Fünf Dinge, die im Leben von Lily Stolzfuß nie geschehen sind
von Cúthalion


Vier

Nichts hat sie auf das hier vorbereitet - die wunderschönen Zelte, aus Seide und feinem Leinen gemacht, die Damen in prachtvollen Gewändern, die Soldaten und Wachen in der schwarzsilbernen Tracht von Gondor.

Sie geht die Wege entlang mit den geweiteten Augen eines Kindes, das durch ein Märchen wandelt, und als der Augenblick kommt, da man von ihr erwartet, den König zu begrüßen, zittern ihr die Knie unter den üppigen Röcken des sonnengelben Kleides, das sie für diesen Anlass ausgesucht hat, und ihre Hand bebt in dem kräftigen, warmen Griff von Frodos Fingern.

Zwei Throne sind am Ufer des Abendrotsees errichtet worden. Das Wasser gleißt wie Wahrsilber im Mittagslicht; Lily blinzelt gegen die blendende Helligkeit, und sie senkt den Kopf, als sie Frodos Worte hört: „Aragorn, meine Herrin Arwen... das ist meine geliebte Frau, Lily.“

„Lily?”

Eine sanfte, kühle Berührung an ihrer Wange. Jemand hebt ihr Kinn an... und dann schaut sie in das Gesicht der Schönheit selbst. Rabenschwarzes Haar, das wie ein Strom der Nacht über Schultern hinab fließt, die so blass und schimmernd sind wie Perlmutt. Graue Augen, leuchtend wie die stürmischen Tiefen eines Ozeans, den Lily noch nie gesehen hat und doch mit einer scharfen, schmerzhaften Sehnsucht tief im Herzen wiedererkennt. Sie kann nicht sprechen. Sie nimmt diese strahlenden, wunderschönen Züge in sich auf, und für den Moment sind selbst Frodo und der König vergessen. Aber dann geschehen drei Dinge gleichzeitig: Ihr Ehemann räuspert sich und drückt ihre Hand ein klein wenig fester, das tiefe, belustigte Glucksen einer Männerstimme dringt an ihr Ohr und gleichzeitig kommt ein schrilles, spitzes Krähen von hinter ihnen. Instinktiv dreht sie sich um.

Da kommt Elanor - Elanor die Schöne - ungewöhnlich hochgewachsen für ein Hobbitmädchen, mit Haaren wie hellem Sommerweizen und schlank wie eine Weidengerte, und sie trägt einen kleinen Jungen auf dem Arm... ein Hobbitkind mit einem rosigen Gesicht unter einem kastanienbraunen Lockenschopf. Irgendwann, wenn der Babyspeck verschwunden ist, wird er die hohen, eleganten Wangenknochen seines Vaters haben, und er schaut mit den selben, tief indigoblauen Augen in die Welt.

„Mama!“

„Tut mir Leid, Frau Lily," sagt Elanor und verneigt sich mit leichtfüßiger, geschmeidiger Grazie vor dem König und der Königin. „Er wollte nicht länger warten.“

„Aragorn...“ Lily hört den tiefen Stolz in Frodos Stimme und ihr Gesicht entspannt sich in einem Lächeln. „Darf ich dir meinen Sohn Fredegar vorstellen?"

Der König erhebt sich von seinem Thron und Lily hat zum ersten Mal die Gelegenheit, den Menschen zu betrachten, den sie nur aus Frodos zahlreichen Geschichten kennt. Er hat ein gutes, klares Gesicht, und sie bemerkt die Überraschung und Freude beim Anblick des kleines Kindes, die die Linien der Erfahrung um seine Augen und seinen Mund herum milder erscheinen lassen. Ohne zu zögern, streckt er die Hände aus, und anstatt zurück zu weichen, gibt Freddy ein hohes, entzücktes Kichern von sich und vergräbt fünf mollige Finger in dem sauber gestutzten Bart vor sich. Der König lacht, eine edle Gestalt, aus halb vergessenen Legenden erstanden und doch wundersam wirklich, während er den kleinen Körper von Frodos Kind in sanften Griff hält. Und Lily vergisst all ihre Scheu und Unsicherheit und lacht mit ihm.

„Das darfst du, mein lieber Frodo," sagt der König mit tanzenden Augen. „Was für ein wunderbarer kleiner Junge.“ Er löst sachte eine rundliche Hand aus seinen Haaren und sie spürt, dass seine Augen auf ihrem Gesicht ruhen, mit einer Freundlichkeit und einem Respekt, der ihr das Herz wärmt. „Und auch eine wunderbare Frau. Elen sila lumenn' omentielvo, Lily Beutlin.“

Und zu ihrer ehrfürchtigen Überraschung beugt er sein gekröntes Haupt und küsst ihr die Hand.


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