Euch zu Diensten
von Lialathuveril, übersetzt von Cúthalion


Kapitel Zweiunddreißig
Sonnenlicht

Im Wissen um die Grenzen ihres Geschlechts ist eine Jungfer gut beraten, dem Urteil ihres Vaters zu vertrauen, wenn es um die Auswahl eines passenden Ehegatten geht. Er wird sicher stellen, dass eine so wichtige Entscheidung auf der Würdigkeit und der Eignung des Freiers beruht, und nicht auf irgendeiner albernen Laune, die so schnell vergeht, wie sie gekommen ist.
(Belecthor: Einführung in das angemessene Betragen für junge Damen in Gondor)

Haferschleim... Éomer versuchte, wenigstens etwas Begeisterung aufzubringen. Immerhin war es eine Mahlzeit, nahrhaft und leicht verdaulich, und er hatte in der Vergangenheit schon weit Schlimmeres überlebt. Er tauchte seinen Löffel in das Zeug und fing an zu essen. Fade und klebrig, wie erwartet. Doch wenigstens fühlte er sich heute morgen stärker, und es war ihm tatsächlich gelungen, den Weg in das Badezimmer und wieder zurück allein zu bewältigen. Ein kleiner Sieg.

Die Tür öffnete sich und er blickte rasch auf. Aber es war nur eine der Dienerinnen, die hereinkam, um die gebrauchten Laken einzusammeln, die Daeron in der Nacht zuvor am Fußende auf den Boden hatte fallen lassen. Mit einem raschen Knicks verließ sie das Zimmer wieder. Éomer starrte stirnrunzelnd auf sein Tablett hinunter und schob die Schüssel weg – er hatte genug von dem Zeug. Dann seufzte er und musste sich selbst eingestehen, wieso er so neben sich war. Er starrte finster auf den leeren Sessel und die zugedeckte Harfe neben seinem Bett. Er wusste, dass es selbstsüchtig von ihm war, sich Lothíriels Gesellschaft zu wünschen, während sie nach der letzten Nachtwache ausruhte, aber er konnte nicht anders.

Die Tür schwang wieder auf, und ein blonder Kopf wurde herein gestreckt. „Endlich wach, oh Bruder mein?“

„Éowyn! Was tust du denn hier?“

Seine Schwester grinste und betrat den Raum. „Freust du dich nicht, mich zu sehen?“ Sie gab ihm einen raschen Kuss auf die Wange, setzte sich in den verlassenen Sessel und ließ ein Stoffbündel, das sie bei sich getragen hatte, auf den Boden fallen.

„Natürlich bin ich das,“ erwiderte Éomer. „Aber solltest du nicht mit deinem dir frisch angetrauten Ehemann in Ithilien sein?“

Sie winkte ab. „Oh, keine Sorge. Ich habe meinen Gatten nicht bereits im Stich gelassen. Faramir ist auch in Minas Tirith.“

„Er ist auch hier? Wieso das denn?“

„Éomer, zuerst erhalten wir die Nachricht, dass Lothíriel entführt worden ist, und am nächsten Tag trifft eine weitere ein, die uns mitteilt, dass du dich verwundet in den Häusern der Heilung befindest und um dein Leben ringst. Natürlich sind wir gekommen!“

„Oh!“ An diese Möglichkeit hatte er vorher gar nicht gedacht. „Also... es tut mir Leid, dass ich euch unnötig Sorgen gemacht habe. Sie hätten es besser wissen sollen, als nach dir zu schicken.“

Seine Schwester hob eine Augenbraue. „Aragorn dachte das nicht. Tatsächlich habe ich, seit ich vor zwei Tagen hier angekommen bin, abwechselnd mit Lothíriel über dich gewacht.“

Bei ihren Worten setzte er sich aufrechter hin. „Éowyn, weißt du, wo Lothíriel ist? Der Heiler hat heute morgen nur gesagt, sie hätte sich zurück gezogen, um sich auszuruhen.“

Sie grinste. „Hörst du dich deswegen so mürrisch an?“

„Ich bin nicht mürrisch!“ protestierte er. Doch als Éowyn ihn weiter skeptisch betrachtete, spürte er, wie seine Lippen sich als Antwort zu einem schiefen Lächeln verzogen. „Nun, vielleicht ein bisschen,“ räumte er ein.

