Sing mich nach Haus (Sing me home)
von shirebound, übersetzt von Cúthalion

Kapitel 4:
Die gekrümmte See

„Dieses Schiff war schön und wundersam gemacht, und es war erfüllt von einer flackernden Flamme, rein und hell.“
Das Silmarillion

Frodo starrte Elrond voller Bestürzung an.

„Wenn er es mir gesagt hätte... wenn ich es gewusst hätte...“

„Er zog es vor, dass du es nicht weißt, Frodo.“ Elrond lächelte den entsetzten Hobbit an. „Círdan wollte nur als Freund mit dir reden.“

„Aber...“ Frodo schaute einmal mehr zu dem strahlenden, funkelnden Licht tief am Abendhimmel hinüber. „Er baute... er...“

„Das hat er.“ Elrond legte seinen Arm um den Hobbit und folgte seinem Blick. „Man sagt, Vingilot sei das schönste Schiff, das je gebaut wurde – geheiligt von den Valar, wird es in unendlicher Fahrt durch die Himmel und über weglose Abgründe gesteuert.“

„Von Eurem Vater,“ murmelte Frodo ehrfürchtig.

Frodo konnte es noch immer nicht wirklich ganz und gar fassen. Der freundliche, sanfte Elb, der mit ihm Freundschaft geschlossen hatte – Círdan von den Anfurten, ein einfacher Schiffsbaumeister, hatte er gesagt - hatte das Schiff erbaut, das durch die Himmel über ihnen segelte, mit Eärendil selbst am Steuerruder? Eärendils Stern – der einzige Silmaril, der jemals wieder gesehen werden würde – war in eben der Phiole eingefangen, die ihn durch eine unvorstellbare Finsternis geleitet hatte. Er schauderte in plötzlicher Kälte zusammen und ließ es dankbar zu, dass Elrond ihm eine Decke umlegte.

„Weiß er, dass Ihr kommt? Eure Mutter, weiß sie es?“

„Ich bin mir dessen sicher.“ sagte Elrond ruhig. „Círdan sammelt und schickt Neuigkeiten durch viele Quellen, und ich habe keinen Zweifel, dass sie es wissen.“ Er lächelte den Hobbit an. „Genau wie sie wissen, dass du kommst.“

Frodo seufzte. Das war eine viel zu große Idee, um auch nur darüber nachzudenken.

„Erinnert Ihr euch an sie?“

„Nicht sehr gut,“ murmelte Elrond, „aber ich werde sie erkennen.“

„Und Eure Frau,“ flüsterte Frodo, „werdet Ihr endlich bei ihr sein?“

„Ja,“ sagte Elrond leise. „Endlich.“

Elrond, Frodo und Gildor saßen zusammen am Bug des Schiffes und hielten sich an den sorgsam gespannten Tauen fest; sie waren das Einzige, das sie davor bewahrte, von dem Schiff tief hinunter in das dunkle Wasser zu fallen. Frodo liebte diesen Ort, und er kam oft, um in endlosem Entzücken den endlosen, ausgelassenen Sprüngen freundlichen Fische zuzuschauen, den Schaum zu beobachten, den der Schiffsrumpf aufwirbelte, und das Meer selbst, singend und beruhigend und immer wieder anders. Tag für Tag wurde er es niemals müde, zu schauen, zu lauschen und sich von der Gegenwart der See beruhigen zu lassen. Bilbo schloss sich ihm zuweilen an, oder einer oder zwei von den Elben, die das Schiff durchstreiften, eine immerwährende, sternenstrahlende Freude in den Augen. An diesem Abend waren Elrond und Gildor gekommen und hatten sich zu ihm gesetzt.

„Wie ist Tol Eressëa?“ fragte Frodo.

„Man sagt, es sei ein Ort der Wunder,“ meinte Gildor, „mit Gärten und Blumen, und Städten von großer Schönheit und Frieden. Man kann das Licht von Aman in all seinem Glanz sehen und spüren, wie es durch den Calacirya leuchtet, und es badet die Insel und erhebt jedes Herz zu einem Lied.“

„Aman wäre zu hell für mich, oder?“ wollte Frodo wissen und seufzte.

„Ja, Frodo, das wäre es wohl,“ sagte Elrond sanft, „wenigstens zuerst. Aber zur Gesegneten Insel darfst du – und andere Sterbliche – sicher reisen, und dort in Frieden leben.“

„Die Elben von Tol Eressëa werden dich mit Freuden willkommen heißen,“ versicherte Gildor Frodo. „Sie werden entzückt sein, mit dir zur reden, vor allem jetzt, da deine Sprache jeden Tag flüssiger wird.“

„Ich bezweifle, dass viele im Segensreich die Allgemeine Sprache sprechen!“ Frodo lachte fröhlich. „Ich lerne gerade noch rechtzeitig mehr Elbisch!“

Frodo hatte darauf bestanden, dass die Elben damit aufhörten, in der Allgemeinen Sprache mit ihm zu reden, es sei denn, dass es dringend nötig war. Sein Elbisch war nie so gut gewesen wie das von Bilbo, nicht einmal bevor der lange Aufenthalt des alten Hobbits in Bruchtal es noch verfeinert hatte, aber er lernte rasch.

