Harthad Uluithiad
von Aratlithiel, übersetzt von Cúthalion


2. Kapitel
Harthad

„Wie fühlst du dich, Frodo?“ fragte Merry, während seine Hand dunkles Haar aus einer bleichen Stirn strich. „Ist dein Kopfweh besser?“

„Ja, Merry, danke“, erwiderte Frodo. „Mir geht’s jetzt ziemlich gut.“ Er hielt die Augen geschlossen und den Kopf in Merrys Schoß gedrückt.

„Sollten wir Gandalf Bescheid sagen?“ Merry ging dazu über, den Nacken und die Schultern seines Vetters zu kneten. „ Oder vielleicht Streicher? Du scheinst sie öfters...“

„Gandalf und Aragorn sind sonstwo abgeblieben und seit gestern Abend nicht mehr gesehen worden.“ antwortete Frodo. „Es geht mir gut, Merry, wirklich. Es war bloß Kopfweh. Ich habe nicht gut geschlafen, das ist alles. Ich werde ein bisschen Tee trinken, dann geht es wieder.“

„Du hast nicht gut geschlafen?“ fragte Merry besorgt. „Wieso nicht?“

Frodo gluckste. „Du meinst, abgesehen von dem Hobbithaufen, der sich fast jede Nacht über mir ausbreitet? Nicht zu schlafen wird zu einem nebensächlichen Problem verglichen damit, nicht auf dem Fußboden zu enden.“

„Was?“ sagte Merry gekränkt, „Es ist mehr als genug Platz auf dem Bett für sechs Hobbits, geschweige denn für uns vier.“

„Vielleicht, Merry, mein Lieber“, beschwichtigte Frodo, „Aber zum einen schnarchst du. Und Pippin hat mehr Knie und Ellbogen als irgendein anständiger Hobbit sie haben sollte. Ich glaube, Sam ist der einzige, den ich nicht jeden Morgen unter irgend einem unpassenden Teil meiner Anatomie begraben vorfinde. Hör bitte nicht auf, das fühlt sich gut an.“

Merry setzte seine Massage fort, bearbeitete verspannte Muskeln und wunderte sich über die Magerkeit und scheinbare Zerbrechlichkeit unter seinen Fingern. Hat er denn gar kein Gewicht zugelegt?

„Tut mir Leid, Frodo. Wir dachten bloß...“

„Nein, Merry“ sagte Frodo rasch und beruhigend; er streckte eine Hand aus, um seinem Vetter das Knie zu tätscheln. „Ich zieh dich bloß auf. Es hilft. Wirklich.“

„Sind die Träume so übel?“ fragte Merry sanft.

Frodo schwieg, und Merry spürte, wie er sich unter seiner Hand anspannte.

„Ich weiß, dass du noch immer von Ihm träumst“, sagte er. „Ich habe dich danach rufen---“

Frodo setzte sich jäh auf und versuchte, sich unter Merrys Griff um seine Schultern hervor zu winden. Merry hielt ihn fest; er weigerte sich, seinem Vetter zu gestatten, dass er ihn beschützte – was auch immer es auch war, das er in seinem Herzen eingeschlossen hielt, bis er so sehr daran würgte, dass er nicht mehr atmen konnte. Eine harte Nuss hatte er Frodo einmal genannt, und das war so wahr wie nie zuvor. Aber Merry hatte nicht die geringste Absicht, Frodo zu erlauben, dass er sich selbst zerstörte, während er versuchte, die, die er liebte, vor etwas zu bewahren, wovor sie weder bewahrt werden wollten noch mussten. Es war höchste Zeit, dass Frodo es zuließ, zur Abwechslung einmal von ihnen beschützt zu werden.

„Merry“, krächzte Frodo, „lass mich bitte los. Ich habe beschlossen, mich ein Weilchen hinzulegen.“

„Liebst du uns, Frodo?“ fragte Merry.

Wieder versuchte Frodo, Merrys Griff anzuschütteln. „Natürlich tu ich das, Merry. Was ist das bloß für eine Frage?“

„Weißt du, dass wir dich lieben?“

Frodo hielt still, seine Schultern sanken herunter. „Ja, natürlich.“ antwortete er müde.

„Du bist ein schrecklicher Lügner, Frodo“, sagte Merry, „das warst du schon immer. Was hast du denn getan, das so furchtbar wäre, dass wir uns jemals von dir abwenden würden? Was könnte dich jemals glauben machen, dass du es verdient hast, dass man sich von dir abwendet?“

„Du scheinst zu glauben, dass du mich inwendig besser kennst als ich es tue, Meriadoc“, sagte Frodo mit dünner Stimme. „Warum sagst du es mir nicht?“

„Ich kenne dich, Frodo. Du lädst dir alles auf, als wärst du allein verantwortlich für das Wohlergehen von allem und jedem, was du liebst. Sag mir, wo bleibst du dabei? Du verbringst so viel Zeit damit, dir darüber Sorgen zu machen, wie du uns beschützen sollst vor was für grässliche Dingen auch immer, die du meinst, getan zu haben, dass du keinen Gedanken an dein eigenes Wohl verschwendest.“

„Und wieso sollte ich auch?“ schoss Frodo zurück. „Dafür habe ich doch euch, oder nicht? Ich kann nicht einmal von der Küche auf das stille Örtchen gehen, ohne dass ich über einen von euch stolpere. Um welchen Teil meines Wohls muss ich mich kümmern, um den ihr euch nicht schon gekümmert habt?“

„Das ist nicht recht“, sagte Merry. „Wir sorgen uns---“

„Dessen bin ich mir wohl bewusst, Merry“, grollte Frodo. „Ihr sorgt euch um mich, ich sorge mich um euch, und da sind wir – wir stecken in unseren Sorgen fest und versuchen verzweifelt, sie für den anderen nicht noch schlimmer zu machen. Ich mache mir um euch genauso viele Sorgen wie Ihr euch um mich, also wieso ist es so viel wichtiger für euch, dass ich über Dinge rede, von denen ich wünschte, ich hätte sie nicht erlebt, geschweige denn, dass ich mich daran erinnern möchte?“

„Eben weil du dich daran erinnerst“, beharrte Merry, „Und sie reißen dich in Stücke. Weißt du, was es für uns bedeutet, zu sehen, wie du dich derartig zerfleischst?“

Merry entdeckte aus dem Augenwinkel Sam im Türrahmen, und er fragte sich, wie lange er wohl schon dort stand. Er sah seine wachsame Haltung und stellte Spekulationen darüber an, wie lange es dauern mochte, bis Sam durch das Zimmer kam und ihm das volle Teetablett, das er vor sich hielt. über den Schädel zog.

Merry zog Frodo zurück, gab seine Schultern frei und stieß ihn mit dem Rücken in die Kissen auf dem Sofa. Frodo ließ es zu, aber er blieb angespannt, bereit, jeden Augenblick aufzuspringen und zu flüchten. Merry drehte sich zur Seite und betrachtete prüfend seinen Vetter.

„Frodo“, drängte er, „es war nicht deine Schuld. Wie viel hättest du denn wohl von dir erwarten können?“

„Das begreife ich jetzt, Merry.“ sagte Frodo ruhig. „Gandalf hat es mir erklärt. Siehst du? Du machst dir Sorgen um nichts und wieder nichts.“

„Gandalf?“ höhnte Merry. „Ist es das, worüber du mit ihm und Aragorn gesprochen hast, an dem Nachmittag, als du wie ein wandelnder Leichnam nach Hause gekommen bist? Was hat er zu dir gesagt?“

„Das ist nicht wichtig, Merry. Er stimmt mit dir überein, reicht das nicht? Ich würde mich jetzt gern hinlegen, wenn es dir nichts ausmacht.“ Frodo machte Anstalten, aufzustehen, aber Merry hielt ihn mit einer Hand auf dem Arm zurück.

„Dann ist es der Ring.“

Frodo erstarrte und schloss die Augen. Er holte scharf Luft und Merry konnte die Schauer fühlen, die den dünnen Körper durchzitterten.

Sam kam quer durchs Zimmer und räusperte sich ein wenig lauter als nötig. Er setzte das Tablett kräftig auf dem Tisch vor ihnen ab und und warf Merry einen scharfen, abschätzenden Blick zu.

