Euch zu Diensten
von Lialathuveril, übersetzt von Cúthalion


Kapitel Zweiundzwanzig
In den Nebel

Beim Verlöbnis wird die Dame ihrem Verlobten einen einzigen, keuschen Kuss zugestehen, um ihr Bündnis zu besiegeln. Wissend, dass die Augen der Welt auf ihr ruhen, wird sie angemessen darauf achten, sich auf schickliche und geziemende Weise zu betragen. Dies ist der rechte Weg, die Wertschätzung eines Herrn zu erringen und zu bewahren.
(Belecthor: Einführung in das angemessene Betragen für junge Damen in Gondor)

Die Morgensonne, die wie ein Pfeil durch das Fenster drang, weckte Éomer. Gemächlich streckte er sich mit einem gewaltigen Gähnen, bevor er sich herum rollte und ins Licht blinzelte. Vielleicht ein paar Stunden nach Sonnenaufgang, nicht mehr. Er sank in sein Kissen zurück und schloss die Augen. Noch reichlich Zeit, und keine Notwendigkeit, den Fürsten von Dol Amroth in schlechte Laune zu versetzen, indem er ihn aufsuchte, ehe er auch nur gefrühstückt hatte.

Unwillkürlich fragte sich Éomer, wie es sein würde, neben Lothíriel aufzuwachen, was in nicht allzu ferner Zukunft zu tun hoffte. Schlichtweg köstlich, wie er vermutete. Zu sehen, wie sie ihn anlächelte, mit dieser besonderen Mischung aus Unschuld und Vertrauen, den zarten Duft ihres Haars zu riechen, sie berühren zu können... Er stöhnte. Besser an etwas anderes denken. Dieser erste Kuss – um genau zu sein, hatte er mehr bekommen, als er erwartet hatte, und für einen Moment hatte er die Kontrolle verloren. Und doch hatte es ihr nichts ausgemacht – ganz im Gegenteil, sie hatte seinen Überschwang erwidert. Und es war mehr gewesen als nur die angestaute Frustration der letzten zwei Tage, die sich löste: etwas Unvorhersehbares und Wildes hatte für einen Moment sein Haupt erhoben.

Er würde vorsichtig sein müssen, damit Imrahil nichts von der Leidenschaft zu sehen bekam, die Lothíriel in ihm erweckte, oder der Fürst mochte wohl entscheiden, seine unerfahrene, junge Tochter keineswegs einem rauen Kriegerkönig aus dem Norden anzuvertrauen. Als ob er ihr jemals weh tun würde! Aber ja, über manche Einzelheiten seines Umganges mit der Prinzessin von Dol Amroth ging man wohl besser hinweg.

Ein Klopfen an der Tür unterbrach seine Gedanken und hielt ihn davon ab, darüber nachzudenken, wie genau er seine Erklärungen Imrahil gegenüber formulieren sollte, warum Lothíriel sich so fürchterlich mit ihm gestritten hatte.

„Soll ich Euer Frühstück holen, Éomer König?“ wollte Oswyn wissen.

Éomer nickte abwesend, und sein Knappe machte sich auf den Weg. Kurze Zeit später kehrte er mit einem Tablett zurück, das er auf einem Tisch am Fenster abstellte.

Éomer reckte sich und stand auf, um eine Blick darauf zu werfen, was die Küche des Fürsten von Ithilien zu bieten hatte. Er erwartete nicht, dass Éowyn und Faramir vor der Mittagszeit aufstehen würden, und er wollte, dass das Gespräch mit Imrahil bis dahin beendet war. Auch blieb noch zu entscheiden, was er wegen einer gewissen, tückischen Dame aus Gondor unternehmen sollte, denn es lag nicht in seiner Absicht, die Herrin Wilwarin mit der Art und Weise davon kommen zu lassen, wie sie Lothíriel verletzt hatte. In diesem Moment zog ein kleines, eng zusammen gefaltetes Stück Pergament, das auf dem Tablett lag, seinen Blick auf sich.

„Was ist das?“ fragte er und hob es auf.

„Oh, das hätte ich beinahe vergessen.“ Oswyn bückte sich, um Éomers Hosen aufzusammeln, die in der Nacht zuvor auf dem Boden gelandet waren. „Es wurde vor einer kleinen Weile für Euch abgegeben, aber Ihr sagtet, ich sollte Euch nicht wecken, also dachte ich, ich warte besser.“

„Von wem ist es?“

„Ich weiß es nicht. Eine ältere Frau mit grauen Haaren hat es mir gegeben. Sie kam mir ein bisschen unruhig vor.“

Éomer riss das Briefchen auf. Keine Unterschrift, und die Buchstaben so unbeholfen geformt wie die eines Kindes – oder die einer blinden Frau.

Vater hat mich letzte Nacht erwischt, als ich in mein Zimmer geschlichen bin. Wir reisen zurück nach Minas Tirith.

Éomer fluchte. „Wie lange ist es her, dass das gebracht wurde?“ fuhr er seinen Knappen an.

Der arme Oswyn zuckte zusammen. „Ich bin nicht sicher...“ stammelte er.

