Euch zu Diensten
von Lialathuveril, übersetzt von Cúthalion


Kapitel Neunundzwanzig
Der Kreis des Todes

Todbringer, Lebensretter
Feindbesieger, Schlachtenfreund.

(Inschrift auf Guthwinë)

Das Kettenhemd lag kalt und hart unter Lothíriels Fingern, so unähnlich dem warmen Leib darunter. Sie ließ ihre Hände über die kleinen, miteinander verbundenen Ringe gleiten; sie suchte nach Schwachstellen und hoffte verzweifelt darauf, keine zu finden. Es war Oswyns Aufgabe, das Kettenhemd zu ölen und in gutem Zustand zu halten; sicherlich hatte Éomer die Arbeit seines Knappen auch überprüft. Und doch – welch ein geringer Schutz gegen eine scharfe Klinge!

Also hatte der Harad-Prinz am Ende schließlich bekommen, was er wollte... einen Zweikampf mit seinem Feind. Sie biss sich auf die Lippen. Oh, König Elessar und Elfhelm hatten versucht, Éomer davon abzubringen, aber vergebens. Lothíriel hätte ihnen sagen können, sie sollten sich den Atem sparen, denn sie hatte den stählernen Klang seiner Stimme gehört, als er seinen Männern befahl, den Vorhof zu räumen. Wie auch immer, er hatte sein Wort gegeben. Das Versprechen des Königs von Rohan, bis zum Tod zu kämpfen, im Austausch gegen das Leben einer einfachen Dienerin. Unwillkürlich zitterte sie; sie war gleichzeitig erfüllt von Furcht und Stolz.

Eine warme Hand schloss sich um die ihre und brachte ihre Suche zum Stillstand. „Keine Sorge, liebes Herz.“ Éomer senkte die Stimme. „Es tut mir Leid, dass du Zeugin dieses Kampfes sein wirst, aber es ist etwas, das ich tun muss.“

„Ich weiß,“ hauchte sie, „aber ich habe so schreckliche Angst, dich zu verlieren, nachdem ich dich gerade erst gefunden habe!“

„Hab Vertrauen.“ Er zog sie eng an sich. „Ich will es hier und jetzt zu Ende bringen, damit dieser Mann dich nie wieder bedrohen kann.“

Lothíriel schlang die Arme um Éomers Hals und presste sich gegen ihn; es kümmerte sie nicht, dass sie im Vorhof standen und von allen deutlich gesehen werden konnten. Schicklichkeit hatte schon vor langer Zeit aufgehört, eine Rolle zu spielen. „Ich wünschte, ich könnte ihn selbst töten!“

Er war so verblüfft, dass er lachte. „Meine grimmige kleine Liebste!“ flüsterte er. Er zog die Linie ihrer Augenbrauen nach und legte dann die Hände sanft um ihre Wangen. „Erlaubst du mir einen Kuss?“

Als Antwort stellte sie sich auf die Zehenspitzen und hob ihm ihr Gesicht entgegen. Warme Lippen begegneten den ihren, und sie ließ zu, dass sie in dem Gefühl ertrank, dass sein Körper sie sicher hielt; das Geruchsgemisch aus Leder, Pferd und Schweiß füllte ihr die Sinne. Geliebt und beschützt. Sie vergrub ihre Finger in seinem Haar, vergaß für einen Moment die Gegenwart und seufzte tief und zufrieden. Éomer. Wie sehr sie ihn brauchte. Er ließ die Finger ihren Rücken hinunter gleiten und zog träge langsam die Linie ihres Rückgrates nach; plötzliche Hitze stieg in ihr auf, trieb ihr die Röte in die Wangen und machte sie kurzatmig.

„Sie küsst gut, oder nicht?“ rief jemand.

Éomers Kopf fuhr blitzschnell herum; seine Muskeln wurden unter ihren Händen so hart wie Stein. „Du!“

„Sollen wir sie zum Preis für den Gewinner machen?“ höhnte Mûzgash.