„Ich denk, es hat keinen Sinn, auf Herrn Pippin zu warten.“ sagte er. „Lasst uns jetzt gleich Tee trinken, ja?“

„Tut mir Leid, Sam.“ Frodo versuchte einmal mehr, sich aus Merrys Griff zu lösen. „Ich wollte gerade ein Nickerchen machen. Aber Merry ist heute in redseliger Laune.“ Er schoss Merry einen Seitenblick zu. „Ich bin sicher, er leistet dir Gesellschaft, während du Tee trinkst.“

Sam nickte. „Klingt wie eine gute---“

„Hältst du so wenig von uns?“ fragte Merry scharf.

Frodo wandte sich ihm zu; er war verwirrt. „So wenig von---? Ich weiß nicht, was---“

„Denkst du so gering von uns, dass unsere Liebe zu dir vermindert werden könnte durch das Übel, das du getragen hast?“Merrys Herz schlug jetzt heftig, nicht besorgt, sondern zornig. Auf was er zornig war, konnte er im Augenblick nicht richtig sagen, und doch klopfte ein Gefühl der Dringlichkeit einen dumpfen Rhythmus hinter seinen Augen. Hilfe und Schutz waren alles, was er gerade geben wollte, doch beides wurde aufgehalten – erdrosselt von dem Schatten, der auf die Seele seines Vetters übergriff und gnadenlos in seinem Herzen pochte.

Frodo schluckte um den Kloß in seinem Hals und kniff die Augen für einen Moment fest zu, dann schaute er zu Boden.

„Nein, Merry“, kam die ruhige Antwort. „Nicht durch das, was ich getragen habe, sondern durch das, was Er mir genommen hat... was ich Ihm gegeben habe.“

„Du hast ihm bloß gegeben, was du musstest.“

„Und was weißt du schon davon?“ schnappte Frodo hitzig. „Du kannst deine Augen ja nicht einmal von meiner Hand abwenden, also tu nicht so, als ob dich die ganze Angelegenheit nicht krank macht!“

„Es macht mich krank, dass dieses bösartige Ding dich irgendwie im Griff hat – und wenn du diesen Griff nicht allein abschütteln kannst, ziehst du dich lieber in dich selbst zurück, anstatt dir von uns helfen zu lassen.“

„So einfach ist es nicht, Merry“, würgte Frodo hervor. „Du ... du kannst nicht...“

„Ich kann es nicht verstehen?“ konterte Merry. „Nein, wahrscheinlich nicht. Aber ich verstehe mehr, als du glaubst. Ich verstehe, dass du gezwungen warst, das Böse zu umarmen und es an dich zu drücken wie eine Geliebte, dass du zulassen musstest, dass es dich eher in sein schwarz gewordenen Herz hineinführt, als dass es einen anderen umschlingt. Ich verstehe, dass du dich selbst benutzt hast als einen Schild zwischen ihm und uns, dass du ihm jeden einzelnen Moment deine Seele bloßgelegt hast, damit er an dir fraß, während der Rest von uns unversehrt blieb.“

„Ah, aber du bist nicht unversehrt geblieben, oder, Merry?“ Frodo riss seinen Arm aus Merrys Griff los. „Keiner von euch. Was hat es genützt, Ihm meine Seele zu überlassen? Am Ende konnte ich keinen von euch beschützen. Jeder von euch hat alles für mich aufgegeben, und was habt ihr dafür bekommen?“

„Na, und was bist du?“ gab Merry ebenso hitzig zurück. „Was ist aus dir geworden, das so verächtlich wäre?“

„Nichts!“ rief Frodo. „Nichts ist aus mir geworden als eine schmerzhafte Gier nach dem bösen Ding, das mich ruiniert hat! Es ist nichts übrig, verstehst du? Am Ende hatte Er mich ganz und gar, und was ich noch zurückgehalten habe, ist mit Ihm gestorben. Und was bleibt, ist der Zorn und die Sehnsucht und der Hunger---

„Das reicht!“ schrie Sam, sprang auf die Füße und legte seinem Herrn eine Hand auf die Schulter. „Es gibt keinen---“

„Ist es das, was du wirklich glaubst?“ sagte Merry flehend; er ignorierte Sam und erneuerte seinen Griff um Frodos Arm. „Du bist wütend, und das solltest du auch sein. Aber die Tatsache, dass du wütend bist, gibt mir mehr Grund zur Freude als du wissen kannst, denn es sagt mir, dass du nicht so viel von dir verloren hast, wie du fürchtest.“ Merry hielt einen Moment inne, dann fuhr er sanft fort. „Die Kraft und der Willen, die du nötig hattest, um bei diesem bösartigen Ding zu liegen, während es dein Herz verschlang und deine Körper auslaugte, liegen beide jenseits meiner Vorstellungskraft. Aber es mit immerhin einem kleinen Teil deiner selbst zu überleben, der noch heil und ganz ist... ich hab nicht einmal die Worte dafür.“

Frodo war einen langen Augenblick still, den Kopf in den Händen; er zitterte am ganzen Körper.

„Sollte ich für diesen kleinen Teil dankbar sein, Merry? Sollte ich den Sternen danken, dass ich Mordor entkommen bin, nur um in der Finsternis zu leben, mit diesem Hunger so würgend in der Brust, dass ich kaum atmen kann? Einer Leere, die mich den Wahnsinn herbeiwünschen lässt oder sogar den Tod, weil ich diese unendliche Begierde dann wenigstens vergessen kann? Im Tod würde ich denen, die ich liebe, wenigstens etwas lassen, das sie betrauern können.“

„Oh Frodo“, flüsterte Merry und zog seinen Vetter an sich; er drückte ihn an seine Brust und weinte in sein Haar hinein.

Sam wurden die Knie weich. Er setzte sich schwer auf den Tisch; das Teegeschirr kippte um und Kuchen fiel unbemerkt auf den Boden. Seine eigenen Tränen brannten ihm auf den Wangen; der stille Schmerz seines Herrn zog ihm das Herz zusammen.

„Glaubst du denn, dass wir nicht schon trauern, mein Lieber?“ rief Merry verzweifelt. „Wir sind traurig über die Tatsache, dass du noch immer leidest, ja, aber wir freuen und darüber, dass es noch immer Hoffnung gibt, wie dünn sie auch sein mag.“

Frodo schüttelte an der Schulter seines Vetters erschöpft den Kopf. „ich habe keine Hoffnung, Merry“, kam die Antwort, abwesend und hölzern. „ich erinnere mich an nichts von dem, was ich vorher gewesen bin.“

Merry schob Frodo zurück und hob ihm das Kinn, um ihn dazu zu bringen, seinen Augen zu begegnen.

„Dann ist es das, wobei du dich auf uns verlassen musst. Wir erinnern uns daran, wer du warst, und wir wissen, wer du bist. Verlass dich darauf: wir haben genug Hoffnung, um dir zu beizustehen.“ Er ließ seine Hände über Frodos Herzen ruhen. „Vielleicht kommst du noch dahin zu begreifen, das alles, wovon du dachtest, du hättest es verloren, noch immer in dir ist – in deinem Herzen, und wir werden dir helfen, es zu finden. Vertrau mir, wenn ich dir eins sage: so verführt und gebrochen du auch von dem Bösen sein magst, gegen das du so lange gekämpft hast, du hast nicht so viel von dir verloren, wie du fürchtest.“

Frodo schloss die Augen und lächelte erschöpft. Er legte seinen Kopf auf Merrys Schulter und sank an der breiten Brust zusammen; er erlaubte sich einen Trost, den er sich während zahlloser Monaten und Meilen nicht gestattet hatte. „Hoffen“, flüsterte er heiser, „ich weiß nicht, ob ich noch weiß, wie das geht.“

An der Tür wurde es laut und Pippin platzte herein, sein Gesicht strahlend und seine Augen hell. Er rannte ins Wohnzimmer, kam schlitternd zum Stehen und nahm die Szene in sich auf. Sein Gesicht zog sich in die Länge. Er stand einen Moment still; seine Brust hob und senkte sich heftig.

„Der König hat den Baum gefunden.“ sagte er.

