Von Geist zu Geist (Mind to Mind)
von shirebound, übersetzt von Cúthalion


„Diese Schlange, fürchte ich, hatte noch einen Giftzahn...das Gift seiner Stimme nämlich.“
(Gandalf, „Die Rückkehr des Königs“, „Viele Abschiede“)

2.Kapitel
Sturmwolken

7. September

Es war weniger als eine Stunde Fußmarsch durch den Wald östlich des Lagers nötig gewesen, um Elladan, Frodo, Merry und Pippin zum Fuß des Celebdil zu bringen. Durch die dünner werdende Reihe der Bäume zeichnete sich der Berg dort über ihnen ab, und es war Frodo, der zuerst die Reihe der vier Höhlen auf der Seite des Berges erspähte, in Abständen ungefähr 500 Fuß über ihnen gelegen.

Die klare Morgenstille zerbrach ohne Vorwarnung, als entfernter Donner hörbar wurde, und dicke Wolken waren so schnell herangezogen, dass selbst Elladan von der Geschwindigkeit des Sturmes überrascht wurde. Die Schleusen des Himmel öffneten sich und heftiger Regen setzte ein. Die Höhlen boten die beste Möglichkeit zum Schutz, und die Hobbits fingen ohne ein Wort an, so schnell wie möglich den schwach erkennbaren Pfad empor zu klimmen, Elladan dicht hinter ihnen.

*****

Elrond stand still unter dem großen Pavillon und starrte hinaus in den endlos strömenden Regen.

„Was bekümmert dich?“ fragte Galadriel leise und trat neben ihn. „Spürst du eine Gefahr?“

„Ich spüre irgend etwas,“ erwiderte Elrond. „Aber ich weiß nicht, was es ist. Ich wünschte, Frodo wäre nicht mit ihnen gegangen.“

„Weshalb?“

„Ich bin besorgt darüber, was ihm letzte Nacht wiederfahren ist.“ erklärte der Elbenherr. „Wenn Frodos leichtes Fieber bleibt, dann sollte er bei solchem Wetter nicht unterwegs sein.“

„Elladan wird sich um sie kümmern.“ sagte Gandalf, der sich ihnen anschloss. „Wie auch immer, du weißt so gut wie ich, dass die Hobbits nicht länger Schutz brauchen, Elrond. Sie sind gewachsen. Jeder einzelne von ihnen.“

„Ich weiß.“ sagte Elrond, aber das Lächeln erreichte seine Augen nicht. „Trotzdem werde ich ruhiger schlafen, wenn sie zurückgekehrt sind.“

*****

Die Hobbits und Elladan retteten sich in eine der Höhlen, fast hineingeblasen von dem Wind und dem kalten, strömenden Regen. Die Hobbits schüttelten sich das Wasser aus den Haaren und warfen ihre durchweichten Mäntel und Jacken neben den Eingang, und Merry und Pippin öffneten ihre Gürtel und legten ihre Schwerter auf den Boden. Elladan nahm seinen Bogen und seinen Köcher ab und legte sie ebenso wie sein langes Messer beiseite.

Der Himmel hatte sich verdunkelt, als wäre die Nacht hereingebrochen, und selbst Elladans Augen konnten in der Düsternis der Höhle sehr wenig sehen. „Wir brauchen Licht. Lasst uns sehen, ob wir...“

„Licht?“ Frodo kniete sich mit einem Lächeln auf den Haufen aus Kleidern und Waffen, dann zog er etwas aus seiner Jackentasche und hielt es hoch. Elladan, Merry und Pippin schauten voller Staunen, als ein sanfter Glanz wuchs und sich vervielfachte, bis Frodo der Mittelpunkt eines Sternes zu sein schien, den es auf die Erde verschlagen hatte.

„Also, so sieht das aus.“ grinste Merry. „Ein Licht, wenn alle anderen Lichter ausgehen, in der Tat.“

„Erstaunlich.“ murmelte Elladan. „Ein wohl durchdachtes Geschenk.“ Er runzelte die Stirn, als er merkte, dass die kleine Hand, die die Phiole hielt, bebte. Frodo fing an, vor Kälte zu zittern.

„Wir brauchen ein Feuer.“ sagte Pippin plötzlich, dem das Gleiche aufgefallen war. „Lasst uns ein bisschen weiter hinein gehen, weg von diesem Wind.“

Im schwachen Licht vom Eingang und dem stärkeren Glanz, der von der Phiole ausging, untersuchten die vier ihre Umgebung, während sie Material für das Feuer zusammensuchten. Was einst eine mit üppigen Steinmetzarbeiten verzierte Grotte gewesen war, schien dem Zahn der Zeit zum Opfer gefallen zu sein... oder etwas anderem.

