Euch zu Diensten
von Lialathuveril, übersetzt von Cúthalion


Prolog: Von Königen und Königinnen

3019. In diesem Jahr starb Théoden, König der Mark, der der Sohn von König Thengel gewesen war, und der letzte seiner Linie. Auf den Pelennorfeldern ernannte er seinen Schwestersohn Éomer zu seinem Erben und setzte ihn als König der Eorlingas ein.
(Die Chronik der Riddermark)


Edoras, August 3019 im Dritten Zeitalter.

Es gab keine Ratten in den Kerkern von Meduseld. Tatsächlich gab es in Meduseld überhaupt keine anständigen Kerker, nur ein kleines Wachhaus ein wenig abseits der Goldenen Halle, auf halbem Weg den Hügel hinunter. Es wies lediglich ein paar Räume auf, in denen man Gefangene festhalten konnte. Und wenn es, wie jetzt, keine gab, dann stand es einfach leer. Gerechtigkeit in der Mark wurde rasch gesprochen, und welche Übeltäter auch immer erwischt wurden, man sperrte sie nicht lange ein. 

Éomer betrachtete den kahlen, kleinen Raum, der kaum fünf Monate zuvor als seine Zelle gedient hatte. Das bleiche Mondlicht, das durch das kleine Fenster hoch in einer Wand hereinströmte, ließ ihn die sparsame Möblierung erkennen. Nicht, dass er überhaupt irgendein Licht nötig gehabt hätte, denn ihm war noch jede letzte Unebenheit des Lehmbodens vertraut; er hatte die Länge seiner Zelle unzählige Male abgeschritten. Er machte einen Schritt in den Raum und streckte eine Hand aus, um die Wand zu berühren. Sie war rau und kalt unter seinen Fingern. 

Seine Bewacher hatten sich zutiefst unbehaglich dabei gefühlt, ihn gefangen halten zu müssen, und sie hatten sich übermäßig für die dünne Strohmatte auf dem Boden und die mageren Rationen entschuldigt. Éomer hätte sie wahrscheinlich dazu überreden können, ihn entkommen zu lassen, aber irgendetwas hatte ihm gesagt, er solle bleiben und seine Zeit abwarten. Die Ereignisse hatten ihm schließlich Recht gegeben, aber das waren dunkle und verzweifelte Zeiten gewesen. 

Als er befreit worden war, hatte er erwartet, sein Leben in einer der vielen bevorstehenden Schlachten für seinen König zu geben. Es war ironisch, dass er stattdessen den Krieg ohne einen Kratzer überstanden hatte, und dass der Mantel des Königtums auf ihn übergegangen war. 

Hinter ihm knarrte die Tür und er wirbelte herum, seine Reflexe scharf geschliffen durch Jahre, in denen er mit der ständigen Drohung gelebt hatte, dass sich das Messer eines Attentäters in seinen Rücken grub. Er entspannte sich allerdings fast sofort wieder, als er die schlanke Gestalt seiner Schwester erkannte. Sie hielt eine Öllampe hoch und beäugte ihn sorgenvoll. 

„Éomer?“ fragte sie, „Éothain sagte, du wärst hier hin gegangen. Was tust du denn hier?“ 

Er zuckte die Achseln. „Einfach nachdenken.“ 

Hinter ihr konnte er Faramir ausmachen, dessen schwarzes Haar mit den Schatten verschmolz, und er wechselte ein kurzes, grüßendes Nicken mit dem Fürsten von Ithilien. 

„Also, worüber hast du nachgedacht?“ forschte Èowyn; sie war niemand, der so leicht aufgab. 

Er breitete die Hände aus, „Die Vergangenheit und die Zukunft.“ 

Als Éowyn ihn weiter stirnrunzelnd betrachtete, wurde er ausführlicher. „Nicht einmal vor einem halben Jahr war ich ein Gefangener hier, und nun bin ich der König der Mark.“ 

Faramirs Augen weiteten sich angesichts dieser Enthüllung, aber abgesehen davon, dass er sich mit erneuertem Interesse in dem Raum umblickte, zeigte er keine weitere Reaktion. Éomer fragte sich müßig, ob es in den Kerkern von Minas Tirith wohl Ratten gab. Dann bemerkte er die Sorge in den Augen seiner Schwester und spürte, wie Reue ihn durchflutete. Heute hatten sie ihren Onkel zu Grabe getragen, und doch sollte dies ein glücklicher Tag für Éowyn sein, nachdem ihr Verlöbnis mit Faramir in aller Form verkündet worden war. 