*****

„Heißt das, das wir bald nach Hause gehen können?“ fragte Frodo.

Sie gingen die gepflasterte Straße entlang; Gandalf bestimmte den Weg und das Tempo und Frodo folgte ihm; er achtete weder auf die Umgebung noch auf die Richtung. Es war ein Wunder, dass Sam ihn überhaupt mit dem alten Zauberer aus dem Haus gelassen hatte, dachte Frodo mit einem kleinen Lächeln. Aber es war anzunehmen, das sogar beschützerische Gärtner sich einem Geschöpf zu fügen hatte, das es fertig brachte, nur mit einem schrägen Blick ein Schicksal als warzige Kröte anzudrohen.

„Heißt was, dass ihr bald nach Hause gehen könnt?“

„Der König hat den weißen Baum gefunden.“ erklärte Frodo. „Ich hatte angenommen, dass dies der lang erwartete Tag wäre, den er meinte, als er uns bat zu bleiben. Ist es nicht so?“

„Es war wirklich ein lang erwarteter Tag, aber nicht der, den er gemeint hat“, erwiderte Gandalf. Er bemerkte, wie der Hobbit die Stirn runzelte und fuhr fort: „Aber es ist ein Zeichen, dass er nicht mehr lange auf sich warten lässt, Frodo.“ Er legte Frodo eine Hand auf die Schulter. „Keine Angst, mein lieber Hobbit. Du sollst sehr bald haben, was dein Herz verlangt.“

„Was mein Herz verlangt.“ sagte Frodo leise und nachdenklich. Er merkte, dass er es laut ausgesprochen hatte, wurde rot und warf dem Zauberer einen Seitenblick zu.

Gandalf blieb stehen und drehte sich um, eine Augenbraue hochgezogen; dann führte er Frodo zu einer Steinbank neben dem Brunnen hinüber. Die brackige Brühe war herausgeschöpft und die Steinmetzarbeiten ausgebessert worden. Kühles, klares Wasser plätscherte melodisch in den Wirbel im Becken darunter; auf seinem Weg abwärts fing es die Sonne ein und trug sie mit sich in die kristallenen Tiefen.

Frodo war nicht mehr hier gewesen seit...

„Ich war scheußlich zu dir, Gandalf.“ sagte er. „Es tut mir wirklich leid.“

„Unsinn, mein lieber Frodo“, sagte Gandalf beruhigend. „Es war notwendig. Und vielleicht gibt es Dinge, für die ich mich bei dir entschuldigen sollte.“

„Nein“, fuhr Frodo fort. „es war, wie du gesagt hast. Alles ist so geschehen, wie es sein sollte. Ich wünschte nur...“

Er verfiel in Schweigen.

Gandalf musterte ihn einen Augenblick prüfend. In den letzten paar Tagen sah er besser aus. Farbe hatte sich in seine Wangen geschlichen und die Traurigkeit seiner Züge war unter der sorgsamen Aufmerksamkeit seiner Freunde mehr und mehr der Heiterkeit und einer unsicheren Zufriedenheit gewichen. Selbst nach hunderten von Jahren, die er in der Gesellschaft von Hobbits verbracht hatte, war es immer noch ein Wunder für seine alten Augen, zuzusehen, wie sich die anderen um ihren gequälten Kameraden scharten und sich selbst mitsamt ihren Herzen anboten, um seine Schmerzen zu lindern. Harthad Uluithiad, dachte Gandalf und lächelte.

„Was wünscht du dir, Frodo?“

„Ich wünschte... ich wünschte, dass...“ Er hielt inne; es war ihm unmöglich, die Worte laut auszusprechen.

„Das wünschte ich auch“, sagte Gandalf leise. Und wenn es in meiner Macht liegt...

„Weißt du, ich hatte nie erwartet, dass ich überlebe“, erklärte Frodo ihm ruhig. „Und als mir klar wurde, dass es so war, da war das Verlangen das erste, was mir bewusst wurde... soweit ich mich erinnern kann. Das hatte ich auch nicht erwartet – mich nach dem zu sehnen, was ich so lange Zeit nur hatte loswerden wollen. Ich hatte gedacht, wenn er erst einmal ins Feuer gegangen wäre...“ Er gab ein grimmiges Glucksen von sich und schüttelte den Kopf. „Dieses Jahr war voll von unerwarteten Dingen.“ Er schaute hinter sich zu dem Brunnen und verfolgte den Tanz der Sonne in seinen Tiefen. „Nichts, was den meisten Hobbits gefallen würde.“

„Du bist kein gewöhnlicher Hobbit, Frodo Beutlin.“ sagte der Zauberer. „Das hast du doch sicher inzwischen gemerkt?“

Frodo runzelte die Stirn. „Pippin hat etwas ganz Ähnliches gesagt. Ich glaube auch nicht, dass mir das gefallen hat.“

„Gute Güte!“ Gandalf gluckste. „Werde ich so alt und närrisch, dass ich mit Peregrin Tuk einer Meinung bin?“

Frodo lächelte. „Ja, das scheint der Fall zu sein. Ich bin in manchmal selbst verblüfft über den Jungen. Und er stimmt tatsächlich mit dir überein, dass ich ganz und gar nicht gewöhnlich bin. Ich fürchte, ich war reichlich überkreuz mit ihm.“

„Es war bestimmt nicht als Beleidigung gemeint, mein Junge. Ich nehme an, es ist eher eine Erklärung. Nur die außergewöhnlichste Person hätte sich auf den Weg gemacht, den du gewählt hast und bis zum Ende durchgehalten.“

„Ah, aber ich habe ihn nicht wirklich gewählt, oder? Es war vorbestimmt, wie du sagtest. Ich glaube kaum, dass man furchtbar außergewöhnlich sein muss, um auf eine solche Weise von einer höheren Macht benutzt zu werden.“

Gandalf lachte in sich hinein. „Immer noch ein wenig verstimmt über die Schöpfer der Welt, wie ich sehe.“

Frodo blickte ihn scharf an, dann ließ er es zu, dass sich ein Lächeln in sein Gesicht schlich und schnaubte.

„Ich nehme an, ich war ein bisschen reizbar, stimmt’s?“

Gandalf legte ihm einen Arm um die Schultern. „Nicht mehr als du es verdient hast zu sein. Aber du musst den Verdienst annehmen, der dir gebührt, mein Junge“, fuhr er fort, „Ob du es nun verstehst oder glaubst, es ist immer deine Entscheidung gewesen. Die Tatsache, dass du die richtige getroffen hast, obwohl es der schwerere Weg war, sollte ausreichen, dich davon zu überzeigen, dass du tatsächlich das außergewöhnlichste aller Geschöpfe bist.“

Frodo seufzte. Ich fühle mich weder außergewöhnlich noch gewöhnlich. Ich fühle mich...“ Er hielt inne und schüttelte den Kopf. „Es spielt keine Rolle. Ich habe tatsächlich meine Entscheidungen getroffen, obwohl sie nicht so bewunderungswürdig waren, wie du mich glauben machen möchtest.“

„Frodo“, mahnte Gandalf, „ich dachte, du hättest begriffen---“

Frodo hob die Hand. „Ja ja, Gandalf. Ich begreife gut genug. Aber die Tatsache ist die, dass ich entweder zweimal meine Wahl getroffen habe oder gar nicht. Entweder habe ich meinen Weg und später auch den Ring gewählt, oder ich hatte von Anfang an überhaupt keine Wahl.“

„Missverstehst du mich mit Absicht“, fragte Gandalf ärgerlich, „oder bist du einfach bloß stur?“

„Ich will nicht mit dir streiten, Gandalf“, erwiderte Frodo. „Eine Auseinandersetzung mit einem Zauberer alle hundert Jahre ist mehr als ausreichend. Aber auch wenn du ein Zauberer bist, du kannst nicht beides haben.“

„Es gibt nur einen Weg, Frodo Beutlin.“ sagte Gandalf streng. „Ich denke, mit der Zeit wirst du es deutlicher sehen.“

„Ich hoffe, du hast Recht“. sagte Frodo. „Aber es wird jeden Tag ein bisschen besser, nehme ich an.“ Er starrte auf das Wasser; es warf das Sonnenlicht als Blitze zurück, die ihm in die Augen stachen. „Vielleicht, mit der Zeit...“

Gandalf drückte seine Schulter. „Du darfst dich Ihm nicht überlassen... selbst jetzt noch, da Er nicht mehr ist als glimmende Schlacke im Bauch eines zusammengestürzten Berges.“

Frodo wandte sich dem Zauberer zu und betrachtete ihn einen langen Augenblick; seine Mundwinkel hoben sich in dem tapferen Versuch eines Lächelns, ehe er sich wieder dem Tanz aus Wasser und Licht zuwandte.

