Euch zu Diensten
von Lialathuveril, übersetzt von Cúthalion


Kapitel Vierundzwanzig
Die schwarze Schlange

Wie der König sein Land regiert, so herrscht der Gatte über sein Haus.
Mit Festigkeit, Weisheit und zielstrebiger Stärke.
Und wie sich die Edlen vor dem König beugen, so unterwirft sich das Weib seinem Gatten,
gehorsam, demütig und leichtem Herzens.

(Sprichwort aus Harad)

Mûzgash schürte die Glut in dem Kohlenbecken und blies sanft. Für einen Moment flammte sie rot und heiß auf und blinzelte ihn unheilvoll an wie ein Drachenauge. Er pfiff fröhlich vor sich hin, dann zog er einen Dolch aus dem Gürtel und vergrub ihn halb in den glühenden Kohlen.

In diesem Moment sorgte das Geräusch der sich öffnenden Tür dafür, dass er sich umdrehte. Zwei seiner Wachen kamen herein; jede von ihnen hielt einen Arm der schlanken Frau, die zwischen ihnen ging. Gegen ihre Eskorte wirkte sie winzig, aber sie reckte trotzig das Kinn, als sie vor ihm zum Stehen kam.

Mûzgash nahm sich Zeit, sie von oben bis unten zu betrachten, denn bisher hatte er sie nur kurz gesehen, und nur aus der Entfernung. Hübsch genug, mit der hellen Haut und dem dunklen Haar, das so typisch für Gondor war. Riesige, graue Augen beherrschten ihr Gesicht, und die eng sitzenden Kleider verhießen ziemlich köstliche Rundungen. Die Hauptsache war natürlich das edle Blut, das sie an ihre Söhne weitergeben würde, aber falls Mûzgash Vergnügen daraus ziehen konnte, wenn er seine dynastische Pflicht tat, um so besser. Er ließ seinen Blick auf ihrer Brust ruhen, die sich rasch hob und senkte, obwohl sie ansonsten ruhig wirkte. Ja, sie würde taugen.

Auch wenn er noch nichts gesagt hatte, schien die Prinzessin seinen prüfenden Blick zu spüren. Mûzgash konnte sehen, wie sie ihre Sinne anspannte; eine senkrechte Falte erschien zwischen ihren Augen. Sorgfältig darauf bedacht, keinen Laut von sich zu geben, trat er vor und berührte sie sachte an der Wange. Sie fuhr heftig zusammen, und die beiden Wachmänner lachten.

Mûzgash lächelte. „Prinzessin Lothíriel. Willkommen.“

„Ihr seid der Anführer dieser Männer?“ verlangte sie hoheitsvoll zu wissen.

Er entschied, dass es ihn belustigte. „Ja.“

Sie hob den Kopf. „In diesem Falle gebe ich Euch den Rat, mich auf der Stelle gehen zu lassen. Ich warne Euch, wenn mein Vater euch findet, wird er euch allesamt hinrichten lassen.“

Mûzgash hätte über ihre Kriegslust beinahe laut gelacht. „Das wäre bedauerlich. Zu unserem Glück wird Euer Vater uns nicht finden.“

„Oh ja, das wird er. Ihr irrt Euch sehr, wenn ihr glaubt, dass es in Gondor irgend einen Winkel gäbe, der finster genug wäre, Euch zu verbergen, nach dem, was Ihr getan habt.“

Als er zu lachen anfing, ballte sie die Hände zu Fäusten. „Wartet nur, denn Ihr werdet herausfinden, dass der Arm des Fürsten von Dol Amroth weit reicht!“

„Bis zur Stadt der Schlangen?“

Er genoss gründlich den Ausdruck der Verblüffung auf ihrem Gesicht. „Haradrim?“ stammelte sie.

„Ja, in der Tat. Man nennt mich Mûzgash.“ Er konnte nicht widerstehen, die in Gondor traditionelle Grußformel hinzuzufügen. „Euch zu Diensten.“ Ihr stockte der Atem, was seine Männer zum Grinsen brachte.