„Deine Aussprache ist sogar noch besser als damals, als wir uns begegnet sind,“ sagte Gildor. „ich habe diese Nacht niemals vergessen.“

„Ich auch nicht,“ sagte Frodo still. Wieder durchrieselte ihn ein Kälteschauer, und er zog die Decke enger um sich zusammen; er bemerkte nicht, dass Elrond ihn genau beobachtete. „Du wusstest es nicht, Gildor, aber ich glaube, dass deine Gegenwart und die deiner Gruppe den Ringgeist vertrieben hat, der uns verfolgte.“

„Ich habe gespürt, dass du verfolgt wurdest, Frodo. Zu wissen, dass einer der Ringgeister in der Nähe war, muss...“

Ringgeister. Verfolgt. Gildors Worte verklangen, als Frodo spürte, wie sein Blick abwärts gezogen wurde, hinunter in das schäumende, wirbelnde Wasser. Er hatte den Fluss endlich durchquert, aber der Bruinen strömte krachend dahin... er würde ihn gemeinsam mit den Ringgeistern davon tragen, aber das war gut so. Er war so müde... müde, Widerstand zu leisten und zu kämpfen, er war die Schmerzen müde und die Kälte... Nein, er musste kämpfen, es gab noch Hoffnung. So kalt...

„Frodo?“ Gildor bemerkte plötzlich, dass Frodos Gesicht unvermittelt sehr bleich geworden war, und dass er wie gebannt ins Wasser hinabstarrte, beinahe in einer Art Trance gefangen. „Frodo, hörst du mich?“

„Gildor, finde Mithrandir und Galadriel und bring sie in Frodos Kabine,“ sagte Elrond rasch. Während Gildor auf die Füße sprang und davoneilte, nahm Elrond das Kinn des Hobbits in eine Hand und schaute besorgt in blaue Augen, die plötzlich verängstigt und blicklos waren.

Frodo rang nach Luft, als ihm klar wurde, dass eine schattenhafte Gestalt sich über ihn beugte. Sie konnten Ihn nicht haben, nein, sie würden Ihn nicht bekommen... Einer von ihnen hielt ihn fest und rief wieder und wieder seinen Namen... Woher kannten sie seinen Namen? Er musste entkommen!

Elrond hätte Frodo beinahe losgelassen, als er versuchte, sich von der Decke zu befreien, die ihn behinderte. Aus Angst, er könnte über Bord fallen, legte der Elbenherr beide Arme um den sich wehrenden Hobbit und versuchte ihn zu beruhigen; aber es war offensichtlich, dass Frodo ihn nicht erkannte und nicht länger wusste, wo er sich befand.

„Nein, nein...“ flüsterte Frodo gebrochen, „nicht... bitte...“ Plötzlich umklammerte er schmerzvoll seinen linken Arm. Er versuchte zu schreien, aber die schäumenden, dunklen Wasser zogen ihn in die Tiefe...

Elrond erhob sich, den gequälten Hobbit sicher in den Armen. Er überquerte vorsichtig das Deck und stieg die edelsteinbesetzte Wendeltreppe hinunter, die nach unten zu den Schlafkabinen führte. Die Elben, an denen er vorüber kam, erkannten bestürzt, dass der hoch geachtete Ringträger, der immer lachte und ein klares Licht ausstrahlte, tatsächlich krank geworden war... so, wie man es befürchtet hatte.

*****

„Er hat ein Fieber, das ganz plötzlich kam. Er erkannte uns nicht länger, und er schien große, qualvolle Schmerzen zu leiden.“ Elrond hatte Frodo auf sein Bett gelegt und ihn in mehrere warme, dicke Decken gehüllt.

Gandalf nickte und drückte seine Hand auf Frodos Stirn; er fühlte sich tatsächlich heiß an, zitterte aber vor Kälte.

„Es ist gut, dass wir bei ihm waren,“ murmelte Gildor. Er stellte den Becher heißen Tee, den Elrond ihn vorzubereiten geschickt hatte, auf den Tisch. „Wir sind den ganzen Tag über in seiner Nähe geblieben, obwohl ich nicht glaube, dass er irgendwie Verdacht geschöpft hat. Als der Abend voranschritt, war ich voller Hoffnung, dass der Tag vielleicht ohne Zwischenfall vorübergehen würde.“

„Genau wie ich,“ sagte Gandalf zustimmend. „Aber es war in der Nacht, an diesem Datum, als ihn die Mogulklinge traf, und irgendwie trifft die Erinnerung an diese verfluchte Klinge ihn jetzt wieder.“

Galadriel setzte sich auf das Bett und steckte die Decken um Frodo fest, dann zog sie den halb bewusstlosen, derilierenden Hobbit in ihre Arme, wobei sie sanfte Worte murmelte.