Éomers Umarmung wurde fester. Die Spannung, die ihn durchrann, war spürbar. „Ich werde dafür sorgen, dass du diese Worte bereust!“

„Éomer!“ flehte sie. „Er versucht doch nur, dich zu ködern.“ Wie gut Mûzgash seinen Gegner einschätzte! Es machte ihr Angst.

„Euer Temperament ist mittlerweile legendär,“ stimmte Elfhelm neben ihr zu. „Lasst nicht zu, dass es ihm gelingt, Euch zu reizen.“ Lothíriel machte einen kleinen Satz; sie hatte nicht bemerkt, dass der Marschall so dicht in ihrer Nähe stand.

„Nun, er hat Erfolg damit,“ grollte Éomer.

„Es geht doch nichts über eine willige Frau in Deinen Armen, stimmt's?“

Bei Mûzgashs spöttischem Tonfall regte sich ihr eigenes Temperament. Wie sie sich danach sehnte, selbst mit dem Schwert auf ihn loszugehen! „Wenn Ihr so lausig kämpft, wie Ihr küsst,“ rief sie laut, „dann haltet Ihr Éomer keine Minute stand!“ Einige von den Männern lachten.

Zischendes Einatmen war zu hören. „Warte nur. Bevor die Nacht herabgesunken ist, wird sein Blut diese Pflastersteine tränken.“

„Ihr werdet derjenige sein, der heute Abend getötet wird, denn Éomer ist zehn Mal soviel Mann wie Ihr.“ Sie hob die Stimme. „In jeder Hinsicht!“ Dann zog sie Éomers Kopf zu sich herunter und gab ihm den besten Kuss, den sie zustande brachte. Sie konnte spüren, dass er ein Glucksen unterdrückte, aber er reagierte rasch, und bald ertränkte ihr wilder Herzschlag jede Antwort, die der Südling gegeben haben mochte.

Als sie den Kuss abbrachen, lehnte sie den Kopf gegen seine Brust. Was konnte sie noch mehr sagen? Sei vorsichtig? Der Mann ist gefährlich? Alles, was sie in diesem Moment wollte, war, weit weg zu sein von diesem Ort des Todes, um ihr gemeinsames Leben mit ihm in Frieden zu beginnen.

„Bring ihn einfach um,“ flüsterte sie endlich.

„Ich habe die Absicht.“ Seine Stimme klang grimmig, aber wieder beherrscht. Er seufzte. „Lothíriel, es ist Zeit.“

Ihn loszulassen und einen Schritt zurück zu tun war eines der schwersten Dinge, die sie jemals in ihrem Leben getan hatte. „Wo ist dein Helm?“

„Ich habe ihn, meine Herrin,“ sagte Elfhelm neben ihr.

Sie streckte die Hände aus und der Marschall reichte ihn ihr. Der Helm mit dem weißen Pferdeschweif, von dem sie so viel gehört hatte. Schwer und kalt. Sie hob ihn hoch und ließ ihn mit Éomers sanfter Führung über seinen Kopf gleiten. „Möge dies dich schützen, und magst du deine Feinde besiegen,“ sprach sie die traditionellen Worte.

Er hob ihre Rechte und streifte sie sachte mit einem Kuss. „Das werde ich, liebes Herz.“ Dann zog er seine Finger zurück; sie suchte blindlings nach einem Halt, um nicht wieder danach zu greifen. Jemand bot ihr den Arm, und sie nahm ihn dankbar.

„Elfhelm,“ wandte er sich an seinen Marschall, der auf ihrer anderen Seite stand. Seine Stimme hat bereits einen anderen Klang, abwesend und zielbewusst. Kalt.

„Éomer König?”

