Euch zu Diensten
von Lialathuveril, übersetzt von Cúthalion


Kapitel Fünfundzwanzig
Von Aalen

Das Feuer verzehrt alles.
Roten Wein und wohlschmeckendes Fleisch, denn dem König mangelt es an nichts
Einen schönen Hengst für den Ritt, den ein König geht nicht zu Fuß.
Sklaven, ihm zu dienen, denn ein König bedient sich nicht selbst.
Konkubinen, ihm zum Gefallen, denn ein König schläft nicht allein.
Das Feuer verzehrt alles.

(Turgon: Eine kurze Geschichte von Harad und seinen Sitten)

Der Mann hatte verschlagene Augen.

Mit einem Blick nahm Éomer die abgetragene Kleidung von unbestimmt brauner Farbe in sich auf, die Art, wie eine Hand an seiner Seite herab hing, als sei sie daran gewöhnt, ein Schwert festzuhalten, und wie sorgsam ausbalanciert er auf den Fußballen stand.

Der Mann verneigte sich unterwürfig. „Bitte, mein König, ich muss allein mit Euch reden.“

Neben Éomer regte Elfhelm sich ärgerlich. „Du kannst nicht einfach hier herein marschieren und verlangen, den König von Rohan zu sehen. Es könnte eine Falle sein.“

Der Mann hielt beide Hände vor sie hin, die Handflächen nach oben. „Ich trage keine Waffen. Ich bin nur ein Bote.“

Ein merkwürdiger Bote war das. Und er hatte einen eigenartigen Akzent, den Éomer nicht wirklich einordnen konnte. „Prinzessin Lothíriel hat dich geschickt?“ fragte er.

„Ja, mein Herr. Sie hat mir das Schmuckstück gegeben, das ich Eurem Mann zum Beweis ausgehändigt habe.“

„Wie ist dein Name?“

„Baran, mein Herr.“

Éomer kam zu einer Entscheidung. „Also schön, Baran. Wir wollen ein bisschen zur Seite gehen, und du kannst mir deine Botschaft geben.“

„Éomer König!“ protestierte Elfhelm. Éothain, der bei den Pferden stand, blickte ebenfalls unglücklich drein.

Éomer sah seinen Marschall an und schüttelte den Kopf. „Ich glaube, das ist wichtig. Nebenbei kann ich auf mich selbst Acht geben.“

Elfhelm zögerte; offenbar wollte er sich über diesen Punkt nicht mit seinem König streiten, und bevor er mit irgendeinem anderen Argument kommen konnte, nickte Éomer dem Boten zu. „Geh voraus.“

Gefolgt von den unbehaglichen Blicken der Rohirrim, führte Baran Éomer weiter die Straße hinunter, in Richtung auf das Tor zum Fünften Kreis. Die Mittagszeit rückte näher; die Tavernen auf beiden Seiten waren belebt und die Straße voll von Leuten, die kamen und gingen. Der Mann blieb an dem verrammelten Eingang zu einem der Häuser stehen und zog etwas aus seiner Umhangtasche. Er winkte Éomer näher heran und reichte ihm ein Stück Pergament.

„Die Prinzessin hat es selbst geschrieben,“ flüsterte er.

Argwöhnisch entfaltete Éomer den Brief. Er stellte instinktiv sicher, dass die Mauer seinem Rücken Deckung bot und hielt ein wenig Abstand, nur für den Fall, dass Baran versuchte, sich auf ihn zu stürzen. Irgendetwas an diesem Mann sorgte dafür, dass sich ihm die Nackenhaare aufstellten.