„Es tut mir Leid,“ sagte er, „ich halte mich zu sehr mit der Vergangenheit auf.“ 

Vor allem, wenn es keinen Weg gab, sie zu ändern. Entschlossen drehte er dem Raum seinen Rücken zu und deutete zur Tür. 

„Lasst uns woandershin gehen und über die Zukunft sprechen. Deine Zukunft,“ sagte er und lächelte auf Éowyn hinunter. 

Sie lächelte dankbar zurück, und gemeinsam verließen sie das stille Wachhaus. Draußen hielt er einen Moment inne und blickte hinaus über die Gebäude, die unter ihnen ausgebreitet lagen. Es ging kaum eine Brise, und er konnte spüren, wie die Steine unter seinen dünnsohligen Schuhen die Hitze ausstrahlten, die sie während des Tages gespeichert hatten. Über den Bergen im Süden waren ein paar Wolken zu sehen, aber über ihren Köpfen funkelten die Sterne wie ein Vermögen an Diamanten, von einem achtloses Kind quer über den Himmel verstreut.  

Die entfernten Geräusche der Festlichkeiten trugen weit in der lauen Nachtluft, Gesang und Musik, und die engen Straßen von Edoras waren von Fackeln erleuchtet. Automatisch blickte er prüfend nach irgendwelchen Feuern, die den Strohdächern der Häuser zu nahe kamen, aber es war alles in Ordnung. Ohnehin waren an jedem Kreuzweg Fässer mit Wasser aufgestellt, für den Fall, dass es brannte – in der Vergangenheit hatten sie sich auch dann als nützlich erwiesen, wenn es darum ging, die Gemüter abzukühlen, falls ein Streit ausbrach.  

Heute Nacht jedoch war alles friedlich, und nach einem letzten Blick in die Runde ging er weiter voraus den Hügel hinauf, auf die Goldene Halle zu. Sie erstrahlte ebenfalls vom Lichterglanz, und Éomer wusste, dass drinnen eine Gesellschaft versammelt war, wie man sie nicht mehr gesehen hatte, seit die Halle von Brego, dem Sohn des Eorl, erbaut worden war. Trotzdem zögerte er am Fuß der letzten Treppenflucht und wandte sich dann nach links, einen schmalen Pfad entlang, der zum Küchengebäude führte. 

Vor einer Weile hatte man dort emsig das Essen vorbereitet, aber jetzt lag es still da; die Bediensteten waren hinunter gegangen, um mit zu feiern. In dieser Nacht würde das Bier freigiebig in Meduseld fließen, aber die großen Fässer waren vor ein paar Tagen hinauf gebracht und mitten in der Halle aufgestellt worden. 

Draußen vor der Küche war ein großer Tisch aufgebockt, und Éomer und Faramir setzten sich an das eine Ende, während Éowyn hinein ging. Sie erschien kurze Zeit später wieder mit drei Bechern voller Wein, die sie auf den groben Holzbrettern abstellte. Aus Gewohnheit hatte Éomer auf der Bank Platz genommen, von der aus man den besten Ausblick hatte, mit der Mauer hinter sich. Er begegnete den Augen seiner Schwester und sah, wie sich darin die geteilte Erinnerung an die vielen Male widerspiegelte, als sie hier mit ihrem Vetter gesessen hatten.... jedoch niemals wieder, denn Théodred war an den Furten des Isen gefallen, während er sein Volk gegen die Heere von Saruman verteidigte. 

Éomer hob seinen Zinnbecher und bemerkte, dass es der mit der Delle war; Théodred hatte ihn in jähem Abscheu gegen eine von Gríma Schlangenzunges Machenschaften zu Boden geschleudert. Plötzlich durchfuhr ihn Zorn; ein halbes Jahr war das her, und doch ließ sich die Erinnerung daran irgendwie niemals leichter ertragen. 

„Auf abwesende Freunde,“ sagte er und nahm einen tiefen Schluck.

Ein kurzes Aufblitzen der Trauer glitt über Faramirs Gesicht, während er seine Worte wiederholte, und Èomer erinnerte sich selbst daran, dass er nicht der Einzige war, der im Krieg Menschen verloren hatte, die er liebte. Der Wein war dunkel, fast schwarz, und Faramir hob verblüfft die Augenbrauen. 