„Ich betraue dich damit, auf die Prinzessin Acht zu geben. Beschütze sie unter allen Umständen. Wenn mir irgend etwas zustößt...“ Unwillkürlich gruben sich Lothíriels Finger in den Arm, den sie hielt, und sie musste sich bewusst anstrengen, um sie wieder zu entspannen.

Elfhelm schien auch ohne weitere Worte zu begreifen, was Éomer meinte. „Er wird diesen Ort nicht lebend verlassen."

„Gut.“

Sie hörte, wie er sich entfernte, und es kostete sie unendliche Mühe, sich selbst davon abzuhalten, hinter ihm her zu rennen.

„Bitte, meine Herrin, macht Euch keine Sorgen,“ sagte eine tiefe Stimme, und jemand tätschelte ihr beruhigend die Hand. „Er ist einer der größten Krieger von Mittelerde.“

König Elessar. Lothíriel löste hastig ihren Griff. Ihr war nicht klar gewesen, dass es der Arm des Königs von Gondor war, den sie da zerquetschte. „Ich weiß.“

„Er kämpft sogar noch besser, wenn er wütend ist. Und glaubt mir, er ist sehr wütend, auch wenn er sich gut unter Kontrolle hat.“

Lothíriel brachte nur ein stummes Nicken zustande. Sie war von einem vertrauten Gefühl erfüllt. Wie oft waren ihr Vater und ihre Brüder in den Krieg geritten und hatten sie zurück gelassen. Alles, was ihr jetzt blieb, war die Hoffnung.

Dass Éomer gut töten konnte.

*****

Die Fackeln in den Händen seiner Männer flackerten in der Abendbrise, doch der Himmel warf noch genug Licht von der sterbenden Sonne zurück, dass es nichts ausmachte. Über ihnen verfärbten sich zarte Wolkenbänder orange und rosa, und Schwalben jagten Insekten durch die tiefer werdende Dunkelheit. Der Duft nach Flieder und Rosen wehte aus dem Garten hinter dem Haus herüber. Ein wunderschöner Abend.

Einer von ihnen würde nicht lange genug leben, um die ersten Sterne am Himmel erblühen zu sehen. Éomer hatte schon früher festgestellt, dass die Nähe des Todes seine Sinne fast schmerzhaft schärfte. Jetzt zwang er seine Konzentration, sich auf den aus verschmierter Asche gezogenen Kreis zu verengen, der auf dem Kopfsteinpflaster gezogen war, und an dem seine Männer sich aufreihten. Er gestattete sich einen letzten Blick hinüber auf die Seite, wo Aragorn stand und Lothíriels Arm hielt: er hatte sie ein wenig weiter zurück gezogen. Elfhelm hatte sich auf ihrer anderen Seite aufgebaut, und ihr Vater und ihre Brüder drängten sich schützend hinter ihr zusammen. Er dachte allerdings nicht, dass sie sich der Gegenwart von irgendeinem von ihnen bewusst war.

Dann trat sein Gegner vor, und Éomer verbannte jegliche Wahrnehmung von allem anderen aus seinem Geist. Wie er selbst trug der Mann ein Kettenhemd, das bis zur Mitte des Oberschenkels reichte, und hatte auf einen Schild verzichtet. Langsam zog Éomer Guthwinë aus der Scheide, und der Südling tat es ihm nach. Kurz begegneten sich die Spitzen ihrer Schwerter zum Salut.

„Bis zum Tod,“ sagte Éomer.

„Bis zum Tod.“

Er begann, nach rechts im Kreis zu gehen. Mûzgash tat dasselbe, als wären sie Partner in einem gut eingeübten Tanz. Ein Tanz des Todes. Er kniff die Augen zusammen und studierte die geschmeidigen Bewegungen des anderen Mannes; die Art, wie er seinen Säbel hielt, wie er die Füße setzte. Doch vor allem das Gesicht hinter den Zwillingsschlitzen von Mûzgashs Visier, denn er hatte festgestellt, dass die Augen ihn einen Sekundenbruchteil vor jedem Angriff vorwarnten, noch ehe der Körper sich bewegte.

