Euch zu Diensten
von Lialathuveril, übersetzt von Cúthalion


Kapitel Neunzehn
Vorbereitungen

Du magst herausfinden, wie du deine Launen im Zaum hältst
Du kannst lernen, die Begierden deines Leibes zu bemeistern
Doch du kannst dich nicht selbst lehren, über dein Herz zu herrschen

(Cemendur: Erkenne dich selbst)

Lothíriel vergrub ihren Kopf unter dem Kissen. Sie wollte nichts hören – nicht die Vögel, die draußen vor ihrem Fenster begeistert einen neuen Tag begrüßten, nicht das fröhliche Klappern von Frühstücksgeschirr, das aus der Küche herauf hallte, nicht das unbeschwerte Pfeifen eines der Wachen auf seiner Runde. Nur ihre Zofe ging mit fast unhörbaren Schritten still ihren Pflichten nach. Hareth hatte bis jetzt mit Lothíriel eine ganze Menge Stürme durch gemacht.

Ein Klopfen an der Verbindungstür zum Badezimmer und ein rascher Austausch von ein paar geflüsterten Worten, dann wieder Hareths Schritte, die das Zimmer durchquerten.

„Würdet Ihr jetzt gern Euer Bad nehmen? Es ist bereit.“

Lothíriel schüttelte den Kopf. Das Bett sackte hinunter, als ihre Zofe sich auf die Kante setzte. Sie berührte Lothíriel zögernd am Arm. „Mein Liebes, möchtet Ihr darüber reden?“

Wieder schüttelte Lothíriel den Kopf.

Sie wollte zurückgehen... zurück zu jenem Morgen vor nur vier Tagen, als sie auf einem Schiff erwacht war, das gemächlich den Anduin hinauf segelte, voller Freude, weil sie nach ihrer langen Abwesenheit in die Weiße Stadt zurückkehrte. Zu denken, dass sie wegen der Hochzeit besorgt gewesen war, weil sie fürchtete, Wein über die Braut zu verschütten! Diese Besorgnis verblasste zur Bedeutungslosigkeit, verglichen mit dem, was sie am Tag zuvor getan hatte.

Hareth streichelte ihr sanft über den Rücken. „Irgendwann müsst Ihr aufstehen, Lothíriel. Euer Vater will kurz mit Euch sprechen, bevor wir aufbrechen.“

Natürlich wollte er das. Lothíriels Zorn hatte sie auf dem gesamten Heimritt von Herrn Girion aufrecht gehalten, und glücklicherweise hatte ihr Vater nicht auf eine Erklärung gedrängt; wahrscheinlich wollte er auf eine intimere Gelegenheit warten. Sobald sie das Stadthaus erreicht hatten, suchte sie ihr Zimmer auf und weigerte sich den Rest des Tages, mit ihrer Familie zu reden. Imrahil hatte ihr ihren Willen gelassen, doch jetzt würde er ein paar Fragen haben, ganz zu Recht. Und was konnte sie antworten?

Mit einem Seufzer ließ sie das Kissen los und setzte sich auf. Die Zeit würde nicht stehen bleiben und rückwärts laufen, um ihrer Laune zu genügen, doch irgendwie würde sie diesen Tag durchstehen. Und den danach. Und den, der danach folgte. Sicherlich wurde es irgendwann einfacher.

„Wie viel Zeit noch?“ fragte sie; ihre Stimme war heiser. Nicht vom Weinen, sagte sie sich selbst. Früh am Morgen war das ganz normal.

„Immer noch reichlich Zeit, um rasch ein Bad zu nehmen.“ Mit einem letzten Klaps auf ihr Bein stand Hareth wieder auf. „Und dann solltet Ihr etwas essen, denn das braucht Ihr, wenn Ihr diesen langen Ritt vor Euch habt.“

Lothíriel ließ sich in das angrenzende Bad führen, wo eine hölzerne Wanne bereit stand, die mit heißen Wasser gefüllt war. Sobald sie hinein gestiegen war, lehnte sie sich einfach zurück und versuchte, alle Gedanken aus ihrem Geist zu leeren, währen Hareth ihr das Haar wusch.