Doch die Prinzessin erholte sich rasch von ihrer Verblüffung. Sie runzelte die Stirn. „Nun, ich weiß nicht, was Ihr im Schilde führt, aber lasst mich Euch sagen - “

„Genug!“ schnitt er ihr das Wort ab. „Ich habe nicht die Zeit für einen Wortwechsel mit Euch. Später,“ fügte er höflich hinzu, „werde ich mich mit Freuden ausgiebig um Euch kümmern.“

Wieder lachten seine Wachmänner, und die Prinzessin presste ihre Lippen zusammen. Allerdings entging ihm nicht die Art, wie sie die Fäuste ballte. Zorn oder Furcht? Dann runzelte er die Stirn, als er bemerkte, wie tief die Fesseln in ihre Handgelenke eingeschnitten hatten.

Er hob ihre Hände hoch, um einen genaueren Blick darauf zu werfen, dann bellte er seine Männer an. „Was ist das?“

Baran, der links von ihr stand, zuckte unbehaglich die Achseln. „Sie hat um sich getreten und versucht, uns mit ihren Krallen zu zerkratzen, also haben wir sie fest gebunden.“

Der andere Mann nickte. Er trug noch immer die Spur ihres Gehstocks im Gesicht, einen roten Wulst über dem einen Auge. „Das ist eine richtige Wildkatze, die da!“

Mûzgash hatte alles darüber gehört, wie ihre Beute ihnen beinahe entkommen war, aber er fand es schwierig, das zu glauben, wenn er die zierliche Frau vor sich betrachtete. Er zog eines seiner Messer aus der Scheide und zerschnitt die Lederriemen,die ihre Handgelenke banden.

„Ich habe keinen Befehl geben, sie gefesselt zu lassen. Wenn durch eure Dummheit hässliche Narben bei ihr zurückbleiben, dann lasse ich euch auspeitschen!“

Die Prinzessin rieb sich die Handgelenke und dehnte die Finger; sie sagte nichts, auch wenn der erneuerte Blutkreislauf ihr Schmerzen bereiten musste. Sie sah keineswegs so eingeschüchtert aus, wie er es gern gesehen hätte. Er hatte gedacht, sie für eine Weile isoliert in einer dunklen Zelle zu halten, würde sie mürbe machen, doch vielleicht hatte das, weil sie ohnehin blind war, nicht die erwünschte Wirkung. Nicht, dass es etwas ausmachte; sie würde trotzdem genau das tun, was er wollte.

„Setzt sie hin,“ befahl er.

Die Prinzessin leistete keinen Widerstand, während sie sie zu einem Tisch hinüber führten, der zuvor her gerichtet worden war, und sie setzten sie nicht allzu sanft in einen Sessel. Ihre geschickten Hände strichen über die Tischplatte und hielten für einen Augenblick auf den Federn und dem Tintenfass darauf inne. Dann faltete Lothíriel sie im Schoß, ihr Gesicht wachsam.

Mûzgash nahm ein Stück Pergament und legte es auf den Tisch. „Ihr werdet einen Brief für mich schreiben.“

„Was für einen Brief?“

Keine Frau in Harad hätte es gewagt, einen direkten Befehl von ihm in Frage zu stellen, aber denen brachte man von Geburt an auch die angemessene Unterwürfigkeit bei. Offensichtlich hatte man gegen diese hier nie in ihrem ganzen Leben eine Hand erhoben, um sie für ihre vorlaute Zunge und ihr schamloses Betragen zu züchtigen.

„Hier ist, was Ihr schreiben werdet,“ sagte er. „Lieber Éomer - “

„Éomer!“ rief sie und sprang auf. „Ihr wollt, dass ich an Éomer schreibe?“

Einer seiner Männer legte ihr eine schwere Hand auf die Schulter, und sie setzte sich wieder in den Sessel. „Was wollt Ihr von dem König von Rohan?“ fragte sie.

„Das geht Euch nichts an,“ entgegnete Mûzgash kalt. „Ihr seid einfach der Köder, den ich nutzen werden, diesen besonderen Löwen in die Falle zu locken.“

Während er beobachtete, wie sie über seine Worte nachdachte, fühlte er sich an das erste Mal erinnert, als sein Vater ihn zur Jagd auf den Steppen von Harad mitgenommen hatte. Ihre Diener hatten eine Gazelle gefangen und angebunden, um die Aufmerksamkeit des Löwen zu erregen. Zuerst hatte das anmutige Geschöpf ihm Leid getan, aber sein Vater hatte albernen Ideen wie diesen bald ein Ende gemacht. Und der Löwe würde diese besondere Gazelle sowieso nicht bekommen. Er würde sie haben.