„Wo hast du diesen Jahrgang her?“ fragte er Éowyn. „Das ist ganz sicher feinster Moragar aus Dol Amroth.“ 

„Es ist einer von den Weinen, die Fürst Imrahil mitgebracht hat,“ erklärte Éowyn. „Ich dachte, er passt zur Gelegenheit.“ 

„Nun, man trägt nicht jeden Tag einen König zu Grabe,“ bemerkte Éomer, „wenigstens hoffe ich das.“ 

Worauf er einen verärgerten Blick seiner Schwester auffing und sich selbst dafür schalt, einmal mehr zu brüten. 

„Es tut mir Leid,“ entschuldigte er sich. „Lass uns von glücklicheren Dingen sprechen.“ 

Éowyn hatte sich neben Faramir niedergelassen und schmiegte sich jetzt enger an ihn. Mit einem ein wenig vorsichtigen Blick in Éomers Richtung legte Faramir seinen Arm um ihre Mitte, und Éomer musste ein Grinsen unterdrücken. Fürchtete der Mann, er würde daran Anstoß nehmen, wie er mit seiner Schwester umging? Sie waren in der Riddermark, und es blieb ganz und gar Éowyn überlassen, wie viele Freiheiten sie ihrem Verlobten gestattete. 

Leicht aufgeheitert ließ er den Wein in seinem Becher kreisen und nahm einen weiteren Schluck von der üppig roten Flüssigkeit. 

„Ich weiß, es ist noch früh,“ sagte er, „aber habt ihr schon an ein Datum und einen Ort für eure Hochzeit gedacht?“ 

Die beiden wechselten einen Blick, und Éomer war nicht überrascht, als Faramir nickte. 

„Tatsächlich haben wir das,“ erwiderte der Fürst von Ithilien. „Wir hatten an Emyn Arnen gedacht, im Frühling.“ 

„Frühling?“ fragte Éomer. „Nicht früher? Dir ist bewusst, dass die Rohirrim nicht auf die lange Verlobungszeit bestehen, wie sie in Gondor üblich ist?“ 

„Ich weiß,“ sagte Faramir, „und ich wünschte, wir könnten früher vermählt werden.“ 

Er nahm eine von Éowyns Händen in seine. „Aber ich habe kein Heim, dass ich meiner Herrin bieten kann. Das Haus in Emyn Arnen wurde von Orks nieder gebrannt, und es wird mehrere Monate dauern, es wieder aufzubauen.“ 

„Außerdem,“ warf Éowyn ein,“ „werde ich nicht fortgehen und es dir überlassen, mit dem kommenden Winter ganz allein zurecht zu kommen.“ 

Éomer konnte nicht anders, als für diese Neuigkeit dankbar zu sein. Er hatte sich nicht gerade auf die langen Winterabende in Meduseld gefreut, ganz allein, abgesehen von der Gesellschaft seiner Reiter. Trotzdem wollte er dem Glück seiner Schwester nicht im Wege stehen.

„Ich kann damit zurecht kommen,“ protestierte er. „Du musst um meinetwillen nicht deine Hochzeit verschieben.“ 

Éowyn schüttelte den Kopf; ihr Gesicht trug den störrischen Ausdruck, den er von kleinauf kannte. 

„Es bleibt beim Frühling. Wir können warten.“ 

„Gerade noch,“ warf Faramir ein, und die beiden wechselten ein Grinsen. 

„Nun, ich kann nicht leugnen, dass ich für deine Hilfe dankbar wäre,“ gestand Éomer. „Ich muss zugeben, dass König zu sein mehr Arbeit ist, als ich erwartet hatte.“ 

„Wenn man deine Reisen quer durch die Riddermark bedenkt, und dass du kaum irgendwelche Zeit hier in Edoras verbracht hast, dann ist das kaum überraschend,“ stellte Éowyn fest. 

„Ich musste die Schäden selbst sehen, die wir erlitten haben,“ erklärte er. 

Faramir beugte sich besorgt vor. „Ist es sehr schlimm?“ fragte er. 

Éomer nickte grimmig. „Die meisten Weizenfelder der Westmark wurden nieder gebrannt oder von Orks zertrampelt. Bei der nächsten Ernte werden wir sehen, wie viel wir retten können.“  

Der Verräter Saruman hatte natürlich gewusst, dass dies ihr fruchtbarstes Land war, und dass es den größten Teil vom Rest der Mark mit Getreide versorgte. Éomer genoss den Gedanken nicht gerade, Aragorn um Hilfe bitten zu müssen, damit sie den Winter überlebten, obwohl er wusste, dass der König von Gondor mehr als bereit sein würde, ihm beizustehen. Immerhin mochte es nicht so weit kommen. 