„Ein schöner Tag,“ bemerkte ihre Zofe. „Sonnig und warm, aber mit einer leichten Brise. Perfekt für eine Hochzeit.“

Lothíriel nickte. Die Hochzeit ihrer Freundin, erinnerte sie sich selbst, und sie würde sich bemühen, sie nicht zu verderben. Wenigstens nicht mehr, als sie es schon getan hatte, indem sie den Bruder der Braut vor dem gesamten Hof von Gondor praktisch angeklagt hatte, sie ausgenutzt zu haben. Sie musste die Regung unterdrücken, im Wasser zu versinken und sich zu ertränken. Es würde das Leben so viel leichter machen.

Hareth goss etwas aromatisches Öl in das Wasser, und Lothíriels Lieblingsduft nach Orangenblüten erfüllte das Zimmer. Doch heute blieb ihr seine übliche, belebende Wirkung versagt.

„Da,“ sagte ihre Zofe, während sie ihr das Haar ausspülte. „Jetzt riecht es fein.“

Lothíriel zuckte die Achseln. „Wie du meinst.“

Es spielte keine Rolle, denn Éomer würde niemals mit den Händen hindurch streichen, so wie sie es sich erträumt hatte. Sie war entschlossen, ihm gegenüber von nun an eisige Höflichkeit an den Tag zu legen, doch wenn er es wagte, sie erneut zu berühren... Lothíriel spürte, wie bei dem bloßen Gedanken frischer Zorn in ihr hoch kochte. Sie würde ihn schlagen – und es genießen! Was sie noch viel mehr in Rage brachte, war die Tatsache, dass ein kleiner Teil ihres Herzens nach wie vor danach verlangte, dass er sie festhielt, und darauf bestand, dass dies all ihre Wunden heilen würde. Während ihrer Auseinandersetzung hatte es einen Moment gegeben, in dem sie geschwankt hatte, in dem sie drauf und dran gewesen war, sich einfach in seine Arme zu werfen. Dann hatte er von einem Herzschlag zu anderen all ihren Glauben an ihn mit seinem ehrlosen Antrag zerstört.

„Lothíriel? Was ist denn?“

Sie stellte fest, dass sie die Seitenränder der Wanne so fest umklammerte, dass ihr die Finger weh taten. „Nichts.“

Hareth gab keine Antwort, sondern fuhr damit fort, ihr in unbehaglichem Schweigen das Haar auszuspülen. Sobald sie damit fertig war, stieg Lothíriel aus der Wanne und trocknete sich ab. Dann schlang die Zofe ihr ein Handtuch fest um den Kopf und wiederholte diese Prozedur, bis das Haar nur noch ein wenig feucht war.

„Ihr könnt Euch ans Fenster setzen und es vollständig trocknen lassen, während Ihr frühstückt.“

Lothíriel nickte und folgte Hareth zurück ins Schlafzimmer. Sie kam sich vor wie eine Anziehpuppe, als die Zofe ihr kunstvolles Gewand herausholte, das für diesen besonderen Anlass vom besten Schneider in Dol Amroth angefertigt worden war. Es bestand aus einem dünnen, seidenen Unterkleid, das über einem Paar Beinlinge getragen wurde und vollständig von einem Reitrock bedeckt war, der aus blauem Seidenbrokat bestand. Er wies eine kleine Schleppe auf, die sich an der Vorderseite überlappte, so dass man ihn sowohl auf dem Pferderücken als auch bei der Hochzeitszeremonie tragen konnte. Sie berührte das üppige, steife Gewebe. Mühevoll mit Hunderten kleiner Perlen und Goldfäden in einem Muster aus stilisierten Vögeln und Blumen bestickt, ließ es sie vermutlich aussehen wie einen schönen Pfau. Sie hatte sich so gefreut, als sie es zum ersten Mal anprobiert hatte...

