Euch zu Diensten
von Lialathuveril, übersetzt von Cúthalion


Epilog
Königin der Goldenen Halle

3020: In diesem Jahr nahm Éomer, der König der Mark, Lothíriel zur Frau, die Tochter des Fürsten von Dol Amroth. Die Ernte war reich, und die Eorlingas gediehen. Es wird gesagt, dass sie ihren König seither stets Éomer Éadig nannten.
(Die Chronik der Riddermark)

Edoras, August 3020 im Dritten Zeitalter

Der Fiedler trat vor auf den Tanzboden von Meduseld und spielte ein paar Strophen einer einfachen Melodie. Dann hielt er inne und blickte sich im Kreis um, um zu sehen, ob irgendjemand die Herausforderung annehmen würde. Neben Éomer zappelte die Königin der Mark vor Aufregung und verstärkte ihren Griff um seinen Arm. Nach einer kurzen Pause trat ein anderer Fiedler vor und wiederholte die Melodie; er spielte sie ein wenig schneller und fügte am Ende einen kleinen Triller hinzu. Der erste Musiker grinste, und die beiden fingen an, einander zu umkreisen wie zwei Kämpfer; sie spielten ihre Musik hin und her, und jeder versuchte, den anderen mit seinen Fähigkeiten zu übertreffen. Die Menge fing an, rhythmisch zu klatschen, und seine Frau schloss sich mit ungehemmter Begeisterung an.

Seine Frau. Éomer kostete die Worte aus, während er die Freude auf Lothíriels Gesicht beobachtete. Sie war den ganzen Abend über ausgezeichneter Laune gewesen und hatte nichts von der üblichen Nervosität einer Braut an den Tag gelegt. Die Tradition besagte, dass es Glück brachte, am Tag ihrer Hochzeit mit der Königin zu tanzen, und sie war sehr gesucht gewesen – doch nun hatte Éomer ihre Hand wieder für sich in Anspruch genommen, und er hatte nicht die Absicht, sie heute Abend wieder freizugeben.

Die Geigenbögen hetzten über die Saiten, und Schweiß rann den Musikern über das Gesicht. Obwohl die Torwächter die Türen weit geöffnet hatten, war die Luft heiß und stickig, dank der vielen Leute, die in der Halle versammelt waren. Unwillkürlich fragte er sich, ob Lothíriel sich wohl gern bald zurückziehen wollte.

Er berührte sie leicht am Arm und beugte sich hinunter, um ihr etwas ins Ohr zu flüstern. „Bist du schon müde?“

Sie blickte mit einem strahlenden Lächeln auf. „Oh nein, ganz und gar nicht.“

„Bist du sicher? Du hattest eine lange Reise von Minas Tirith.“

„Keine Sorge, wir haben uns Zeit gelassen.“ Sie tätschelte ihm beruhigend die Hand. „Und immerhin sind wir schon gestern hier eingetroffen, und ich habe letzte Nacht gut geschlafen. Ich fühle mich, als könnte ich diese Nacht durchtanzen.“

Tatsächlich war Tanzen nicht das, was er im Sinn hatte, aber das konnte er ihr nicht gut sagen. Allerdings wollte er ihr die Freude an ihrem Hochzeitstag nicht verderben, also lächelte er nur ein wenig schief. „Würdest du in diesem Fall gern mit mir tanzen?“

Die Art und Weise, wie ihr Gesicht bei seinem Vorschlag aufleuchtete, war Antwort genug. Wenigstens konnte er so die Hand um die Mitte seiner Frau gleiten lassen und sie an sich gedrückt halten, während sie in einem der Rohirric-Tänze herum wirbelten, die ihr so gut gefielen. Die Wärme ihres Körpers durch die dünne Seide ihres Kleides zu spüren, war angenehm, und Éomer genoss, wie sie sich vollkommen entspannt seiner Führung anvertraute. Er hatte erwartet, dass sie ihm gegenüber etwas schüchtern sein würde, nachdem sie einander drei Monate nicht mehr gesehen hatten, aber sie ließ keinerlei Anzeichen davon erkennen.

Andere Paare schlossen sich ihnen an und er erhaschte einen kurzen Blick auf Éowyn, die mit Faramir tanzte und über irgendetwas lachte, was ihr Mann zu ihr sagte. Nun, seine Schwester verdiente sicher ein wenig Entspannung, nach all der harten Arbeit, die sie in die Organisation der Hochzeit gesteckt hatte. Auch hatte Éowyn von Anfang an klar gemacht, dass sie mit der zukünftigen Königin der Mark überaus einverstanden war, was Lothíriel hoffentlich helfen würde, im Haushalt von Meduseld akzeptiert zu werden. Nicht, dass sich viel Widerspruch gegen sie erhoben hatte, nicht einmal durch seinen Rat. Seine Ratgeber waren so erleichtert gewesen, ihn lebendig zurück zu bekommen – wenn auch einen Monat später als geplant – das sie allem ohne einen Mucks zugestimmt hatten. Nebenbei blieb Imrahils Tochter eine gute Partie, blind oder nicht.

Die Musiker erhöhten die Geschwindigkeit für das Finale, und Lothíriel lachte entzückt, als er sie noch schneller herum wirbelte. „Schon müde?“ fragte er hoffnungsvoll.

Doch sie schüttelte nur den Kopf. „Gewiss nicht!“

Was für eine begehrenswerte Frau er hatte. Aus schimmernder Seide in frischem Frühlingsgrün genäht, schmiegte sich das Gewand eng an ihren Oberkörper und ihre Hüften, bevor es sich zu einem weiten Rock öffnete, der ihr in weichen Falten bis zu den Füßen fiel. Keine Verzierungen lenkten von seinen eleganten Linien ab, und Lothíriels einziger Schmuck waren die Perlen ihrer Mutter, die auf der glatten Haut ihrer Brust ruhten. Allerdings gestattete sich Éomer nicht, seinen Blick darauf ruhen zu lassen; er wusste, dass alle sie ansahen.