Die Prinzessin verschränkte die Arme vor der Brust. „Schreibt den Brief selbst.“

Tatsächlich hatte er das erwogen, hatte aber entschieden, dass der König von Rohan ihre Handschrift sehr wohl erkennen würde. Allerdings hatte er mit dieser Reaktion gerechnet.

„Holt die andere,“ befahl er.

Im Leben – ebenso wie beim Schachspiel – zahlte es sich stets aus, seinem Gegner einen Schritt voraus zu sein, was der Grund war, weshalb seine Männer bereits draußen vor der Tür mit ihrer zweiten Gefangenen warteten. Die Frau protestierte laut, als sie sie mit festem Griff herein zerrten, und Muzgâsh sah, wie Prinzessin Lothíriel sich halb aus ihrem Sessel erhob. Dann aber sank sie wieder zurück und runzelte besorgt die Stirn. Er lächelte voller Vorfreude, und ging durch den Raum zum Kohlebecken. Der Dolch, der darin ruhte, glühte vor Hitze, und er musste einen gefütterten Handschuh benutzen, um ihn aufzuheben. Er hielt ihn fest und trug ihn zu der Prinzessin zurück, die mit offenem Misstrauen auf dem Gesicht auf seine sich nähernden Schritte lauschte.

„Ihr habt eine Wahl,“ sagte er zu ihr. „Stimmt meinen Anweisungen rasch und schmerzlos zu, oder kämpft dagegen an, und ich werde den Preis für Euren Ungehorsam eintreiben.“

Sie straffte die Schultern. „Ich werde Éomer nicht in eine Falle locken. Ich ziehe es vor, den Preis zu zahlen.“

Tapfere Worte, und doch konnte er ein Zittern der Angst in ihrer Stimme hören,. „Aber nicht Ihrwerdet den Preis zahlen,“ sagte er und genoss jedes Wort, „Eure Gefährtin wird es tun.“

Prinzessin Lothíriel wich die Farbe aus dem Gesicht. „Nein,“ flüsterte sie. „Das könnt Ihr nicht! Ihr habt Euren Streit mit mir, nicht mit meiner Zofe.“

Mûzgash packte ihr Kinn mit der Linken, beugte sich über sie und hielt ihr den Dolch so dicht an die Wange, dass sie sicherlich die Hitze spüren konnte, die davon ausstrahlte. „Ich kann alles tun, was ich will,“ sagte er zu ihr. „Und während ich nicht die Absicht habe, Euer Aussehen zu verunstalten, kümmert es mich nicht im Mindesten, was mit Eurer Zofe geschieht.“

Er hielt einen Moment inne, damit seine Worte einsinken konnten. „Eure Wahl, Prinzessin. Rasch und schmerzlos... oder langsam und qualvoll.“ Während sie noch immer zögerte, näherte sich der Dolch ihren Augen so weit, dass ihre langen Wimpern drohten, versengt zu werden. „Sehr qualvoll.“

Sie weigerte sich noch immer, nachzugeben; sie presste die Lippen aufeinander und umklammerte die Tischkante mit den Händen. Mûzgash ließ sie abrupt los und wandte sich zu seinen Männern. „Na schön. Fesselt die Frau,“ befahl er.

Das graue Haar zerzaust, warf ihm die Zofe einen Blick zu, der halb verängstigt und halb voller Trotz war, während die Männer sie vorwärts zerrten und anfingen, sie an einem anderen Sessel festzubinden.

„Macht Euch keine Sorgen, Lothíriel,“ schnaufte sie, doch ihre Stimme zitterte.

„Sollten wir sie besser knebeln?“ fragte Baran.

„Das wird nicht nötig sein,“ antwortete Mûzgash und beobachtete dabei das Gesicht der Prinzessin. „Niemand wird ihre Schreie hier unten hören.“

„Nein! Halt!“ rief Prinzessin Lothíriel. „Ich werde den Brief schreiben.“

Schwach – so wie sie alle. Einmal mehr empfand Mûzgash seinem Vater gegenüber Dankbarkeit, dass er ihn schon ihn jungen Jahren eines gelehrt hatte: sich um jemanden zu sorgen, führte geradewegs zur Schwäche. Während seiner Kindheit war jeder Bedienstete, dem gegenüber er jemals Zuneigung gezeigt hatte, unbarmherzig ausgetauscht worden, bis Mûzgash gelernt hatte, sich ausschließlich auf sich selbst zu verlassen. Und sobald er einmal im Alter von sechs Jahren auf das Gelände der Jungen übergesiedelt war, um zum Krieger ausgebildet zu werden, hatte er selbst seine Mutter nicht mehr als einmal im Jahr zu Gesicht bekommen.