Éowyn lachte. „Der Vorsteher hat Lothíriel angeboten, ein kleines Zimmer im Flügel der Heiler zu benutzen, um während des Tages zu schlafen. Sie wird zweifellos später heute Nachmittag vorbei kommen, um nach dir zu sehen.“ Als Éomer seinen Mund öffnete, um eine Frage zu stellen, hielt sie die Hand hoch. „Und ja, sie hat die ganze Zeit Männer um sich, die sie bewachen.“

Éomer nickte befriedigt. „Gut! Übrigens, hat man eine Suche organisiert, um sicher zu gehen, dass keiner der Südlinge entkommen ist?“

„Aragorn hat die Stadt durchsuchen lassen, aber es wurden keine mehr gefunden. Ich weiß, Faramirs Waldläufer haben ihre Streifgänge verstärkt, und außerdem wird Elfhelm später kommen, um über seine Bemühungen zu berichten, das Umland zu säubern. Er wollte dich heute morgen sehen, aber da hast du noch geschlafen.“

Gut. Es sah so aus, als sei die Lage unter Kontrolle. Éomer nahm seinen Löffel und rührte lustlos in der Schüssel mit Haferschleim. „Glaubst du, du könntest mir etwas Anständiges zu Essen besorgen?“

„Armer Bruder,“ sagte seine Schwester mit ganz und gar falschem Mitgefühl, „ich fürchte, der einzige Weg, die Heiler davon zu überzeugen, dass es dir besser geht, ist der, das Zeug herunter zu würgen. Dann wirst du heute Abend vielleicht zu etwas Besserem befördert.“

Er stöhnte, folgte aber ihrem Rat. Um die Wahrheit zu sagen, war er immer noch hungrig, und jede Form von Nahrung würde ihm helfen, seine Kraft zurück zu gewinnen. „Ich habe nicht die Absicht, den ganzen Tag im Bett zu liegen, ob die Heiler das wollen oder nicht,“ warnte er sie. „Und ich werde es allmählich müde, behandelt zu werden, als stünde ich auf der Schwelle des Todes.“

Éowyn beugte sich vor und wurde plötzlich ernst. „Éomer, nur vor einer kleinen Weile hast du genau dort gestanden! Übertreib es nicht! Denk daran, was Lothíriel sagen würde, wenn du einen Rückfall erleidest.“

„Ich werde es langsam angehen,“ versprach er widerwillig. Immerhin wollte er Lothíriel nicht noch mehr Angst machen, als sie sowieso schon gehabt hatte. Er zögerte. „Ich erinnere mich an nichts von dem, was geschehen ist. Sag mir, war es sehr übel?“

„Nach dem, was ich gehört habe, war die erste Nacht am schlimmsten. Wir sind nicht vor dem nächsten Tag eingetroffen, als Aragorn meinte, dein Zustand hätte sich stabilisiert, aber selbst dann...“ Sie senkte den Blick, und im hellen Mittagslicht sah Éomer die dunklen Schatten unter ihren Augen.

Er nahm ihre Hand. „Es tut mir Leid, dass ich dir solchen Kummer gemacht habe!“

„Tu es einfach nicht wieder,“ sagte sie und drückte seine Finger. „Ich habe nur den einen Bruder.“

„Ich werde versuchen, es bleiben zu lassen.“ Éomer zog die Laken hoch, um einen Blick auf sein linkes Bein zu werfen. Der Kratzer, den Mûzgashs Dolch auf seinem Schienbein hinterlassen hatte, war kaum sichtbar. „Es kommt mir unglaublich vor, dass mich eine so kleine Wunde beinahe umgebracht hat.“ In gewisser Weise konnte er es immer noch nicht so ganz glauben, auch wenn seine Schwäche vom Kampf seines Körpers zeugte, am Leben zu bleiben.

Seine Schwester beugte sich hinunter, um genauer hinzuschauen. „Aragorn hat gesagt, wenn der Dolch auch nur ein wenig tiefer eingedrungen wäre, dann wäre er mit dem Gegenmittel zu spät gekommen. Das Gift hatte sich in deinem Körper ausgebreitet; deswegen hat es so lange gedauert, dich wieder davon zu reinigen.“ Sie blickte zu ihm auf. „Du erinnerst dich wirklich an gar nichts mehr?“

„Nichts zwischen der Zeit, als ich mich nach dem Kampf schwach fühlte und dem Moment, als ich letzte Nacht hier aufgewacht bin.“

„Gar nichts?“ Plötzlich schien in Éowyns Augen etwas zu glitzern, das verdächtig nach Lachen aussah.