Als der Tanz endete, fanden sie sich an der Seite der Halle wieder, und er zog sie ein wenig weiter in den Schatten einer der massiven, geschnitzten Säulen hinein, die das Dach stützten. Nicht, dass sie dort wirklich ungestört waren – das würde bis später warten müssen...

Lothíriel lachte atemlos und lehnte sich gegen die Säule. Ihr Brautkranz drohte, sich zu lösen, und sie langte nach oben, um ihn zurecht zu rücken. In gewisser Weise konnte er immer noch nicht glauben, dass sie wahrhaftig verheiratet waren, und dass sie den Rest seines Lebens mit ihm teilen würde – dass Meduseld zu ihrer Heimat werden und er jeden Morgen aufwachen sollte, ihre Gegenwart neben sich. Tatsächlich hatte er sich in den letzten Monaten ihre Wiedervereinigung und ihre Hochzeit so oft ausgemalt, dass die echte Zeremonie hier in der Goldenen Halle ihm vorgekommen war wie ein Traum. Nicht eher, bis Lothíriel ihre Hand in die seine gelegt hatte und die Schwüre in perfektem Rohirric sprach, war es wirklich geworden. Ihre Stimme hatte quer durch die Halle getragen, vertrauensvoll und sicher, und ihr Gesicht hatte vor Freude geleuchtet. Endlich sein eigen.

„Ich bin so sehr gesegnet worden,“ sagte er impulsiv zu seiner Frau.

Ihr Gesicht wurde rosig. „Ich auch.“

Er strich ihr eine Haarsträhne zurück, die sich während des Tanzes gelöst hatte. „Ich wage gar nicht daran zu denken, was geschehen wäre, wenn ich dich nicht kennen gelernt hätte.“

Grübchen erschienen auf ihren Wangen. „Natürlich hättest du Wilwarin geheiratet.“

Éomer schauderte. „Bestimmt nicht!“ Wenigstens hoffte er, dass er genug Verstand gehabt hätte, nicht in diese besondere Falle zu tappen. Allerdings wäre er mit Sicherheit in einer Ehe geendet, die aus Pflicht geschlossen wurde, nicht aus Liebe... wenn Lothíriel nicht in sein Leben geplatzt wäre, seine sorgsam vorbereiten Pläne über den Haufen geworfen und sein Herz gestohlen hätte, ohne dass es jemals ihre Absicht gewesen war.

Sie grinste immer noch. „Hast du gehört, dass Wilwarin verheiratet ist?“

„Was!“

„Scheinbar hat sie ihren Weg nach Hause in Lossarnach unterbrochen.“ Lothíriels Stimme bebte. „Es endete damit, dass Girion der Dicke sie um ihre Hand bat.“

Éomer starrte sie an. „Ist das dein Ernst? Was denn – er muss sturzbetrunken gewesen sein!“

Sie brachen in Gelächter aus. Aber etwas über die Hochzeit von anderen zu hören, erinnerte ihn an seine eigene.

Er beugte sich zu ihr „Hast du Durst? Wir könnten uns irgendwo einen Kelch Wein teilen...“ Vorzugweise den Brautbecher in ihren Gemächern.

„Oh es geht mir gut, mach dir keine Mühe.“

„Oder vielleicht eine Kleinigkeit zu essen?“ Er hatte Befehl gegeben, dass man einen Teller mit Nusskuchen in ihr gemeinsames Schlafzimmer stellte, falls Lothíriel später Hunger verspürte. Allerdings hatte sie beim Abendessen einen herzhaften Appetit an den Tag gelegt...

Lächelnd schüttelte sie den Kopf. „Ehrlich, mach dir keine Sorgen um mich.“ Ein wenig zögernd wanderte ihre Hand seinen Arm hinauf. „Ich würde lieber einfach die Gesellschaft meines Ehemannes genießen.“

Er fing ihre Hand ein und hob sie an seine Lippen. „Und ich würde gern die meiner Ehefrau genießen.“

Lothíriels Gesicht wurde ernst. „Es ist eine Schande, dass wir so wenig Gelegenheit hatten, miteinander zu reden, seit ich her gekommen bin.“

„Ich weiß,“ seufzte Éomer. Er war damit beschäftigt gewesen, all ihre Gäste willkommen zu heißen, und Éowyn hatte Lothíriel sofort mit Beschlag belegt, um sie in Meduseld herum zu führen. Tatsächlich hatte er zwischen der Begrüßung seiner zukünftigen Braut und dem Austausch ihrer Ehegelübde an diesem Morgen nicht mehr als ein paar Worte mit ihr gewechselt.

Lothíriel lehnte sich dichter an ihn. „Aber vielleicht könnten wir woanders hingehen?“ Sie senkte die Stimme. „An einen... abgeschiedeneren... Ort?“

Éomer starrte die Röte an, die sich langsam über ihren Wangen ausbreitete. Sagte sie, was er dachte, dass sie sagte? Es dämmerte ihm, dass er im Umgang mit seiner Braut wesentlich direkter werden musste. „Sag mir, würdest du dich jetzt gern zurückziehen?“ fragte er ein wenig zaghaft.

Die Röte vertiefte sich, aber sie antwortete sofort. „Ja, das würde ich gern.“

„Wie du wünschst, meine Gemahlin.“ Plötzlich musste er lachen. „Das ist das, was ich dir seit einer halben Stunde vorzuschlagen versuche.“

Ihr Mund öffnete sich verblüfft. „Das tust du? Aber du hast doch nur gefragt, ob ich etwas essen oder trinken möchte.“

„Nun ja. Aber siehst du, ich hatte im Sinn, dass wir das in unseren Gemächern tun...“

„Oh!”