Lieber Éomer. Lothíriels unverwechselbare Handschrift, die Buchstaben sogar noch zittriger geformt als das letzte Mal. Ich bin von Zuhause fort gelaufen, um mit dir zusammen zu sein. Er starrte auf den Brief hinunter. Was! Sie hatte was getan? Und wieso? Ihr Vater würde außer sich sein! Er schüttelte ungläubig den Kopf und las weiter. Ein Freund hat mir Zuflucht gegeben. Éomer blickte zu Baran hinüber. Meinte sie ihn oder jemand anderen? Folge dem, der diesen Brief bei sich trägt. Sag niemandem, wohin du gehst, und komm allein, still und unbemerkt wie ein Aal, der sich durch das Gras schlängelt. Lothig.

Éomer holte tief Luft und versuchte, seine wirren Gedanken zu ordnen. Was hatte Lothíriel bloß geritten, dass sie so unbedacht zur Tat schritt? Hatte ihr Vater gedroht, sie mit zurück nach Dol Amroth zu nehmen? Er sah hoch und merkte, dass Baran ihn aufmerksam beobachtete.

„Du kennst den Inhalt dieser Nachricht?“ fragte Éomer.

„Ja, mein Herr.“ Baran nickte. Er lächelte einnehmend. „Die Prinzessin hat mich ins Vertrauen gezogen. Sie wartet höchst ungeduldig auf Euch.“

Er würde sofort mit ihr reden müssen. Als er wieder auf den Brief hinunter sah, fing die Unterschrift seinen Blick ein. Wieso nannte sie sich selbst Kleine Blume? Langsam las er die Nachricht noch einmal durch. Dann blieben seine Augen an dem letzten Satz hängen, und er fühlte sich, als hätte ihn ein Blitz getroffen. Aale! Was hatte er ihr an jenem Abend in der Halle Merethrond gesagt, als die Köche anstelle von einem anderen Gesicht Aal in Gelee aufgetragen hatten? Erwähnt einfach Aale, und Rohan wird zur Rettung herbei reiten.

War Lothíriel in Schwierigkeiten? Unwillkürlich verkrampften sich seine Finger und zerknüllten den Brief. Als er aufschaute, war Baran ein paar Schritte zurück gewichen. „Mein König?“ fragte der Mann und leckte sich nervös die Lippen.

Schrecken durchfuhr Éomer, und seine Augen wurden schmal. „Wo ist Lothíriel? Was hast du ihr angetan? Ich warne dich - “

Der Mann warf einen Blick auf sein Gesicht, dann drehte er sich plötzlich um und schoss davon.

„Halt!“ schrie Éomer und rannte hinter ihm her.

Von hinter sich hörte er erschrockenes Rufe von seinen Reitern, aber er ignorierte sie. Rasch wie eine Ratte auf der Suche nach Deckung schlüpfte der Mann zwischen zwei Karren hindurch. Éomer folgte ihm, aber dann zögerte er. Wo war er hin? Da! Er sah kurz eine braune Tunika, während Baran sich einen Weg durch die Menge bahnte; in seiner Hast, davonzukommen, stieß er eine Frau zu Boden. Verwünschungen folgten ihm, als er sich zwischen ein paar Tischen hindurch duckte, die draußen vor einer Taverne standen. Éomer hetzte hinter ihm her.

„Haltet diesen Mann auf!“ brüllte er, aber die Kunden, die über ihren Humpen saßen, starrten ihn bloß verwirrt an.

Baran warf einen hastigen Blick über die Schulter zurück und schnappte sich von einem vorbei gehenden Schankmädchen einen Krug. Was zum...! Éomer konnte sich gerade noch ducken, als der Mann das schwere Gefäß nach ihm schleuderte. Er versuchte, Baran zu packen, aber der Mann stieß die kreischende Frau in seine Richtung. Dann packte er ein Ende eines der Tische und kippte ihn um; Bier ergoss sich über Éomer.

„He! Was macht Ihr denn da?“ rief einer der Wirtshausgäste wütend.

Éomer fluchte und versuchte, den Scherben und der Brühe auf dem Boden auszuweichen. Warum bloß wollte dieses dumme Weib seinen Arm nicht loslassen und mit dem Gejammer aufhören! Er schüttelte sie grob ab, aber dann packte ihn einer der Gäste von hinten. Er hatte keine Zeit dafür!