„Nein, gar nichts.“

„Na schön.“ Seine Schwester schürzte belustigt die Lippen. „In diesem Fall hast du den besten Teil daran verpasst.“

Sie lachte ihn ganz eindeutig aus! Aber was meinte sie? „Raus damit!“ befahl er. „Was ist passiert?“

„Nun, nach dem, was ich gehört habe, hast du angefangen, dich kalt und schläfrig zu fühlen.“

Éomer nickte ungeduldig. Das wusste er bereits. „Und dann?“

„Aragorn nahm an, dass der Harad-Prinz ein Gegenmittel für das Gift irgendwo bei sich tragen würde und ging, um die Leiche zu durchsuchen. Aber es dauerte eine Weile, es zu finden, weil es so schlau versteckt war, und in der Zwischenzeit musste Lothíriel dich irgendwie wach halten...“ Éowyn hielt einen Moment inne. „Meine Quellen sagen mir, dass ihre Methode unorthodox gewesen sei, aber sehr erfolgreich.“

Bei ihrem Gesichtsausdruck entwickelte Éomer ein hohles Gefühl im Magen. „Unorthodox? Was hat sie getan?“

„Sie fing an, dich zu küssen. So... gründlich... dass du darauf bestanden hast, deine Hand in ihr Kleid zu stecken und noch mehr wolltest.“

Éomer starrte seine Schwester in aufdämmerndem Entsetzen an. „Das habe ich nicht! – Éowyn, ist das dein Ernst? Und direkt vor Imrahil?“

Éowyn konnte ihr Lachen nicht länger unterdrücken. „Es muss ein ziemlicher Anblick gewesen sein. Ihre beiden Brüder waren auch dabei.“

„Das ist nicht komisch!“ schnappte Éomer, entsetzt darüber, was er getan hatte. Dann stöhnte er auf. „Jetzt wird ihr Vater nie sein Einverständnis geben...“

„Da wäre ich mir nicht so sicher. Immerhin hast du ein feierliches Versprechen von der Dame selbst.“

„Ein Versprechen?“

Éowyn lehnte sich in ihrem Sessel zurück; offensichtlich hatte sie einen Riesenspaß. „Als Aragorn mit dem Gegengift eintraf, hast du dich geweigert, sie los zu lassen und das Zeug zu schlucken. Sie hat dich dazu überredet, mitzuarbeiten, indem sie dir versprochen hat, dass du mehr haben kannst, wann immer du willst.“ Sie grinste. „Das hast du Lothíriel auf ihre Ehre schwören lassen.“

Schweigen. Éomer verbarg das Gesicht in den Händen. „Was habe ich getan?“

Seine Schwester lachte, aber dann berührte sie ihn leicht am Arm. „Komm schon, Éomer, du warst nicht du selbst. Ich bin sicher, Imrahil ist klar, dass du niemals etwas Unehrenhaftes von Lothíriel verlangen würdest, wenn du bei klarem Verstand bist.“

„Glaubst du das?“

„Ich bin sicher.“ Éowyn nickte nachdrücklich.

„Aber wie kann ich Imrahil je wieder gegenüber treten!“ Éomer versuchte, Worte zu finden, mit denen er sich bei Lothíriels Vater für sein Benehmen entschuldigen konnte, aber es wollten ihm keine einfallen.

„Éomer, er war damit einverstanden, dass seine Tochter hier bleibt und sich um dich kümmert, also kann seine Meinung von dir gar nicht so niedrig sein.“

Nun, das war wenigstens etwas, ein kleiner Strahl der Hoffnung. Éomer nahm seinen Löffel, um den Rest seiner Mahlzeit aufzuessen –die inzwischen eiskalt war – und plötzlich traf ihn noch ein weiterer, schlimmerer Gedanke. „Was muss Lothíriel von mir denken?“ Und was hatte sie von ihm gedacht, als er sie letzte Nacht geküsst hatte?

Seine Schwester warf einen Blick auf seinen Gesichtsausdruck und brach erneut in Gelächter aus. Éomer starrte sie finster an. „Du bist keine Hilfe! Dieses Mal hat sie jedes Recht, mich ein Stück Abschaum zu nennen!“

Sie streckte eine Hand nach ihm aus. „Bitte, ich würde mir an deiner Stelle darüber keine Sorgen machen. Ich bin sicher, wenn sie etwas gegen dein Handeln gehabt hätte, sie hätte es gesagt – laut und deutlich – und nicht jeden wachen Augenblick an deiner Seite verbracht.“

„Das hat sie?“

Wieder nickte Éowyn. „Glaub mir, mein lieber Bruder, es macht keiner Frau etwas aus, wenn der Mann, den sie liebt, ihr sagt, dass er sie begehrt.“ Sie machte eine bedeutungsschwangere Pause. „Obwohl die meisten Männer sich zugegebenermaßen einen weniger öffentlichen Ort aussuchen, um das zu tun.“