Éomer nahm ihre Hand und legte sie sich auf den Arm. „Es tut mir Leid, dass ich mich nicht klarer ausgedrückt habe.“

Das mutwillige Grinsen, das er inzwischen gut kannte, huschte über ihr Gesicht. „Mein König, du hättest Aale erwähnen sollen!“

Darüber musste Éomer so laut lachen, dass die Leute, die ihnen am nächsten standen und ihnen diskret den Rücken zugewandt hatten, sich überrascht umschauten. Doch er ignorierte sie einfach und zog seine Frau mit sich, auf das Podium am anderen Ende von Meduseld zu, wo sich hinter einem Vorhang die Tür zu ihren Privaträumen befand. Er hielt nicht direkt darauf zu – das wäre närrisch gewesen – sondern blieb einen Moment stehen, um einem anderen Fiedelwettstreit zu lauschen, bevor er sich unauffällig weiter die Halle hinunter bewegte. Bei all dem reichlich fließenden Bier neigten seine Reiter zum Krawall, und während er seine Fähigkeit, irgend einen von ihnen zur Räson zu bringen, nicht in Zweifel stellte, wollte er, dass Lothíriel auch nicht im Geringsten in Verlegenheit gebracht wurde. Die allerbeste Strategie würde es sein, zur Tür hinaus zu schlüpfen, ohne das irgendjemand etwas davon mitbekam.

Während er Lothíriel half, die Stufen zum Podium hinauf zu steigen, warf er einen raschen Blick voraus. Die letzte und schwierigste Hürde war, an der Ehrentafel vorbei zu gelangen, ohne aufgehalten zu werden. Lothíriels drei Brüder saßen samt und sonders dort mit ihren Familien, ebenso wie der halbe Königliche Rat der Riddermark. Wenigstens war Imrahil so tief im Gespräch mit Aragorn, dass er nicht auf sie achtete. Sich zu beeilen würde nur die Aufmerksamkeit auf sie ziehen, also schlenderte Éomer am Rande des Podiums entlang, ganz so, als wollten sie sich nach dem lebhaften Tanz hinsetzen und ausruhen. Lothíriel glitt neben ihm her, die perfekte gondoreanische Dame; und doch hatte er den deutlichen Eindruck, dass sie statt dessen am liebsten vor Aufregung gehüpft wäre. Schon fast da! Vor ihnen straffte sich der Mann, der die Tür bewachte und langte nach dem Vorhang.

„Lothíriel!”

Für einen Moment war Éomer versucht, die Stimme einfach zu ignorieren, doch Lothíriel hatte sich schon dem Sprecher zugewandt. „Bist du das, Amrothos?“

„Komm und trink ein Glas Wein mit uns!“ rief ihr Bruder laut.

„Ich kann nicht,“ entgegnete die Königin der Mark mit einem glücklichen Lächeln, „Éomer möchte sich zurückziehen.“ Dann biss sie sich auf die Lippen, als ihr plötzlich klar wurde, was sie gesagt hatte; ihre Hand schloss sich fester um seinen Arm, und das Blut rauschte ihr in die Wangen.

Rings um sie her ebbte das Gespräch plötzlich ab, und Éomer stellte fest, das sich eine große Anzahl von Augen mit einem unmissverständlichen Ausdruck der Belustigung auf ihn richteten.

Alphros, der dem Tanz mit gelangweiltem Gesichtsausdruck zugeschaut hatte, beugte sich vor. „Muss Tante Lothíriel schon ins Bett?“ fragte er seine Mutter verblüfft.

Annarima brachte ihn sofort zum Schweigen, aber ihre Stimme bebte. Elphir, der an ihrer Seite saß, einen Arm um ihre Schultern gelegt, erlitt einen plötzlichen Hustenanfall und wandte das Gesicht ab. Inzwischen hatte sich die Stille auch bis zu den Tischen nebenan ausgebreitet.

Es war Imrahil, der sie brach. „In diesem Fall werden wir euch nicht aufhalten.“ Er stand auf, kam zu ihnen herüber und küsste Lothíriel auf die Wange. „Gute Nacht, Tochter.“

„Gute Nacht,“ erwiderte sie dankbar.

Imrahil warf seinen Söhnen einen Blick zu, und einen Moment später wiederholten sie den Gruß gehorsam. Éomer nutzte die Gelegenheit zu einem würdevollen Rückzug. Mit einem letzten Nicken für die versammelte Gesellschaft nahm er den Arm seiner Frau und geleitete sie zu der Tür, die zu dem angrenzenden Korridor führte. Hinter sich konnte er hören, wie die Unterhaltung wieder einsetzte, aber es kam nicht ein einziger Scherz von seinen Reitern. Er traute seinen Ohren nicht ganz und schaute sich um, bevor er hinaus ging. Die Tische gleich neben dem Podium waren von seinen besten Männern besetzt, der Éored, die er unter Elfhelms Befehl nach Gondor geschickt hatte, um die künftige Königin der Mark in ihre neue Heimat zu eskortieren. Genau in diesem Moment öffnete ein Reiter von einem anderen Tisch den Mund, als wollte er irgendetwas rufen; von Éomers Männern wurden ihm derart drohende Blicke zugeworfen, dass er ihn jäh wieder zuklappte. Wie es aussah, hatte Lothíriel noch mehr Fürstreiter für sich gewonnen!

Doch selbst so gab er einen tief empfundenen Seufzer der Erleichterung von sich, als sie schließlich den kleinen Vorraum zu ihren Gemächern betraten und er die Tür hinter ihnen schloss. Endlich allein!