Hareth fing an, die Bänder im Rücken zu schnüren, die das Mieder fest an ihre Büste legte. „Ihr werdet der Neid all der anderen Damen sein.“

„Ich bezweifle es.“

Nein, sie glaubte nicht, dass irgendjemand heute in ihren Schuhen stecken wollte. Wenigstens würde sie ihre Gesichter nicht sehen müssen und konnte so tun, als würde sie sie ignorieren. Zweifellos lachte der gesamte Hof über ihre Leichtgläubigkeit. Die arme, blinde Prinzessin, die sich von einem stattlichen Krieger aus dem Norden hatte einnehmen lassen.

Nachdem sie Lothíriel fertig geschnürt hatte, strich Hareth die langen Ärmel glatt. Am Oberarm eng geschnitten, wurden sie am Ellbogen weiter und fielen in weichen, drapierten Falten herab.

„Ihr werdet Acht geben müssen, dass ihr damit nicht irgendwo hängen bleibt,“ erinnerte sie ihre Zofe.

Lothíriel nickte. Nachdem sie in der Vergangenheit Erfahrungen mit Festgewändern gemacht hatte, wusste sie, dass sie sich behutsam würde bewegen müssen. Wenigstens würde der Versuch, sich auf ihre Schritte zu konzentrieren, ihren Geist beschäftigt halten.

Hareth rückte einen Stuhl dichter ans Fenster und sagte Lothíriel, sie sollte sich dort hin setzen, wo die Morgensonne ihr Haar trocknen würde. Dann ging sie hinaus, um ein Tablett mit dem Frühstück aus der Küche zu holen.

Lothíriel lehnte sich zurück, genoss die Wärme der Sonne, die ihr auf den Rücken schien und die plötzliche Stille. Dies mochte an diesem Tag ihre letzte Gelegenheit für ein wenig Frieden sein.

Sie war nur von kurzer Dauer. Viel zu früh hörte sie, wie die Schritte ihrer Zofe zurück kamen, begleitet von denen eines anderen. Dann ein Klopfen an der Tür und die tiefe Stimme ihres Vaters, der sie begrüßte.

Er küsste sie rasch auf die Stirn. „Du siehst wunderschön aus, Tochter.“

Sie brachte nur ein schwaches Lächeln zustande.

Hareth beschäftigte sich damit, einen kleinen Tisch herüber zu schieben und das Frühstückstablett darauf abzustellen. „Noch ein Weilchen, dann komme ich wieder, um Euch das Haar zu machen. Achtet darauf, dass Ihr genügend esst, um Euch zu stärken,“ erinnerte sie Lothíriel, bevor sie das Zimmer wieder verließ.

Das Schrammen eines weiteren Stuhls, der heran gezogen wurde, damit ihr Vater sich setzen konnte. Also kein kurzer Morgenbesuch. Mit sinkendem Herzen griff Lothíriel nach einem Mundtuch und breitete es über ihren Schoß. Der Tag würde schwierig genug sein, auch ohne mit Flecken bekleckert zu sein. Eine rasche Prüfung des Tabletts offenbarte die Schüssel mit Haferbrei, die sie erwartet hatte, einen Becher Tee, ein paar Scheiben Brot, bereits mit Butter bestrichen und einen Teller mit getrockneten Feigen und gezuckerten Datteln. Angesichts der letzten Einzelheit hob sie die Augenbrauen. Die Köche waren heute gut zu ihr.

Imrahil räusperte sich. „Ich habe gestern Abend mit Alphros geredet, und er hat mir erzählt, dass es die Idee der Jungen war, die Vögel frei zu lassen.“

Lothíriel nahm eine der Datteln und knabberte daran herum. „Ist Elphir sehr zornig auf ihn?“

Ihr Vater seufzte. „Du kennst Elphir; man kann ihn rasch zum Zorn reizen, aber auch zum Lachen. Ich denke, Alphros ist bereits vergeben worden.“

Soviel hatte sie gehofft. „Und Minardil?“

„Ich habe seinem Vater nichts davon gesagt. Er wird vermutlich dir die Schuld geben.“ Imrahil berührte sie am Arm. „Tochter, wieso hast du gesagt, dass du es warst, die die Jungen dazu gebracht hat, die Vögel frei zu lassen? Nur, um ihnen die Strafe zu ersparen?“

Lothíriel nickte. Sie würde ihrem Vater nicht verraten, dass sie in Wahrheit viel zu wütend gewesen war, als dass es sie gekümmert hätte, und Herr Girion hatte ein gutes Ziel abgegeben, an dem sie ihren Zorn auslassen konnte.