„Was für ein Durcheinander.“ sagte Merry voller Abscheu.

„Du hast recht.“ stimmte Elladan zu und zog einen langen Ast an eine trockenere Stelle in der Nähe einer Gruppe massiver Steinschnitzereien. „Irgend etwas ist hier passiert, dass all diese Säulen heruntergekommen sind.“

„Orks?“ fragte Pippin.

„Vielleicht.“ sagte Elladan und sah sich um. Einige der vielen Steinmetzarbeiten, die die Höhle verziert hatten, lagen verstreut auf dem Boden, ebenso wie zahlreiche Trümmer. An vielen Stellen war Wasser eingedrungen, und die Hobbits mussten ihre Schritte mit Bedacht setzen, um ihnen auszuweichen. Der Donner krachte noch lauter, und Blitze erleuchteten den Eingang zur Höhle. Plötzlich erzitterte der Boden unter ihren Füßen, und ein kleines Gefäß zu Pippins Füßen erzitterte ebenfalls und kippte um.

„Nicht bloß Orks,“ bemerkte Frodo, „auch Stürme. Fühlt nur, wie alles bebt, wenn da hinten ein Blitz einschlägt.“

„Komm, wärm dich auf.“ rief Elladan, als es ihm gelungen war, ein kleines Feuer in Gang zu bringen. Frodo seufzte vor Erleichterung. Er ging zu dem Kleiderhaufen hinüber und steckte die Phiole wieder in seine Jackentasche; dann eilte er zurück, um sich am Feuer zu wärmen.

„Ich glaube nicht, dass das natürliche Höhlen sind.“ sagte Merry plötzlich. Er untersuchte die Wände, die glatt waren und Anzeichen von Handwerksarbeiten trugen. „Die Zwerge müssen sie gegraben haben. Vielleicht haben diese Grotten für die Belüftung der Stadt tief unter dem Berg gesorgt.“

„Moria.“ Frodo seufzte. Er trat weg vom Feuer und strich mit einer Hand über die glatte Wand. „Ich hatte gehofft, nie wieder in seine Nähe zu kommen.“

Pippin fing an, eine große Zwergenlaterne zu untersuchen, die an einer der Wände lehnte und zu schwer war, als dass er sie hochheben konnte. „Ich brauche jemanden, der mir mit dem hier zur Hand geht.“ Sagte er, dann schaute er sich um und runzelte die Stirn. „Also, wo ist Merry hin?“

„Ich hole ihn.“ sagte Frodo und suchte sich vorsichtig einen Weg dorthin, wo er Merry zuletzt gesehen hatte. „Pip, wie viel Essen hast du in deinem...“

Plötzlich wurde der Eingang von blendendem Licht erleuchtet, gefolgt von explosionsartigem Lärm. Innerhalb weniger Sekunden folgte ein weiterer Blitz und eine Druckwelle erschütterte die Höhle und warf Frodo auf Händen und Knien in eine flache Wasserpfütze. Ein Teil der Wand neben ihm gab plötzlich nach und überschüttete ihn mit kleinen Felsbrocken, und ein großes, hölzernes Fass krachte auf den Boden und zerschellte – ein zweites kippte und drohte jeden Moment zu fallen.

Er hörte, wie Merry seinen Namen rief, aber bevor er antworten konnte, schlug ein dritter Blitzstrahl ein, diesmal direkt oberhalb der Höhle. Frodo hatte einen kurzen, entsetzlichen Eindruck von Pippin, der unter einem Schauer von Trümmern begraben wurde, bevor Staubwolken ihm die Sicht vernebelten. Die Höhle fuhr fort, zu zittern und zu beben, dann kam ein plötzliches, lautes Krach und ein Schmerzensschrei von Elladan. Bevor Frodo wieder auf die Füße kommen konnte, traf ihn etwas von hinten und er wusste nichts mehr.

*****

Eine hoch gewachsene Gestalt mit einer brennenden Fackel tauchte aus den Tiefen der Höhle auf und überblickte die Zerstörung.