Lothíriel sackte an seiner Brust zusammen. „Oh Éomer, es tut mir Leid! Wieso hatte ich nicht die Geistesgegenwart, Amrothos anzulügen!“

Plötzlich ging Éomer die komische Seite der Begegnung auf, und er fing an zu lachen. „Liebes Herz, du bist eine hoffnungslose Lügnerin.“ Er hob ihr Kinn an. „Dein Gesicht hätte dich auf der Stelle verraten.“

Ihre Lippen rundeten sich zu einem kläglichen Lächeln. „Wahrscheinlich hast du Recht.“

„Wie auch immer,“ flüsterte Éomer und ließ eine Hand in ihr Kreuz gleiten, „sie werden sich an den Anblick von ihrem König und ihrer Königin gewöhnen müssen, die sich früh zurückziehen.“ Ohne Hast zog er sie dichter an sich und eroberte ihren Mund mit einem ersten Kuss. Sanft und beherrscht, leicht und neckend, und ohne irgendetwas von dem Hunger, den er nach ihr empfand, durchscheinen zu lassen. Sie hatten die ganze Nacht, und er hatte sich selbst geschworen, sich Zeit zu nehmen.

Lothíriel gab ein glückliches, kleines Murmeln von sich; sie schmiegte sich in den Kreis seiner Arme und passte sich weich seinem Körper an. Wie köstlich sie schmeckte. Er gestattete sich, die andere Hand um ihren Nacken gleiten zu lassen. Sein Daumen ruhte auf der empfindlichen Stelle dicht unter ihrem Ohr und massierte sie sachte. In den drei Monaten, die sie getrennt gewesen waren, hatte er die Weichheit ihrer Haut vergessen, und den feinen, hinreißenden Duft, der an ihr hing. Hatte vergessen, wie ihr Haar, aufgetürmt und festgesteckt, ihm zurief, es zu lösen und mit den Fingern hindurch zu fahren. Hatte vergessen, wie groß ihre grauen Augen waren, wie sie ihn mit höchster Leichtigkeit in ihre dunklen Tiefen zogen.

Sie hob sich auf die Zehenspitzen und schlang die Arme um seinen Hals. Ihre Berührung schien durch ihn hindurch zu vibrieren und entfachte tief in ihm ein langsames Feuer; ihm stockte der Atem. Wie er sie vermisst hatte. Als sie seinen Kuss eifrig erwiderte, spürte Éomer, wie seine Kontrolle fadenscheinig wurde. Er wollte sie. Er brauchte sie.

Doch er hatte noch nicht vergessen, wie mühelos sein Verlangen sein Gehirn umging, wenn er sie in den Armen hielt. Es würde nicht geschehen, nicht heute Nacht. Mit einer gewissen Anstrengung löste Éomer sich von ihr und zog sich zurück; Lothíriel murmelte einen leisen Protest. „Geduld, liebste Herrin,“ flüsterte er und strich mit einem Finger über ihre halb geöffneten Lippen. „Ich habe die Absicht, das hier richtig zu machen.“

Plötzlich lächelte sie strahlend, wie ein Kind, dem man einen Leckerbissen verspricht. „Ich bin sicher, das wirst du.“

Die Zuversicht in ihrer Stimme nahm ihm den Atem. Er wusste noch immer nicht, was er getan hatte, um ein solch bedingungsloses Vertrauen zu verdienen, aber er würde alles in seiner Macht tun, um es zu rechtfertigen. Ihr Brautkranz geriet jetzt ernsthaft ins Rutschen, also hielt er ihn mit einer Hand fest, während die andere zu ihrer Taille hinunter wanderte und sie wieder dichter an sich zog. „Also sag mir, meine Herrin und Frau,“ fragte er und hielt seinen Ton leicht und spielerisch, „hättest du jetzt gern ein Glas Wein?“

Lothíriel nickte. „Ja, bitte.“ Dann, als sei ihr plötzlich ein Gedanke gekommen, wand sie sich aus seiner Umarmung. „Aber zuerst muss ich mich umziehen.“

Überrascht ließ er sie los. „Jetzt gleich?“

Mit einem verdächtig sittsamen Ausdruck auf dem Gesicht strich sie sich das Kleid glatt. „Ja. Hareth hat gesagt, sie wartet auf mich. Kannst du mir zeigen, wo das Ankleidezimmer ist?“

„Wieso... ja, natürlich.“ Leicht verwirrt darüber, dass sie es plötzlich so eilig hatte, bot er ihr seinen Arm. Hatte er sie mit diesem ersten Kuss also doch überwältigt? Und doch schien sie in seiner Gegenwart vollkommen entspannt zu sein, während er sie zu der Tür geleitete, die vom Vorraum zu den Gemächern der Königin führte und sie für sie offen hielt.

Auf der Schwelle wandte sich Lothíriel mit einem verschmitzten Lächeln zu ihm um. „Siehst du, ich will es auch richtig machen.“

Éomer starrte sie einen Moment lang an. Was hatte sie mit dieser letzten Aussage gemeint? Doch er hatte den klaren Eindruck, dass das Leben von nun an voller Überraschungen sein würde. Lothíriel hatte sich schon mehr als einmal als unvorhersehbar erwiesen! Er schüttelte verwirrt den Kopf und machte sich auf den Weg zurück in ihr gemeinsames Schlafzimmer.

Ein rascher Blick in die Runde zeigte, dass alles in Ordnung war. Ein Dutzend Kerzen warfen ihr weiches Licht auf den frisch hergerichteten Raum, und auf dem Tisch am Fenster standen ein Teller mit kleinen Kuchen und der Brautbecher. Éomer lächelte, als er die Harfe sah, die in einer Ecke stand, und ging hinüber, um sie bewundernd zu berühren. Das dunkle, seidenglatte Holz war bis zur Vollkommenheit poliert worden, und die Saiten summten voller Freude, als er seine Finger darüber hin gleiten ließ. Auf seine Anweisung hin war das Instrument erst heute Nachmittag geliefert worden, um sicher zu stellen, dass Lothíriel bei ihrem Rundgang durch Meduseld nicht darauf stieß. Eine traditionelle Rohirric-Harfe vom besten Instrumentenmacher der Mark: Éomers Morgengabe an seine Frau. Natürlich würde Lothíriel auch Ländereien und Pferde erhalten, wie es für eine Königin Sitte war, doch dies war sein persönliches Geschenk an sie. Er freute sich darauf, ihr Gesicht zu sehen, wenn sie das erste Mal darauf spielte! Wenn er sich nicht sehr irrte, würde sie darauf bestehen, die Harfe sofort auszuprobieren, sobald er sie ihr am nächsten Morgen überreicht hatte. Allerdings nicht zu früh, versprach er sich selbst.