Er hob eine Feder auf und reichte ihn ihr. „Schreibt.“

Das Gesicht gesenkt, tastete sie nach den Rändern des Pergaments, tauchte den Federhalter in das Tintenfass und fing mühselig an zu schreiben. Jeder Buchstabe musste langsam und sorgfältig geformt werden; eine Hand bezeichnete die Position, wo sie aufgehört hatte, wann immer sie mehr Tinte brauchte. Lieber Éomer...

Mûzgash blickte ihr über die Schulter und sagte ihr, was sie schreiben sollte. „Ich bin von Zuhause davon gelaufen, um mit dir zusammen zu sein.“

Ihre Hand krampfte sich um die Feder, aber sie fuhr gehorsam fort. Er neigte sich dichter heran und roch anerkennend das blumige Parfum in ihrem Haar. „Macht schnell!“

„Das ist schwierig, wenn man blind ist!“ schnappte sie zurück. Mûzgash runzelte die Stirn. Statt angemessen verängstigt zu sein, klang sie wütend.

Er ließ eine Hand in ihrem Nacken ruhen und übte einen sanften, aber unausweichlichen Druck aus. „Muss ich das Messer wieder herausholen, Prinzessin?“ Als sie nicht sofort Antwort gab, verstärkte er seinen Griff, bis seine Finger sich seitlich in ihren Hals gruben. Solch zarte Haut. Und solch zerbrechliche Knochen.

Er legte ihr die andere Hand unter das Kinn und zwang sie, ihm ihr Gesicht entgegen zu heben. „Muss ich das?“

„Nein,“ flüsterte sie, die Augen weit aufgerissen. Er konnte den Puls wild in ihrer Halsgrube hämmern sehen.

„Noch ein Wort des Trotzes, Prinzessin, und Eure Zofe wird meinen Zorn spüren. Ist das klar?“

Er lockerte seine Finger ein wenig, und sie nickte ruckartig. „Ja.“

Von seinem Griff befreit, beugte sie sich wieder über das Pergament. Als Mûzgash einen Finger andeutungsweise über ihre Schulter gleiten ließ, konnte er spüren, wie sie unter seiner Berührung erschauderte. Bald...

Sie schlang ihren Umhang enger um sich und nahm erneut den Federhalter. „Und jetzt?“

„Schreibt: ,Ein Freund hat mir Zuflucht gegeben.'“ sagte Mûzgash zu ihr.

Die andere Frau schaute sorgenvoll zu, wie der Brief fortgesetzt wurde. Ihr mühsamer Atem war das einzige Geräusch im Zimmer, abgesehen von Knistern des Feuers und dem schwachen Kratzen der Feder auf dem Pergament.

Mûzgash nickte befriedigt. „Folge dem, der diesen Brief bei sich trägt. Sag niemandem, wohin du gehst, und komm allein.“

Sie schien sogar noch langsamer zu schreiben, und er entdeckte überrascht einen Ausdruck heftiger Konzentration auf ihrem Gesicht. Plötzlich hielt sie inne,. „Soll ich ihm sagen, dass er dafür sorgen soll, dass ihn niemand fortgehen sieht?“

Angesichts dieses unerwarteten Angebotes, mit ihm zusammen zu arbeiten, blinzelte Mûzgash. Doch hatte er das schon viele Male zuvor gesehen. Nach dem Trotz und dann der Angst kam der Wunsch, zu gefallen und sich bei dem Gebieter einzuschmeicheln. Es war nur viel leichter gewesen, den Geist von dieser hier zu brechen, als er es erwartet hatte. Aber schließlich war sie eine Frau und aus Gondor – was bedeutete, dass sie weich war und schwach.

„Ja, tut das,“ stimmte er zu.

Jetzt flog die Feder über das Pergament, und wieder nickte er befriedigt, als er sah, was sie schrieb. „Gut. Jetzt unterzeichnet es.“

„Ja, mein Herr.“

Ein Schnörkel, und sie beendete den Brief. Er starrte stirnrunzelnd auf die Unterschrift hinab. „Was bedeutet Lothig?“

Sie blies auf das Pergament, um die Tinte zu trocknen. „So nennt Éomer mich immer, seine ,kleine Blume'.“ Mit gesenktem Kopf reichte sie ihm den Brief.