„Der Eingang ist beinahe blockiert,“ sagte sie, „aber da ist immer noch ein Durchgang nach draußen. Wir werden von hier fortgehen, sobald das Wetter aufklart. Wir hatten ziemliches Glück, Schlangenzunge, dass nicht die ganze Höhle...“

„Meister!“ Eine zweite Gestalt erschien, die etwas in den Armen hielt.

„Ah...“ murmelte der Große und hielt seine Fackel nahe vor das kleine Gesicht. „Und was tust du hier, Halbling?“

„Saruman!“ Merry schnappte nach Luft. Betäubt, die Ohren noch immer dröhnend von dem krachenden Lärm, kämpfte er darum, sich aus den Armen zu befreien, die ihn in einem unbarmherzigen Griff hielten. „Lasst mich los!“

„Ich erinnere mich an dich,“ murmelte Saruman, „du warst einer der Halblinge, die...“ Seine dunklen Augen brannten plötzlich vor Bosheit. „Schlange! Binde ihn!“ Sein Diener warf den betäubten Merry auf den Boden, dann riss er einen Streifen von seinem schmutzigen Gewand und fesselte die Hände des Hobbits vor seinem Körper. Saruman drehte eine kleine Runde und betrachtete die Berge aus Steinen und Schutt, die jetzt den Boden der Höhle übersäten, genauer. Er wanderte hinüber zu einer nahe gelegenen Wand und entdeckte einen kleinen Körper auf dem Boden. Die Spur aus Wasser und Schmutz zeigte ihm, dass der erste Halbling dabei gewesen war, den anderen von der Pfütze fortzuziehen, in der er lag, als Schlangenzunge ihn gepackt hatte.

„Noch einer,“ murmelte er und betrachtete prüfend das bleiche Gesicht und das dunkle Haar des bewusstlosen Hobbits. „Er ist mir nicht bekannt. Unser Glück hat sich gewendet, Schlange.“

Er wandte sich an seinen Diener und deutete auf die stille Gestalt zu seinen Füßen.

„Er lebt. Binde ihn auch. Es gibt viel, was wir von ihnen erfahren können.“ Als Schlangenzunge sich in Bewegung setzte, um zu gehorchen, sah Saruman sich um und lächelte langsam. „Und was haben wir hier?“

Nahe bei ihnen sah er einen Elb, der neben den Überresten eines kleinen Feuers lag. Ein schwerer Balken war umgestürzt und das Ende davon lag quer über seiner Brust und presste ihn gegen den Boden.

Schlangenzunge warf Frodo neben Merry, dann kam er an Sarumans Seite. Sein Meister zeigte auf die Hobbits.

„Nimm sie, den da zuerst.“ Saruman deutete auf Merry, der krampfhaft zu erkennen versuchte, ob Frodo schwer verletzt war. „Stell sicher, dass sie nicht entkommen können. Ich bin gleich bei dir.“

„Was ist mit dem Elb?“

„Ich habe kein Interesse an einem Elben.“ Saruman ging dorthin, wo Elladan lag und kauerte sich nieder, um ihn leidenschaftslos zu betrachten. „Nebenbei,“ sagte er leise, „er liegt im Sterben, nicht wahr? Ja, ich glaube schon.“Er lächelte, als Elladans Lider sich flatternd hoben und der Elb ihn bemerkte, und er starrte ihm tief in die Augen. „Es wird dunkel und kalt. Lass dich von der Dunkelheit erfassen, Elb. Selbst jetzt noch kannst du spüren, wie dein Herz stockt und langsamer schlägt... jeder Atemzug ist eine Qual...“

*****

Sam und Elrohir waren zum Lager zurückgehastet, gerade als der Sturm losbrach, die Arme und Rucksäcke voller Pflanzen, die sie den ganzen Morgen über gesammelt hatten. Sie lachten und redeten, während sie gemeinsam arbeiteten (gleichzeitig ein besorgtes Auge auf den fortgesetzten Regen haltend) und Blätter und Wurzeln auf einem Trockengestell ausbreiteten, das sie zusammengebaut hatten.