Unwillkürlich wurde sein Blick von dem Bett angezogen, dessen Eichenrahmen mit seinen massiven Pfosten vielen Königen der Mark gedient hatte. Die Decken waren bereits zurück geschlagen worden, weiß und frisch; man hatte ein kurzes Gewand für ihn zurecht gelegt. Éomer hob es hoch und schüttelte es aus. Es war reich mit Goldfäden bestickt und nicht die Art Kleidungsstück, die er üblicherweise zu tragen pflegte, aber seine Bediensteten betrachteten es zweifellos als angemessen für die Hochzeitsnacht eines Königs. Er zuckte die Achseln, zog sich aus und legte statt dessen das Gewand an. Er würde es hoffentlich ohnehin nicht lange tragen müssen, dachte er mit einem Grinsen.

Éomer band die Schärpe um seine Mitte und öffnete ein Fenster, um die kühle Nachtluft einzulassen. Die Gemächer wiesen allesamt nach Süden und boten einen atemberaubenden Ausblick auf den Ered Nimrais. Über seinem Kopf war der Himmel noch klar und verdunkelte sich langsam zu einem tieferen Blau, aber über den Bergen ballten sich die Wolken zu großen Türmen zusammen, geformt wie gewaltige Ambosse. Sie würden ihre Bürde aus Regen wahrscheinlich später in der Nacht vergießen.

Hinter ihm ertönte ein Knarren und er wirbelte herum, als seine alten Reflexe die Führung übernahmen, Lothíriel stand auf der Schwelle, ein scheues Lächeln auf dem Gesicht. Sie schloss die Tür und machte ein paar unsichere Schritte in das Zimmer hinein. „Éomer?“

Das Haar seiner Frau fiel ihr in üppiger Fülle über den Rücken hinunter; sie trug ein fließendes Nachtgewand, das ihre Rundungen gleichzeitig offenbarte und verbarg. Seine Frau... Er musste sich ein paar Mal räuspern, bevor er imstande war, ihr eine zusammenhängende Antwort zu geben. „Ich bin hier.“

Sie lächelte ihn an und drehte sich rasch im Kreis herum; die mitternachtsblaue Seide blähte sich rings um sie und offenbarte verlockende, kurze Einblicke auf weiße Glieder. „Gefällt es dir?“

Ob es ihm gefiel! Mit wenigen langen Schritten durchquerte Éomer den Raum und nahm sie in die Arme. Als seine Lippen die ihren berührte und er seine Finger in ihrem langen, schwarzen Haar vergrub, lachte sie vor Freude. Ganz plötzlich durchfuhr ihn eine Welle aus weißglühendem Feuer. Hitze und Hunger. Éomer rang um Kontrolle. Mit Anstrengung löste er seinen Griff um Lothíriel. Hatte seine begehrenswerte, aufreizende Frau eigentlich irgend eine Ahnung davon, wie sehr sie ihn in Versuchung führte?

„Sie hat gesagt, es würde dir gefallen,“ flüsterte Lothíriel atemlos.

„Sie?“ Der Klang seines abgerissenen Atems hallte ihm in den Ohren.

„Éowyn, Es ist ein Geschenk von ihr.“

Er konnte sich auf seine Schwester verlassen, dass sie sich ein solches Hochzeitsgeschenk ausdachte! Sie schätzte ihn inzwischen wahrhaftig gut ein. „Es ist ein sehr hübsches Gewand,“ sagte er und ließ seine Hand Lothíriels Rücken hinunter gleiten, „aber du bist es, die es wunderschön macht.“ Und ihm wurde klar, dass tatsächlich irgendwo auf dem Weg ihre Züge – mitsamt ihrem entschlossenen Kinn und ihrer Nase, die an der Spitze so reizend nach oben zeigte – zu seinem Maßstab für Schönheit geworden war.

Sie errötete vor Vergnügen über dieses Kompliment und blickte erwartungsvoll zu ihm auf, als wartete sie darauf, dass er den nächsten Schritt tat. Éomer schluckte. Würde es die Erinnerungen an das zurückbringen, was sie unter Mûzgashs Händen erlitten hatte, wenn er sie liebte? Ihm wurde klar, dass er nervös war – nervöser in ihrer Hochzeitsnacht als seine Braut!

„Ein Glas Wein?“ fragte er.

Sie nickte und ließ sich von ihm zu dem Tisch am Fenster führen. Wieso hatte er das Gefühl, dass sie es nur ihm zuliebe tat? Mit Rotwein gefüllt, der mit Zimt, Nelken und Honig versetzt war, wurde der Brautbecher auf einem kleinen Öfchen warm gehalten. Sorgfältig goss er etwas davon in den goldenen Kelch, der für sie bereit gestellt worden war und hob ihn an Lothíriels Lippen. Sie nahm einen Schluck und ließ ihre Finger leicht auf den seinen ruhen.

„Fein.“ Mit unbewusster Sinnlichkeit leckte sie sich die Lippen.

Éomer stellte den Becher wieder auf den Tisch. Er wollte den Wein direkt auf seiner Frau schmecken! Er nahm sie bei den Schultern und verschloss ihren Mund mit einem weiteren Kuss. Warm, süß und würzig, wie die Liebe selbst. Seide flüsterte unter seinen Fingern, während er seine Hände an ihren Flanken hinunter gleiten ließ und ihre sanften Rundungen nachzog, bis er sie auf ihren Hüften ruhen ließ. Solch eine schmale Taille. Obwohl er wusste, dass er seine Frau nicht unterschätzen durfte, hatte er immer noch das Gefühl, er könnte sie in zwei Teile zerbrechen, wenn er nicht Acht gab.