Mûzgash las ihn rasch noch einmal durch und faltete ihn dann zusammen. Als er sich zu der Prinzessin zurück wandte, war sie aufgestanden. Sie wartete demütig und umklammerte die Ränder ihres grünen Umhanges. Auf ihrer Schulter hielt eine goldene Brosche den schweren Stoff zusammen, und er runzelte die Stirn, als er die galoppierenden Pferde entdeckte, die darauf abgebildet waren.

„Das werdet Ihr nicht mehr brauchen,“ sagte er und löste die Brosche.

„Nein!“ rief sie und streckte eine Hand aus. Dann ließ sie sie langsam wieder sinken. „Wie Ihr meint, mein Herr.“

Er wog das kunstreich verzierte Stück in der Hand. „Der König von Rohan hat Euch das geschenkt?“

Zögernd nickte sie.

Er reichte einem seiner Männer Brosche und Brief. „Zeigt ihm die Brosche, um zu beweisen, dass die Prinzessin Euch geschickt hat. Und jetzt bring die Sache auf den Weg, so wie wir es vorbereitet haben.“ Baran verneigte sich und ging.

„Bringt sie in ihre Zellen zurück,“ befahl er den Wachen.

Während seine Männer die beiden Frauen hinaus führten, ließ er seinen Blick auf der Prinzessin ruhen. Ihr Haar hatte sich gelöst und hing in einem schweren Zopf ihren Rücken hinab. Für einen Moment war Mûzgash versucht, ihr zu folgen und diesen neu entdeckten Gehorsam auf die Probe zu stellen, doch dann verwarf er den Gedanken. Er musste sich auf den Zweikampf vorbereiten und durfte sich nicht von einer Frau ablenken lassen. Solche Dinge waren sowieso ein größerer Genuss nach dem Töten.

„Holt mir meinen Harnisch,“ befahl er einem seiner Diener.

*****

Mit einem Rasseln drehte sich der Schlüssel im Schloss und sperrte sie ein. Mit dem Rücken an der Tür sank Lothíriel zu Boden und lauschte, wie die Schritte der Wache sich langsam entfernten, bis sie sie nicht mehr hören konnte. Sie nahm einen tiefen, schaudernden Atemzug. In Sicherheit. Wenn man das denn so nennen konnte, eingesperrt in einer Zelle. Doch wenigstens war sie unverletzt und allein. Am Ende war sie für einen Moment davon überzeugt gewesen, dass der Mann ihr folgen würde und... Sie hielt sich selbst davon ab, den Gedanken zu beenden. Es war nicht geschehen. Es würde nicht geschehen.

Sie zog die Knie hoch, ließ ihren Kopf darauf und zog den Umhang erneut fest um sich zusammen. Wenn Éomer jetzt nur die Nachricht erhielt! Er würde doch sicherlich die Warnung erkennen, die sie mit einzuschließen versucht hatte. Bitte, bitte lass ihn sich erinnern, dachte sie, und nicht blind in diese tödliche Falle tappen.

Doch was hätte sie sonst tun können? Lothíriel wusste, dass sie nicht die Kraft gehabt hätte, zuzuhören, während die arme Hareth an ihrer Stelle misshandelt wurde. Während des Krieges hatten Gerüchte darüber, was die Haradrim ihren weiblichen Gefangenen antaten, sogar die behüteten Ohren der Prinzessin von Dol Amroth erreicht, und unter ihren Damen herrschte die Übereinstimmung, dass der Tod der Gefangennahme vorzuziehen war.

Sie stand auf und folgte der Wand zu dem kleinen Tisch, den sie während ihrer früheren Erforschung des Zimmers gefunden hatte. Die Tasse mit Wasser stand immer noch da, und sie nahm einen kleinen Schluck; sie rollte ihn in ihrem Mund herum, ehe sie schluckte. Ihr Magen knurrte und erinnerte sie daran, dass sie nur wenig gefrühstückt hatte. Mit einem Seufzer begann sie eine zweite Untersuchung ihrer Zelle, aber es ergab sich nichts Neues, abgesehen von einem Nachttopf unter dem Bett. Sie wog ihn in der Hand und überlegte, ob er wohl eine passende Waffe abgeben mochte.