Da! Ein Schlag, auf seine linke Seite gezielt und leicht pariert. Éomer ließ ihm eine ganze Reihe von Schlägen folgen, aber er näherte sich seinem Gegner noch nicht, denn dies war erst der Anfang. Sie tasteten einander noch immer ab. Er fragte sich, wie der leicht gekrümmte Säbel wohl im Vergleich mit seinem eigenen Schwert abschnitt, lang und gerade geschmiedet, wie es im Westen üblich war. Eine mächtige Waffe für Schläge, dachte er, flexibel und scharf, doch sie besaß nicht den langen Handgriff, den man brauchte, um beidhändig zu kämpfen, so wie sein Schwert Guthwinë. Während sie wieder anfingen, einander zu umkreisen, fiel ihm auch die ungewöhnliche Reichweite des Mannes auf; sie war der von Éomer ebenbürtig, seiner Größe und seines muskulösen Körperbaus wegen. Mûzgash erwiderte die Prüfung; seine schwarzen Augen glänzten vor Entschlossenheit. Sicher wusste er, dass er diesen Ort nicht lebend verlassen würde, ganz gleich, wie der Kampf ausging. Ein Mann, der nichts zu verlieren hatte, und deshalb doppelt gefährlich.

Zeit, die Initiative zu ergreifen. Éomer änderte den Griff um sein Schwert und machte eine Finte nach rechts, dann änderte er mitten im Streich die Richtung und zielte einen schweren Hieb auf den Kopf seines Gegners. Er wurde mühelos abgeblockt, aber soviel hatte er bereits erwartet. Die Klingen schrammten mit einem gequälten Kreischen aneinander entlang, bis er mit einem Schlenker des Handgelenks Guthwinë befreite und es verdrehte, um Mûzgash in den Hals zu stechen. Wieder abgeblockt. Plötzlich musste er zurück springen, um den Gegenschlag zu meiden; er war niedrig gezielt und wurde mit schmetternder Gewalt und erstaunlicher Schnelligkeit ausgeteilt. Er fing ihn mit dem Kreuzstück seines Schwertes ab, wurde von der Wucht herum gerissen und fand sich plötzlich von Angesicht zu Angesicht mit dem Südling wieder. Einen Herzschlag lang rangen sie miteinander; keiner von ihnen war imstande, einen Vorteil zu gewinnen, und dann traten sie gleichzeitig einen Schritt zurück.

Mûzgash fing wieder an, im Kreis zu gehen. „Nicht schlecht, Pferdekönig. Es sieht aus, als wären wir einander ebenbürtig.“ Als Éomer nicht antwortete, grinste er. „Vielleicht haben wir mehr gemeinsam als nur unseren Geschmack, was Frauen angeht.“

Beherrsch dich! sagte Éomer sich selbst, als die vertraute Wut drohte, in ihm aufzusteigen und ihn drängte, auf den Südling einzuschlagen, ohne sich um das Risiko zu kümmern. „Spar dir deinen Atem für den Kampf!“ schnappte er.

Mûzgash ignorierte ihn. „Sag mir, findest du nicht, dass Lothíriels Hilflosigkeit zu ihrer Anziehungskraft beiträgt?“ flüsterte er. „Sie macht sie auf so köstliche Weise hilflos und verletzlich, meinst du nicht?“

Er musste bei Éomers beidhändigem Angriff zurück springen, aber er lachte, während er die Schläge parierte, die auf ihn herab regneten, und plötzlich wich er seitlich aus. Éomers Schwung trug ihn weiter und ließ seine Flanke offen. Narr! Er ließ sich zu Boden fallen, rollte vorwärts und wich um Haaresbreite dem Streich aus, von dem er wusste, dass er auf seinen ungeschützten Rücken hinab sauste. Er spürte den Luftzug von Mûzgashs Säbel quer über dem Nacken, während er einen Teil des Pferdeschweifes an seinem Helm durchschnitt. Die Männer, die den Kreis umstanden, schrieen auf. Er streckte sich aus der rollenden Bewegung und schaffte es nur knapp, Guthwinë zu heben und den Streich abzublocken, der allem ein Ende gemacht haben würde. Oh, aber der Mann war schnell! Der Aufprall des Schlages fuhr ihm mit betäubender Gewalt den Arm hinunter.