Éomer zog sich ein klein wenig zurück. „Mehr Wein?“

Sie atmete aus; es klang wie ein kleiner Seufzer. „Nein.“

„Einen Nusskuchen?“ Schließlich wollte er nicht, dass sie dachte, er würde sich bei der ersten Gelegenheit auf sie stürzen.

Lothíriel schüttelte den Kopf. „Nein.“ Sie lehnte sich an ihn. „Ich habe keinen Hunger...“ Ein wenig zögernd, als zweifelte sie an ihrer eigenen Kühnheit, ließ sie eine Hand seine Brust hinauf wandern. „... außer auf dich. Éomer, darf ich dein Gesicht fühlen?“

Er lächelte auf sie nieder. „Natürlich darfst du das, meine Gemahlin.“

Als ihre Finger sich zu seinem Gesicht hoben, schloss er die Augen und versuchte, sich vorzustellen, wie die Welt sich für sie anfühlte. Während der letzten drei Monate hatte er das wiederholt getan und sich eine ordentliche Anzahl Schrammen eingehandelt, weil er in Gegenstände hinein rannte. Doch als Ergebnis enthielten ihre Gemächer jetzt nur noch das allernötigste Mobilar. Er spürte durch die kühle Seide ihres Gewandes, wie sie sich streckte und auf die Zehenspitzen stellte, umgeben von schwachen Duft ihres Lieblingsparfums. Von weit entfernt drang der Widerhall des Festes in der Halle an sein Ohr, und noch immer spürte er den Geschmack von süßem Wein in seinem Mund.

Lothíriel folgte der Linie seiner Augenbrauen, dann flatterten ihre Finger über seine Wangen; die Berührung war intimer als ein Kuss. „Deine Gemahlin,“ wiederholte sie staunend. „Es kommt mir nicht möglich vor, dass wir endlich zusammen sind!“

„Oh, Lothíriel!“ flüsterte er; er öffnete wieder die Augen und trank ihren Anblick in sich hinein. „Wie ich dich vermisst habe...“

Einen Ausdruck tiefer Konzentration auf dem Gesicht, zog sie die Kontur seines Mundes nach. „Und ich hatte das Gefühl, dass du ein Teil von mir mitgenommen hättest, als du nach Rohan zurückgekehrt bist, und dass ich nur dann wieder heil und ganz sein würde, wenn wir zusammen sind.“ Sie seufzte. „Gleichzeitig war ich überzeugt, dass irgendetwas geschehen würde, das uns getrennt hält... dass Vater seine Meinung ändert.“

Unwillkürlich verstärkte Éomer seinen Griff um ihre Mitte. „Glaub mir, in diesem Fall wäre ich gekommen und hätte dich entführt! Selbst, wenn ich in die Stadt der Schlangen hätte reiten und sie erobern müssen!“

„Nun, ich wäre sowieso nach Rohan davon gelaufen.“ Éomer musste angesichts der Entschlossenheit in ihrer Stimme lächeln. Und doch konnte er beinahe sehen, wie sie in Edoras eintraf, müde, doch triumphierend nach einer Reise über Hunderte von Meilen, und mit einem Rudel Fürstreiter im Schlepptau.

„Nichts und niemand wird uns jetzt noch trennen,“ versprach er.

Sie lächelte zu ihm auf und zitierte ihre Hochzeitsgelübde auf Rohirric. „Du bist mein und ich bin dein.“ Ihre Hand zog eine Spur seinen Hals hinunter; die leichte Berührung ließ ihn erschaudern. Dann glitten die Finger behutsam in sein Gewand hinein, ganz wie ein kleiner Vogel, der zur Ruhe kam. Sie hielt jäh inne. „Éomer, du bist brennend heiß! Geht es dir gut? Hast du dich wirklich von diesem Gift erholt?“

Hin-und her gerissen zwischen Verlegenheit und Belustigung, konnte er sie gerade noch davon abhalten, sich zu bücken und sein Bein zu untersuchen. „Es geht mir gut, Lothíriel!“ Obwohl er das Gefühl hatte, er würde sich niemals erholen – von ihr.

Als sie ihm ein ängstliches Gesicht entgegen hob, sah er sich dazu verpflichtet, einen Erklärungsversuch zu machen. „Ich fürchte, das ist es, was deine Nähe mit mir macht, geliebte Herrin.“

„Oh!“ Farbe flutete ihr in die Wangen, als das Verständnis in ihr aufdämmerte. Er hatte gefürchtet, sie könnte vielleicht in mädchenhafter Verwirrung zurückschrecken, aber einen Augenblick später antwortete sie mit der seltenen Ehrlichkeit, die ihr eigen war: „Das machst du auch mit mir.“

Er zog die zarte Linie ihres Kinns nach. „Ich möchte nicht, dass du denkst, ich wäre nicht besser als dieser Harad-Prinz.“

„Natürlich nicht!“ rief sie. „Éomer, du liebst mich und ich bedeute dir etwas, als Person.“ Lothíriel schauderte. „Mûzgash hat mich nur als günstiges Mittel gesehen, um seine Rache zu nehmen. Ein Ding.“

Er zog sie in den schützenden Kreis seiner Arme hinein. „Lothíriel, vergib mir. Ich hatte nicht die Absicht, dich an ihn zu erinnern!“

Seine Frau presste sich an ihn. „Éomer, vergiss einfach die Sorgen der Vergangenheit.“ Ihre Lippen suchten die seinen. „Wir sind endlich zusammen, du und ich,“ flüsterte sie. Durch die dünne Seide konnte er die Hitze ihres Körpers spüren. „Mein Ehemann,“ hauchte sie, „jetzt ist die richtige Zeit und der richtige Ort.“ Und sie schenkte ihm ein Lächeln. Ein zutiefst vertrauensvolles Lächeln,voll von Vorfreude auf ein wunderbares Abenteuer, das ihnen bevorstand. „Liebe mich.“

Éomer starrte auf seine Frau hinunter; scheu und kühn, verletzlich und doch stark, unschuldig und weise. Sie verschenkte sich ganz und gar, ohne irgend etwas zurückzuhalten. Plötzlich spürte er, wie Freude in ihm aufstieg; sie erfüllte ihn bis zum Rand und floss als Gelächter über. Mit einer geschmeidigen Bewegung nahm er sie in die Arme. „Lothíriel, ich stehe dir zu Diensten!“


'Später...