„Loslassen!“ knurrte er und versetzte dem Mann einen Hieb in den Magen. Mit einem überraschten Gesichtsausdruck sank der Kerl zu Boden.

Éomer sprang über eine Bank, die auf dem Boden lag, während direkt vor ihm Baran einen weiteren Tisch umwarf. Wenn er diesen Schurken bloß zu fassen bekommen konnte! Ein weiterer Wirtshausgast versuchte, ihn zu packen, aber er stieß ihn weg. Wo waren seine Reiter? In diesem Moment sah er, dass Baran die Straße erreicht hatte und anfing, auf das Tor zuzurennen, das in die unteren Kreise führte.

„Aus dem Weg!“ brüllte er und zog sein Schwert. Die Männer, die ihm am nächsten standen, wichen hastig zurück. Dann musste er sich ducken, als jemand einen Stuhl nach ihm warf. Nur noch ein paar Schritte zur Straße.

„Zum König!“ schrie Éothain und stürzte sich ins Getümmel. Als sie sahen, dass die Rohirrim zum Angriff übergingen, machten sich die meisten Gäste aus dem Staub.

Éomer deutete die Straße hinunter. „Fangt diesen Boten ein!“ Er steckte sein Schwert wieder in die Scheide und rannte los, seine Männer dicht auf den Fersen.

Als sie den Hauptverkehrsweg von Minas Tirith erreicht hatten, da war er schwarz von Menschen. Wo war der Mann hin geraten? Ein paar berittene Boten kamen vorbei und warfen ihnen überraschte Blicke zu. Éomer zögerte einen Moment, dann hastete er abwärts in Richtung des Fünften Kreises. Wieso musste heute bloß jedermann Braun tragen! Und was, wenn Baran eine der kleinen Seitengassen genommen oder sich in einer Taverne versteckt hatte?

Nach einigen Minuten fruchtloser Suche nahm Elfhelm ihn beim Ellenbogen. „Ich glaube, wir haben ihn verloren.“

Éomer fürchtete sehr, dass sein Marschall Recht hatte. Er wurde langsamer und blieb dann stehen. Es hatte keinen Zweck, der Mann war entkommen. Er schluckte einen Fluch hinunter.

„Was machen wir jetzt?“ fragte Éothain.

„Holt die Pferde,“ befahl Éomer und drehte sich auf dem Absatz um. Die eiserne Hand der Furcht presste sich um sein Herz. Lass das alles ein Missverständnis gewesen sein, betete er.

*****

Nach Éomers drittem Klopfen öffnete sich die Tür des Stadthauses von Dol Amroth.

„Mein König?“ fragte der Diener außer Atem.

„Ist Prinzessin Lothíriel hier?“

„Ich bin nicht sicher,“ stammelte der Diener.

Éomer drängte sich an ihm vorbei und bedeutete seinen Männern, im Vorhof zu warten. „Ich muss sie sofort sehen!“

„Sie könnte im Garten sein...“

Mit einem leisen Klicken öffnete sich die Tür zur Bibliothek. „Wer schreit da herum?“ Imrahils Augen weiteten sich, als er Éomers durchweichte Kleidung in sich aufnahm. „Was ist Euch denn zugestoßen?“

Es waren nur wenige Schritte nötig, um den Vorraum zu durchqueren. „Wo ist Lothíriel?“ Er musste sich zurückhalten, damit er den anderen Mann nicht packte und schüttelte.