Wieder seufzte er. „Ich wünschte, du wärst anders damit umgegangen. Weißt du, Girion ist kein schlechter Mensch.“

„Ich weiß. Und ich werde mich bei ihm entschuldigen.“ Es war keine Entscheidung, die sie leichten Herzens traf, aber sie hatte wirklich ein paar unverzeihliche Dinge gesagt. Die Vögel frei zu lassen war eine Sache, ihn obendrein noch zu beschimpfen war eine andere.

„Ich bin froh, das zu hören. Und was ist mit Éomer?“

Sie versuchte, ihre Stimme vollkommen gleichmäßig zu halten. „Ich werde mich nicht entschuldigen.“

Imrahils Stuhl knarrte, als er sich zurück lehnte, und Stille senkte sich zwischen ihnen herab, schwer und drückend. Lothíriel versuchte, unbesorgt dreinzuschauen, nahm sich noch ein paar Datteln und trank einen Schluck Tee.

Imrahil wechselte das Thema. „Ich habe dir etwas mitgebracht, Tochter.“

Lothíriel hatte Vorhaltungen erwartet, doch nun hörte sie das leise Kratzen eines Schlüssels, der sich in einem gut geölten Schloss drehte, und das Klicken einer geöffneten Schachtel. Imrahil stand auf und legte Lothíriel eine Halskette um. Sie langte nach oben und untersuchte sie; sie konnte die regelmäßige Form von Perlen ausmachen, jede von ihrer Nachbarin getrennt durch einen kleinen Knoten in der Schnur. Sie ruhten kühl und glatt auf ihrer Haut und fühlten sich unter ihrer Berührung vertraut an. Sie wusste, was ihr gerade geschenkt worden war.

„Mutters Schmuck?“

„Ja. Ich möchte, dass du ihn hast.“

Die seltenen blauen Perlen ihrer Mutter, die ihr von ihrem Mann als Hochzeitsgeschenk überreicht worden waren. Als Kind hatte Lothíriel sie diese Perlen fast ständig tragen sehen, und manchmal war ihr sogar erlaubt worden, sie voller Bewunderung anzufassen. Vollkommen aufeinander abgestimmt und von leuchtend blauer Farbe, hatte ihr Schimmer sie immer fasziniert.

„Danke, Vater!“ rief sie aus.

„Beruthiel wäre heute so stolz auf dich gewesen.“ Er setzte sich wieder und berührte sie sachte am Knie. „Ich weiß, es ist schwierig für dich gewesen, ohne deine Mutter aufzuwachsen. Und dann der Unfall, natürlich... wenn ich nur mehr Acht gegeben hätte!“

Lothíriel hatte Vorwürfe erwartet, aber das hier war unendlich viel schlimmer: ihr Vater machte sich selbst Vorhaltungen.

„Vater, du kannst nichts dafür,“ beharrte sie.

Imrahil seufzte; offensichtlich war er anderer Meinung. „Ich weiß, das hat dir viele Türen verschlossen. Als Kind hast du immer dein Herz an etwas gehängt und nicht aufgegeben, bis du es hattest... aber jetzt wirst du hinnehmen müssen, dass das nicht immer möglich ist.“

Lothíriel hatte die Sache noch nie auf diese Weise betrachtet. „Aber Türen können geöffnet werden.“

„Nicht alle Türen,“ sagte ihr Vater schwer.