Éomer hörte ihm ohnehin nicht mehr zu. Er riss seinem überraschten Knappen die Hosen aus der Hand und kämpfte sich auf dem Weg zur Tür hinein. Verspätet dachte er daran, sich auch ein Hemd überzuwerfen, für den Fall, dass er Imrahil begegnete.

Als er allerdings die fünfte Tür auf der rechten Seite erreichte, da stand sie offen. Ein rascher Blick zeigte ihm eine der Dienstmägde, die die Bettlaken abzog, und eine andere, die den Fußboden fegte. Sie blickten auf, die Münder vor Verblüffung weit aufgerissen, als er im Türrahmen stand und Verwünschungen von sich gab.

„Oswyn!“ bellte er.

„Mein König?“ Sein Knappe schaute ihn an, als zöge er die geistige Gesundheit seines Königs in Zweifel.

Éomer schwenkte das Stück Pergament unter seiner Nase hin und her. „Wie lange?“

„Wenigstens eine Stunde, denke ich, vielleicht noch länger.“

Eine Stunde! Das bedeutete, dass sie inzwischen fort sein würden. Was würde Lothíriel von ihm denken – dass er sie im Stich gelassen hatte? Er hastete in sein eigenes Zimmer zurück, einen verwirrten Oswyn im Kielwasser.

„Sattle Feuerfuß!“ befahl er, während er sich hastig fertig ankleidete, aber dann änderte er seine Meinung. „Nein, ich werde es selbst tun. Du gehst und holst Éothain. Sag ihm, er soll eine Eskorte von zehn Reitern fertig machen. Sofort!“

Oswyn rannte davon. Ein rascher Blick aus dem Fenster zeigte, dass der Tag zur Abwechslung einmal bewölkt war, und ein wenig stürmisch, also nahm Éomer auf dem Weg nach draußen seinen Umhang mit. Wenigstens hatte er nicht vergessen, wie man am schnellsten ein Pferd fertig machte. Tatsächlich war Feuerfuß aufgezäumt und gesattelt, während die Stalljungen noch dastanden und ihn wie gelähmt anstarrten. Er begann gerade mit Éothains Pferd, Eisenhuf, als sein Hauptmann mit zehn seiner Männer herbei geeilt kam.

„Was ist los?“ rief Éothain. „Ist daheim irgend etwas geschehen?“

Éomer schüttelte den Kopf. „Imrahil ist nach Minas Tirith abgereist,“ sagte er kurz, „und ich muss mit ihm sprechen.“

Éothain hievte seinen Sattel auf Eisenhufs Rücken. „Mit Imrahil?“ fragte er, die Augenbrauen hochgezogen.

„Ich erkläre es dir später,“ schnitt Éomer ihm das Wort ab, „Beeil dich!“

In Windeseile waren die Pferde fertig, und die Tore öffneten sich schwerfällig. Auf der Serpentinenstraße, die den Hügel hinunter führte, musste Éomer seine Ungeduld zügeln, aber sobald sie ebenes Gelände erreicht hatten, grub er Feuerfuß die Fersen in die Seiten. Der Hengst reagierte willig und machte einen Satz nach vorne; nach der behäbigen Gangart des letzten Tages war er eifrig auf ein Rennen aus. Éomer lachte in schierem Entzücken bei dem Gefühl, sich wie ein Geschöpf mit dem mächtigen Tier zu bewegen, und zu spüren, wie der Wind ihm durch das Haar strömte. Über die Ebene hinweg machten sie Zeit gut und mussten nicht langsamer reiten, bis die Straße anfing, die Ausläufer der Hügel zu erklimmen. Hier säumten uralte Bäume mit freiliegenden Wurzeln den Weg, und die morgendliche Kälte dauerte noch an. Sie ließen die Pferde abwechselnd im Schritt gehen und traben, und endlich kamen sie oben auf den Grat. Éothain, der an seiner Seite ritt, deutete auf einen Haufen Pferdeäpfel, der auf der Straße lag; er dampfte noch.

„Jetzt können sie nicht mehr weit voraus sein.“

Éomer nickte, langte nach seinem Horn und blies kurz hinein. Er wollte Imrahils Ritter nicht erschrecken und sie glauben machen, dass sie sich Feinden gegenüber sahen. Die Straße führte steil den Hügel hinunter, aber sie mussten im Schritt reiten, weil der Morgennebel noch an der Seite des Berges hing; er wurde dichter, als sie in das Tal des Anduin abstiegen. Wieder blies er sein Horn.

Endlich konnte er ein gedämpftes Pferdewiehern hören, und als sie um die nächste Biegung kamen, stießen sie auf Imrahils Reisegruppe. Die Schwanenritter hatten einen engen Kreis rings um die Frauen gebildet und sahen den Rohirrim feindselig entgegen, die Schwerter gezogen.

Éomer zügelte sofort seinen Hengst und stieg ab. Er gab seinen Männern das Zeichen, zurück zu bleiben und ging auf Imrahil zu, der stirnrunzelnd auf ihn hinunter starrte.