Imrahils Augenbrauen senkten sich. „Éomer, Ihr stinkt nach Bier! Wenn Ihr denkt, dass Ihr auf diese Weise Eure Sache weiter bringt, dann lasst mich Euch sagen - “

„Wo ist sie?“

„Lothíriel ist früh heute Morgen zu den Häusern der Heilung gegangen.“ Éomer blickte hoch und sah, dass Amrothos oben an der Treppe stand. „Sie ist noch nicht zurück gekommen. Ist irgendetwas geschehen?“

Seine Hoffnungen waren zerschmettert. Éomer schloss für einen Moment die Augen. „Nein!“ Er ließ seine Faust gegen den Türrahmen krachen.

„Éomer!“ Imrahil schaute ihn an, als zweifelte er an seinem Verstand.

„Ich komme gerade von den Häusern der Heilung. Lothíriel ist nicht dort.“

„Aber das muss sie sein! Der Vorsteher hat einen Heiler geschickt, um sie zu holen, damit sie nach Eurem verwundeten Reiter sieht,“ sagte Imrahil. „Scheinbar hat sich sein Zustand in der letzten Nacht verschlechtert.“

Inzwischen waren Elfhelm und Éothain auch bei ihnen. Der Marschall runzelte die Stirn. „Aber Guthláf geht es gut! Wir haben ihn gerade erst besucht, er erholt sich sehr schön.“

Die Teile des Puzzles fingen an, ein Bild zu ergeben. „Der Heiler... wie hat er ausgesehen?“ unterbrach Éomer.

Imrahil zuckte unsicher die Achseln. „Ganz gewöhnlich. Ihr kennt die Heiler: sie gleichen sich alle mit ihren Taschen und den grauen Kutten...“ Seine Stimme erstarb.

Éomer und Elfhelm wechselten einen Blick. „Der Heiler, den der Vorsteher vermisst!“

Éomer nickte langsam. Er sah, wie die Umrisse eines Planes ans Licht traten. Eines monströsen Planes. „Die haben den Mann verschleppt, um vorgeben zu können, dass sie von den Häusern der Heilung kommen. Dann kamen sie hierher, um Lothíriel zu holen.“

„Aber sie hatten auch ein paar Wachleute dabei!“

Wachleute? Lothíriel hatte keine Chance gehabt. „Ihre eigenen Wachleute,“ sagte Éomer grimmig, „um bei der Entführung zu helfen.“

Imrahils Gesicht wurde weiß. „Entführung? Seid Ihr sicher?“

Amrothos kam hastig die Treppe hinunter und nahm seinen Vater beim Arm. „Ihr irrt Euch ganz bestimmt! Es muss eine andere Erklärung geben – vielleicht hat sich Lothíriel auf dem Weg verspätet, oder sie hat eine Freundin getroffen.“ Er warf Éomer einen misstrauischen Blick zu. „Wieso wisst Ihr eigentlich von der ganzen Sache?“

Éomer zog Lothíriels Brief heraus und reichte ihn hinüber. „Das wurde mir draußen vor den Häusern der Heilung übergeben. Der Mann wollte, dass ich mit ihm gehe. Als ich Verdacht schöpfte, flüchtete er.“

Imrahil und Amrothos beugten sich über das zerknitterte, nach Bier riechende Pergament. „Aber hier schreibt sie, sie sei davon gelaufen!“ rief Imrahil.

„Eine Lüge.“ Er erinnerte sich an die zittrige Handschrift, und unwillkürlich wanderte seine Hand zu seinem Schwert. Was hatten diese Schurken Lothíriel angetan, um sie dazu zu bringen, den Brief zu schreiben?

„Die Unterschrift!“ hauchte Amrothos plötzlich. „Lothig. Du weißt, wie sie diesen Spitznamen hasst. Als Kinder haben wir sie immer damit aufgezogen.“

Sein Vater nickte und kniff die Augen zusammen. „Das ist wahr.“

„Noch eine Warnung,“ sagte Éomer zustimmend. Hätte er nur schneller begriffen!

„Noch eine?“ fragte Amrothos.