Doch als Mûzgash sein Schwert hob, um erneut zuzuschlagen, hieb Éomer, der auf den Knien lag, mit einer verzweifelten Bewegung um sich, zwang ihn einen Schritt nach hinten und erkaufte sich damit die Zeit, stolpernd wieder auf die Beine zu kommen. Wieder einmal umkreisten sie einander; beide atmeten jetzt schwer. Éomer sah ganz kurz Lothíriels kalkweißes Gesicht und verfluchte sich dafür, dass er die Beherrschung verloren hatte.

Mûzgash folgte seinem Blick. „Sie hat solch eine weiche Haut...“ schnurrte er.

Éomers Hand zuckte, aber er wusste es besser, als auf den selben Trick herein zu fallen. Er gab ein drohendes Grollen von sich. „Du wirst für deine Worte zahlen.“

Mûzgash grinste; seine schwarzen Augen glitzerten vor Triumph darüber, dass es ihm erneut gelungen war, ihn zu reizen. „Es gefällt mir, wenn sie ihr Haar so offen trägt – dir nicht?“

Éomer packte Guthwinë mit beiden Händen und griff an, ganz, wie sein Feind es erwartet hatte. Doch obwohl er seine ganze Wut in die Streiche legte, war sein Kopf klar. Dieses Mal würde er sein Temperament seinem Willen unterwerfen, anstatt zuzulassen, dass es ihn in die Irre führte. Schweiß rann ihm die Schläfen hinunter, während er seinen Gegner mit einer Reihe schmetternder Schläge vor sich her trieb. Mûzgash brachte es jedes Mal fertig, seine Klinge abzuwehren, aber die Anstrengung machte sich bemerkbar, und er verlor kostbaren Boden. Keine Sticheleien mehr, dachte Éomer grimmig.

Dann änderte er von einem Moment zum anderen den Rhythmus seiner Schläge; er hieb rasch zu und zielte nach unten statt nach oben. Mûzgashs Reaktion kam einen winzigen Herzschlag zu langsam, und Guthwinë öffnete eine dünne, rote Linie quer über den linken Oberschenkel des Südlings. Das erste Blut. Keine Wunde, die ihn behinderte, aber sie mochte den Mann wenigstens ein klein wenig langsamer machen, was den Unterschied bedeuten konnte zwischen Leben und Sterben. Gnadenlos zielte er seinen nächsten Stoß auf die linke Seite des Mannes und zwang ihn damit, das Gewicht auf das verletzte Bein zu legen; er hoffte, dass sich der Schnitt dadurch noch weiter öffnete. Mûzgashs Hosen verfärbten sich allmählich scharlachrot.

Inzwischen atmeten beide schwer und keuchend, aber Éomer wagte nicht, in seinem Angriff nachzulassen, um seinen Vorteil nicht zu verlieren. Er raffte alle Reserven zusammen und schlug wieder und wieder auf die schwache Seite seines Gegners ein. Während das Kettenhemd und die Lederpolsterung darunter die Wucht des Aufpralls abfangen würden, konnte ein direkter Schlag ihm immer noch einen Knochen brechen. Tatsächlich wäre ein geringerer Kämpfer unter der schieren Kraft von Éomers Schlägen längst zusammengebrochen, doch Mûzgash hielt noch immer stand.