„Ohne Zweifel,“ murmelte sie vor sich hin, „werden die in ihren Stiefeln erzittern, wenn sie sehen, dass du damit auf sie losgehst.“

Nichtsdestoweniger stellte sie ihn, als sie sich wieder setzte, so neben das Bett, dass sie ihn leicht erreichen konnte. Nun war alles, was sie tun konnte, zu warten und zu hoffen. Angesichts ihrer eigenen Hilflosigkeit entzündete sich ein winziger Zornesfunke in ihr. Zu denken, dass man sie benutzte, um den Mann, den sie liebte, in die Falle zu locken! Wie war es möglich, dass sich eine Haradrim-Bande nach Minas Tirith hinein geschlichen hatte? Sie zweifelte nicht daran, dass Mûzgash Böses im Sinn hatte und Éomer umbringen wollte. Reflexartig rieb sich Lothíriel den Nacken, wo sie den eisernen Griff des Mannes noch immer spüren konnte. Den Griff eines Kriegers.

„Éomer wird dich umbringen!“ sagte sie laut. „Und ich werde auf deinem Grab tanzen!“

Sie umarmte sich selbst. Wenn sie jetzt nur diesen Zornesfunken zu einer helleren Flamme anfachen konnte – zu etwas Nützlichem wie echter Wut, die die Furcht in Schach halten würde.

*****

Éomer lächelte auf Guthláf hinunter. „Du siehst gut aus.“

Sie hatten den jungen Reiter gefunden, wie er in einem geschützten Winkel des Gartens der Häuser der Heilung saß und die Morgensonne genoss, und er hatte sie begeistert begrüßt.

Gúthlaf wies auf einen Korb mit verschiedenen Sorten Brot, der auf einem Tisch in der Nähe stand. „Sie sorgen hier gut für mich.“

Verbände bedeckten den Stumpf seines linken Armes, und er saß auf Kissen gestützt, doch obwohl sich noch immer Linien des Schmerzes in seinem Gesicht zeigten, hatte er etwas von seiner normalen Farbe zurück gewonnen.

Guthláf zuckte leicht zusammen und straffte die Schultern. „Bald wird es mir wieder gut genug gehen, dass ich nach Hause kann.“

Éomer hob angesichts dieser Einschätzung die Augenbrauen, zog sich einen Stuhl heran und setzte sich. „Immer langsam,“ mahnte er den jungen Mann zur Vorsicht.

Elfhelm, der an einer Mauer lehnte, nickte. „Solch eine schwere Wunde braucht lange Zeit, um zu heilen, und die Reise nach Edoras zurück ist nicht einfach.“

Guthláf ließ den Kopf hängen. „Ich weiß. Aber ich hatte gehofft, ich könnte mit Euch zurückkehren. Brecht Ihr bald auf?“

„Jetzt noch nicht. Ich habe Vorkehrungen getroffen, noch eine Weile länger in Minas Tirith zu bleiben.“ Éomer ignorierte das Stirnrunzeln seines Marschalls. „Ich habe gewisse... Angelegenheiten zu regeln.“

„Oh! Dann ist es also wahr, dass Ihr die Prinzessin von Dol Amroth heiraten wollt?“

Éomer starrte seinen Reiter an. Hatten sich die Gerüchte schon so weit verbreitet? „Ja, es ist wahr,“ antwortete er. „Aber wer hat es dir gesagt?“

„Lothíriel hat es getan.“ Er grinste. „Sie hat mich mit Fragen über die Mark bestürmt.“

„Sie war hier, um dich zu sehen?“

Guthláf nickte und nahm sich ein Stück Brot. „Jeden Tag, seit sie von Emyn Arnen zurückgekommen ist.“ Mit vollem Mund nickte er zu einem anderen, niedrigen Tisch hinüber. „Wir haben einen Handel geschlossen. Ich bringe ihr Rohirric bei, und als Gegenleistung lehrt sie mich, wie man Schach spielt.“

Éomer und Elfhelm untersuchten die kunstvoll geschnitzten Figuren auf dem Schachbrett, das Guthláf ihnen gezeigt hatte. Ein Mûmak bewachte jede der vier Ecken, daneben saßen die Ritter auf perfekt abgebildeten Pferden, dann die Zauberer mit ihren Stäben und endlich in der Mitte der König und die Königin. Sogar die Bauern waren mit liebevoller Hand individuell in Holz geschnitten.

„Es ist Lothíriels eigener Figurensatz,“ erklärte Guthláf.

