Saphiras Miniaturen
von Cúthalion


Aus den Schatten

Langsam gehen sie nebeneinander her über das Schlachtfeld. Rauch kriecht über den Boden und verpestet die Luft mit dem Gestank nach verbranntem Fleisch. Die riesigen Kadaver der Mûmakil liegen dort wie große graue Hügel und, mitten drin, der stinkende Kadaver eines Wesens, das geradezu aus den Alpträumen zu kommen scheint. Ein Troll.

„Der, der den gefällt hat, muss wohl schon…“

„Nein, warte Legolas. Da liegt einer drunter. Oh mein…“

Jemand zieht scharf die Luft ein. Sonst hört man nichts. Es ist beunruhigend still. Aber endlich, endlich wird die tonnenschwere Last von mir genommen. „Verdammt!“ höre ich eine Stimme knurren. Es klingt undeutlich, so weit weg. Wie kann hier, in all der Dunkelheit und dem Schmerz noch jemand sein, außer mir? Ich verstehe es nicht. Aber die grauen Wolken um mein Bewusstsein sind dicht, und ich bekomme nur am Rande etwas mit. Weiter und immer weiter entfernen sich die Stimmen, so als würde man in den Schlaf hinüber gleiten, aber dennoch hören, wie jemand redet. Im Unterbewusstsein.

„Ist er…?“ fragt eine zaghafte Stimme, die so gar nicht zu ihrem Besitzer passen will. Starke Arme heben mich hoch und trage mich davon. Es ist, als würde ich fliegen, nur schöner. Aber ich vergesse die Stimmen für eine Weile, als der Schmerz erneut durch jede einzelne Faser meines Körpers pocht. Es ist, als würde glühende Lava durch meine Adern gegossen. Es ist so heiß, so heiß. Ich stehe in Flammen, merkt das denn keiner?

„Nein…nein, er atmet noch. Aber schwach. Wir müssen ihn hier wegbringen.“

Und wieder umfängt mich Dunkelheit und die Wolken um mein Bewusstsein werden dichter und ersticken alles andere.

*****

Und jetzt liegst du hier, rührst dich nicht. Nur schwach hebt und senkt sich dein Brustkorb, und man kann hören, wie viel Mühe dir jeder einzelne Atemzug bereitet. Ich selbst will nicht ans Schlafen denken. Ich kann mir keine Schwäche erlauben. Was, wenn du aufhörst, zu atmen, während ich schlafe? Was, wenn du stirbst, und ich konnte dir nicht helfen?

Aragorn hat mir gesagt, wie schlecht es um dich steht.

„Merry, willst du nicht etwas essen? Wenigstens…“

Ich schüttele nur den Kopf. Ich will dich nicht einmal für fünf Minuten alleine lassen, selbst dann nicht, wenn ich weiß, Aragorn oder Gandalf sind bei dir.

Und dabei weiß ich genau, was du durchmachen musst.

„Er hat sich fast mehr Knochen gebrochen, als gesund für ihn wäre. Sein rechtes Knie…ich weiß nicht einmal, ob er überhaupt je wieder damit wird laufen können. Seine Rippen sind mehrfach gebrochen, wir können von Glück sagen, dass sich noch keine in seine Lunge gebohrt hat…“

Ich schließe die Augen. Wieder sind da diese Bilder in meinem Kopf, die ich nicht loswerde. Nicht einmal im Schlaf, denn dann ist es besonders schlimm.

„Ich weiß nicht, ob er je wieder ganz gesund wird, Merry. Nicht einmal,  ob er…“

Nicht einmal ob er wieder aufwachen wird. Das wolltest du doch sagen, Aragorn, nicht wahr? Aber du tust es nicht. Du willst mir das ersparen, aber du kannst es nicht. Ich werde der erste sein, der es erfährt.

Deswegen sitze ich hier und rühre mich keinen Millimeter von der Stelle. Ich war von Anfang an ein fester Teil deines Lebens, von der Sekunde an, als meine Mutter dich mir in die Arme legte, und was haben wir nicht alles durchgemacht in all den Jahren? Wenn du dich jetzt so feige davonstiehlst, Peregrin Tuk, dann werde ich dir wohl oder übel folgen müssen. Ohne dich hat mein Leben keinen Sinn mehr. Ohne dich will und kann ich nicht weiterleben.

Es vergehen Tage, die so endlos scheinen, als wären sie wie Bänder, die sich ziehen und ziehen. Als du erste Anzeichen der Besserung zeigst, erlaube auch ich mir zu schlafen. Das Fieber geht langsam herunter, und viele der blauen Flecken und Prellungen sind nicht mehr ganz so schlimm.

Ich erlaube mir eines Tages, eine Weile an deiner Seite zu dösen, deine gesunde Hand in meiner. Ich bin noch nicht wirklich eingeschlafen, als ich wieder hochschrecke und merke, deine Hand drückt ganz vorsichtig die meine. Ich hebe den Kopf und kann sehen, dass auch du die Augen offen hast und mich ansiehst. Du siehst mich einfach nur an mit einem Blick, als wolltest du sagen: “Es ist alles in Ordnung.“

Und ich weiß, das ist es.


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