Lothíriel gefiel die Richtung nicht, die diese Unterhaltung nahm, also sagte sie nichts, sondern nahm die Schüssel mit ihrem Haferbrei, der langsam zäh wurde und fing an, ihn zu essen, auch wenn sie sich nicht sehr hungrig fühlte.

Imrahil konnte allerdings ebenso hartnäckig sein wie seine Tochter. „Lothíriel, hat Éomer dir gesagt, dass er dich deiner Blindheit wegen nicht heiraten kann?“

Sie schüttelte den Kopf.

„Was hat er dann gesagt?“

Als Lothíriel störrisch weiterschwieg, berührte er sie am Bein. „Tochter, ich muss es wissen, denn ich habe die Absicht, ihn zur Rede zu stellen.“

Sie erstickte fast an ihrem Haferbrei. „Vater, nein!“

„Lothíriel, du musst doch sehen, dass ich das nicht durchgehen lassen kann. Du hättest dir keinen öffentlicheren Ort aussuchen können, um ihm diese Anschuldigungen ins Gesicht zu schleudern.“

Sie war sich vollkommen darüber im Klaren, dass er die Wahrheit sprach und senkte den Kopf. Einmal mehr war der Zorn mit ihr durchgegangen. Würde sie es jemals lernen? Sie konnte ihrem Vater wohl kaum erzählen, was für ein Angebot Éomer ihr gemacht hatte, denn das würde bedeuten, der Tatsache ins Gesicht zu sehen, dass sie einen Moment lang in Versuchung gewesen war, es anzunehmen. Die Erinnerung daran fachte ihre Wut neu an, und sie hieß sie willkommen, denn sie wusste, dass sie sich an diese Wut klammern musste, um die Verzweiflung, die dahinter lauerte, in Schach zu halten. Doch in Wahrheit war alles, was sie tun wollte, wieder zurück ins Bett zu gehen, den Kopf unter dem Kissen zu vergraben und ihr Gesicht niemals wieder der Welt zu zeigen.

„Lothíriel, ich habe immer geglaubt, dass Éomer ein durch und durch ehrenhafter Mann wäre. Was hat er getan?“

„Nichts.“ Plötzlich konnte sie es nicht mehr ertragen. Ein ehrenhafter Mann! Mit einer heftigen Geste stieß sie die Schüssel weg und erhob sich. Sie trat ans Fenster und wandte ihrem Vater den Rücken zu.

Imrahil kam zu ihr und legte ihr die Hände auf die Schultern. „Lothíriel, du hast ihn angeschrien, dass er dich nicht anrühren soll! Hat er an jenem anderen Abend versucht, dich zu küssen?“

„Nein.“

„Ich weiß, er kann hitzköpfig sein, und mir gefiel nicht, wie er dich angesehen hat. Hat er dir auf irgend eine andere Weise seine Aufmerksamkeiten aufgezwungen?“

„Nein.“

„Was ist dann geschehen?“

Lothíriel konnte einen Hauch Stahl in seiner Stimme hören. Er war üblicherweise ein nachgiebiger Vater, aber er konnte unerbittlich werden, wenn man ihn zu weit trieb.

„Es ist nur etwas, was er gesagt hat,“ erklärte sie zögernd.

„Bist du sicher, dass du dich nicht irrst? Was hat er denn gesagt?“

Lothíriel umklammerte das Fensterbrett. „Ich will nicht darüber reden. Können wir es nicht einfach ruhen lassen?“

„Du musst doch wissen, dass wir das nicht können! Tochter, du hast dem König von Rohan, unserem wichtigsten Verbündeten und Retter von Minas Tirith, gesagt, er besäße die Manieren eines Orks!“

Sie zuckte zusammen. „Vielleicht hätte ich es anders ausdrücken sollen.“

Imrahil schnaufte verärgert. „Wie denn?“

Den Takt eines Mûmak? Das Ehrgefühl eines Wargs? Sie wahrte dickköpfig ihr Schweigen.