Éomer stöhnte. Wie peinlich für Lothíriel! Er würde sich bei ihr entschuldigen müssen. Nein, noch besser, er würde vor ihr kriechen! „Redet der gesamte Hof darüber?“

Seine Schwester zuckte nur die Achseln. „Ich weiß es nicht. Wenn ich du wäre, würde ich mich nicht darum kümmern. Und immerhin hatte es ein gutes Ergebnis: deine Reiter sind überzeugt, dass Lothíriel dir das Leben gerettet hat. Tatsächlich beten sie sie an. Sogar Elfhelm ist zur Vernunft gekommen.“

Éomer nickte abwesend; er war noch immer unglücklich. Er hatte das sinkende Gefühl, dass sein Besuch in Gondor und seine stürmische Werbung um die Prinzessin von Dol Amroth noch lange Zeit ein Gesprächsthema sein würden.

Éowyn bückte sich, um das Stoffbündel aufzuheben, das sie bei sich getragen hatte. „Ich dachte, du möchtest vielleicht aufstehen und dich in den Garten setzen, also habe ich dir das hier mitgebracht.“ Sie reichte ihm ein Paar weicher Wildlederhosen und eine bestickte Tunika.

Éomer betrachtete beides voller Begeisterung. Schon allein seine eigene Kleidung zu tragen, würde dafür sorgen, dass er sich besser fühlte, und frische Luft zu schnappen hörte sich wunderbar an. „Éowyn, habe ich eigentlich schon erwähnt, dass ich dich liebe?“

*****

„Hört auf zu zappeln!“

Lothíriel tat ihr Bestes, um still zu halten, damit Hareth die Bänder ihres Kleides verschnüren konnte. Aber sie war so aufgeregt, weil es Éomer endlich besser ging! „Kannst du dich nicht beeilen?“ fragte sie.

Ihre Zofe schnaubte belustigt. „Ihr werdet Euren Pferdeherrn noch früh genug treffen. Möchtet Ihr für ihn denn nicht hübsch aussehen?“

„Ja, natürlich.“ Lothíriel nahm einen tiefen Atemzug und befahl sich selbst, geduldig zu sein.

Hareths geschickte Finger setzten ihr Werk fort. Sie hatte am Tag nach der Entführung darauf bestanden, wieder in den Dienst für ihre Herrin zurückzukehren; sie hatte erklärt, von ihren Strapazen vollkommen erholt zu sein und abfällig hinzugefügt, dass mehr als nur ein paar Südlinge nötig wären, um sie zu erschüttern. Lothíriel fragte sich, wie es ihr wohl in Rohan gefallen würde – vielleicht konnte Éowyn ein Rohirric-Mädchen als Gehilfin für sie finden? Dann schüttelte sie den Kopf. Jetzt war sie schon dabei, ihr Eheleben zu planen, dabei war sie noch nicht einmal verlobt.

„Da,“ sagte die Zofe und verschnürte die letzten Bänder. „Ich bin fertig.“

Lothíriel wirbelte herum und umarmte ihre Zofe rasch. „Dankeschön!“

Hareth lachte. „Es muss ihm sehr viel besser gehen, wenn Ihr so gute Laune habt.“

Lothíriel summte eine Melodie aus Rohan, machte ein paar Tanzschritte und lächelte. „Oh, das tut es!“

In diesem Moment klopfte es an der Tür. „Lothíriel, bist du auf?“ Die Stimme ihres Vaters.

Während Hareth durch das Zimmer ging, um ihm zu öffnen, strich Lothíriel ihr Kleid glatt und brachte ihre Gesichtszüge in Ordnung. Ihr Vater würde es nicht schätzen, wenn sie wie ein übermütiges Kind herum sprang. Und natürlich war es wichtig, sich weiterhin mit ihm gut zu stellen, denn er musste noch immer seine Einwilligung geben, dass sie Éomer heiraten konnte. Sie grinste in sich hinein. Nicht, dass er wirklich eine Wahl hatte.

„Guten Morgen, Vater,“ sagte sie und hielt ihm ihre Hände hin. „Oder ist es schon Nachmittag?“

Er küsste sie rasch auf die Wange. „Das ist es tatsächlich. Hast du gut geschlafen?“

„Danke, das habe ich.“ Tatsächlich war es der erste wirklich ruhige Schlaf seit Tagen gewesen. Sie war in ihrem Sessel eingedöst, sobald sie Éomers tiefen, gleichmäßigen Atem hörte, und nur kurz aufgewacht, als Amrothos sie bei Tagesanbruch in ihr eigenes Zimmer trug.

