnte.“ Frodo seufzte. „Hat es einen Namen?“

„Du wirst ihm den Namen geben, Frodo.“

„Ich?“ Frodo drehte sich verblüfft zu dem Elben um, dann sah er, dass sich eine große Menge zu einem Halbkreis um Círdan versammelt hatte und wartete. Sie warteten auf ihn.

„Frodo,“ sagte Círdan leise und kauerte sich auf Augenhöhe des Hobbits nieder, „wo immer im Segensreich du auch hingehst, du wirst bekannt und geachtet sein, und man wird dir geben, was immer du auch brauchst. Ich möchte dich ebenfalls ehren, jetzt, da du deine Reise nach Hause beginnst.“

„Nach Hause,“ murmelte Frodo. Tränen schossen ihm in die Augen.

„Ja.“ Círdan lächelte ihn an. „Du wirst es bald verstehen. Ich muss dich das fragen – fühlst du dich bereit zu segeln?“

„Ja.“ flüsterte Frodo. „Ich bin jetzt soweit.“

„Dann würde ich gerne dich und mein Schiff ehren und dich bitten, ihm seinen Namen zu geben.“

„Ich...“ Frodo zauderte und schaute in die lächelnden Gesichter rings um sich her. „Mein Elbisch ist nicht...“

„Die Sprache spielt keine Rolle, Es ist der Geist und die Bedeutung, die den höchsten Wert besitzen.“

Frodo blickte zu Gandalf auf, der ihm zunickte. Círdan erhob sich und trat zurück; er gesellte sich zu dem Halbkreis von Zuschauern und ließ Frodo und Sam allein. Sam versuchte, sich ebenfalls zurückzuziehen, aber Frodo hielt seine Hand fest.

Frodo wischte sich mit der freien Hand die Augen und drehte sich um, damit er das weiße Schiff betrachten konnte. Was für einen Namen konnte er ihm geben? Er hoffte, dass diese Reise ihn aus Erschöpfung und Schmerz forttragen würde zur Heilung... es war ein Bild der Hoffnung...

Plötzlich drückte Frodo Sams Hand ganz fest und wandte sich zu der wartenden Menge zurück.

„Sein Name ist Gwaihir.“ Er blickte zu Círdan auf und erwartete halb und halb, das der Elb lachen würde.

„Herr der Winde.“ sagte Círdan anerkennend. „Ein nobler Name für ein nobles Gefährt, Frodo. Wie bist du darauf gekommen?“

Frodo schaute Gandalf an. „ich erinnere mich nicht an den Herrn der Adler, der Sam und mich aus dem Feuer gebracht hat; die Erinnerung an diese Reise ist auf ewig für mich verloren.“ Er wandte sich zu Círdan zurück. „Der Anblick dieses Schiffes hebt mich einmal mehr aus der Verzweiflung in die Hoffnung, und an diese Reise werde ich mich erinnern. Oder...“ Frodo zauderte. „Ich werde mich an soviel davon erinnern, wie ich kann.“

„Nun nun, Herr Frodo,“ meinte Sam beruhigend, „diese Leute werden gut auf dich aufpassen.“

Elrond trat vor. „Frodo,“ sagte er sanft, „wir wissen, du machst dir Sogen darüber, dass du in ein paar Tagen krank werden könntest. Es mag sein, dass dem so ist – aber wir werden alles tun, was wir können, um dir zu helfen.“

„Oh Sam,“ Frodo seufzte. „Ich bin an so viel Aufhebens nicht gewöhnt. Hast du es jedem erzählt?“

„Bloß dem Herrn Elrond, und Gandalf, und der Herrin,“ entgegnete Sam und wurde rot, „und vielleicht Gildor und... und noch ein paar anderen.“ Er hielt noch immer Frodos Hand in der seinen, und jetzt nahm er kühn auch die andere. „Ich werd nicht da sein, um mich um dich zu kümmern, Herr, aber all diese feinen Leute werden es sein, gar kein Zweifel.“

Frodo seufzte schwer, dann lächelte er erleichtert. „Lieber Sam.“

Die Menge zerstreute sich, während jedermann zu seiner gewählten Aufgabe zurückkehrte. Elrond, Círdan, Gandalf und Galadriel bewegten sich zur Seite und standen dort beisammen.

„In vielen Zeitaltern habe ich keinen strahlenderen Geist in einem Sterblichen gesehen,“ murmelte Círdan. „Konnte ihn sein eigenes Volk denn nicht erkennen?“ Er schüttelte verblüfft den Kopf. „Vielleicht haben diejenigen, die eine Kostbarkeit nicht zu schätzen wissen, es verdient, sie zu verlieren.“

„Samweis erkennt ihn wirklich,“ sagte Gandalf leise, „aber wenige andere, fürchte ich. Und da wir gerade von anderen reden...“ Er brach ab und lächelte liebevoll den zwei Hobbits entgegen, die auf ihren Ponys wie verrückt durch die Tore geritten kamen.