„Fürst Imrahil,“ sagte er förmlich, „darf ich kurz mit Euch reden?“

Langsam steckte Imrahil sein Schwert wieder in die Scheide und bedeutete seinen Rittern, das selbe zu tun. „Ihr seid umsonst gekommen,“ sagte er knapp. „Wir reiten zurück nach Minas Tirith.“

„Ein Versprechen einzulösen, das man einer Dame gegeben hat, ist niemals umsonst,“ erwiderte Éomer. Er hatte Lothíriel hinter ihrem Vater entdeckt. Sie lächelte ihn an und sein Herz hob sich. „Bitte – auf ein Wort?“

Imrahil trommelte mit den Fingern auf seinen Schenkel. „Oh... also schön,“ sagte er endlich und stieg vom Pferd. „Wir wollen dort hinüber gehen.“ Er zeigte auf eine kleine Lichtung neben der Straße, wo eine der großen Eichen umgestürzt war und auf dem Boden lag, mit Farn und Moos überwuchert.

„Wartet auf mich, ich komme auch mit!“ rief seine Tochter, glitt von Winterhauchs Rücken herunter und und streckte gebieterisch eine Hand aus.

Imrahil wandte sich zu ihr um. „Lothíriel, das ist eine Sache zwischen Éomer und mir.“

Sie schob das Kinn vor. „Nicht, wenn es mein Schicksal ist, über das ihr entscheidet.“

Lothíriel drängte sich zwischen den Pferden hindurch, doch dann geriet sie auf dem unebenen Grund ins Straucheln. Éomer und Imrahil stießen beinahe zusammen, als sie versuchten, ihr behilflich zu sein, aber sie fand ihr Gleichgewicht selbst wieder.

„Es geht mir gut,“ sagte sie, nahm den Arm ihres Vaters und tätschelte ihn.

Während Imrahil sie ein wenig zur Seite führte, fragte Éomer sich plötzlich, ob Lothíriel wohl absichtlich gestolpert war. Sie hatte ganz sicher erreicht, was sie wollte – in das Gespräch mit eingeschlossen zu sein. Ihm fiel auch auf, dass sie sich heute entschieden hatte, das Rohirric-Reitkleid zu tragen, das Éowyn ihr geschenkt hatte. Nur aus Bequemlichkeit, oder als wohl überlegte Aussage?

Imrahil blieb neben der umgestürzten Eiche stehen. Nebelsträhnen schlangen sich um den massiven Baumstamm und verliehen ihm ein geisterhaftes Aussehen, während das Stampfen der Pferde und die Stimmen der Männer, die sich leise unterhielten, gedämpft wurden.

Éomer wandte sich an Lothíriel. „Es tut mir Leid, dass ich nicht eher gekommen bin, aber ich habe nicht rasch genug von deiner Abreise erfahren.“

Sie tat seine Entschuldigung mit einer wegwerfenden Handbewegung ab. „Oh, ich wusste, du würdest kommen.“ Ihr vollkommenes Vertrauen machte ihn sprachlos.

„Ich habe meinem Vater alles erzählt,“ teilte sie ihm mit einem glücklichen Lächeln mit.

Imrahil warf seiner Tochter einen Blick zu, der zu gleichen Teilen aus Zuneigung und Ärger bestand, während Éomer spürte, wie ihm ein alarmierter Schauder das Rückgrat hinunter rann. Ihm alles erzählt? Er beschloss, die Initiative zu ergreifen, bevor der Fürst eine Erklärung für gewissen Handlungen verlangte.

„In diesem Fall wisst Ihr, wieso ich gekommen bin,“ sagte er. „Imrahil, ich möchte Euch um die Hand Eurer Tochter bitten.“

Lothíriel strahlte ihn an, als hätte er soeben etwas außerordentlich Kluges gesagt. Ihr Vater sah weit weniger erfreut aus. „Ich hatte gehofft, dass es dazu nicht kommen würde,“ sagte er langsam, „denn ich muss ablehnen.“

„Aber Vater!“ rief Lothíriel aus. „Ich habe dir doch erzählt, dass der ganze Streit ein großes Missverständnis war. Ich weiß, ich habe ein paar schreckliche Dinge über Éomer gesagt, aber so ist er nicht!“

„Das tut nichts zur Sache.“

Éomer holte tief Atem und rang sein Temperament nieder. „Würdet Ihr mir den Grund für Eure Ablehnung erklären?“

Imrahil sah ihn stirnrunzelnd an. „Éomer, ich kann verstehen, dass meine junge Tochter sich von ihren Gefühlen hat mitreißen lassen, aber von Euch hätte ich Besseres erwartet. Wie lange kennt ihr euch jetzt? Vier Tage?“

„Aber Vater - “

„Lass mich ausreden,“ unterbrach Imrahil sie. „Vier Tage, in denen Lothíriel der Reihe nach schwindelerregend glücklich und vollkommen niedergeschlagen gewesen ist. Éomer, seht Ihr nicht, dass Ihr zuviel verlangt?“

„Ich weiß, es ist nur eine kurze Zeit gewesen,“ gab Éomer zu, „und ich bedauere den Kummer zutiefst, den Lothíriel durchmachen musste. Aber Eure Tochter hat Euch doch sicher erklärt, dass das alles die Schuld dieser Herrin Wilwarin war, die sich mit ihren Lügen eingemischt hat.“