„Man hat mir gesagt, dass es Éomer besser geht. Ist das richtig?“ fragte Imrahil.

„Ja, das stimmt!“ Sie musste sich selbst davon abhalten, noch mehr Tanzschritte zu machen. „Letzte Nacht ist er aufgestanden und hat etwas gegessen. Aragorn sagt, er wird jetzt sehr schnell gesund!“

Ihr Vater lachte und streichelte ihr die Wange. „Es ist gut, dich wieder glücklich zu sehen. Sollen wir zu ihm gehen? Ich habe etwas mit ihm zu besprechen.“

Lothíriel hielt die Luft an. Könnte es sein, dass ihr Vater endlich zur Vernunft gekommen war? „Was genau?“ fragte sie und versuchte, ihre Stimme ungezwungen zu halten.

Er nahm ihre Hand und legte sie sich auf den Arm. „Nun, ich muss ihm immer noch dafür danken, dass er dich vor den Haradrim gerettet hat.“

Ihr Gesicht hatte sich wohl in die Länge gezogen, denn er lachte erneut. „Geduld, Lothíriel! Du wirst es bald genug herausfinden.“ Er führte sie zur Tür hinaus, wo ihre Rohirric-Wachen sie mit fröhlichen Stimmen grüßten, bevor sie hinter ihnen in Gleichschritt fielen.

Ein langer, hallender Korridor führte vom Flügel der Heiler zurück zum Hauptgeviert, und sobald sie dort angekommen waren, zeigte ein Diener ihnen den Weg in die Gärten. Als sie ins Freie traten, atmete Lothíriel die frische Luft tief ein. Während der letzten drei Tage hatte sie ihre gesamte Zeit entweder in Éomers Krankenzimmer verbracht oder vor Erschöpfung geschlafen. Wie gut es sich anfühlte, dass ihr die Sonne auf das Gesicht schien! Eine sachte Brise trug den Duft von Blumen und Heilkräutern mit sich. Während die Häuser der Heilung berühmt waren für ihre Schönheit, dienten sie auch einem praktischen Zweck.

Ihr Vater führte sie die gewundenen Wege zwischen den Blumenbeeten entlang, und bald konnten sie vor sich den Klang von Stimmen hören, die in der singenden Sprache der Rohirrim miteinander redeten. Es war einiges an Willensanstrengung nötig, um ihre Ungeduld zu zügeln und weiter mit der langsamen, gleitenden Bewegung dahin zu schreiten, die für eine Prinzessin von Gondor angemessen war. Dann kamen sie um eine Biegung und wurden begeistert begrüßt. Elfhelm und Guthláf, identifizierte sie zwei der Sprecher, Cadda, den Barden, Aragorn, die klare Stimme von Éowyn... aber wo war Éomer?

Ihre Hand wurde mit festem, doch sanften Griff umfasst und ein Kuss darauf gedrückt. „Lothíriel, es macht mein Herz froh, dich zu sehen.“ Die gesenkte Stimme – tiefstes Rot, von reichen Adern aus Gold durchzogen - schien sie einzuhüllen. Ein Kribbeln begann tief in ihrem Magen.

„Éomer!“ Sie konnte das Vergnügen nicht ganz aus ihrer Stimme verbannen. „Wie geht es dir heute?“

„Viel besser.“ Sein Zeigefinger liebkoste ihre Handfläche, und Lothíriel erschauerte. Es war verblüffend, was eine zufällige Berührung wie diese in ihrem Inneren anrichten konnte.

„Hier – setz dich auf die Bank,“ sagte Éomer und zog sie zu sich hin. Lothíriel folgte willig seiner Führung und setzte sich neben ihn; sie erwartete halb und halb, dass ihr Vater protestierte, aber er sagte nichts.

„Lasst mich Euch ein Kissen holen, meine Herrin,“ erbot sich Elfhelm.

Mit Anstrengung wandte Lothíriel ihre Aufmerksamkeit von den Empfindungen ab, die Éomers Nähe in ihr auslösten und lächelte den Marschall an. „Es geht mir gut, macht Euch bitte keine Mühe.“

„Es ist keine Mühe,“ versicherte er ihr. „Und die Steinbank ist kalt.“

Drüben auf der anderen Seite gluckste jemand. Éowyn. „Mir hast du nicht angeboten, ein Kissen zu holen, Elfhelm,“ neckte sie den Marschall.