Lothíriel schwamm durch die Fluten ihrer Träume empor; für eine Weile trieb sie träge dahin, bevor sie bis zu klarem Bewusstsein aufstieg. Draußen grollte leiser Donner. Noch ein Geräusch... Regen, erkannte sie einen Moment später. Schwere Tropfen prallten auf das Pflaster, gurgelten durch Abflüsse und strömten durch Dachtraufen. Sie streckte sich gemächlich und genoss das Gefühl völliger Entspannung, das sie durchdrang. Der Drache am Grund ihrer Seele war gesättigt. Endlich befreit, hatte er seine Schwingen erprobt; er hatte sich hoch in die Luft erhoben, empor schnellend und herab schießend, bevor der Flug in einem verrückten, kreiselnden Sturz geendet hatte, der ihr jeden klaren Gedanken raubte.

Eine Brise von einem offenen Fenster brachte den Geruch nasser Erde mit sich und streifte kalt ihre Haut. Doch sie fühlte sich sehr behaglich; die Hitze, die von ihrem schlafenden Ehemann ausstrahlte, hielt sie warm. Ihr Ehemann – nun in jeder Hinsicht. Sie nahm an, dass es ihr merkwürdig vorkommen sollte, nackt zwischen den Laken zu liegen, während sich Éomer an ihren Rücken schmiegte und sein schwerer Arm quer über ihrer Mitte lag, aber statt dessen erschien es ihr als die natürlichste Sache der Welt. Lothíriel lächelte, als sie das langsame Heben und Senken seiner Brust spürte. Heute Nacht hatten sie sich zu einer wunderbare Reise eingeschifft, und während die Gewässer nicht immer so ruhig sein würden wie jetzt, wusste sie doch, dass sie gemeinsam alle Stürme bestehen würden, die das Leben ihnen entgegen warf. Hier gehörte sie hin.

Nach und nach erkannte sie andere Geräusche. Das plötzliche Knarren eines Holzbalkens, ein Windstoß, der an den Fenstern rüttelte, die Bettvorhänge, die in der Zugluft flüsterten. Müßig dachte sie, dass sie sich an die Abwesenheit des Meeres und seines allgegenwärtigen Murmelns würde gewöhnen müssen, und an die Geräusche ihrer neuen Heimat, die so ganz anders klangen.

Der sachte Atem ihres Mannes liebkoste ihren Nacken, und ein Kuss wurde auf ihre Schulter gedrückt. „Hat der Sturm dich aufgeweckt, liebes Herz?“ fragte er.

Lothíriel erinnerte sich daran, wie seine Hände sich auf ihrem Körper bewegt hatten, sanft, doch sicher... sie spürte, wie bei seiner Berührung kleine, bebenden Schauder ihr ganzes Sein durchströmten. Sie nickte nur, weil sie ihrer Stimme nicht traute.

Er begann, in trägen Wirbeln die Kontur ihres Rückgrates nachzuziehen. „Es ist sehr früh; die Dämmerung ist noch mehrere Stunden weit weg.“ Seine Stimme hatte die dunkle Wärme, die allein ihr vorbehalten war. „Niemand wach außer dir und mir.“

Lothíriel wusste, dass draußen Wachen ihre Runde machten, und doch fühlte es sich in diesem Moment wahrhaftig so an, als hätte Arda an den Grenzen ihres Zimmers aufgehört, zu bestehen. Seine Hand setzte ihre gemächliche Forschungsreise fort; gleichzeitig beugte er sich vor und knabberte an ihrem Ohrläppchen. Unwillkürlich schnappte sie nach Luft, und Éomer lachte leise. Oh ja, er genoss die Wirkung, die er auf sie hatte... er spielte auf ihr wie ein Harfner auf seiner Harfe. Doch sie hatte in der letzten Nacht etwas Überraschendes entdeckt.

Sie drehte sich um, strich mit einer Hand über seine Brust und spürte, wie sich die Muskeln unter ihrer Berührung anspannten; dann glitten ihre Finger zu seinem Hals hinauf. Langsam und aufreizend vergrub sie sie in seinem Haar und zog seinen Kopf hinab,nur, um innezuhalten, als ihre Lippen noch einen Fingerbreit getrennt waren.

Éomer stöhnte leise. „Du lernst rasch.“

Sie lachte und zog ihn den Rest des Weges zu sich hinunter; sie legte all ihre neu erworbenen Fähigkeiten in den Kuss, den sie ihm schenkte. „Ich habe einen guten Lehrer.“

„Du bist eine begabte Schülerin!“ Er sank auf die Seite zurück, rückte sie noch sicherer in seinen Armen zurecht, und sie schmiegte sich an seine Schulter. Mit der anderen Hand strich er ihr das Haar zurück und breitete es wie einen Fächer auf dem Kissen aus. „Oh Lothíriel, ich liebe dich.“

Lothíriel hob ihre Hand und zog die Flächen seines Gesichtes nach. Sie kannte sie bereits in und auswendig, und doch würde sie es nie müde werden, das zu tun. „Ich liebe dich auch.“

Er beugte sich hinunter, um sie zu küssen; er nahm sich Zeit dabei und hatte es nicht eilig, fortzufahren, obwohl sie mit köstlicher Sicherheit wusste, dass er ganz gewiss fortfahren würde. Sein Haar fiel wie ein weicher Vorhang über ihre Brüste – kein Wunder, dass die Damen vom Hof in Gondor ihn den Löwen von Rohan nannten. Vom Fenster her wurde der Klang des Regens stärker.