„Ich versuche es, Gandalf.”

*****

„Ich glaube nicht, dass es dem König gefallen würde, wenn du seiner neuen Frau schöne Augen machst, Frodo.“ flüsterte ihm Merry verschwörerisch ins Ohr, und der Schluck Wein, den er im Mund hatte, sprühte quer über den Tisch. Sam warf Merry einen vernichtenden Blick zu, während er sich die dunkelroten Tröpfchen von der Wange wischte. Frodo lachte hilflos.

„Tut mir Leid, Sam“, sagte Frodo entschuldigend, obwohl das Grinsen auf dem Gesicht alles andere als das andeutete. „Diese meine verflixten Vettern haben eine Begabung für den richtigen Moment.“

„Als ob ich das nicht wüsste“, murmelte Sam, während er sich den Nacken mit seinem Taschentuch wischte.

Die Hochzeitsfeier dauerte seit Stunden an. Würdenträger und ihre Damen waren aus jedem Winkel dem Ruf zum Fest gefolgt, der von ihrem neuen König ausgegangen war. Die Halle pulsierte von Musik und hallte wieder von Gelächter, während die Gäste den neuen Frieden genossen, den der König gebracht hatte, mit dem sie nun feierten.

Sam hatte das Glas seines Herrn regelmäßig nachgefüllt, und Frodos Wangen spiegelten jetzt die Farbe des Rotweines wieder, den er so schnell getrunken hatte wie Sam ihn eingoss. Sam fing langsam an, sich zu fragen, ob das Ganze so eine gute Idee gewesen war, aber das zufriedene Lächeln im Gesicht seines Herrn und die entspannte Leichtigkeit, mit der er den Abend genoss, schoben jeden Gedanken dieser Art in seinem Geist beiseite. Er hatte seinen Herrn nicht mehr solchen Spaß haben sehen seit... Herrin, war das tatsächlich seit Bruchtal? Viel zu lange für Sams Gemüt, deshalb behielt er die Gläser im Auge und ließ nicht zu, dass der Mundschenk sich zu weit entfernte.

Das Abendessen war serviert und wieder abgeräumt worden, und diejenigen, die nicht tranken, tanzten. Einige wagemutige Seelen schafften gar beides gleichzeitig, aber im Großen und Ganzen waren die meisten ein wenig reservierter als die kleine Gruppe von Hobbits, die sich um mehrere Weinflaschen und eine voll beladene Platte mit kleinen Leckereien drängte.

„Jetzt, wo ich darüber nachdenke“, grübelte Pippin laut, „Vetter Frodo hat ganz schön oft schöne Augen gemacht, seit er das Auenland verlassen hat.“

„Ich bitte um---“

„Weißt du, Pip“, unterbrach Merry, „ich glaube, das hat irgendwas.“ Er klopfte sich gedankenvoll auf das Kinn.

„Da gibt’s nichts zu haben, Meriadoc“, sagte Frodo gekränkt. „Ich mache niemandem schöne Augen.“

Diesmal lachte sogar Sam, was dazu führte, dass Frodo sich verwirrt am Tisch umblickte.

„Ich mache niemandem schöne Augen“, schnaufte er, „ich weiß nur Schönheit zu schätzen, wenn ich sie sehe.“ Er hob lässig sein Glas hoch, nahm einen Schluck und erwiderte trotzig ihre Blicke. Er stellte das Glas wieder hin. „Ich mache niemandem schöne Augen!“

Mehr Gelächter.

„Ich glaube, Tom Bombadil würde vielleicht gern mit dir darüber streiten wollen, lieber Vetter“, neckte Pippin, „Denk bloß nicht, dass er dich nicht gut im Auge behalten hat, während wir in seinem Haus zu Gast waren!“

„Das---“ stammelte Frodo, „Das habe ich nie getan!“ rief er aus. „Ich würde mich gegenüber einer verheirateten Frau nie auf diese Weise benehmen! Wofür haltet ihr mich?“

„Ich denk, dazu könnte Herr Celeborn eine eigene Meinung haben“, warf Sam ein, rief scharlachrot an und warf Frodo einen Blick aus den Augenwinkeln zu.

„Sam!“ rief Frodo aus. „Nicht du auch noch!“ Er sah seine Vettern der Reihe nach an. „Das ist euer Einfluss! Der Sam, den ich kenne, würde solche Sachen niemals sagen. Ihr habt ihn verdorben.“

Merry lachte. „Wenn er nicht schon vorher verdorben wurde, nachdem er so viel Zeit in deiner Gesellschaft verbracht hat, lieber Vetter, dann glaube ich kaum, dass ein paar Monate mit uns dieses Kunststück fertig bringen.“

„Du unterschätzt dich, liebster Merry“, sagte Frodo hochmütig. „Ich denke, die Herrin Éowyn könnte das ein oder andere über deinen eigenen Grad der Verdorbenheit zu sagen haben.“ Merrys Unterkiefer sank herab. „Und ich will nicht einmal darüber nachdenken, was Pippin alles ausgeheckt haben könnte, während er nicht unter meinem wachsamen Auge war.“

„Ja“, sagte Pippin mit einer Grimasse, „aber dein wachsames Auge ist nichts im Vergleich zu dem von Gandalf. Ich hätte seiner Aufmerksamkeit nicht einmal dann entkommen können, wenn sich alle Damen von Minas Tirith auf den Straßen in eine Schlange gestellt hätten, um den Perian mal dranzulassen.“

Sam verdrehte die Augen. „Entschuldige, dass ich das sage, Meister Pippin, aber ich glaube, du würdest eher jedes Barthaar auf Gandalfs Kinn ausreißen als eine solche Gelegenheit zu verpassen.“

Die gesamte Gruppe krümmte sich vor Lachen, und das Geräusch ihrer Heiterkeit klang in der ganzen Halle wieder. Augen wandten sich den fröhlichen Periannath zu und Münder lächelten über die vergnügte Art des Kleinen Volkes. Viele fragten sich wehmütig, wie es wohl sein mochte, so leichten Herzens zu sein, ohne eine einzige Sorge in der Welt zu haben.

„Sie sind sehr gut für ihn“, bemerkte Aragorn leise zu Gandalf. „Sie berühren Orte in seinem Herzen, die kein anderer erreichen kann. So entspannt habe ich ihn viel zu lange nicht mehr gesehen.“

Gandalf gluckste. „Ich glaube, dein importierter Rotwein hat ein kleines bisschen damit zu tun, und morgen früh mag er es wohl bereuen.“ Er betrachtete den Hobbit quer durchs Zimmer. „Aber du hast Recht. Es ist lange her.“

Aragorn sah den Zauberer nachdenklich an. „Glaubst du...?“

„Nein“, sagte Gandalf, und sein Lächeln verblasste. „Aber es ist eine dringend nötige Atempause, auch wenn sie kurzlebig ist. Und ich bin froh, dass ich hier bin, um es zu sehen.“

Beide wandten ihre Aufmerksamkeit wieder dem Tisch auf der anderen Seite des Raumes zu. Aragorn lächelte weich.

„Genau wie ich.“

*****

Er trat hinaus auf den Vorhof; die Geräusche von den Vorbereitungen des Mittagsimbisses hinter ihm waren eine beruhigende und entspannende Melodie in seinen Ohren. Er hatte heute leicht gegessen und sich rasch entschuldigt. Sein Magen war nach der Maßlosigkeit zwei Abende zuvor immer noch ein bisschen empfindlich. Sein Kopf fühlte sich dankenswerterweise weniger schwer und riesig an auf seinen Schultern und das Licht attackierte seine Augen nicht länger wie ein blendender Dolch.