„Du bist eine Schildmaid aus dem Norden,“ schoss ihr Bruder zurück. „Zäh wie Stiefelleder.“

Jedermann lachte; Lothíriel lehnte sich zurück und fing an, sich zu entspannen. Éomers Stimme hatte die Müdigkeit von letzter Nacht verloren, und er schien bemerkenswert guter Laune zu sein. Dann musste sie sich wieder vorbeugen, als Elfhelm ihr ein Kissen reichte. Seit dem Zweikampf schien der Marschall sein Versprechen an Éomer, sich um sie zu kümmern, stets sehr ernst zu nehmen. Zuweilen erinnerte er sie an eine ängstliche Glucke.

Ihr Vater ließ sich auf ihrer anderen Seite nieder. „Ah, hier kommen Faramir und deine Brüder,“ bemerkte er.

Die drei wurden ebenfalls mit Wärme begrüßt, und um so mehr, weil sie anscheinend ein paar Flaschen Wein mitgebracht hatten.

„Wir wollten in der Küche der Häuser der Heilung einen Raubzug nach Gläsern unternehmen,“ erklärte Amrothos, „aber sie haben nur Zinnbecher. Nicht ganz passend für den feinsten Moragar, aber sie werden reichen müssen.“

Lothíriel hob überrascht eine Augenbraue. Es kam nicht oft vor, dass ihr Vater sich von seinem bevorzugten Jahrgang trennte. „Feiern wir Éomers Genesung?“

„Nicht ganz,“ antwortete Imrahil und stand auf. Er erhob die Stimme. „Éomer?“

Rings um sie her verfielen die anderen in Schweigen. Éomer gab ihre Hand frei und erhob sich ebenfalls. „Ja?“ Aus irgend einem Grund klang er nervös.

„Erinnert Ihr Euch an den Morgen, als ihr uns auf dem Weg nach Minas Tirith eingeholt habt?“

„Ja, natürlich.“

„Ihr habt mir dort im Nebel eine Frage gestellt. Nun dürft Ihr es im Sonnenlicht noch einmal tun.“ Lothíriels Herz fing an, schneller zu schlagen.

Éomer zog sie hoch, bis sie neben ihm stand. „Imrahil, gewährt Ihr mir die Hand Eurer Tochter?“

„Das tue ich.“

Lothíriel konnte sich nicht länger zurückhalten. „Vater!“ Sie flog in seine Arme und fiel ihm um den Hals. „Ich danke dir!“

Er zog sie an sich. „Lothíriel, mein einziger Wunsch ist, dich glücklich zu sehen.“

„Oh, das bin ich!“ Sie wischte sich eine Träne aus dem Auge. Dann fand sie sich in Elphirs Armen wieder, und danach in denen von Aragorn. Bei all den Glückwünschen, die ausgetauscht wurden, brauchte sie eine Weile, um zu dem zurück zu gelangen, den sie sich am meisten wünschte, aber endlich bekam Éomer sie wieder zu fassen.

„Ich möchte meine Braut auch küssen,“ beklagte er sich, dann ließ er seinen Worten Taten folgen.

Wie gut es sich anfühlte, dass seine Lippen sich auf ihre pressten und dass eine starke Hand um ihren Rücken glitt! Bevor sie allerdings reagieren und ihm die Arme um den Hals schlingen konnte, hatte er sie bereits losgelassen. Lothíriel biss sich auf die Lippen. Doch da sie sich der Tatsache bewusst war, dass ihr Vater direkt hinter ihr stand, unterdrückte sie die unvernünftige Enttäuschung darüber, dass ihr Kuss so kurz geraten war.

Amrothos drückte ihr einen Becher in die Hand. „Ein Trinkspruch!“ rief ihr Bruder. „Auf Éomer und Lothíriel!“

„Éomer und Lothíriel!“ echoten die anderen.

Der Wein schmeckte üppig und berauschend. Sie würde Acht geben müssen, dass sie nicht zuviel davon trank! In diesem Moment glitt eine Hand um ihre Mitte. „Auf uns,“ flüsterte ihr zukünftiger Ehemann ihr ins Ohr.

„Auf uns.“ Lothíriel nahm einen kleinen Schluck; plötzlich floss ihr das Herz vor lauter Glück über. Sie lächelte zu Éomer auf. „Ich muss aufpassen, dass ich nicht zuviel Moragar auf leeren Magen trinke, oder es endet damit, dass ich betrunken bin und dich in Verlegenheit bringe.“

Er lachte. „Ich bin sicher, du bist reizend, wenn du betrunken bist. Hast du denn noch gar nichts gegessen?“

Sie errötete und schüttelte den Kopf. „Als ich aufgestanden bin, hatte ich es ein wenig eilig.“

Éomer fuhr mit einem Finger ihrem Kiefer entlang. „Ich denke, ich muss es mir zur Aufgabe machen, sicher zu stellen, dass du anständig zu Essen bekommst. Ich werde dich herausfüttern!“