Éomer schüttelte den Kopf. „Das erkläre ich später. Jetzt müssen wir entscheiden, was zu tun ist.“

„Meint Ihr, die sind auf ein Lösegeld aus?“ fragte Imrahil. „Wenn sie es wagen, ihr weh zu tun...“ Er holte tief Atem, als wollte er sich beruhigen.

„Klingt das wie eine Lösegeldforderung?“ fragte Éomer und deutete auf das Pergament. „Nein, ich glaube, die haben etwas anderes im Sinn. Ich weiß nicht, was, aber ich weiß, dass wir sofort etwas tun und ihnen das Heft aus der Hand nehmen müssen.“

Er starrte auf die Notiz hinunter. Lothíriel hatte ihm eine flehentliche Bitte um Hilfe geschickt, sie hatte erwartet, dass er danach handelte und er hatte den Mann davon kommen lassen, Narr, der er war. Er blickte auf, begegnete Imrahils besorgten Augen und sah, wie sich die gleiche Angst darin spiegelte. Das Blut in seinen Adern wurde zu Eis. Was für einen Preis würde sie für ihre Warnung zu zahlen haben?

*****

Mûzgash tanzte den Tanz des Todes.

Ein beidhändiger Streich nach rechts, mit eisiger Trägkeit ausgeführt, doch tödlich genau; er ging nahtlos in eine langsame Drehung über, die ihm erlauben würde, den Bauch seines Gegners mit einem Schlag aufzuschlitzen. Seine Muskeln spannten sich an, während er die Position für einen Moment hielt, vollkommen ausbalanciert auf einem Fuß, den Säbel vor sich ausgestreckt. Einatmen, ausatmen. Ohne Eile wandte er sich nach rechts und blockte den nach unten geführten Hieb seines Gegners ab; dann machte er einen Schritt zurück und lud ihn praktisch zum Gegenangriff ein. Einatmen, ausatmen. Angenommen, der Gegner nahm die Einladung närrischerweise an, dann war er in der perfekten Lage, ihm einen tödlichen Hieb quer über den Hals zu versetzen. Während Mûzgash seinen Säbel mit einer langsamen Bewegung senkte, konnte er beinahe das übelkeiterregende Knirschen von Harnisch, Knochen und Sehnen hören, die darunter brachen. Einatmen, ausatmen.

Er richtete sich auf. Es dauerte Jahre, um den Tanz zu meistern, um den Körper zu lehren, die Bewegungen fehlerlos auszuführen, langsam oder blitzschnell. Aber ein Prinz von Harad wurde fast von dem Moment an darin ausgebildet, in dem er seinen ersten Atemzug tat. Würde er noch leben, sein Schwertmeister wäre stolz auf seinen Schüler gewesen. Allerdings hatte ihn auf den Pelennorfeldern der Tod ereilt, am selben Tag wie seinen König. Mit einem Seufzer steckte Mûzgash sein Schwert in die Scheide; er zögerte, in die Gegenwart zurückzukehren. Er fand stets einen eigenartigen Frieden in der Vollkommenheit der Konzentration, bis alles andere sich auflöste. Aber wieso brauchte sein Bote so lange?

„Schon irgend ein Zeichen von König Éomer?“ fragte er Shagnar, der auf einer Seite des Vorhofes Wache hielt.

„Nein, mein Herr,“ erwiderte sein Hauptmann.

Mûzgash runzelte die Stirn. Sein Mann hätte nicht so lange brauchen sollen, den König von Rohan zu finden, und sicherlich würde König Éomer doch sofort kommen wollen. Stimmte etwas nicht? Er warf einen kritischen Blick auf seine Vorbereitungen. Der Vorhof des Hauses war leer geräumt worden, das Kopfsteinpflaster abgewaschen. Eine Spur aus hellgrauer Asche bezeichnete den Kreis des Todes, den rituellen Ort, wo das Leben genommen wurde. Und nicht nur irgendwelche Asche, sondern mitgebracht vom Bestattungs-Scheiterhaufen seines Vaters. Nicht, dass sie viel zu verbrennen gehabt hatten, abgesehen von einem üppig verzierten Sarg – der leer war – und den Sklaven und Konkubinen, die für das Leben nach dem Tod erforderlich waren.