„Ein Kater“, dachte er und hätte um ein Haar gelacht. Es war in der Tat beinahe unwirklich. So eine einfache Sache – eine echte Sache, so ein Kater. Das ironische Behagen dieser Unbehaglichkeit ließ ihn wehmütig lächelnd den Kopf schütteln. Von all den Dingen, von denen er geglaubt hatte, sie nie wieder zu erleben, waren ein pochender Kopfschmerz und ein verkorkster Magen nichts, wofür er jemals erwartet hatte dankbar zu sein, aber so war es. Ein Morgen – schön, in Wirklichkeit ein Tag und ein halber – von Übelkeit und einem dröhnenden Kopf nach einer Nacht trunkenen Überschwanges sorgte dafür, dass er sich fast... normal fühlte.

Er forderte sich selbst dazu heraus, in die Sonne zu schauen, die hell über seinem Kopf schien, aber er überlegte es sich eines Besseren. Es machte keinen Sinn, die Dinge zu überstürzen, jetzt, da es ihm besser ging. Statt dessen drehte er den Kopf ohne nachzudenken nach rechts und erkannte auf der Stelle seinen Fehler.

Seine Augen richteten sich auf den entfernten Rauch, und der schien die Entfernung zwischen ihnen zu überwinden und ihn mit seinen Wolken zu umzingeln. Er wandte rasch den Kopf ab und schloss die Augen. Nein. Nein! Heute würde er ihn nicht einlassen. Er würde die Augen öffnen, sich rasch umdrehen und ins Haus zurückkehren, zum beruhigenden Trost seiner Freunde. Er würde den Geruch von Schwefel in der Nase ignorieren, das Gefühl der Flammen zurückweisen, die an seiner Haut entlang züngelten. Er würde...

Seine Augen fliegen auf und sein Blick wird nach Osten gezogen.

Er kriecht, und Sam kriecht mit ihm. Zu ausgepumpt, um die zerschellten Felsen zu spüren, scharf wie zerbrochenes Glas, die sich in seine Handflächen und Knie eingraben. Zu erschöpft, um den beißenden Qualm auf der Zunge zu schmecken, während er ihn durch den offenen Mund einatmet und in seine protestierenden Lungen saugt. Zu erledigt, um den Kopf zu heben und nach dem Ende seines Weges Ausschau zu halten.

Sam keucht und hustet und Frodo wünscht sich, er hätte einen Gedanken übrig, um ihn an seinen Freund zu verschwenden, aber sein Kopf ist zu sehr vom Pulsieren des Ringes erfüllt, Er hat seine Gedanken verschlungen, seine Erinnerungen vertilgt und noch immer hungert und zehrt Er an ihm. Er wird nicht aufhören, bis er ein Haufen bleicher Knochen am Berghang ist – oder bis Er kaum mehr ist als ein Tropfen geschmolzener Schlacke in dem Schmelztiegel, den Er seine Heimat nennt. Er denkt, dass es ihn nicht länger kümmert, wie es endet, und doch bewegt sich sein Leib stur voran und zerrt ihn gnadenlos in sein Schicksal, ob er es will oder nicht.

Er erreicht den Pfad und er weiß, das Ende ist nahe, er weiß, dass sein Leben nunmehr in Augenblicken gezählt wird. Es sollte ihm möglich sein zu weinen, aber er kann sich nicht an ein Leben ohne Ihn erinnern und so fühlt er nichts... kein Bedauern, keine Trauer. Das Ende einer Aufgabe und dann... das Ende von allem. Es ist genug.

Die dicke, giftige Luft sammelt sich um ihn und er dreht sich um; sein Körper bewegt sich ohne das Einverständnis seiner Gedanken. Die Festung türmt sich vor ihm auf, und er denkt, dass er, wenn er seinen Arm verlängert, seine Fingerspitzen über die glatte, granitene Oberfläche der Zinnen gleiten lassen kann. Es kommt ihm fast wie ein glücklicher Umstand vor, dass er nicht die Anstrengung aufbringt, sich zu bewegen, denn sonst könnte er vielleicht stolpern und sich auf der eisernen Krone in ihrer Mitte aufspießen.

Schwarze Wolken rollen zurück, und er ist festgenagelt und unbeweglich, als das Auge aus den Dampfwolken aus Grau und Ebenholz hervortritt. Der goldene Kreis auf seiner Brust singt, seine Stimme ein Missklang in seinem Kopf, die ihm den Geist vom Körper absondert, während Sein Meister sucht. Er ist beinahe daheim, und Er weiß es...

Das Auge erfasst ihn, gleitet an ihm vorbei und auf seiner Spur über ihn hinweg, und doch sieht es ihn wundersamerweise nicht. Es hat Seine Aufmerksamkeit dringlicheren Angelegenheiten zugewandt, für eine gewisse Zeit mit Wesen beschäftigt, die viel größer sind als er. Es schöpft noch keinen Verdacht.

Binnen eines Atemzuges wird er erst gefangen und dann freigelassen, und er fällt zu Boden und windet sich. Seine Kehle zieht sich zusammen, seine Haut steht in Flammen und kribbelt von der Bosheit, die mit Blitzgeschwindigkeit nach Westen eilt. Seine Welt ist Feuer und Schmerz, er würgt am Qualm und krümmt sich auf dem Fels und der Asche.

Seine Hand regt sich und kriecht auf seine Brust zu. Er zuckt vor Anstrengung und zwingt die Hand an seine Seite zurück, aber sie setzt ihren Weg fort; sie gehorcht jetzt dem Befehl eines anderen und missachtet ihren Besitzer, als sei er bereits ein willenloser Haufen Knochen.

Mit einem keuchenden Atemzug schaut er zu Sam hinüber. Er nimmt jeden Splitter Stärke zusammen, jede Unze Willenskraft, die er noch immer sein eigen nennt.

„Hilf mir, Sam! Hilf mir, Sam! Halt meine Hand! Ich kann sie nicht aufhalten!“

Sein Blickfeld verdunkelt sich und Sam ist ein grauer Umriss gegen eine schwarze Leinwand aus Flammen. Er fragt sich kurz, ob dies das Ende ist. Er möchte darüber weinen, dass er mit diesem Ding sterben wird, das er gleichzeitig verachtet und liebt, in seine Hand gepresst wie eine Geliebte, die er an die Brust drückt. Dass Er seinen letzten Atemzug, seinen letzten Herzschlag mit ihm teilen wird.

Sanfte Hände umfassen seine eigenen, er spürt einen zarten Kuss von aufgerissenen Lippen. Das Feuer ist erstickt, das Lied verstummt. Er wird ihn bekommen, aber noch nicht jetzt... nicht jetzt.

Er wird hochgehoben und auf Sams Rücken festgehalten wie ein kleines Kind, das sich an seinen Vater klammert. Er denkt, dass es irgendwie passend ist, dass er seinem Schicksal von jemandem entgegen getragen wird, den er liebt. So wie die Hand der Vorsehung ihn weit von einer Heimat davongetragen hat, an die er sich nicht erinnern kann, trägt ihn jetzt die Hand eines Freundes die letzten Schritte zur seiner Erlösung.

Ein plötzlicher Schlag auf den Rücken und der Boden rast ihm entgegen, als er aus Sams Griff stürzt, hinein in den eines anderen. Knochige Hände an seiner Kehle und ein Zischen, kalt und stinkend in seinen Ohren. „... Schatzzz. Gib Ihn unsss!“ ’

Stärke kommt aus dem Nichts und durchdringt ihn; sie erfüllt seine Glieder mit geschmolzenem Eisen und seine Brust mit einem pulsierenden, hitzigen Sturm.

„Nieder, du kriechendes Ding...“

Arme um seine Brust, die ihn festhalten, während er sich verzweifelt gegen sie wehrt. So nahe, er ist so nahe. Er kann – er wird Ihn nicht verlieren.

„Frodo!”

„Du kannst mich nun weder täuschen noch erschlagen!“

Er befreit einen Arm und tastet blindlings nach dem Ring. Er spürt die Leere auf seiner Brust und seine Knie werden weich. Fort!

„Frodo!”