Elrond saß neben ihr und langte in Frodos Hemd, um die Kette herauszuziehen, an der Edelstein seiner Tochter hing. Er schloss eine von Frodos Händen darum, und der Hobbit seufzte und wurde weniger ruhelos.

„Weiß er, was das ist?“ fragte Galadriel und deutete auf die Kette.

„Ich glaube nicht,“ erwiderte Elrond. „Dieses kleine Stück Valinor hat sein Lied langsam durch Frodos Wesen gewebt.“ Ein kleines Lächeln spielte um seine Lippen. „Ich war überrascht, dass Arwen sich davon trennen konnte, aber sie hat mir gesagt, dass sie und Aragorn gemeinsam ein neues Lied singen werden. Sie hat Frodo ein Geschenk gegeben, das kein Sterblicher sich jemals hätte vorstellen können.“

„Wenn er solchen Trost aus einem kleinen Juwel von den glitzernden Küsten Amans schöpft,“ sagte Galadriel leise, „dann wird er im Segensreich wahrhaft Freude kennen, wo er allezeit von genau der Kraft und dem Lied umgeben sein wird, dass er um den Hals trägt.“

Elrond nickte. „Ich zweifle, dass er – einmal frei von Mittelerde – jemals wieder Krankheit kennen wird – nur Frieden.“

„Was...“ Frodo öffnete langsam die Augen; er erschrak darüber, sich in den Armen der Herrin des Lichts wiederzufinden.

„Du bist in Sicherheit, Frodo,“ sagte Galadriel leise. „Bald wirst du dich wieder wohl fühlen.“ Sie nahm die Tasse, führte sie Frodo an die Lippen und brachte ihn dazu, dass er trank.

„Danke, Herrin,“ flüsterte Frodo. Seine Schulter schmerzte, und trotz der Decken war ihm kalt. „Mir war nicht klar, was für ein Tag es war.“ Er versuchte sich aufzusetzen und kämpfte gegen die Erschöpfung, die an ihm zerrte. „Es geht schon wieder, Ihr müsst nicht---“

„Frodo,“ sagte Gandalf beruhigend, „Einer von uns wird bis zum Morgen bei dir sein. Du bist keine Bürde, lieber Junge.“

Elrond nahm Galadriel den Becher ab und drängte Frodo, noch ein paar Mal zu nippen. „Lass dich vom Schlaf mitnehmen, Frodo, und fürchte dich nicht. Ich glaube nicht, dass irgendwelche Schatten dir in die Träume folgen, die unsere Lieder für dich weben werden.“

Frodo nickte und hörte auf, sich zu wehren; die Lider wurden ihm schwer. „Danke. Ich... dieser Tee ist sehr...“ Er seufzte und entspannte sich. Seine Augen schlossen sich flatternd, während er noch immer in den Armen der Herrin lag. Bald war er tief und fest eingeschlafen.

Gandalf ließ sich in einen Sessel sinken und betrachtete Frodo gedankenvoll.

„Ich bezweifle, dass er so krank wäre, wenn wir bis jetzt schon weit genug gesegelt wären, um den Geraden Weg zu erreichen... wenn überhaupt.“

„Das sehe ich auch so,“ sagte Galadriel. „Mittelerde gibt ihn nicht so leicht frei.“

„Wenn die See sich krümmt und wir die Reise fortsetzen...“ meinte Elrond nachdenklich.

„Man muss ihn vorbereiten,“ sagte Galadriel fest, „ebenso wie Bilbo.“

„Wir wissen noch immer nicht sicher, was geschehen wird,“ erinnerte ihn Elrond. „Man sagt, dass der Gerade Weg eine Reise ist, die sterbliches Fleisch ohne Hilfe nicht ertragen kann.“

„Das ist wahr,“ pflichtete ihm Gandalf bei, „aber Manwë hätte den uralten Bann nicht abgetan, ohne Vorkehrungen dafür zu treffen, dass die Zweitgeborenen ungehindert passieren können.“

Elrond berührte leicht Frodos Gesicht. Der Hobbit war noch immer fiebrig, aber er lag in erholsamem Schlummer.

„Ich werde bei ihm bleiben.“ sagte Galadriel leise.

„Genau wie ich,“ meinte Gildor. Er nahm Frodo aus den Armen der Herrin, legte ihn ins Bett und sorgte dafür, dass er gut zugedeckt war.

Als Elrond und Galadriel eine Weile hinausgingen, begann Galadriel ruhig von Valinor singen. Die Melodie war süß und beruhigend, und die besorgten Elben draußen vor der Tür zum Quartier des Ringträgers lächelten, als sie es hörten.


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