„Liebstes,“ sagte ihr Vater mit sanfter Stimme, „ich sagte dir schon, dass Éomer einer Flamme gleicht, die arme Motten anlockt, und mir scheint, dass du dir einfach die Flügel verbrannt hast. Gestern morgen warst du so glücklich – hat er deine Erwartungen enttäuscht? Ist das der Grund, weshalb du so wütend auf ihn bist?“

Wie konnte sie ihrem Vater erklären, dass sein ehrenhafter Freund ihr einen durch und durch ehrlosen Antrag gemacht hatte, und dass seine Tochter in Versuchung gewesen war, ihn anzunehmen? Und Éomer hatte es auch gewusst, er hatte das Aufblitzen des Verlangens in ihrem Gesicht gesehen, das ihm Antwort gab. Der Mann las in ihr wie in einem Buch. Sie fürchtete den Gedanken an eine weitere Auseinandersetzung; es war wesentlich leichter, einfach leicht zu nicken.

Er seufzte. „Lothíriel, ich wünschte, du wärst zu mir gekommen und hättest mir von deinem Kummer erzählt. Du weißt doch sicher, dass du immer meine Liebe und Unterstützung haben wirst, egal, was geschieht.“

Sie spürte, wie ihr die Tränen in die Augen schossen. „Ich weiß,“ wisperte sie. „Bitte, können wir es einfach nicht mehr erwähnen?“

Aus seinem Zögern konnte Lothíriel heraus lesen, dass Imrahil nicht die Absicht hatte, die Angelegenheit fallen zu lassen, und dass er nach wie vor plante, mit Éomer zu reden. Sie suchte verzweifelt nach etwas, womit sie ihn überzeugen konnte.

„Éowyn!“ sagte sie.

„Die Herrin Éowyn? Was hat sie denn damit zu tun?“

„Du würdest ihr doch nicht die Hochzeit verderben wollen, oder?“

Noch immer zögerte er, und sie drängte weiter. „Denk nur daran, was wir ihr schuldig sind. Es würde eine armselige Belohnung sein, ihr das Willkommen in Gondor zu ruinieren, nicht wahr?“

„Du hast wohl Recht,“ sagte ihr Vater endlich zustimmend. „Aber Lothíriel... dir ist doch auch klar, dass wir über Nacht in Emyn Arnen bleiben werden?“

Sie nickte unglücklich. Alles war mit Faramir arrangiert worden, noch ehe sie nach Minas Tirith gekommen war.

„Keine Szenen mehr,“ warnte Imrahil sie. „Ich möchte, dass du dich von Éomer fern hältst.“

„Das kann ich dir leicht versprechen.“ Er würde ihr sowieso nicht nahe kommen wollen, nach den zornigen Worten, die sie ihm an den Kopf geworfen hatte. Und sie sollte froh darüber sein, beharrte Lothíriel sich selbst gegenüber.

Ihr Vater nahm sie bei den Schultern und drehte sie sanft herum. „Und Lothíriel... ich denke, es wird das Beste sein, wenn du nach der Hochzeit nach Dol Amroth zurückkehrst.“

Zu entmutigt, um zu protestieren, nickte sie nur stumm und gestattete ihrem Vater, sie in die Arme zu nehmen. König Elessar und Königin Arwen würden sie ohnehin nicht an ihrem Hof haben wollen, nicht, nachdem sie es fertig gebracht hatte, einen der obersten Edelleute von Gondor und ihren wichtigsten Verbündeten am selben Tag zu beleidigen. Sie ließ ihren Kopf auf Imrahils Schulter ruhen und fand einen kurzen Moment des Friedens. Doch war es überaus verstörend, dass ein Teil ihres Herzens noch immer darauf beharrte, dass sie es vorziehen würde, wenn Éomer sie in den Armen hielt.

Bald darauf klopfte Hareth an die Tür, und ihr Vater ging, um sich fertig zu machen. Lothíriel ließ sich wieder auf dem Stuhl nieder, um ihr unterbrochenes Frühstück fort zu setzen. Von dem Rest des Haferbreis wollte sie nichts mehr wissen und knabberte statt dessen an einer Scheibe Brot.