Ganz plötzlich ertönte ein lauter Donnerschlag, und sie fuhr zusammen. Sofort schlossen sich seine Arme schützend fester um sie. „Es ist nur der Sturm.“

„Ich weiß.“ Sie genoss das Gefühl, sicher festgehalten zu werden, während draußen die Elemente tobten. „Werden wir oft welche haben?“

„Im Sommer, ja. Sie erheben sich ganz plötzlich, aber sie gehen schnell vorüber. Im Morgen wird es sein, als wäre der Sturm nie geschehen.“ Seine Stimme nahm einen träumerischen Tonfall an. „Dann ist alles frisch. Der Tau glitzert wie Tausende von Diamanten im Licht der aufgehenden Sonne. Und in der Entfernung kann man die Gipfel der Berge sehen, von Schnee gekrönt... so deutlich, dass man das Gefühl hat, man könnte die Hand ausstrecken und sie berühren.“ Er seufzte. „Oh Lothíriel, die Riddermark ist wunderschön. Ich wünschte, ich könnte sie dir zeigen.“

„Aber das tust du doch, mit deinen Worten! Éomer... macht dir meine Blindheit etwas aus?“ Lothíriel hielt den Atem an. Sie dachte, dass sie seine Antwort kannte, aber sie stellte fest, dass es eine plötzliche, überwältigende Bedeutung angenommen hatte zu hören, wie er es laut sagte.

Er küsste sanft ihre Augenlider. „Das tut es, um deinetwillen. Wenn du nur unser Meer aus Gras sehen könntest, wie es sich von Frühlingsgrün zu strahlendem Gold verfärbt, während das Jahr voran schreitet!“

„Ich sehe die Welt durch deine Augen,“ Lothíriel lächelte ihn an. In dieser Nacht, in der ihr ganzes Sein von Freude erfüllt war, konnte sie in sich keine Traurigkeit finden. „Éomer, wenn ich bei dir bin, gibt es keine Dunkelheit. Wenn mein Unfall ein Schritt auf dem Weg war, der mich hierher geführt hat, dann kann ich ihn hinnehmen.“ Sie streichelte mit der Hand seine Schulter und zu seiner Brust hinunter; sie war entschlossen, jeden Zoll von ihm kennen zu lernen und sich in ihrem Geist ein genaues Bild von ihrem Mann zu erschaffen. Seine Haut schien unter ihrer Liebkosung zu brennen, und sie spürte, wie ihn ein Zittern überlief.

„Das Schicksal kann merkwürdige Wendungen nehmen,“ stimmte er zu; seine Stimme klang erstickt.

Lothíriel hielt inne und genoss ihre Macht. Es war ein berauschendes Gefühl, fast so, als hätte sie zuviel Wein gehabt - oder wie das Spiel mit dem Feuer. „Es hätte damit enden können, dass ich mit Mûzgash verheiratet bin...“

Als sich seine Arme besitzergreifend um sie schlossen, fügte sie hinzu: „... aber ich glaube, ich ziehe es vor, Königin der Mark zu sein.“

Éomer hielt still. „Oh, tust du das?“

„Es ist geringfügig besser.“

Kraftvolle Muskeln regten sich unter ihrer Berührung, und im nächsten Moment fand sich Lothíriel eingeklemmt unter dem Körper ihres Mannes wieder, den Kopf auf beiden Seiten von seinen Armen umschlossen. „Bist du sicher?“

Das drohende Grollen in seiner Stimme hielt sie nicht zum Narren, doch nichtsdestotrotz hämmerte ihr Herz wie wild; Lothíriel zuckte die Achseln. „Nun...“ Sie ließ die Finger beziehungsvoll über seine Seiten und seinen Rücken hinunter gleiten.

Er erbebte, gespannt wie eine Bogensehne; kaum im Zaum gehaltener Stärke strahlte in Wellen von ihm aus.

Doch in dem Wissen, dass sie bei ihm vollkommen sicher war, lachte Lothíriel nur zu ihm auf. „Ich nehme es an.“

Éomer atmete zischend ein. „Ich warne dich...“ Er vergrub seine Finger in ihrem Haar und hielt ihren Kopf in festem Griff. „...Königin der Goldenen Halle oder nicht...“ Sie wartete darauf, dass er ihren Mund mit einem Kuss verschloss, aber er nippte nur aufreizend an ihrer Unterlippe. Sein warmer, männlicher Geruch hüllte sie ein. „... wenn du so etwas sagst wie das...“ Éomer senkte den Kopf, küsste gemächlich die Vertiefung unten an ihrer Kehle und ließ seinen Mund dort verweilen. Jetzt war es Lothíriel, die ein Schauder durchrann. „... meine Herrin und Frau...“ Seine Lippen wanderten tiefer und sie grub unwillkürlich die Finger in seine Flanken und wölbte ihm den Rücken entgegen. „... dann wirst du mit den Folgen leben müssen!“

„Ja, bitte!“ flüsterte sie.

Und der Löwe von Rohan gehorchte mit Freuden.


ENDE

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Anmerkung der Autorin:

Éadig bedeutet „gesegnet“, und laut Tolkien ist das der Name, der Éomer von seinem Volk gegeben wurde. Der Rest des Zitats - ebenso wie all die anderen „Zitate“ in dieser Geschichte – sind meine eigene Erfindung.


Anmerkung der Übersetzerin:

Das ist bei weitem die längste Erzählung, die ich je für Cúthalions Bogen übersetzt habe, und eine der besten. Obendrein hatte ich zum ersten Mal die Chance, direkt mit der Autorin zusammen zu arbeiten, weil sie ausnahmsweise Deutsch spricht und verstanden hat, was ich tue. Vielen Dank an Lialathuveril für ihr Vertrauen, ein bemerkenswertes Teamwork, für jede Menge Spaß und für das Glück, diese außergewöhnlich gute Geschichte auf meiner Seite haben zu dürfen!


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