Frodo hatte kaum Zeit, den Wirbelwind wahrzunehmen, der Pippin war, bevor er von seinem Vetter an sich gezogen und fast ins Wasser gestoßen wurde.

„Schon einmal hast du versucht, uns zu entwischen, Frodo, und es nicht geschafft.“ Pippin umarmte seinen Vetter mit einem Lachen, obwohl er gleichzeitig weinte.

„Pippin,“ seufzte Frodo und hielt ihn fest an sich gedrückt. „Oh Pip.“

Nachdem Pippin sich verabschiedet hatte, riss Merry seinen Blick vom Meer und dem Schiff los und kam an Frodos Seite. Ohne ein Wort trat Pippin zurück und Merry nahm seinen Platz ein. Er schloss Frodo ein letztes Mal in die Arme.

„Merry...“ schluchzte Frodo.

„Frodo,“ sagte Merry leise, sein Gesicht tränennass, „eine gute, sichere Reise. Ich hoffe, du findest alles, was du brauchst, um glücklich zu sein.“ Er schaute zu Gandalf auf, der bei ihnen stand. „Sorg dafür, dass sie ihm zu essen geben, Gandalf. Du weißt Bescheid über Hobbits.“

„Niemand kennt sie besser, mein Freund.“ sagte der Zauberer mit einem sanften Lächeln.

Merry gab Frodo widerstrebend frei, und Frodo sah, dass die Elben anfingen, an Bord zu gehen. Elrond hielt Bilbo in den Armen. Círdan umarmte jeden, der an Bord ging, und er fing Frodos Blick ein.

„Kommt,“ sagte Gandalf leise. Er führte Merry und Pippin ein kurzes Stück zur Seite.

„Sam,“ flüsterte Frodo. Er spürte eine Hand, die sich von hinten auf seine Schulter legte. Dann wirbelte er herum und fiel Sam in die Arme. „Sam...“

Sam umarmte Frodo und ließ seinen Tränen freien Lauf. „Du musst überhaupt nichts sagen, Herr. Ich weiß schon.“

Ein auffrischender Wind blies durch ihre Haare, und sie wussten beide, dass es Zeit war.

„Geh schon.“ Sam blickte in die schönen, blauen Augen, in das Gesicht des Herrn, den er sein ganzes Leben hindurch geliebt hatte, bis an die Schwelle des Todes und wieder zurück. „Geh schon, Herr. Sie werden gut für dich sorgen...“ Er lächelte unter Tränen. „... bis ich dich vielleicht irgendwann wiederseh.“

„Bis dann, Sam.“ Frodo seinerseits prägte sich jeden Zoll von Sams liebem Gesicht ein – oder wenigstens das, was er durch die Tränen sehen konnte, die ihm den Blick verschleierten. „Lieber Sam. Bis dann...“

*****

„Ich nehme an, dass ich dich niemals wiedersehe.“

Círdan kniete am Fuß der Rampe, die zum Schiff hinaufführte und nahm Frodo für einen langen Augenblick in die Arme.

„Ich weiß es nicht, Frodo, aber ich bin glücklich, dass wir uns begegnet sind.“

„Ich danke dir.“ flüsterte Frodo.

„Erinnere dich daran, was ich gesagt habe.“ Círdan sprach leise. „Dein Zuhause ist der Ort oder die Person, die das Lied singt, das wir erkennen, und das uns erkennt.“ Er stand auf und legte seine Hände auf Frodos Kopf. „Mögen die Sterne über dir leuchten, Frodo Beutlin. Reise mit einem guten Wind und mit leichtem Herzen.“

Frodo wischte sich die Augen und holte tief Atem, dann ging er die Rampe hinauf und an Bord.

„Ablegen!“

Frodo stand an der Reling und hielt sich daran fest, während das Schiff begann, sich langsam vom Kai zu entfernen. Die Menge der Elben an Land erhoben ihre Stimmen zu einem Lied des Abschieds und von neuen Anfängen.

Frodo sah Sam, Merry und Pippin Arm in Arm beisammen stehen und ihn beobachten. Wie konnte er ihnen zeigen, wie sehr er sie liebte... wie viel sie ihm bedeuteten... Mit sicherer Hand zog er die Phiole aus seiner Brusttasche und hielt sie hoch.

Als Frodo sich selbst mit der Liebe erfüllte, die er für seine Freunde, für das Auenland und für Mittelerde empfand, flammte die Phiole in einem so strahlenden Glanz auf, dass viele Elben am Ufer und die meisten der Elben an Bord davor auf die Knie fielen. Als das Licht von Eärendils Stern auf ihre Gesichter schien, begannen die Reisenden mit einer Stimme zu singen und Frodo stellte fest, dass er mitsang... er sang Worte, die er nicht kannte, aber sie kamen ihm leicht über die Lippen, solange die Musik andauerte.


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