Dann ließ er sich von einer Sekunde zur anderen unter einem von Éomers Streichen fallen. Was? Mûzgash sprang zurück, dann drehte er sich um und rannte zum Rand des Kreises. Als Éomer ihm folgte, zielte er mit einem bösartigen, heimtückischen Hieb nach ihm. Aus dem Gleichgewicht gebracht, ließ Éomer den Schlag lediglich an seinem Schwert entlang abgleiten; es war ihm unmöglich, wirkungsvoll zu kontern. Und in diesem Augenblick wandte der Südling sich ab und entriss einem der Rohirrim, die entlang des Kreises standen, eine brennende Fackel. Er drehte sich um und stieß sie Éomer ins Gesicht.

Feuer explodierte in seiner Wahrnehmung. Éomer machte einen Satz rückwärts. Er konnte nichts sehen! Rings um sich hörte er die zornigen Schreie seiner Männer, und er hob den Arm, um den Schlag abzuwehren, von dem er wusste, dass er auf ihn zu kam. Ein sengender Schmerz schoss seinen linken Arm entlang, aber es gelang ihm, die Klinge des Südlings abzulenken. Blind und mit tränenden Augen schlug er verzweifelt um sich und hörte Mûzgash lachen.

„Stirb, König von Rohan, und geh zu meinem Vater!“

Die Stimme kam von seiner rechten Seite! Er packte den Schwertgriff mit beiden Händen, hob die Waffe und legte alles, was er hatte, in einen letzten Schlag. So, wie er seine Flanke für einen Gegenangriff weit offen ließ, würde es keinen weiteren geben. Die Zeit schien sich auszudehnen, als Guthwinë fiel.

Dann biss es zu. Knochen knirschten und der Geruch nach frischem Blut erfüllte die Luft. Mûzgash gab einen entsetzlichen, erstickten Schrei von sich. Éomer blinzelte, um deutlich zu sehen und konnte die Gestalt des Mannes ausmachen, die zu Boden stürzte. Sein Säbel fiel mit einem metallischen Klirren. Irgendwie hatte Éomers Klinge die ungeschützte Stelle zwischen Kettenhemd und Helm gefunden. Mit einem Ruck zog Éomer das Schwert aus der Schulter seines Gegners und noch mehr Blut schoss hervor und befleckte das Kopfsteinpflaster mit tiefem Rot.

Éomer trat einen Schritt zurück. Am Leben! Während er in Wirklichkeit tot sein sollte... Seine Augen brannten immer noch; Punkte tanzten in seinem Blickfeld. In diesem Moment hob Mûzgash den Kopf und langte nach etwas an seiner Seite.

„Es ist noch nicht vorbei...“ flüsterte er, rote Schaumbläschen vor dem Mund.

Mit einer übermenschlichen Anstrengung warf er sich in Éomers Richtung und stach nach seinem Bein. Doch Éomer sprang instinktiv nach hinten, und der Dolch des Südlings schnitt lediglich durch seine Hose und streifte dann harmlos seinen Stiefel. Zerbrochen fiel die bösartige Klinge zu Boden. Einen Moment später sackte Mûzgash zusammen und regte sich nicht mehr. Als Éomer jedoch genauer hinschaute, sah er, dass der Südling mit einem Lächeln auf dem Gesicht gestorben war. Er runzelte verwirrt die Stirn.

Egal. Es war vorüber. Éomer nahm seinen Helm ab und tat einen tiefen, keuchenden Atemzug. Dann noch einen. Und noch einen. Die Luft schmeckte so süß wie nie zuvor. Über ihm leuchtete im Osten der erste Stern an einem dunkelnden Himmel. Er war am Leben, Mûzgash war tot. Nichts anderes zählte.

Verspätet merkte er, dass seine Männer ihm umstanden, ihm auf den Rücken klopften und wie wild jubelten. Oswyn nahm ihm Helm und Schwert ab.

„Lothíriel?“ fragte er.