„Ich bin froh, dass wir dies hier entdeckt haben.“sagte Elrohir und hob ein paar kostbare Athelas-Blätter hoch. „Oder ich sollte wohl eher sagen, dass du sie entdeckt hast.“

„Ich erinnere mich, wie Streicher uns erzählte, er hätte welches durch den Duft gefunden,“ sagte Sam, „und das ist eine gute Art, es aufzuspüren. Ich würde diesen Duft nie vergessen, nie im Leben.“ Er schaute gedankenvoll drein. „Aber ich dachte, es würde nur wirken, wenn Streicher es benutzt.“

Elrohir lächelte auf den Gärtner hinunter. „Es ist eine Pflanze, Sam, und sie entfaltet ihre Wirkung selbst in ungeschickten Händen. Wie auch immer, die verborgenen Fähigkeiten einer jeden Heilpflanze werden verstärkt durch das Geschick des Heilers, der sie einsetzt, und Aragorn hat sicherlich ganz eigene ,verborgene Fähigkeiten’, nicht wahr?“

„Die hat er sicher.“ grinste Sam. Er band das kleine Bündel der langen Blätter mit angemessenem Respekt an das Gestell... und dann schaute er erschrocken auf, als Elrohir plötzlich nach Luft rang, während sie seine Hand fester um die Schulter des Hobbits krampfte.

„Was ist denn?“

„Ich... ich kann nicht...“ Elrohir fasste sich an die Brust; sein Gesicht verzerrte sich vor Schmerz, und dann fiel er auf die Knie.

„Herr Elrond! Gandalf!“ Sam schrie zu dem Elbenherrn und dem Zauberer hinüber, die in einiger Entfernung miteinander sprachen, und sie kamen herbeigeeilt.

„Elrohir!“ sagte Elrond drängend, kniete nieder und legte die Arme um seinen Sohn. „Was ist geschehen?“

„Es ist Elladan...“ murmelte Elrohir, seine Augen trübe. Er blickte um sich und versuchte, die Quelle seines Unwohlseins auszumachen. „Elladan...“

*****

Vom ersten Blick an auf die Erscheinung des Fremden und dem ersten Erklingen seiner Stimme wusste Elladan, dass die Person, die sich über ihn beugte, nur Cúrunir sein konnte, auch bekannt unter dem Namen Saruman. Von den vielen Geschichten, die Merry und Pippin auf ihrer Reise nach Norden aneinander gereiht hatten, kannte er die gesamte Geschichte vom Ertrinken Isengarts, und er wusste Bescheid über die Auswirkungen von Sarumas Stimme auf diejenigen, die nicht auf der Hut waren. Beinahe zu spät wappnete er seinen Geist, während er mehr fühlte als hörte, wie die honigsüßen Worte sich durch seine Seele wanden, ihn wie mit dicken Seilen banden und versuchten, ihn in die Finsternis zu zerren. Die Stimme war von solcher Vernunft erfüllt, solch sanfter Logik, sie drängte ihn, loszulassen... seinem schmerzerfüllten Atem zu erlauben, langsamer zu werden... es würde so einfach sein... Er leistete verzweifelten Widerstand, aber es wurde schwerer und schwerer, um Helligkeit zu kämpfen... um Luft...

Der ehemalige Zauberer sprach weiter, seine gleichmäßige, unbarmherzige Stimme überspülte den Elb, der darum rang, bei Bewusstsein zu bleiben. Saruman beobachtete mit Befriedigung, wie das gequälte Gesicht immer bleicher wurde, die mühsamen Atemzüge immer flacher. Der Tod wird diesen bald holen. dachte er bei sich. Dieser Narr Gandalf glaubt, ich sei machtlos, aber er ist nicht der erste, der mich unterschätzt. Saruman hob die Fackel hoch und stand auf. Er sah sich ein letztes Mal um, aber er konnte niemand anderen sehen. Schlangenzunge war von dort zurückgekommen, wohin er Merry gebracht hatte, und nun hievte er den bewusstlosen Hobbit über seine Schulter.

„Diese Halblinge halten möglicherweise den Schlüssel zu einem neuen Zeitalter in den Händen.“ sagte Saruman zu ihm. Das Zeitalter Sarumans. setzte er genießerisch für sich selbst hinzu.

„Diese drei sind vielleicht nicht allein.“ sagte Schlangenzunge nervös. „Was ist, wenn ihre Freunde kommen, um sie zu suchen?“

Saruman lächelte. „Der Regen hat jede Spur fortgewaschen. Ich werde alle Zeit haben, die ich brauche.“

„Um was zu tun, Meister?“

„Du vergisst deinen Platz, Schlange.“ sagte Saruman scharf. „Wenn ich wünsche, dass du irgendetwas weißt, dann werde ich es dir sagen.“

Damit verwies er seinen Diener wieder zurück durch den beinahe verborgenen Gang, aus dem sie gekommen waren, und sie verschwanden in den Tiefen der Höhle.


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