Imrahil schnitt ihm mit einer Geste das Wort ab. „Ja, Lothíriel hat mir die ganze konfuse Geschichte erzählt. Aber es verwirrt mich nach wie vor, wieso sie sich dann entschieden hat, Euch auf die Weise zu beschimpfen, wie sie es tat.“

Éomer warf Lothíriel einen raschen Blick zu. Ihr verräterisches Erröten ließ ihn wissen, dass sie ihrem Vater nicht wirklich alles erzählt hatte. „Und zu Recht,“ sagte er glatt, „denn sie hatte das Gefühl, dass ich durch gewisse Dinge, die ich sagte, ihr Vertrauen missbraucht hätte.“

Imrahil schien durch diese Erklärung nicht vollständig überzeugt zu sein und warf ihnen beiden einen scharfen Blick zu. „Nun, was immer auch geschehen ist, es hat mir gezeigt, dass Lothíriel ganz einfach noch zu jung ist, um an die Ehe zu denken. Wie auch – nach der Rechnung der Númenorer ist sie nicht mehr als ein Kind.“

Ein Kind? Letzte Nacht hatte sie seine Küsse ganz und gar nicht wie ein Kind erwidert, aber das konnte er ihrem Vater nicht sehr gut erzählen. Éomer zögerte, weil er nicht wusste, was er sagen sollte, aber Lothíriel kam ihm ohnehin zuvor.

„Ich bin kein Kind!“ rief sie und schaute rebellisch drein. „Noch zwei Monate, und ich bin einundzwanzig. Mutter war im selben Alter, als sie dich geheiratet hat.“

Das schien ihren Vater kurz aus der Fassung zu bringen, aber er hatte sich rasch wieder in der Gewalt. „Das kannst du nicht miteinander vergleichen. Ich habe Beruthiel seit unserer Kindheit gekannt.“

„Nun, ich kenne Éomer erst seit vier Tagen, aber das ist genug,“ gab Lothíriel zurück. Sie streckte eine Hand nach dem Arm ihres Vater aus. „Bitte... ich weiß mit absoluter Sicherheit, dass er mich glücklich machen wird.“

„Oh Lothíriel...“ seufzte Imrahil. „Du tust niemals irgendetwas nur halb, nicht wahr? Hast du überhaupt darüber nachgedacht, wie es wäre, die Königin von Rohan zu sein?“

„Ich habe darüber nachgedacht,“ entgegnete Éomer, „und während ich weiß, dass ich viel verlange, verspreche ich, dass ich tun werde, was immer ich kann, um Lothíriel die Möglichkeit zu geben, dass es ihr gelingt. Würdet Ihr gern meine Vorstellungen darüber mit mir besprechen?"

Doch Imrahil schluckte den Köder nicht. „Éomer!“ fuhr er ihn an. „Ihr tut ihr dadurch keinen Gefallen, dass Ihr sie bittet, Euch zu heiraten. Ich habe meine Tochter keinem Prinzen der Haradrim gegeben, obwohl Denethor das von mir verlangte, und Euch werde ich sie auch nicht geben. Sie würde nicht zurecht kommen.“

Wut schoss in Éomer hoch, dass man ihn auf die selbe Stufe wie einen Haradrim stellte, doch wieder kam Lothíriel ihm zuvor. „Wie kannst du es wagen, Éomer mit einem von ihnen zu vergleichen?“ rief sie. „Die Rohirrim haben Minas Tirith vor diesem Abschaum gerettet!“

Sie sah so sehr einem kleinen Sperling ähnlich, der wütend seine Küken verteidigte, dass Éomer seinen Humor zurückkehren fühlte.

Was Imrahil anging, so sah er sich gezwungen, mit ziemlich beschämtem Gesicht um Verzeihung zu bitten. „Das weiß ich, und ich hatte nicht die Absicht, Euch zu kränken. Aber Éomer, nichtdestotrotz müsst Ihr doch sehen, dass es nur zu tiefem Unglück führen würde, wenn Ihr Lothíriel zu Eurer Königin macht.“

Éomer schüttelte den Kopf. „Ich bin nicht Eurer Meinung. Ihr scheint zu denken, dass Lothíriel nicht zurecht käme, einfach, weil sie blind ist. Nun, blind mag sie sein, aber nicht für die Dinge, die wirklich zählen.“

„Sie wäre hilflos! Wie könnte eine Frau, die Schwierigkeiten hat, in ihrem eigenen Zuhause den Weg zu finden, in einem vollkommen fremden Land zurecht kommen?“

Éomer hätte beinahe geschnaubt. „Ich habe noch nie eine weniger hilflose Frau gesehen. Wieso auch, sie kann keinen Schritt machen, ohne dass hilfreiche Streiter aus dem Boden schießen wie Pilze nach dem Regen!“

Imrahil war nicht amüsiert und blickte finster drein. „Rohan ist ganz einfach zu weit weg, und Ihr könnt nicht immer da sein und Euch um sie kümmern.“

Lothíriel stampfte mit dem Fuß auf. „Hört auf, über mich zu reden, als ob ich nicht da wäre! Ihr alle beide!“ Dann nieste sie.