Dann lag sie irgendwie in seinen Armen; sie lachte und weinte gleichzeitig. „Éomer! Geht es dir gut?“

Ohne nachzudenken packte er sie und nahm ihren Mund mit einem hungrigen, verzweifelten Kuss in Besitz. Oh, es war so gut, am Leben zu sein! Wie weich ihre Lippen waren, wie köstlich sie schmeckte. Begierde durchflutete ihn wie eine Flut aus flüssigem Feuer, während er eine Hand in ihrem offenen Haar vergrub und sie dicht an sich zog. Er wollte sie. Sie erschrak und klammerte sich in plötzlicher Angst an ihn, aber dann warf sie mit einem Schluchzen die Arme um seinen Hals und erwiderte den Kuss mit der selben Leidenschaft. Hitze flammte zwischen ihnen auf.

„Éomer! Was denkt Ihr eigentlich, was Ihr da tut?“ protestierte Imrahil hinter ihr.

In die Gegenwart zurück gerissen, ließ er Lothíriel abrupt los. Sie schwankte und suchte an seinem Arm nach Halt. Er stützte sie sofort. „Es tut mir Leid,“ sagte er und lief schuldbewusst rot an. „Vergib mir!“ Wie konnte er er so grob mit ihr umgehen, nach allem, was sie gerade durchgemacht hatte!

Lothíriel errötete ebenfalls heftig und senkte den Kopf. Doch dann erstarrte sie plötzlich. „Éomer!“ rief sie aus und hob eine Hand. „Du bist verletzt!“

Er blickte überrascht nach unten, denn er hatte Mûzgashs letzten Schlag ganz vergessen. Blut beschmierte ihre Finger, wo sie seinen linken Arm festgehalten hatte. Behutsam überprüfte er den Schaden. Der lange Ärmel seines Kettenhemdes hatte den größten Teil des Aufpralls aufgefangen, abgesehen vom Unterarm, der nur durch einen Handschuh aus gekochtem Leder geschützt wurde. Hier hatte der Säbel des Südlings einen langen, flachen Schnitt hinterlassen, der leicht blutete.

„Nichts Ernstes,“ entschied er. „Es kann warten; das Blut gerinnt bereits.“

Elfhelm protestierte. „Bitte, Éomer König, lasst einen der Heiler einen Blick darauf werfen.“

„Unsinn...“

Doch Lothíriel hatte sich bereits an den Marschall gewandt. „Ist einer von ihnen hier? Könnt Ihr ihn holen?“

„Ja, meine Herrin. Ich hole ihn sofort.“

Der Heiler, ein schweigsamer älterer Mann, wartete bereits am Rande der Menge. Er warf einen Blick auf die Wunde und entschied, dass sie genäht werden musste.

„Genäht?“ rief Éomer. „Unsinn, das wird schon ganz von allein heilen, wenn man es in Ruhe lässt.“ Was denn, er hatte in seinen Tagen als Dritter Marschall weit schlimmere Verletzungen davon getragen und den Kampf fortgesetzt.

Der Heiler betrachtete ihn säuerlich. „Mein König, Ihr wisst, wie man Wunden austeilt, aber ich weiß, wie man sie heilt.“

„Bitte, Éomer,“ sagte Lothíriel. „Lass ihn dich behandeln.“ Blinde Augen blickten flehentlich zu ihm auf.

„Hört auf Prinzessin Lothíriel!“ fügte Elfhelm hinzu.

Wieso hatte er allmählich das Gefühl, dass er diese Worte nicht zum letzten Mal hörte. Er seufzte. „Oh... also schön.“

Er wurde mit einem strahlenden Lächeln belohnt. „Ich bin sicher, es wird nicht allzu sehr wehtun,“ versicherte Lothíriel ihm. „Wenn du möchtest, halte ich dir die Hand.“

Das großzügige Angebot verschlug ihm die Sprache.


Top          Nächstes Kapitel        Stories          Home