„Ist sie denn gut?“ fragte Éomer neugierig. Er hatte nie gelernt, dieses besondere Spiel zu spielen, weil er niemals wirklich die Muße gehabt hatte, die dazu nötig war. Und doch würde es jetzt, da sie sich nicht mehr ständig im Krieg befanden, eine angenehme Möglichkeit sein, ein paar der langen Winterabende mit seiner Herrin zu verbringen. Nun, eine der angenehmen Möglichkeiten...

Guthláf seufzte. „Zu gut für mich jedenfalls, obwohl sie behauptet, sie wäre nicht besonders geschickt.“ Er langte hinüber und nahm eines der Stücke in die Hand. „Lothíriel sagt mir dauernd, ich soll den Bauern mehr Aufmerksamkeit schenken, aber die Regeln sind so schwierig.“ Etwas von seiner guten Laune schien ihn im Stich zu lassen, während er die Figur zwischen den Fingern drehte. „Ich vermute, das ist es, was ich von nun an sein werde. Bloß ein Bauer.“

„Du kannst sein, was immer du zu sein beschließt,“ sagte Éomer fest; er wurde von einer Heilerin unterbrochen, die mit einem Tablett voller Teetassen näher kam. Sie versank in einem wackeligen Knicks,und Elfhelm erleichterte sie rasch von ihrer Bürde, ehe sie auf den Boden fallen konnte.

„Der Vorsteher schickt seine Grüße, mein König,“ sagte sie ein wenig atemlos. „Er hofft, später noch zu Euch kommen zu können, aber er muss sich gerade um eine dringende Angelegenheit kümmern.“

„Ich danke Euch.“ Éomer nickte. „Nichts Ernstes, hoffe ich?“

„Einer der Heiler wurde sehr früh heute Morgen aus dem Haus gerufen und ist noch nicht zurück gekommen,“ erklärte sie. „Der Vorsteher versucht, herauszufinden, wo er hin gegangen ist.“

Sie machte einen weiteren Knicks, bevor sie wieder ging. Elfhelm reichte seinem König eine der Tassen und betrachtete sie mit einem zweifelnden Blick. „Das hier nennen die Tee?“ murmelte er.

Éomer musste diesem Urteil zustimmen. Die blasse, goldene Flüssigkeit ähnelte in keiner Weise dem starken, freigiebig mit Honig versetzten, schwarzen Gebräu, das sie in der Riddermark tranken. Obendrein entströmte ihr ein merkwürdiger Duft. Plötzlich fragte er sich, ob Lothíriel wohl erwartete, dass im Haushalt von Meduseld dieses Getränk gereicht wurde. Und welchen anderen Luxus ihres Heimatlandes würde sie im raueren Klima des Nordens wohl noch vermissen?

Guthláf grinste, während er sich eine eigene Tasse nahm. „Lothíriel behauptet, der Vorsteher würde im Monat nur ein einziges Blatt für den Tee benutzen, deswegen wäre er so dünn.“

Sie lachten gemeinsam, als Elfhelm sich plötzlich straffte. Éomer folgte dem Blick seines Marschalls und sah, wie einer der Reiter, die sie draußen gelassen hatten, auf sie zukam.

„Ist irgendetwas los, Ceorl?“ fragte er und stand auf.

Der Mann verneigte sich kurz und nickte Guthláf grüßend zu. „Éomer König, da draußen ist ein Mann, der bittet, kurz mit Euch reden zu dürfen. Er sagt, es ist dringend. Auch hat er uns dies hier gegeben.“ Er hielt ihm etwas hin.

Éomer nahm die runde Brosche, das Gewicht vertraut in seinen Händen.

„Sie hat Eurem Vater Éomund gehört, nicht wahr?“ rief Elfhelm.

Éomer nickte; er dachte fieberhaft nach. „Ich habe sie Lothíriel gegeben, als ich sie das letzte Mal gesehen habe.“

„Sie hat sie jeden Tag getragen,“ bestätigte Guthláf. „Wieso sollte sie sie aufgeben?“

Éomer zog die galoppierenden Pferde mit dem Finger nach, dann runzelte er die Stirn. „Ich weiß nicht. Aber ich will mit diesem Mann sprechen.“

Er ließ die Brosche in seine Tasche gleiten und wandte sich zum Gehen. „Ich bin bald wieder da, für einen längeren Besuch,“ versprach er Guthláf. _______________________________________________________________

Anmerkung der Autorin:

Lothíriel bedeutet blumenbekränztes Mädchen, Lothig heißt Kleine Blume.


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