Sofort nahm Imrahil besorgt ihren Arm. „Liebstes, ist dir kalt?“

Sie verdrehte die Augen. „Vater, ich bin keine Invalidin!“ Aber Éomer bemerkte, dass sie schauderte. Der Nebel war sogar noch dichter geworden, und sie trug nur einen dünnen Umhang über dem Kleid. Ein rascher Blick zurück auf die Straße zeigte ihm, dass die Männer die Pferde bewegten, und dass seine Reiter und Imrahils Schwanenritter sich erneut freundschaftlich mischten. Amrothos sah immer wieder nachdenklich in ihre Richtung.

„Es ist Zeit, weiter zu reiten,“ sagte Imrahil und wandte sich an Éomer. „Ich stehe zu meiner Entscheidung. Versprecht mir, Euch von meiner Tochter fern zu halten.“

Éomer zögerte; er suchte nach einer Antwort , die diplomatischer war als ein schlichtes „Nein“.

Imrahils Gesicht verdunkelte sich. „Ihr würdet sie nicht glücklich machen.“

„Ich kann versprechen, sie nicht unglücklich zu machen.“

Imrahil warf ihm einen harten Blick zu, aber das war alles, was er bekommen würde. Éomer nickte ihm zu. „Sollte ich Lothíriel jemals weh tun, dürft Ihr mich zur Verantwortung ziehen.“

„Das werde ich.“ Die Drohung war nicht misszuverstehen.

„Vater, ich bin ganz und gar imstande, Éomer selbst zur Verantwortung zu ziehen,“ mischte sich Lothíriel mit verärgerter Stimme ein.

Éomer warf ihr ein klägliches Lächeln zu – das war sie bestimmt! Doch er spürte, dass Imrahil für den Moment nicht davon überzeugt werden konnte, die Stärken seiner Tochter zu sehen. Sich in diesem Augenblick zurückzuziehen und seine Truppen neu zu formieren mochte ihm einen besseren Dienst erweisen.

„Ich bin in drei Tagen wieder in Minas Tirith,“ sagte er zu Imrahil, „und dann werde ich Euch wieder aufsuchen. Das wird uns allen etwas Zeit zum Nachdenken geben.“

Nicht, dass er die Absicht hatte, seine Meinung zu ändern, aber vielleicht würde ihm ein Weg einfallen, den Fürsten zu überzeugen.

Imrahil war leicht besänftigt; er nickte zustimmend. „Gehen wir,“ sagte er zu Lothíriel.

„Vater, darf ich einen Moment allein mit Éomer reden?“ Sie drückte seinen Arm. „Bitte?“

Nach kurzem Zögern stimmte ihr Vater zu; er war nicht stärker gefeit gegen den flehentlichen Blick in ihren Augen als Éomer. „Nur ganz kurz, und bleibt in Sichtweite,“ sagte Imrahil warnend, ehe er zu seinen Männern zurückging.

Éomer nahm die Hände, die sie ihm entgegen streckte und genoss den Kontakt, obwohl es ein armseliger Ersatz war für einen Kuss.

Lothíriel, die entmutigt wirkte, drückte seine Finger. „Nicht wahr, ich habe alles ruiniert, als ich dich vor dem ganzen Hof von Gondor mit Schimpfnamen belegt habe. Jetzt wird mir Vater niemals glauben, dass ich eine passende Königin abgebe. Es tut mir so Leid!“

„Es ist nicht deine Schuld!“ rief er aus. „Ich wünschte, ich könnte diesem lügnerischen Weibsstück den Hals umdrehen!“

Sie lächelte schwach. „Und wie eine vollkommene Närrin habe ich jedes Wort geglaubt, das sie gesagt hat. Ich habe mir den Kopf zerbrochen, was ich tun soll, aber ich denke nicht, dass es irgendetwas Gutes bringen würde, wenn ich öffentlich erkläre, dass du mich nicht ausgenutzt hast, oder?“

Sein Geist scheute davor zurück, sich diese Szene vorzustellen. „Bitte tu das nicht!“

„Wenn ich sagen würde, dass du wunderbare Manieren hast? Nicht im Mindesten wie die von einem Ork?“

„Das könnte geringfügig besser sein,“ grinste er, „aber es wird deinen Vater wahrscheinlich trotzdem nicht davon überzeugen, dass ich der passende Mann bin, dich zu heiraten.“

„Ich habe letzte Nacht versucht, ihm das ganze traurige Durcheinander zu erklären, aber er war so ärgerlich auf mich, dass er nicht zuhören wollte.“ Sie machte eine hilflose Geste. „Siehst du, ich hatte versprochen, mich von dir fernzuhalten, und er dachte, ich hätte mich hinaus geschlichen, um dich zu treffen. Das nasse Kleid war auch nicht hilfreich. Was sollen wir jetzt tun?“

„Ich werde einen Weg finden,“ sagte Éomer und versuchte, seine Worte beruhigend klingen zu lassen.

Lothíriel ließ sich nicht täuschen und seufzte. „Ich will nicht vier Jahre darauf warten, dich zu heiraten!“

„Vier Jahre!“

„Solange ich unter fünfundzwanzig bin, brauche ich die Zustimmung meines Vaters,“ erklärte sie.