„Wir haben Saruman allen Widrigkeiten zum Trotz besiegt, es wird uns irgendwie gelingen,“ gelobte er. 

Faramir blickte schuldbewusst auf seinen Wein hinunter. „Mir war nicht klar, dass es so übel ist,“ sagte er. „Es tut mir Leid, dass wir herkommen und eure mageren Vorräte noch mehr vermindern.“ 

Éomer schüttelte den Kopf. „Fühl dich nicht schuldig. Nach all den Härten, die wir ertragen haben, kann mein Volk einen Anlass zum Feiern gut gebrauchen.“ 

Abgesehen davon hatten die Leute aus Gondor viele Vorräte mitgebracht. Éomer hatte den Verdacht, dass Aragorn sich eine ziemlich gute Vorstellung davon machte, wie die Dinge in der Mark standen. Er lächelte seine Schwester an.

„Die Eorlingas sind sehr erfreut, zu sehen, dass ihre Weiße Herrin einen Ehemann gefunden hat, der ihr so sehr zusagt – selbst wenn das heißt, dass sie fort zieht.“ 

Éowyn errötete. „Das mag wohl sein. Aber sie wären sogar noch mehr erfreut, wenn ihr König eine Gemahlin fände.“ 

Er seufzte. Dieses Feld hatten sie in den vergangenen Monaten mehr als einmal beackert. 

„Ich weiß“, sagte er, „und ich werde meine Pflicht tun.“ 

„Deine Pflicht?“ Sie beugte sich vor. „Éomer, hast du während deiner Reisen durch die Riddermark denn nicht irgendjemanden getroffen, dem du dein Herz schenken könntest?“ 

„Du weißt, dass es so einfach nicht ist,“ sagte er stirnrunzelnd. „Da sind die politischen Überlegungen, die man ebenfalls in Betracht ziehen muss.“ 

“Welche politischen Überlegungen?“ fragte Faramir, und Éowyn machte eine ungeduldige Handbewegung. 

„Die letzte Königin stammte aus der Westmark, deshalb besteht das Volk der Ostmark darauf, dass die nächste eine von ihnen sein muss. Auf der anderen Seite stammt die Familie unseres Vaters von dort, also ist auch das nicht ganz und gar gerecht.“ 

„Aber,“ beharrte sie, „wir wissen alle, dass – falls Éomer sich entscheidet, wen er zu heiraten wünscht – niemand ihm widersprechen wird.“ 

„Das mag wohl sein,“ räumte er ein, „doch der Punkt ist, dass ich mich noch nicht entschieden habe. Wie auch immer, ich bin kürzlich zu dem Schluss gekommen, dass es besser ist, eine Frau aus Gondor zu heiraten.“ 

„Eine Frau aus Gondor?“ Seine Schwester setzte sich gerade hin. „Éomer, bist du während des Krieges in Minas Tirith jemandem begegnet?“ 

„Wie könnte ich? Die Frauen wurden alle in Sicherheit gebracht,“ erklärte er geduldig. 

„Nach dem, was ich gehört habe, kamen sie alle hübsch rechtzeitig für die Feiern in Cormallen zurück,“ entgegnete seine Schwester säuerlich, und neben ihr schnaubte Faramir belustigt. 

Éomer zuckte die Achseln. „Ich war einfach zu beschäftigt damit, unsere Heimkehr zu planen, als dass mir viel aufgefallen wäre.“ 

Éowyn schaute enttäuscht drein. „Dann hast du also keine bestimmte Dame im Sinn?“ 

„Überhaupt keine.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich denke einfach, dass wir in Zukunft eine engere Verbindung mit Gondor brauchen, um unsere Allianz zu stärken. Außerdem,“ fügte er mit einem Grinsen hinzu, „mag ich schwarzes Haar.“ 

Éowyn ignorierte die letzte Spitze. „Eine engere Verbindung mit Gondor!“ rief sie aus. „Ist das alles, woran du denken kannst?“ 

„Woran sollte ich denn sonst denken?“ schnappte er zurück, was lediglich zur Folge hatte, dass sein aufblitzendes Temperament ihm sofort Leid tat. Er wusste, dass seine Schwester es gut meinte und sich Sorgen um ihn machte. 