In diesem Moment kam ein Ruf von einer der Wachen am Tor herauf. „Es ist Baran. Aber er ist allein.“

Das Tor zur Straße öffnete sich mit einem Knall, und Baran kam herein gestolpert. Er holte tief und keuchend Atem, überquerte den Vorhof und fiel knapp außerhalb des Aschekreises auf ein Knie. „Mein Prinz, vergebt mir.“

Mûzgash wurde ganz still. „König Éomer?“

„Ich habe den Brief überbracht, ganz, wie Ihr mir befohlen habt. Aber ich schwöre Euch, in dem Moment, als er ihn gelesen hat, da wusste er Bescheid!“

„Wie kann das sein?“

Der Mann hob flehend die Hand. „Ich weiß es nicht! Es war, als wäre die Botschaft ganz klar für ihn zu lesen. Er hat versucht, mich aufzuhalten, aber es ist mir gelungen, zu entkommen, mit knapper Not.“

Dann war der König von Rohan also jetzt gewarnt. Mûzgashs Finger verkrampften sich um seinen Schwertgriff.

„Bitte, mein Herr...“ flehte Baran; in seiner Furcht begann er zu plappern. „Es muss diese Frau sein. Sie muss irgendwie eine Warnung hinein geschmuggelt haben. Ich sage Euch, er wusste es sofort!“

Die Prinzessin. Natürlich, diese plötzliche Bereitschaft zur Zusammenarbeit, die merkwürdige Unterschrift! Wut durchzuckte ihn. Dachte sie, sie könnte versuchen, ihn auf diese Weise zu übertölpeln? Nun, er würde sie den Preis lehren, den es kostete, seine Pläne zu stören! Doch zuerst würde er sich um dieses zitternde Häufchen Elend zu seinen Füßen kümmern müssen. Seine Hand bewegte sich auf den schmalen Dolch an seinem Gürtel zu, aus einem gebogenen Stück Obsidian gemacht und so scharf wie eine der legendären Elbenklingen. Das sichtbare Symbol für seine Macht über Leben und Tod, als ein Fürst des Blutes.

Baran erstarrte. „Nicht den Schlangenzahn! Bitte, mein Herr! Ich habe Euch all diese Jahre treu gedient!“

Mûzgash betrachtete ihn abwägend durch zusammen gekniffenen Augen. Um die Wahrheit zu sagen, er hatte, wie es aussah, schon zu wenig Männer, und da seine Pläne für den Augenblick vereitelt waren, mochte es wohl dazu kommen, dass er jeden einzelnen von ihnen brauchte.

Langsam senkte er seine Hand, und der Mann seufzte vor Erleichterung. „Ich danke Euch,“ flüsterte er.

Mûzgash bedeutete ihm, aufzustehen. „Mach ja keinen weiteren Fehler, oder...“ Er musste seine Drohung nicht beenden. „Jetzt fort mit dir!“

Noch immer zitternd verneigte sich Baran und verschwand rasch in Richtung der Stallungen, wo er und die anderen Wachen ihr Quartier aufgeschlagen hatten.

Shagnar trat vor; er wartete auf Befehle.“ „Was tun wir jetzt, mein Prinz?“

Mûzgash dachte über die Frage nach, und seine Augen und die seines Hauptmanns begegneten sich. „Es ist nur ein kleiner Rückschlag, nicht mehr.“

„Natürlich.“

Also würde der König von Rohan nun auf der Hut sein. Es spielte keine Rolle, denn am Ende würde er immer noch genau das tun, was Mûzgash von ihm wollte. Ein wahrer Meister des Schachspiels fand selbst im Missgeschick noch Möglichkeiten. Schließlich hielt er noch immer die wichtigste Figur des Spieles in den Händen – selbst, wenn es nur ein glückloser Bauer war.