„Fort! Fort! Das kann nicht sein! Dieb! Gib Ihn zurück!“

Aragorn packte ihn an den Schultern und drehte ihn herum; er schüttelte ihn und nannte ihn beim Namen. Er schaute Frodo in die Augen, die verschleiert und umschattet waren von unermesslicher Trauer und Wut.

„Dieb!“ rief Frodo wieder und stürzte sich auf den König. Seine Arme und Beine droschen, die Finger krallten und klammerten. „Gib Ihn zurück! BITTE!“

In seinem Schock konnte Aragorn nichts anderes tun, als das wilde Ding festzuhalten, das in seinem Griff um sich schlug und trat. Er zog Frodo an sich und schlang die Arme um die widerstrebende Gestalt.

„Frodo!“ schrie er.

Frodo wurde schwächer und ergab sich, aber er blieb angespannt und wachsam in Aragorns Umarmung. Er zitterte und rang in langen Zügen nach Luft; seine Brust hob und senkte sich krampfhaft.

„Nicht hier“, würgte er. „Ein Traum. Eine Illusion.“

„Nein, Frodo“, sagte Aragorn in das dunkle Haar hinein. „Ich bin hier. Du bist hier. Du bist in Sicherheit.“

„Schnell, Herr!“

„Leb wohl, Sam. Dies ist nun das Ende.“

„Sam! Wo ist Sam?”

„Er ist drinnen, Frodo.“ erklärte Aragorn und zwang seine Stimme in einen ruhigen Tonfall. „San ist drinnen und isst mit den anderen zu Mittag.“

Frodo schloss die Augen und schüttelte den Kopf. Er hob seine bebenden Hände und umklammerte Aragorns Tunika.

„Bitte! Ich muss Ihn haben!“

Aragorn legte Frodo die Hände auf die Schultern und schob ihn sanft zurück.

„Frodo“, bat er, die Stimme leise und gleichmäßig. „Sieh mich an.“ Er bewegte seine Hände zu Frodos Kopf hinauf und hob ihn an. „Sieh mich an, Frodo. Es ist jetzt sicher.“

Die Asche ist heiß in seiner Kehle. Seine Haut wirft Blasen unter der Hitze, die durch die dunkle Tür hereinweht, Schwefel und Schlacke kriechen ihm in die Nase und die Kehle hinunter. Sogar als er die Schwelle überschreitet. würgt er. Sein Schicksal liegt gleichzeitig vor ihm und in der Umklammerung seiner Faust, und doch...

Frodo öffnete seine Augen langsam der Vision des Königs vor ihm, goldenen Sonnenschein aus einem klaren Himmel hinter sich. Er schaut auf den Ring in seiner Handfläche hinunter. Sein spöttisches Lachen gräbt sich in sein Gehirn und klingt ihm kalt und grausam in den Ohren. Rosen, sie kriechen süß und träge über das Spalier, das die Gestalt von Streicher vor ihm einrahmt. Nein. Nicht länger Streicher, sondern Aragorn. Der König. Er steht mit den Heerführern des Westens zur Verteidigung bereit, den Blick zum Schwarzen Tor gewandt, wo das Licht unterdrückt und verdorben worden ist. Der Blick des Auges schwenkt an ihm vorbei, auf der Suche nach dem, der es wagt, ihn herauszufordern. Seine Knie gaben nach und er klammerte sich an den Stoff in seinen Fäusten. Ein Schrei fing sich in seiner Kehle und er zwang ihn zurück.

Er schaute zu Aragorn zurück, umgeben von Rosen und Sonnenschein, Feuer und Asche.

„Bitte“, würgte er, sein Gesicht eine Maske unausgesprochener Qual. „Ich weiß nicht, welches der Traum ist.“

„Oh, Frodo.“ Aragorn schloss die Augen, und für einen Moment verstärkten seine Hände ihren Griff um Frodos Kopf. Er holte tief Luft und kämpfte gegen die bitteren Tränen an, die hinter seinen Augen festsaßen. „Dies ist kein Traum. Du bist in Sicherheit. Er ist fort.“

Frodos Stirn furchte sich. „Fort?“

Entsetztes Verstehen dämmerte in ihm und er wand sich aus Aragorns Griff frei. Er wandte sich um, fiel auf die Knie, auf einen Arm gestützt, und kämpfte darum, seinen revoltierenden Magen unter Kontrolle zu behalten. Er hob eine bebende Hand an den Mund und wischte sich das schweißnasse Gesicht mit dem Ärmel. Mehrmals holte er schaudernd Luft.

So wirklich. So wirklich! Er konnte noch immer Sein Gewicht in der Hand spüren, die Hitze des Metalls, das auf seiner Handfläche brannte. Er wollte aufschreien, er wollte brüllen, bis seine Kehle aufriss und sein Atem ihn verließ. War es nicht genug, dass er es durchlebt hatte? Musste Er ihn noch immer verfolgen, selbst jetzt? Hier, wo seine Schande offen vor aller Augen zu Tage trat?

„Ich kann mir nicht vorstellen, was du denken musst“, sagte er, zum Boden gewandt. „Ich bin...“ Seine Stimme schwankte und er holte mehrmals tief Atem, um sie zu beruhigen. „Ich schäme mich.“

Aragorn kniete sich neben seinen Freund. „Schmerz ist keine Schande, Frodo. Du musst lernen, dich selbst nicht so scharf zu verurteilen.“

„Das ist kein Schmerz“, gab Frodo hitzig zurück. „Das ist Lust, nicht mehr.“ Er straffte sich, nahm die Hand, die Aragorn ihm anbot und zog sich hoch. „Du musst lernen, Schwäche in anderen zu erkennen und entsprechend zu beurteilen.“

„Ich würde es nicht auf mich nehmen, jemanden so zu richten wie du dich selbst richtest, Frodo.“ Aragorn führte zu einer Bank am entfernten Ende des Vorhofes. „Und ich bezweifle, dass wir bei meiner Entscheidung übereinstimmen würden. Was du als Schwäche siehst, sehe ich als einen Krieg, der in dir noch immer andauert. Hast du denn nichts von unserem Gespräch vor all diesen langen Wochen mitgenommen?“

Frodo setzte sich schwerfällig hin und ließ den Kopf tief atmend auf seine zitternden Hände hinabsinken. Er ließ die Hände herabfallen, rang um Beherrschung über seinen widerstrebenden Körper und sah den König an.

„Du und Gandalf, ihr...“ Frodo hielt inne, und sein Blick irrte nach Osten ab. „... ihr habt Entschuldigungen gesucht, Erklärungen angeboten, aber am Ende war es immer noch meine Wahl. Ihr sagt, ich hätte keine andere treffen können, und ich möchte es glauben... ich, manchmal... manchmal tue ich es fast. Aber...“

Aragorn folgte Frodo’s Augen zu der schwarzen Rauchwolke, die immer noch von dem zerstörten, weit entfernten Berg ausgestoßen wurde, und er fragte sich, warum Gandalf ein Haus mit so einem Ausblick gewählt hatte.

„Aber?“

Frodo schloss die Augen. „Aber ich erinnere mich, wie es sich angefühlt hat, Aragorn“, flüsterte er. „Das Entsetzen, die Heiterkeit... einfach alles. Jede Sekunde, jeder Gedanke, jedes Gefühl, das mich durchdrang – ich erinnere mich an alles.“ Er öffnete die Augen und wandte sich zu Aragorn. „Und ich...“ Wieder hielt er inne und senkte den Kopf.

Aragorn legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Und?“

Frodo schüttelte den Kopf. „Es spielt keine Rolle. Daran ist nichts zu machen, und mit der Zeit werde ich lernen, das zu akzeptieren.“

„Kannst du das?“ fragte Aragorn gütig.

Frodo zwang sich zu einem kleinen Lächeln. „Ich muss“, sagte er mit Nachdruck. „Was für eine andere Wahl habe ich denn?“

Aragorn gab ein ebenso kleines Lächeln zurück.

