Fünf Dinge, die im Leben von Lily Stolzfuß nie geschehen sind
von Cúthalion


Drei

Im Mai 1430 kommt diese gewisse Zeit im Monat und geht vorbei, aber die vertrauten Anzeichen bleiben aus. Lily hat das Hunderte von Malen bei anderen Frauen gesehen, aber die Tatsache, dass es diesmal ihr eigener Körper ist, raubt ihr den Atem.

Sie hat Klein Faramir während gewaltiger Familienfeste im Brandyschloss herum getragen, und sie hat Estella geholfen, als die Milch nach der Geburt von Klein Gilda nicht fließen wollte und ihre Brustwarzen wund und entzündet waren. Sie weiß, was sie tun und was sie all den werdenden Müttern in Hobbingen und Wasserau sagen muss, und sie hat die Babies in ihrer Obhut als angenehme Pflicht angesehen, als kleine Geschöpfe, für die man sorgen und um die man sich kümmern muss. Aber die Aussicht auf ein neues Leben, das langsam in ihrem Leib wächst, erfüllt sie mit unerklärlicher Angst.

Sie wacht neuerdings spät Nachts auf, und Frodo - seit langem an Schlaflosigkeit gewöhnt - beobachtet sie eine Woche oder zwei. Er sieht, was Lily vor jedermann zu verbergen versucht - - dunkle Ringe unter ihren Augen, verstohlenes Gähnen hinter ihrer Hand und eine wachsende Rastlosigkeit und Erschöpfung. Aber er sagt nichts; er kennt sie gut genug, um ihr die Zeit zu lassen, die sie braucht.

Dann spürt er eines Morgens Anfang Juli, wie sie neben ihm aus dem Bett schlüpft. Er folgt ihr leise durch die langen Gänge, an den Schlafkammern von Rosies und Sams Nachwuchs (bis jetzt zwei Mädel und drei Jungs), und am Elternschlafzimmer vorbei. Endlich findet er sie ein einem der Lagerräume. Sie sitzt auf einem niedrigen Hocker neben Belladonna Beutlins alter Wiege.

Bilbo hat darin geschlafen, als er ein Baby war, Elanor und Frodo, Goldlöckchen, Merry und Pippin. das alte, dunkle Holz riecht nach Bienenwachs und Leinöl, und während er auf der Türschwelle steht, den Hausmantel lose über dem Nachthemd, sieht er ihre Hand, die sanft die geschnitzten Blumen und Elfenbeineinlagen im Kopfteil streichelt.

„Lily?"

Sie hob den Kopf; ihr liebliches Gesicht ist im grauen Licht der Morgendämmerung müde und bleich.

„Meine Indil... was fehlt dir?“

Sie holt tief Atem.

„Nichts," flüstert sie, „nicht wirklich. Ich habe Angst, mein Liebster. Ich weiß, das sollte ich wirklich nicht, und ich komme mir sehr albern vor, weil ich ganz bestimmt genug über die ganze Sache weiß, aber ich... ich bekomme ein Kind, und ich habe schreckliche Angst.“

Er macht ein paar unsichere Schritte und findet sich plötzlich auf den Knien wieder; sein Kopf dreht sich, das Herz stolpert ihm in den Brust. Er will etwas sagen, aber er findet keine Worte, und erst als sie sich mit einem bebenden Lächeln über die Wiege beugt und ihn in die Arme nimmt, begreift er, dass sein Gesicht tränennass ist.


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