... und schwinden nicht dahin (Not fade away)
von Jael, übersetzt von Cúthalion



6. Kapitel
Der Weihnachtsmann und seine Elfen

In diesem Kapitel gönnen wir uns ein bisschen harmlosen Spaß, während Dale Toys die Weihnachtssaison einläutet

So wie Posey es verstand, war der Tag nach Thanksgiving bei Rivers Enterprises etwas Besonderes. Bei Dale Toys Company war es Tradition, einen Tag der offenen Tür zu veranstalten, mit dem Weihnachtsmann in der Eingangshalle, um die Weihnachtssaison zu eröffnen. Die meisten Mitarbeiter feierten Thanksgiving nicht, und sie waren damit beschäftigt gewesen, die Eingangshalle für die Ein-Tages-Angelegenheit am Freitag zu dekorieren.

Posey selbst, die keine Familie hatte, mit der sie die Feiertage hätte verbringen können, war am Donnerstag zur Arbeit gekommen. Der Spiel-Hintergrund hatte ein neues Level erreicht, noch eine weitere, unterirdische Höhle, wo dieses Mal die Reisegruppe gefangen genommen und von seltsamen Waldland-Wesen eingesperrt wurde. Die Höhle war labyrinthisch, mit einem Thronsaal, Festhallen, Kerkern und einem Keller mit einer Falltür; deshalb gab es für Posey jede Menge Hintergrundkunst zu tun. Es gab auch eine Waffenkammer, mit einer eindrucksvollen Sammlung tödlicher Waffen, und Posey hatte Leif gefragt, ob das wohl die Stelle war, wo sich der Schlüssel für diesen Level befand.

Leif hatte rätselhaft gelächelt und ihr gesagt, dass der Held seine Freunde befreien und sich den Weg aus der Höhle freikämpfen konnte, indem er den Führer dieser bösen Gefängniswärter tötete, jawohl. Er würde dadurch sogar dieses Level gewinnen, aber es würde Konsequenzen im letzten Level des Spieles haben, wenn das geschah.

Also hatte sie den Tag damit verbracht, an den Einzelheiten eines Weinkruges und eines Fasses zu arbeiten, bis sie beschloss, die Sache aufzugeben und sich den anderen im unteren Stockwerk anzuschließen, indem sie die Eingangshalle für die Festlichkeiten schmückte.

Ihre gemeinsamen Bemühungen waren die Sache wert. Die Eingangshalle sah aus wie ein verwunschener Wald, mit winzigen Lichtern, die in den Grünpflanzen hingen und einer zwölf Fuß hohen, dekorierten Fichte. Ein Thron für den Weihnachtsmann stand in der Nähe des Baumes, und ein Irrgarten von Seilen aus Samt war gespannt worden, um die Warteschlangen aufzunehmen. Posey freute sich darauf, die Veranstaltung selbst zu sehen.

Als sie um 8.00 Uhr am Freitagmorgen eintraf, waren die Schlangen schon lang, aber die Menge aus Eltern und Kindern, von Hal und den anderen Sicherheitsleuten dirigiert, war geduldig und benahm sich ausgezeichnet. Sie suchte sich ihren Weg zu einer langen Tafel auf einer Seite der Eingangshalle, wo Linda Kekse verteilte. Als sie ihrer Freundin einen guten Morgen wünschte, erhaschte sie ihren ersten Blick auf den Weihnachtsmann, der niemand anderes war als Aaron Rivers höchstpersönlich, das lange Haar weiß gepudert und mit einem falschen Bart. Und neben ihm, damit beschäftigt, die wartenden Kinder zu hüten, stand Leif.

Posey schnappte nach Luft. „Das ist aber mal ein Elfenkostüm!“

Linda lachte. “Ja, Leif nimmt seinen Job als oberster Elf des Weihnachtsmannes sehr ernst.”

Er trug enge Hosen, weiche Stiefel und eine lang geschnittene Jacke in Grün und Braun über einem Hemd mit hohem Kragen; sein Haar war aus dem Pferdeschwanz befreit und über seine Schultern drapiert. Er sah phantastisch aus, obwohl die Wirkung in gewisser Weise durch einen Vierjährigen verdeckt wurde, der sich an sein Bein klammerte, und ein Kleinkind auf seinem Arm.

Der ältere Bruder der beiden saß auf dem Schoß des Weihnachtsmannes und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Aaron sprach mit einem anderen Mann im Elfenkostüm, der neben dem Thron stand, und der gab ihm ein Päckchen, das er dem Kind überreichte.

„Wer ist denn das?“ fragte Posey – und lachte, als sie Glenn erkannte.

„Er sieht gut aus in Uniform, nicht wahr?“ sagte Linda mit einem Glucksen.

„Hat dieser kleine Junge da gerade ein Mikroskop bekommen? Verschenken die tatsächlich all diese Spielsachen?“ fragte Posey. „Wird das nicht entsetzlich teuer?“

„Einen Tag im Jahr können wir es uns leisten, großzügig zu sein,“ sagte Linda.