„Wieso bist du überhaupt hier?“ fragte Frodo und versuchte, sich zusammenzunehmen. „Ein Mann, der erst zwei Tage verheiratet ist, weiß doch sicher Besseres mit seiner Zeit anzufangen.“

Aragorn gab ein grimmiges Glucksen von sich. „Die Bürden eines Königs und Ehemannes sind zahlreich“, sagte er. „Ich muss Zuflucht bei Freunden suchen, wann immer ich kann.“

Frodo tat die Beschwerde mit einem kläglichen Versuch des Lachens ab. „Wenn du auf der Suche nach Mitgefühl bist, von mir bekommst du keines. Ein Mann, der mit jemandem wie deiner Königin verheiratet ist, hat kein Recht sich zu beklagen, Bürden oder nicht.“

Aragorn lächelte. „Dem kann ich nicht widersprechen.“ Seine Hände zitterten immer noch, und er ballte sie in seinem Schoß zu Fäusten. „In Wahrheit bin ich gekommen, um herauszufinden, ob der Tee gestern gegen deine Kopfschmerzen gewirkt hat.“

Frodo zog ein Gesicht und warf dem König einen Seitenblick zu. „Ich hätte wissen müssen, dass irgendein Spion dich über meinen wenig würdevollen Zustand informiert. Obwohl der Zustand, in dem ich war, als du gekommen bist...“ Er hielt einen Moment inne und schüttelte den Kopf. „Und nein, der Tee hat gestern nichts gegen meine Kopfschmerzen ausgerichtet“, schwindelte er mit einem schrägen Lächeln. „Ich fürchte, du verlierst deine Gabe der Heilung, mein König.“

„Je nun“, Aragorn seufzte. „das Risiko glückseliger Vereinigungen, weißt du? Man neigt dazu, sich ablenken zu lassen.“

Sie lachten leise und schwiegen einen Augenblick.

„Frodo“, Aragorn wandte sich ihm zu. „Ich bin hergekommen, um dich zu sehen. Ich wollte wissen, wie es dir geht. Am Abend zuvor schienst du in Frieden mit dir zu sein, und ich hatte gehofft...“ Seine Stimme erstarb.

Frodo bot ihm ein betrübtes Lächeln. „Ich auch“, kam die resignierte Antwort. Seine Augen irrten wieder in Richtung Osten ab. „Aber vielleicht, mit der Zeit...“

Aragorn sah seinen Freund einen Moment an, dann wandte auch er sich nach Osten. Mit der Zeit, dachte er. Ich bete, dass wir genug Zeit haben.

*****

Er saß am Springbrunnen und betrachtete den Schössling. Die Bürde liegt jetzt auf dir, hatte Gandalf gesagt. Aber diese Bürde war ganz gewiss mehr, als er tragen konnte. König mochte er sein, aber immer noch nur ein Mensch. Diese Angelegenheit war zu groß für sterbliche Hände. Die Hände eines Heilers, hatten sie geschrieen und es als unwiderlegbaren Beweis dafür genommen, dass er derjenige war, auf den sie gewartet hatten. Aber jetzt hatten schon zweimal Wunden, die jenseits seiner Fähigkeit zur Heilung lagen, den berührt, den er am meisten zu heilen wünschte.

Dies war eine Zeit der Freude für sein Volk und sich selbst, und doch konnte Aragorn nicht voll und ganz an dem Hochgefühl teilhaben, das wie ein Duft in der Luft hing und seine melodische Weise im Lachen der Leute von Gondor anstimmte. Das Geschick des Ringträgers lastete schwer auf seinem Geist. Als ein Mann der Tat war Aragorn nicht an Probleme gewöhnt, die er nicht mit dem Schwung von geschliffenem Stahl zerteilen oder mit einer zarten Berührung und sorgsam angemischten Kräutern lindern konnte. Er war frustriert und zornig auf die Mächte, die seinen Freund für die Aufgabe gezeichnet hatten, die ihm die Seele gestohlen hatte... und sogar noch zorniger darüber, dass sie ihm nicht die Kraft gegeben hatte, die Verletzungen zu mildern, die noch heilen mussten.

„Du bist in Sorge, mein Gatte.“

Arwen glitt an seine Seite und legte ihm die Hand auf die Schulter. Sie setzte sich neben ihn und studierte sein Gesicht.

Aragorn sah seine Frau an und fragte sich, wie es sein konnte, dass er so gesegnet war, wenn... ah, aber das war der wunde Punkt, oder nicht? Seine Segnungen waren ihm durch die Hände vieler zuteil geworden, und alle, die überlebt hatten, wurden nun für ihre Anstrengungen wohl belohnt. Alle außer einem.

Er schenkte seiner Frau ein erschöpftes Lächeln und nahm ihre Hand. „Ich bin in Sorge.“ sagte er.

Sie umschloss seine Finger. „Erzähl es mir.“

„Ich sorge mich um Frodo“, gestand er. „Er hat viel gelitten und ich bin nicht imstande, seinen Schmerz zu erleichtern.“

„Du erwartest zuviel von dir, mein Gatte“, schalt sie. „Nicht alle Bürden deines Volkes sind dazu da, dass du sie trägst.“

Aragorn verzog das Gesicht. „Aber diese eine ist es“, sagte er wütend, „oder sie sollte es sein.“ Er stand auf und ging rasch vor ihr auf und ab. „Die Bürde, die er geschultert hat, hätte ich tragen sollen. Ich weiß, dass es weiser war, sie ihm aufzuerlegen, ich weiß, ich wäre gefallen, wenn ich versucht hätte, diese Aufgabe auf mich zu nehmen, und doch...“ Aragorn hielt inne und fuhr sich mit einer zitternden Hand durch das Haar.

Arwen ging zu ihm hinüber und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Du hättest sie niemals tragen sollen, mein Liebster“, sagte sie mit leiser Stimme. „Und es war auch nicht an dir, zu entscheiden. Du weißt von diesen Dingen. Du erlegst niemandem die Bürde auf, und du lenkst auch nicht die Geschicke, ihrem Weg zu folgen.“

Aragorn lächelte seine Frau grimmig an. „Ich glaube, ich verteidige mich gerade auf die gleiche Weise, wie es Frodo vor gar nicht so langer Zeit getan hat.“ Er führte sie zum Brunnen zurück und sie ließen sich beide nieder. „Du hast natürlich Recht“, gab er zu, „ich habe keinen Zweifel, dass die einzigen Wege die sind, die jeder einzelne von uns einschlägt.“ Er schüttelte den Kopf. „Aber das ist ein schwacher Trost, wenn Frodos Licht verrinnt und es nichts gibt, was ich tun kann, um ihm zu helfen. Ich habe Angst um ihn.“

„Das Licht des Ringträgers brennt noch immer stark und hell“, sagte sie. „Und doch hat der Schatten ihn nicht freigegeben. Ich teile deine Angst.“

Aragorn sah seine Frau an, einen aussichtslosen Wunsch klar in den Augen. „Ich hatte gehofft, die Elben könnten einige Macht über die schwerste seiner Wunden haben“, erklärte er. „Ich bin nur sterblich und kann ihn nicht zurückrufen.“

„Nein, mein Gatte“ sagte Arwen sanft. Es gibt nur ein Ding, das die Macht haben könnte, ihn zu heilen, aber es ist den Sterblichen nicht gestattet.“ Sie dachte einen Augenblick nach. „Ich habe darüber mit Mithrandir gesprochen, in Bruchtal“, fuhr sie fort. „denn selbst damals sah ich, dass die Finsternis immer versuchen würde, das Herz des Ringträgers zu beflecken. Ich werde noch einmal mit ihm sprechen. Vielleicht hat er meine Bitte erwogen und meine Gabe ist gebilligt worden.“

„Gabe?“ fragte Aragorn.

Sie lächelte und berührte sein Gesicht. „Ich werde meine Überfahrt in den Westen nicht brauchen, mein Liebster“, sagte sie. „Vielleicht kann jemand an meiner Stelle gehen, der sie nötig hat.“

*****

„Ihr seid sehr gütig, mir so wenige Tage nach Eurer Hochzeit eine Audienz zu geben, liebe Herrin.“ Gandalf beugte sich tief über die Hand der Königin und küsste sie.