Das war für Éomer eine Neuigkeit, und eine sehr unwillkommene obendrein. „Ich werde mir etwas ausdenken,“ versicherte er ihr noch einmal. „Ich wünschte nur, ich könnte dich auf der Stelle heiraten!“ Er hielt inne, unsicher, wie sie reagieren würde. Dachte sie vielleicht, dass er sie zu sehr unter Druck setzte? Aber er hätte sich keine Sorgen zu machen brauchen.

„Wenn es nach mir ginge, ich würde dich hier und jetzt heiraten!“ erklärte sie.

Er hob ihre Hände an seine Lippen. „Lothíriel, ich schwöre dir, ich werde dich zu meiner Königin machen.“

Die Feuchtigkeit hatte sich in ihrem schwarzen Haar gesammelt wie winzige Perlen, und ihre grauen Augen wirkten riesig, als sie die seinen suchten. „Ich fühle mich an dich gebunden.“

Eine leichte Brise erhob sich, und dicke Nebelfetzen trieben über die Lichtung und verschleierte den Blick auf die Straße. Lothíriel schauderte.

„Dir ist kalt,“ sagte er. Er nahm seinen Umhang ab, legte ihn ihr um und befestigte ihn an ihrer Schulter. Er bedeckte sie von oben bis unten. „Behalt ihn, um dich an mich zu erinnern.“

„Das werde ich.“ Sie lächelte dankbar und berührte die kreisrunde Brosche. „Ist etwas darauf eingraviert?“

„Galoppierende Pferde, für die Riddermark,“ erwiderte er. „Sie stammt von meinem Vater.“

„Oh! Aber ich habe nichts, was ich dir im Austausch geben kann.“

Er grinste. „Ich habe schon etwas von dir.“

„Was meinst du damit?“

„Dein Band.“ Er hob ihre Hand und küsste die Handfläche. „Und ein Stück von deinem Herzen auch, hoffe ich?“

Sie nickte feierlich. „Du hast es jetzt schon lange Zeit.“ Dann senkte sie die Stimme. „Éomer, darf ich dein Gesicht fühlen?“

Er erinnerte sich, wie sie das Gesicht ihres Neffen erforscht hatte, an jenem Abend, als er ihr zum ersten Mal begegnet war. Es kam ihm so vor, als wäre das ein ganzes Lebensalter her. Er nickte. „Natürlich.“

Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und streckte zögernd die Hand aus, um sein Haar zu streicheln. Sie begann oben auf seinem Kopf. „Ich hätte nicht gedacht, dass es so weich ist,“ sagte sie mit einem scheuen Lächeln. „Hat es die Farbe von Flachs?“

„Ein wenig dunkler.“ Er hatte nie viele Gedanken an sein Aussehen verschwendet. „Lohfarben, nehme ich an.“

„Wie die Mähne eines Löwen,“ erklärte sie. Ihre Finger bewegten sich weiter zu seiner Stirn hinunter, und mit einer federleichten Berührung fing sie an, die Form seiner Augen nachzuziehen. „Blau?“

„Ja.“ Ihre roten Lippen erwiesen sich wirklich als eine starke Ablenkung. Würde er sie küssen können, bevor sie ging? Ihr Vater...

Die Finger strichen seine Nase hinab, geisterten über seine Wangen und streichelten seinen kurzen Bart.

„Auch weich,“ bemerkte sie mit einem Lächeln, „und er verbirgt ein festes Kinn. Bist du manchmal dickköpfig?“

Éomer lachte. „Ich kann es sein. Vor allem dann, wenn ich etwas haben will.“

Sie errötete und ließ die Fingerspitzen weiter hinunter zu seinen Schultern gleiten; die zarte Berührung zog eine Feuerspur über seine Haut. Endlich hob sie eine Hand, um seine Lippen nach zu zeichnen und ließ sie dort ruhen.

„Éomer,“ flüsterte sie. „beobachtet mein Vater uns?“

Er warf einen schnellen Blick zurück in Richtung Straße. Halb von Nebelfetzen verdeckt, stand Imrahil neben seinem Pferd, die Arme vor der Brust verschränkt. Ungeduld strahlte in Wellen von ihm aus.

„Ja.“

Sie biss sich auf die Unterlippe. „Wirst du mich trotzdem küssen?“

„Ja.“

Ihr Gesicht hellte sich auf. „Jetzt?“

Éomer sah zu, wie der Nebel heran wogte. Verglichen damit, einer Frau in vollem Galopp ein Band aus dem Haar zu ziehen, würde es einfach sein.

„Der Nebel wird uns verbergen. Es hängt alles vom richtigen Zeitpunkt ab,“ sagte er langsam. „Jetzt!“

Weiche Lippen, die ihm eifrig Antwort gaben. Arme, die sich um seinen Hals schlangen. Ein schlanker Leib, der sich gegen den seinen presste. Sie rissen sich schwer atmend voneinander los, gerade, als ein Windstoß den Nebel wieder hob. Ein Blick auf die Straße zeigte, dass Imrahil einen Schritt nach vorne gemacht hatte, einen Ausdruck des Misstrauens auf dem Gesicht.