Wie auch immer, Éowyn blieb von seinem Ausbruch unbeeindruckt. „Vielleicht an dein Herz,“ erwiderte sie in herbem Tonfall. „Wir reden immerhin über die Frau, mit der du den Rest deines Lebens verbringen wirst.“ 

Sie warf ihrem Verlobten einen hilfesuchenden Blick zu, doch Faramir zögerte. 

„Dein Bruder ist jetzt König von Rohan, Èowyn,“ sagte er, „und er muss zum Wohle des Staates heiraten. Aber das bedeutet noch nicht notwendigerweise eine unglückliche Ehe.“ 

Éowyn blickte nicht überzeugt drein. Éomer wusste, dass sie weiterhin dickköpfig darauf hoffte, dass er die gleiche Art Liebesbund schloss wie sie selbst, so unwahrscheinlich das auch war. 

Faramir nahm noch einen genießerischen Schluck Wein. „Nach was für Qualitäten genau hältst du bei deiner Königin Ausschau?“ fragte er. 

„Das heißt, abgesehen von schwarzem Haar,“ grummelte Éowyn. 

Éomer runzelte die Stirn. „Ich habe der Sache einiges Nachdenken gewidmet,“ erklärte er, „denn ich will eine Königin, die meines Landes würdig ist, jemand, der die Pflichten und Bürden begreift, die es bedeutet, ein Herrscher zu sein.“ 

Er konnte sehen, dass Éowyn verärgert mit den Augen rollte, aber er pflügte sich entschlossen weiter durch das Thema. „Sie sollte imstande sein, dafür zu sorgen, dass in Meduseld alles glatt läuft, würdevoll sein und doch diplomatisch, und die nötige Festigkeit besitzen, um an meiner Statt zu regieren, wenn ich fort bin; eine liebenswürdige Gastgeberin und allezeit höflich im Umgang mit meinem Volk.“ 

Seine innere Vorstellung von einer hochgewachsenen, königlichen Gestalt wurde rüde durch Éowyns abfälliges Schnauben unterbrochen. „Und ich vermute, diese Blüte gondoreanischer Weiblichkeit sollte schön sein, anmutig und auch noch in allen weiblichen Fertigkeiten bewandert?“ 

Éomer spürte, wie seine Irritation erneut wuchs. „Also gut, und was ist falsch daran?“ fragte er. „Ich brauche eine Königin und eine Mutter für meinen Erben, also wieso nicht eine passend erzogene Dame aus Gondor wählen?“ 

„Oh Éomer!“ rief Éowyn aus. „Das klingt so kaltblütig und geschäftsmäßig – es sieht dir ganz und gar nicht ähnlich.“ 

Éomer spürte, wie ihn eine Woge der Traurigkeit durchflutete. „Ich bin jetzt König, ob ich es will oder nicht,“ betonte er. „Ich muss das Wohl der Riddermark allem anderen voranstellen. Wie auch immer, ich bin fast dreißig, und ich kann es mir nicht erlauben, weitere zehn Jahre herum zu sitzen und darauf zu warten, dass die Frau meiner Träume auftaucht.“ 

Éowyn blickte kummervoll drein. „Ich weiß,“ gab sie zu. „Aber ich warne dich,“ fügte sie hinzu,“ wenn dieses Musterbeispiel auch noch eine Meisterin in der Nähkunst ist, dann komme ich nicht zu deiner Hochzeit.“ 

Neben ihr lachte Faramir. „Ich fürchte, sämtliche Damen in Gondor sind Meisterinnen darin,“ sagte er entschuldigend, und Éowyn sah gründlich angewidert aus. Ihre Stickereiversuche waren legendär. Éomer fragte sich, was die Hofdamen von Gondor, die nie irgendetwas Schärferes schwangen als eine Nadel, wohl mit der Frau anfangen würden, die den Hexenkönig erschlagen hatte. 

Faramir drehte seinen Becher gedankenvoll zwischen den Händen. „Hast du mit meinem Onkel über deine Pläne gesprochen?“ fragte er Éomer. 

„Tatsächlich habe ich mit Imrahil geredet.“ Éomer nickte. „Aber seine Reaktion hat mich ziemlich verwirrt.“ 

„Auf welche Weise?“ wollte Faramir wissen.