„Wer sind all diese Leute?“

„Wir haben die Obdachlosenheime, die Zufluchtshäuser für Opfer von häuslicher Gewalt und Missbrauch und die anderen sozialen Einrichtungen benachrichtigt, aber diese Veranstaltung steht jedem offen, der kommen möchte.“

„Nutzen nicht welche von denen die Sache aus? Ich sehe ein paar Eltern, die mir vorkommen, als könnten sie sich Geschenke für ihre Kinder mehr als leisten.“

„Aaron sagt, dass diese Kinder ein Beispiel der Großzügigkeit sogar noch mehr nötig haben als der Rest,“ sagte Linda. „Ein wenig Freundlichkeit ist nie verfehlt. Seltsamerweise sind diese Leute nie ein zweites Mal aufgetaucht.“

Posey kaute an einem Keks – es waren sehr gute Kekse – und sah der Prozession zu, die am Thron vorüberzog. Es war die Wahrheit. Jedes Kind ging mit einem Lächeln weg, egal was er oder sie geschenkt bekommen hatte. Nach dem Licht zu urteilen, das in Aarons Augen über dem Bart leuchtete, war es eindeutig, dass ihm die Sache Spaß machte, und der Ausdruck auf Leifs Gesicht, während er die Jüngeren auf dem Arm hielt, war der einer fast wehmütigen Freude.

„Schaut euch meine beiden Männer an – sie sind in ihrem Element.“

Posey drehte sich um und sah, dass Felice Rivers zu ihnen herüber gekommen war. Sie sah wunderschön aus, so wie immer, in einer Tunika und locker geschnittenen Hosen aus rotem Samt. Sie trug ihr Collier und ein winziges Namensschild, auf dem „Frau Weihnachtsmann“ stand.

„Leif sollte besser aufpassen,“ sagte Posey. „Dieses Baby wird gleich… Oh nein! Bitte sagen Sie mir, dass das kein echtes Leder ist, was er da trägt!“

„Es ist echtes Leder,“ sagte Linda lachend. „Aber Glenn wird das schon wieder herauskriegen. Glenn ist gut in solchen Dingen.“ Während sie noch sprach, hatte Glenn ein Handtuch hervorgezaubert und wischte damit geschäftig über Leifs Schulter, während das Baby zu einem grinsenden Weihnachtsmann weiter gereicht worden war, der es mit einer Rassel ablenkte.

„Das ist noch gar nichts, Sie hätten sehen sollen, was letztes Jahr passiert ist,“ sagte Felice. Dann seufzte sie. „Mein Sohn liebt es, mit Kindern zusammen zu sein. Zweimal habe ich gehofft, er würde vielleicht eigene haben, aber… er hat es scheinbar aufgegeben. Es wurde zu schmerzhaft für ihn, vermute ich.“

Sie drehte sich um und schaute Linda an. „Das ist mein größtes Bedauern, weißt du: dass ich seine Kindheit versäumt habe.“

Lindas Stimme war weich. „Du hattest keine Wahl, Felice. Und Aaron hat ihn gut aufgezogen. Dein Geist kann beruhigt sein… kein Sohn hatte jemals einen besseren Vater.“

Posey schüttelte in hilfloser Verwirrung den Kopf. Die anderen beiden Frauen bemerkten es und betrachteten sie ruhig . „Ich habe im… Westen gelebt.“ sagte Felice.

„Kalifornien?“

Bevor irgendjemand antworten konnte, fuhr Linda zusammen und alle drei Frauen drehten sich um; sie sahen Hal, der angespannt war wie eine Katze und Blicke wie Dolche auf jemanden abschoss, der gerade durch die Tür zur Eingangshalle gekommen war. Posey hatte sich an Hal und die anderen Sicherheitsmänner gewöhnt, die jeden Morgen den Schreibtisch bemannten, wenn sie hereinkam, aber sie fand ihn immer noch ein bisschen gruselig.

„Oh – haben die denn gar kein Schamgefühl?“ sagte Felice. „Ausgerechnet heute!“

Es waren Duncan und Fitzhugh, die die Menge inspizierten und sich auffällig Notizen machten, so als gäbe es etwas Schändliches daran, dass der Weihnachtsmann Geschenke an eine Gruppe Kinder verteilte.

„Ich gehe besser und kümmere mich darum.“ sagte Linda still.

„Besser du als Hal,“ sagte Felice.

Linda nahm sich ruhig einen Teller mit Keksen und wanderte wie ein Weberschiffchen durch die sich windende Schlange wartender Eltern, bis sie die beiden Agenten an der Tür erreicht hatte. Posey konnte sehen, wie sie den Teller Duncan anbot, der so ablehnend den Kopf schüttelte, als wären die Kekse mit Drogen versetzt. Sie konnte nicht hören, was geredet wurde, Linda schien freundlich zu bleiben, während die beiden Männer immer aufgebrachter wurden und dann ganz plötzlich gingen.

Linda kam zurück; sie schaute besorgt drein. „Das war kein Freundschaftsbesuch,“ sagte sie. „Ich denke nicht, dass die heute wiederkommen, aber das ist nicht das Letzte, was wir von ihnen gesehen haben.“


Top          Nächstes Kapitel          Stories          Home