Éomer seufzte. „Lothíriel, ich denke, dein Vater verliert die Geduld und möchte fort. Aber ich verspreche dir, dass ich nach Minas Tirith kommen werde, um dich zu sehen, sobald ich wieder zurück bin.“

Sie nickte; ihre Traurigkeit war klar erkennbar. Sie nahm seinen Arm und klammerte sich daran fest, als wollte sie ihn nie wieder loslassen. Langsam gingen sie zur Straße zurück. Er hob sie auf den Rücken von Winterhauch und kostete die kurze Berührung aus.

Als sie die Zügel aufnahm, tätschelte er dem Pferd den Hals. „Trag deine Herrin sicher nach Hause,“ murmelte er, und die Stute ließ die Ohren nach vorne spielen.

Mit einem Nicken gab Imrahil das Zeichen zum Aufbruch und setzte sich in Führung. Die Schwanenritter nahmen ihre Positionen zu beiden Seiten der Frauen wieder ein, um sie zu bewachen. Éomer sagte sich, das er Lothíriel bald in Minas Tirith sehen würde, und dass er wenigstens ihrem Vater zutrauen konnte, dass er für ihre Sicherheit sorgte. Und doch – als die Pferde im dicken Nebel verschwanden und ihr rotes Kleid von dem grauen Schleier verschluckt wurde, rann ihm ein Schauder der Unruhe den Rücken hinab. Die Bäume auf beiden Seiten der Straße schienen ihre langen Äste bedrohlich auszustrecken, und er musste gegen den unvernünftigen Drang ankämpfen, sofort hinter ihr her zu reiten.

„Machen wir uns auf den Rückweg,“ sagte er zu Éothain, der Feuerfuß heran geführt hatte. Die Worte schmeckten in seinem Mund wie Asche.

*****

Der Klang von Hufen, die in den Vorhof klapperten, brachte die Herrin Wilwarin dazu aufzuschauen. Sie hatte sich einen Sitzplatz in der Nähe eines der Fenster in der Halle ausgesucht - angeblich, um besseres Licht für ihre Stickerei zu haben, eine Beschäftigung, die sie ausgezeichnet beherrschte. Sie schaute hinaus und erhaschte einen kurzen Blick auf graue Pferde, die zu den Ställen weg geführt wurden, und tatsächlich kam einen Moment später ein Page herein gerannt und blieb vor der Haupttafel stehen.

„König Éomer ist zurück,“ verkündete er.

Die Herrin Éowyn sprang mit unziemlicher Hast von ihrem Mittagsmahl auf und rannte ihrem Bruder entgegen, der soeben die Halle betreten hatte.

„Wo bist du gewesen?“ rief sie.

„Ich hatte eine Unterredung mit Imrahil,“ erwiderte er kurz angebunden. „Ich erklär's dir später.“

Wilwarin bemerkte, dass er grimmig drein schaute und fragte sich, ob Lothíriel es wohl fertig gebracht hatte, ihn wieder einmal öffentlich zu demütigen. Wenn dem so war, mochte er wohl für etwas mitfühlende, weibliche Gesellschaft empfänglich sein. Froh darüber, dass sie sich heute für ein tief ausgeschnittenes Kleid entschieden hatte, setzte Wilwarin ihr verführerischtes Lächeln auf und schlich sich durch die Menge nach vorne. Nach dem schmählichen Rückzug der Prinzessin von von Dol Amroth vom Schlachtfeld war der Weg dahin, Königin von Rohan zu werden, endlich frei.

„König Éomer,“ sagte sie mit gesenkter Stimme. „Ihr müsst nach Eurem Ritt doch sicher hungrig sein. Wollt Ihr mit uns einen Bissen zu Euch nehmen?“

Er drehte sich langsam um, und sie machte unwillkürlich einen Schritt rückwärts. Seine Augen schienen sich in sie hinein zu bohren, eiskalt, und doch gleichzeitig brennend.

„Herrin Wilwarin,“ sagte er. „Was für ein glücklicher Zufall, dass ich Euch hier treffe, denn ich brauche Eure Hilfe.“

„Meine Hilfe?“ stammelte sie.

„Ja, in der Tat. Bitte frischt mein Gedächtnis auf. Habe ich Euch nach der Feuerboot-Zeremonie in Osgiliath nach Hause geleitet?“

Überall rings um sie her waren die Leute still geworden, obwohl er die Stimme kaum über ein Flüstern erhob. Wilwarin spürte, wie sich die kalte Hand der Panik um ihr Herz schloss.

Eine Mischung aus Besorgnis und Verwirrung auf dem Gesicht, zupfte die Herrin Éowyn an seinem Arm. „Éomer? Was ist denn los?“

Mühelos schüttelte er sie ab und machte einen Schritt auf Wilwarin zu. „Habe ich das?“

Sie schüttelte den Kopf; sie fühlte sich wie eine unglückselige Ziege, die von einem Löwen in die Ecke getrieben worden war. „Nein.“

„Und habe ich Euch jemals gebeten, mich zu heiraten?“

Unfähig, auch nur ein Wort zu sagen, schüttelte sie wieder den Kopf.