Éomer dachte an seine Unterhaltung mit dem Fürsten von Dol Amroth zurück. „Nun, ich erinnerte mich daran, dass er einmal erwähnt hatte, er hätte eine Tochter, und ich fragte, ob sie im heiratsfähigen Alter sei. Immerhin wäre sie gut und gern eine passende Kandidatin für ein Bündnis, aber er schien über meine Frage ziemlich verstimmt zu sein.“ 

„Oh, du meinst Lothíriel,“ sagte Faramir, als ob das alles erklärte. „Nein, was ich sagen wollte, ist, dass er den Hof gut kennt und dich vielleicht beraten könnte.“ 

Éowyn, die grübelnd über ihrem Wein saß, blickte bei diesen Worten auf. „Was stimmt denn nicht mit der Prinzessin von Dol Amroth?“ fragte sie. „Sicherlich hat sie doch sehr gute Verbindungen?“ 

Faramir zögerte. „Das ist natürlich wahr, sie könnten nicht besser sein, jedoch.... was hat mein Onkel dir erzählt?“ fragte er.  

„Nur, dass sie Dol Amroth nie verlässt,“ erwiderte Éomer; seine eigene Neugier regte sich.

Faramir starrte auf seinen Wein hinunter. „Das entspricht so ziemlich der Wahrheit, obwohl ich annehme, dass sie es jetzt wohl könnte. Imrahil ist ihr gegenüber sehr fürsorglich.“ 

„Wieso?“ fragte Éowyn, doch Faramir schüttelte den Kopf. 

„Es geschieht zu ihrem eigenen Besten, aber es ist nicht an mir, es dir zu sagen,“ erwiderte ihr Verlobter mit Festigkeit. „Allerdings würde sie mit Sicherheit keine passende Königin für deine Bruder abgeben.“ 

„Warum nicht?“ drängte Éowyn, und Éomer fragte sich im Geheimen, ob die Prinzessin hässlich oder missgestaltet war, oder vielleicht geistig zurück geblieben. 

„Lothíriel ist ein süßes Mädchen, aber sie ist ziemlich... ungewöhnlich. Sagen wir einfach, sie ist nicht das, wonach dein Bruder sucht. Wenn du ihr jemals begegnest, wirst du das verstehen.“ 

„Nun, das werde ich wohl kaum, wenn sie Dol Amroth nie verlässt,“ stellte Éowyn bissig fest, und Faramir konnte zur Antwort bloß die Achseln zucken. Sie warf ihm einen forschenden Blick zu und Éomer hatte den Verdacht, dass sie die Wahrheit irgendwann aus ihrem Verlobten herausholen würde. Es gab nicht viel, was seine Schwester aufhalten konnte, wenn ihre Neugier einmal geweckt war. Was ihn selbst anging, so hatte Éomer das Interesse an dem Thema ziemlich verloren. Immerhin war es nicht seine Sache, wie Imrahil seine Familienangelegenheiten ordnete. Er hatte dringlichere Sorgen. 

„Ich rede noch einmal mit Imrahil und frage ihn nach seiner Meinung.“ Er nickte Faramir zu. „Ich bin sowieso sicher, dass all die passenden Damen anwesend sein werden, wenn du im Frühjahr heiratest.“ 

„Und sämtliche unpassenden auch,“ hörte er Éowyn vor sich hin murmeln, aber laut sagte sie nur: „Stell einfach sicher, dass es jemand ist, der sich dabei wohl fühlen würde, hier zu sitzen und mit uns einen Becher Moragar zu teilen.“ 

Éomer ließ seine Hände einen Moment auf den rauen Holzbrettern ihres improvisierten Tisches ruhen. Irgendwie konnte er sich die Art Frau, die er als Königin in Betracht zog, nicht vorstellen, wie sie hier draußen vor der einfachen Küche saß und aus einem alten, eingedellten Becher trank... selbst, wenn es der feinste Wein war, den Gondor zu bieten hatte. Er fühlte einen leichten Schauder des Unbehagens, tat ihn jedoch als Laune ab. Er war jetzt König; er musste schlichtweg akzeptieren, dass sich sein Leben unwiderruflich verändert hatte. Es machte keinen Sinn, ständig mit Bedauern auf die Vergangenheit zurück zu blicken. 

Im Westen ging der Mond hinter den Wolken unter, die sich dort sammelten. Sie hatten begonnen, sich über den Bergen aufzutürmen und drohten mit Regen, doch als die ersten, dicken Tropfen begannen, auf Edoras herab zu fallen, war das Fest vorüber. Bis dahin hatte der König von Rohan schon lange den Trost seines einsamen Bettes gesucht. Doch später weckte ihn das Geräusch der Regenbäche, die über die Giebel von Meduseld hinunter rieselten, aus seinen Träumen, und es dauerte lange, bis der Schlaf ihn wieder überkam. 


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