Arwen lachte; ihre grauen Augen strahlten fröhlich. „Spart euch eure Schmeicheleien für meine Großmutter, Mithrandir“, sagte sie. „ich werde nicht so leicht von hübschen Worten ins Wanken gebracht wie sie.“

Gandalf tätschelte ihr die Hand und gluckste. „Und ich, liebe Herrin, bin seit einem Zeitalter nicht mehr der Schmeichelei bezichtigt worden.“

„Dann befindet Ihr euch einfach nicht in der richtigen Gesellschaft“, gab sie zurück. Ihr Lächeln verblasste. „Ihr seid wegen des Ringträgers gekommen“, sagte sie. „Ihr habt über meine Bitte nachgedacht.“

„Das habe ich“, erwiderte Gandalf, „Euer Gatte hat mit Euch gesprochen?“

„Ja“, sagte sie. „Wie auch mit meinem Vater.“

„Und?“

„Die Gabe wird gegeben werden.“ antwortete Arwen. „Aber wir fürchten, dass es nicht ausreichen wird, um die Überfahrt zu sichern. Was wir erbitten, ist noch nie zuvor bewilligt worden, wie Ihr wohl wisst.“

„Es hat nie zuvor ein Wesen gegeben, das es verdient gehabt hätte“, sagte Gandalf, „noch hatte jemals eines es dringender nötig. Die Überfahrt wird bewilligt werden.“

„Dann habt Ihr mit dem Schiffsbauer gesprochen?“

„Ich habe gerade gestern seine Antwort erhalten.“ sagte Gandalf.

„Und er hat zugestimmt?“

„Ich habe ihm keine Wahl gelassen“, stellte Gandalf fest, „aber Frodo muss in meiner Gesellschaft reisen, oder er wird zurückgewiesen werden.“

„Und Frodo weiß das?“ forschte Arwen.

„Nein. Frodo weiß bis jetzt nichts davon. Es ist an Euch, es ihm zu erzählen. Aber er darf nichts von den knappen Zeitraum wissen. Er muss dahin kommen, dieses Geschenk zu verstehen – und was es für ihn bedeutet – und er muss genügend Zeit haben, seine eigene Entscheidung zu treffen, ohne dass sich jemand einmischt.“

„Aber wie könnt Ihr sicher sein, dass er das tun wird?“ fragte sie.

„Ich kann es nicht“, antwortete Gandalf. „Aber er ist ein außergewöhnliches Geschöpf. Ich glaube, dass Eure Gabe ausreichen wird, dass er zur rechten Zeit begreift.“

„Er liebt seine Freunde,“ bemerkte Arwen. „Wird er alles, was er liebt, hinter sich lassen, um in ein fremdes Land zu reisen, nur mit Mithrandir als Gesellschaft?“

Gandalf lächelte. „Er wird nicht alles verlassen, was er liebt, liebe Herrin“, versicherte er ihr. „Einer, der seinem Herzen am nächsten ist, wird ihn begleiten. Und vielleicht noch ein anderer, im Laufe der Zeit. Es ist das Mindeste, was wir für ihn tun können.“ Gandalf schwieg einen Moment, tief in Gedanken. „Und“, fuhr er fort, „ich glaube, dass es gerade die sein werden, die er liebt, derentwegen er sich entschließen wird zu segeln.“

Arwen nickte befriedigt. „Ich werde sprechen, wenn die Zeit reif ist.“

Gandalf verneigte sich, küsste ihre Hand und ging.

*****

,... doch was immer du dir wünschen magst, das nimm mit; und dann reite mit ehrenvollem Geleit als ein Fürst dieses Landes!“

Frodo lächelte. „Ich werde nicht für die anderen sprechen“, sagte er. „Aber ich für meinen Teil wünsche mir nichts anderes als die Heimreise in der Gesellschaft meiner Freunde.“

Arwen nahm seine Hand. „Du möchtest nicht mehr für dich selbst erbitten, Frodo?“ drängte sie. „Deine Taten verdienen viel Dank und Belohnung.“

„Nein, Herrin. Meine Taten verdienen nicht mehr Belohnung als viele andere, und manche davon viel weniger als das.“ Frodo lächelte grimmig. „Und ich habe all den Dank gehabt, den ich ertragen kann. Nein. Mein Zuhause ist, was ich will, und Bilbo wiederzusehen. Das ist die gesamte Belohnung, die ich mir wünsche oder die ich verdiene.“

„Willst du deine Taten aus Demut schmälern?“ fragte sie, und beobachtete sein Gesicht sehr genau. „Vielleicht mag der Schatten auf deinem Herzen sich verringern, wenn du dir Befriedigung über deine Heldentat gestattest, anstatt dich selbst anzuklagen.“

Frodo schüttelte den Kopf. „Wenn Demut eine Voraussetzung wäre, dann glaube ich nicht, dass der Schatten zum Zuge käme“, erklärte er. „Ich fürchte, es ist ein Übermaß an Stolz ist, das es ihm gestattet zu wachsen.“

„Ich hätte ,stolz’ nicht für ein passendes Wort gehalten, um dich zu beschreiben, Frodo“, meinte sie. „Warum solltest du so etwas von dir denken?“

Frodo zog seine Hand zurück. „Vergebt mir, Herrin. Ich habe nur Antwort gegeben. Ich möchte diesen glücklichen Tag nicht mit Dingen verderben, die unausgesprochen bleiben sollten.“

„Unsinn.“ sagte Arwen. „Ich habe schon die Gedanken meines Mannes zu dieser Angelegenheit gehört. Ich würde jetzt gern deine hören.“

Frodo warf dem König, der ihn gelassen und unbeeindruckt anschaute, einen wütenden Blick zu.

„Sie ist meine Frau“, erklärte Aragorn. „Ich habe nichts vor ihr verborgen. Sie hat den Wunsch zu helfen, und sie ist vielleicht die Einzige, die es kann. Ich würde mir wünschen, dass du offen mit ihr sprichst.“

Frodo zögerte und blickte zu Boden. Er holte Atem und sprach. „Ich will Ihn immer noch, Herrin“, stellte er ruhig fest, „obwohl ich vermute, dass Ihr das bereits wisst. Es ist ein furchtbar hochmütiges Ding, um danach zu verlangen.“

„Hochmut ist ein hartes Urteil, um es dir aufzuladen, Ringträger“, sagte sie, „Du bist durch eine Furcht und Dunkelheit gekommen, der kein anderer hätte gegenübertreten können. Wäre es nicht besser zu sagen, dass Er dich verletzt hat und dass du jetzt den Preis dafür bezahlst?“

„Leichter vielleicht“, gab er zu, „aber nicht besser.“ Er schaute in die grauen Augen, die ihn in Bruchtal so geblendet hatten. „Es macht keinen Sinn, dass ich versuche, mich selbst zu narren“, fuhr er fort, „oder andere. Ich habe meine Entscheidungen getroffen und jetzt muss ich die die Folgen tragen. Ich habe kein Recht, etwas anderes zu erwarten.“

„Du hast ein Recht auf mehr, als du weißt, Frodo, ob du es vorziehst, das zu glauben oder nicht.“

„Ich nehme keinerlei Rechte für mich in Anspruch, Herrin. Ich bin es zufrieden, nach Hause zurückzukehren und dort in Ruhe zu leben.“

Arwen betrachtete ihn genau. „Kannst du das?“ fragte sie.

Frodo war einen Augenblick still. „Ich weiß es nicht“, sagte er endlich. „Aber ich habe vor, es zu versuchen. Was gibt es denn auch sonst noch?“

„Einen anderen Weg“, antwortete sie. Sie streckte die Hand aus und streichelte mit den Fingerspitzen seine Wange. „Ich fürchte, es gibt immer noch Entscheidungen, die du treffen musst, Ringträger.“

„Wenn deine alten Wunden dich quälen und die Erinnerung an deine Bürde schwer auf dir lastet, dann kannst du in den Westen fahren, wo du von all deinen Gebrechen und von der Müdigkeit geheilt wirst. Doch trage nun dies, zum Gedenken an Elbenstein und Abendstern, mit denen das Schicksal dich verbunden hat!“

Und sie nahm einen weißen Edelstein, der an ihrer Brust lag und hängte ihn an seiner silbernen Kette Frodo um den Hals. „Dies wird dir helfen“, sagte sie, „wenn die Erinnerung an Nacht und Schrecken dich peinigt.“


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