„Im Moment werden wir absolut nichts tun,“ sagte er langsam. Als sein Hauptmann ihn erstaunt ansah, fügte er hinzu: „Lassen wir sie schwitzen, sich Sorgen machen und sich das Schlimmste ausmalen. Wenn wir dann zuschlagen, werden ihre eigenen Ängste sie schwächen, und sie werden sich leicht unserem Willen fügen. Schick einfach ein paar Späher aus, um festzustellen, wo der König von Rohan sich im Augenblick befindet, und behalte ihn im Auge.“

„Und die Frau?“

Mûzgash streifte seine Lederhandschuhe ab und reichte sie seinem Hauptmann. „Ich werde mich selbst um sie kümmern.“ Er nickte; Shagnar war entlassen.

Sorgsam darauf bedacht, nichts von der Asche zu verschmieren, trat er aus dem Kreis und ging mit langen Schritten zum Haus hinüber. Vom Eingang kam man durch einen kurzen Korridor zur Küche. Er durchquerte sie und kam zu der Falltür, die hinunter in in den Keller führte. Seine Männer hatten einige der Zimmer ausgeräumt, wo die Hausbesitzer ihre Vorräte aufbewahrt hatten, und hatten sie mit neuen Türen und Betten ausgestattet, für ihre Gäste.

Die Männer, die das Kellergewölbe bewachten, schauten von ihrem Würfelspielhoch und sprangen hastig auf, als Mûzgash die steilen Stufen hinunter kam. Keine Geräusche von draußen drangen durch die dicken Mauern, und die Luft lastete schwer und klamm auf ihnen.

„Alles ist ruhig, Herr.“

Mûzgash nickte anerkennend und wandte sich zu einem kleinen Tisch neben der Tür zur ersten Zelle. Ein Messinghalter stand darauf; er entzündete die Kerze darin mit einer der Fackeln, die in Haltern entlang des schmalen Flures steckten, der zu weiteren Räumen führte.

„Macht die Tür auf.“

Der Männer beeilten sich, zu tun, wie ihnen geheißen, dann standen sie Habacht neben den Türöffnung, die ihm entgegen gähnte wie ein schwarzer Rachen. Er kostete den Moment aus und tat einen Schritt in den Raum. Langsam gewöhnten sich seine Augen an das schwache Licht seiner Kerze, und er entdeckte die Prinzessin in den Schatten an der Wand. Sie stand neben dem Fußende des Bettes, den Kopf hoch erhoben, den Umgang eng um sich geschlungen, als würde er ihr eine Art Schutz verleihen. Einen Schritt näher, und er sah, dass das Grau ihrer Augen sich fast zu Schwarz verdunkelt hatte; sie waren riesig und blicklos im flackernden Schein der Flamme. Jung und verwundbar.

Er lächelte voller Vorfreude und nickte den Wachen knapp zu. „Ich brauche Euch nicht mehr. Sorgt dafür, dass ich nicht unterbrochen werde.“

Seine Männer gehorchten bereitwillig. „Natürlich, mein Herr.“ Sie schlossen die Tür hinter sich.

Während ihre hastigen Schritte verklangen, sah er, wie sich Prinzessin Lothíriels Finger an ihren Seiten verkrampften. Mûzgash ließ die Stille wachsen, bis sie sich zwischen ihnen wie etwas Drohendes und beinahe Lebendiges erstreckte. Falls sie erwartet hatte, dass er angesichts dieses kleinen Rückschlages wütete und fluchte, dann würde er sie enttäuschen. Er hatte sein Temperament besser im Griff, als dass das geschehen konnte, und er würde einer Frau nicht die Befriedigung verschaffen, dass er die Beherrschung verlor.

„Und so begegnen wir uns wieder, meine Prinzessin,“ sagte er.


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