Er zog sie neben sich auf die Bank und schickte einen seiner Reiter, um Essen zu holen. Sie lehnte sich an ihn und war es ganz zufrieden, die Unterhaltung nur über sich hinweg spülen zu lassen. Es sah so aus, als hätte Éowyn beschlossen, die Organisation der Hochzeit in ihre fähigen Hände zu nehmen. Während sie ihrer zukünftigen Schwägerin zuhörte, wie sie die Einzelheiten mit Elfhelm besprach, bekam Lothíriel den klaren Eindruck, dass die beiden bereits einiges an Nachdenken auf die Vorbereitungen verwandt hatten.

„Ihr seid doch damit einverstanden, in Edoras vermählt zu werden, oder?“ fragte Éowyn sie. „Das ist Tradition für den Herrn der Mark.“

Éomer lachte. „Also haben wir in der Angelegenheit tatsächlich etwas zu sagen?“ neckte er seine Schwester. „Doch um ehrlich zu sein, so lange wir wirklich heiraten, kümmert es mich nicht, wo.“

In diesem Moment trafen Bedienstete mit Platten voller Essen ein, und Éomer beschäftigte sich damit, sein Wort zu halten und sicher zu stellen, dass sie reichlich zu essen bekam. Lothíriel lehnte sich in seine Armbeuge zurück, knabberte an einem Stück Käse und gab einen Seufzer reinster Zufriedenheit von sich. Noch vor einem Tag hätte sie diese Szene nicht für möglich gehalten; mit Éomer im Garten zu sitzen, von ihrer Familie und von Freunden umgeben, während sie ihr Verlöbnis feierte. Sie war so glücklich, dass es fast weh tat.

Nach einer Weile wandte sich die Unterhaltung von den Hochzeitsvorbereitungen allgemeineren Themen wie Handel und Pferden zu, aber Lothíriel fiel auf, dass Éomer nicht viel sagte.

„Bist du immer noch müde?“ fragte sie.

„Ein klein wenig,“ gab er zu. „Trotzdem, endlich etwas Anständiges zum Essen und Trinken zu haben, sollte helfen.“

„Übertreib es nicht.“

Er drückte ihre Hand. „Ich verspreche, das werde ich nicht.“

Bald danach verabschiedete sich Aragorn; er sagte, dass er an einer Ratsversammlung teilnehmen müsste, und – als wäre das ein Zeichen – zerstreuten sich auch die anderen nach und nach.

„Darf ich noch ein bisschen länger hier bleiben?“ fragte sie ihren Vater, als er sich erhob.

„Natürlich. Genieß die Gesellschaft deines Bräutigams.“

„Vater,“ fragte sie impulsiv. „Was hat dich dazu gebracht, deine Meinung zu ändern?“ Neben ihr spannte Éomer sich plötzlich an.

Imrahil streifte ihre Stirn mit einem Kuss. „Erinnerst du dich, wie deine Mutter krank wurde?“ Er seufzte. „Ich hätte alles getan, um sie am Leben zu erhalten – wirklich alles – und in den letzten paar Tagen habe ich die selbe Verzweiflung in dir gesehen.“

Lothíriel sprang auf und umarmte ihn. „Oh Vater, es tut mir so Leid!“

„Sei nicht traurig. Das soll ein glücklicher Tag für dich sein.“ Imrahil küsste sie noch einmal. „Ich wünschte nur, deine Mutter wäre hier, um dich so erwachsen zu erleben; sie wäre so stolz auf ihre tapfere, wunderschöne Tochter gewesen. Du wirst eine ausgezeichnete Königin von Rohan abgeben.“

„Ich danke dir,“ flüsterte sie durch ihre zugeschnürte Kehle.

„Nebenbei,“ fügte er trocken hinzu, „bin ich an der See aufgewachsen, und ich weiß, dass man ein Boot nicht gegen die Flut segeln kann.“ Er ließ sie los. „Éomer, mein Freund?“

„Ja?“

„Ich lasse meine Tochter sicher in Euren Händen zurück.“

„Danke. Ich verspreche, auf sie Acht zu geben.“ Lothíriel hätte schwören können, dass Éomer verlegen klang. Aber wieso?

Als Imrahil fort war und ihre Brüder mitgenommen hatte, sank Lothíriel wieder auf die Bank nieder, und Éomer legte ihr einen Arm um die Schulter. An seine solide, warme Gegenwart gelehnt, dachte sie für sich, das sie sich nun daran würde gewöhnen müssen, an ihn als ihren Bräutigam zu denken. Ihren Bräutigam! Es hatte einen guten Klang. Und wie schön, die Sonne zu spüren, die über ihr Gesicht spielte, und den Vögeln zu lauschen, die in den Büschen zwitscherten. Ein Insekt flog träge summend vorüber.