„Das habe ich nicht ganz mitbekommen, fürchte ich“, sagte er, noch immer mit dieser trügerisch sanften Stimme.

„Nein“, brachte sie heraus.

Er nickte. „Sehr gut. Würdet Ihr Euch dann bitte die Mühe machen, mir zu erklären, wieso Ihr Lothíriel erzählt habt, ich hätte es getan?“

Die Stille in der Halle war vollkommen. Wilwarin schaute sich in der Hoffnung auf Unterstützung um, aber sie fand nur Verwirrung und Verdammnis.

Ihr sank das Herz, und sie leckte sich die Lippen. „Ein bedauerliches Missverständnis! Ich versichere Euch, ich habe niemals irgendetwas zu der lieben Lothíriel gesagt, das andeuten würde, Ihr hättet mich um meine Hand gebeten. Immerhin sind die Prinzessin und ich die besten Freundinnen...“

Bei seinem eisigen Blick versagte ihr die Stimme; als sie sah, wie sich seine Hand um den Griff seines Schwertes verkrampfte, wurde ihr klar, wie straff er seinen Zorn im Zaum hielt. Sie fühlte sich wie eine Frau, die gedacht hatte, einen Hund zu tätscheln, nur um herauszufinden, dass sie einen wilden Warg berührt hatte. Sie machte einen Schritt rückwärts. Was hatte sie nur geritten, zu denken, sie könnte diesen Mann beherrschen? Er erschreckte sie zu Tode – Lothíriel konnte ihn gerne haben!

„Ihr seid eine schlechte Lügnerin.“ König Éomer sprach sehr deutlich. „Und das, obwohl Ihr reichlich Übung hattet. Lasst mich Euch mitteilen, dass ich Prinzessin Lothíriel gebeten habe, meine Frau zu werden. Denn sie hat die Tugenden, die ich in meiner Königin suche: Mut, Wahrhaftigkeit und ein Herz... und Ihr besitzt nichts davon.“

Damit drängte er sich an ihr vorbei und verließ die Halle. Die Tür fiel mit einem unheilvollen Knall hinter ihm zu. Wilwarin versuchte zu lächeln. „Nur ein Missverständnis...“

Ihr Lächeln fror ein, als sie das Gesicht von Frau Éowyn entdeckte. Die Bezwingerin des Hexenkönigs sah aus, als wünschte sie sich ein Schwert. „Ein Pferd!“ schrie Éowyn plötzlich, und jedermann zuckte zusammen. Sie wandte sich an einen der Pagen. „Sattelt ein Pferd mit einer Eskorte von zwei Waldläufern. Ich will diese Frau sofort aus meinem Haus haben, oder ich werde etwas tun, das ich vielleicht bereue.“

„Aber ich bin nicht zum Reiten angezogen!“ rief Wilwarin.

Frau Éowyn fuhr herum. „Das ist mir gleich,“ zischte sie. „Ich werde jetzt meine Mahlzeit fortsetzen, und wenn ich Euch noch immer innerhalb der Mauern meines Hauses vorfinde, sobald ich fertig bin, dann werde ich...“ Ihre Hände ballten sich an ihren Seiten zu Fäusten, während sie offensichtlich mehrere Möglichkeiten erwog und wieder verwarf. „... dann werde ich Euch in den Misthaufen werfen. Höchstpersönlich.“

Wilwarin schluckte und versank in einem ungeschickten Knicks. „Natürlich. Ich reise sofort nach Minas Tirith zurück.“

„Nicht nach Minas Tirith,“ unterbrach sie eine leise Stimme. „Ihr werdet nach Hause zurückkehren. Jemanden von Eurer Sorte will ich nicht an meinem Hof haben.“

„Königin Arwen!“ stammelte Wilwarin. „Bitte!“

Die kalten grauen Augen der Elbin schienen ihr geradewegs in die Seele zu blicken, und die Verdammnis, die sie darin las, war schlimmer als Éowyns Zorn. „Nach Hause,“ wiederholte sie. Bevor sie Wilwarin den Rücken zudrehte, nickte sie ihr kühl zu. „Ihr werdet dort bleiben, bis Ihr bewiesen habt, dass Ihr soweit seid, wieder zurück zu kommen.“

Die Leute folgten dem Wink der Königin, kehrten an ihre Mahlzeit zurück und ignorierten sie geflissentlich. Der Gedanke, in das rückständige Lamedon-Tal zurückzukehren, aus dem sie stammte, ließ Wilwarin erstarren. Und was würde ihr Bruder über ihre Schande zu sagen haben? Würde er von ihr erwarten, dass sie ihm half, den kleinen Besitz zu führen? Sie konnte den Gestank der Schweine beinahe schon riechen...

Das Scharren von Stuhlbeinen ließ sie zur Haupttafel hinüber schauen. Éowyn schaufelte das Essen in sich hinein; sie war halb fertig und warf ihr einen finsteren Blick zu. „Misthaufen,“ formten ihre Lippen.

Panik stieg in Wilwarin auf und sie hastete zur Tür hinaus.


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