„Éomer, sind wir jetzt allein?“ flüsterte sie und hob eine Hand an sein Gesicht.

Seine Stimme bebte in plötzlicher Belustigung. „Nun, abgesehen von einem halben Dutzend Wachen.“

„Oh!“ Sie riss ihm ihre Hand weg, und ihr wurden die Wangen warm.

„Ceorl!“ sagte er laut.

„Éomer König?“ Der Tonfall des Reiters war vollkommen teilnahmslos.

„Siehst du den Rosenstrauch dort drüben?“

„Ja, mein König.“

„Ich denke, er hat Bewachung nötig...“

Ein Moment der Stille. „Soll ich meine Männer mit um die Ecke nehmen und sicher stellen, dass er nicht auf irgend eine Weise zu Schaden kommt?“

„Eine ausgezeichnete Idee!“ stimmte Éomer zu. „Guter Mann.“

Bis die Schritte der Reiter sich endlich entfernten, warfen Lothíriels Wangen vor lauter Hitze beinahe Blasen.

Lachend nahm Éomer ihre Hände und hob sie an seine Lippen. „Mach dir keine Sorgen ihretwegen, liebes Herz. Sie sind das Beste, was Rohan zu bieten hat.“ Dann senkte er die Stimme, plötzlich ernst. „Aber ich glaube, ich schulde dir eine Bitte um Vergebung.“

„Vergebung?“ fragte sie verblüfft.

„Ich erinnere mich an nichts davon, aber Éowyn hat mir erzählt, was ich tat, als du versucht hast, mich am Einschlafen zu hindern, nachdem ich vergiftet worden war.“

„Oh... das!“

„Du hattest Recht, als du mich beschuldigt hast, ich hätte die Manieren eines Orks."

Angesichts der Selbstanklage in seiner Stimme war sie einen Augenblick lang sprachlos. Machte er sich darüber tatsächlich Gedanken? Doch sie hatte keine Gelegenheit, zu antworten, denn er sprach sofort weiter. „Nach dem, was du an diesem Tag durchgemacht hast, von dir zu verlangen, dass ich dich berühren darf! Alles, was ich sagen kann, ist, wie Leid es mir tut.“

„Aber es hat mir nichts ausgemacht.“

„Was!“

„Nun, alles, woran ich in dem Moment denken konnte, war, dich am Leben zu erhalten,“ versuchte sie zu erklären. „Obwohl es mir natürlich schon etwas ausgemacht hat...“ Was für ein wirres Durcheinander diese Antwort war! Wieso hatte Éowyn auch hingehen und ihm davon erzählen müssen! Sie machte eine hilflose Geste. „Ich meine, es hat mir etwas ausgemacht, dass du es so überaus... öffentlich getan hast...“

„Und wenn es weniger...“ Er zögerte. „... öffentlich wäre?“

„Dann würde es mir nichts ausmachen.“ Das war ihm inzwischen doch sicherlich klar! „Das heißt, zur richtigen Zeit und am richtigen Ort...“ Jetzt wurde sie ernstlich rot. „Wir werden doch schließlich heiraten, nicht wahr?“

Éomer drückte ihr die Hände. „Lothíriel, glaub mir, ich würde nie etwas von dir verlangen, das du nicht zu geben bereit bist.“

„Das weiß ich,“ sagte sie schlicht. „Bei dir bin ich in Sicherheit.“

Er hielt den Atem an. „Ich danke dir.“

Wie dumm, sich darüber Sorgen zu machen! Plötzlich ging ihr ein anderer Gedanke durch den Kopf. „Éomer,“ fragte sie, „ist das der Grund, wieso du mich vorhin nicht ordentlich geküsst hast?“

„Lothíriel!”

„Nun, ist es so?“

Éomer fing an zu lachen. Dann glitt sein Arm zu ihrer Mitte hinunter, und er zog sie an sich, während die andere Hand ihre Wange umfasste. Seine Stimme sank zu einem Flüstern herab. „Meine Herrin, beschwerst du dich?“

Ein überaus köstlichen Kribbeln rann ihr das Rückgrat hinunter. Sie hob ihm voller Vorfreude das Gesicht entgegen. „Nicht mehr.“

„Gut.“

Dann küsste er sie. Ordentlich. Und seinen Puls wollte er sie auch nicht fühlen lassen.


Top          Nächstes Kapitel        Stories          Home