Ihre Zofe bürstete Lothíriel das Haar aus und begann dann, es zu zwei langen Zöpfen zu flechten, die sie um ihren Kopf drapierte wie eine Krone.

„Das sind die Perlen von Frau Beruthiel, nicht wahr?“ fragte Hareth.

Lothíriel nickte und berührte sie liebevoll. Hatte ihr Vater gewusst, dass sie zu tragen ihr helfen würde, den Tag zu überstehen? Sie konnte sich beinahe einbilden, dass eine Spur von dem Fliederduft, den ihre Mutter am meisten geliebt hatte, noch daran hing. Wie sie sie in solchen Augenblicken vermisste! Vielleicht hätte ihre Mutter sie warnen können, im Umgang mit dem König von Rohan vorsichtiger zu sein... obwohl sie daran zweifelte, dass es einen Unterschied gemacht habe würde. Lothíriel erinnerte sich an seine Hände, die ihren Rücken hinunter glitten, machtvoll und gleichzeitig sanft, an seinen warmen Atem, an den Geruch nach Leder, Pferd...und Mann. Als er ihr gesagt hatte, sie sollte sich den Mond wünschen, da hatte sie gewusst, dass das, was sie wollte, viel näher war... in Reichweite.

Lothíriel schüttelte sich innerlich. Zu denken, dass sie geglaubt hatte, Éomer würde das selbe empfinden! Das Ganze war nur dazu angetan, ihren Mangel an Erfahrung in diesen Dingen zu zeigen. Sie war nicht mehr hungrig und ließ das letzte Stück Brot wieder auf das Tablett fallen.

Viel zu früh war Hareth mit ihrem Haar fertig, und es war Zeit, nach unten zum Rest ihrer Familie zu gehen. Sie hatte scharfe Worte von Annarima gefürchtet, dafür, dass sie Alphros erneut auf Abwege geführt hatte, aber ihre Schwägerin erwies sich als ungewöhnlich zurückhaltend. Tatsächlich sagte sie überhaupt nicht viel und machte Lothíriel sogar ein Kompliment über ihr Gewand.

Ihr Neffe war ebenfalls anwesend, obwohl er nicht zur Hochzeit kommen würde. Augenscheinlich war ihm der gestrige Streich bereits vergeben worden. Er nutzte die erste Gelegenheit und zupfte sie am Ärmel. „Tante Lothíriel?“

„Was ist denn?“

„Du hast doch meinen Wargzahn nicht vergessen, oder?“

Natürlich hatte sie ihn vergessen, und jetzt genoss sie die Vorstellung nicht gerade, Éomer darum bitten zu müssen. „Ich glaube kaum, dass ich ihn dir besorgen kann,“ sagte sie.

„Aber du hast es versprochen!“ jammerte er.

Lothíriel musste sich die scharfe Erwiderung verkneifen, dass sie ihm gerade erst die Haut gerettet hatte. Wieso hatte sie das Gefühl, dass der Tag von jetzt an nur noch schlimmer werden konnte?

„Ich will's versuchen,“ seufzte sie.

Er umarmte sie. „Du bist die beste Tante, die es gibt!“ Wieder mit ihm versöhnt, zerzauste sie ihm das Haar.

Bald darauf war es Zeit, aufzubrechen und zum Haupttor von Minas Tirith hinunter zu reiten, wo die Hochzeitsgesellschaft sich sammeln würde.

*****

Mûzgash beobachtete, wie die Reiter sich draußen vor den Mauern der Stadt versammelten. Eine jubelnde Menge war bereits zusammen gelaufen und rief gute Wünsche. Er und seine Männer hatten ihren Weg ganz nach vorne gefunden, in die Nähe der Rohirrim. Sie waren leicht auszumachen; sie standen ein wenig abseits bei ihren grauen Pferden. Seine Augen wurden schmal, als er den König von Rohan sah, der mit seiner Schwester und dem Fürsten von Ithilien sprach. Noch zwei, die seinen Zorn verdient hatten, aber unglücklicherweise konnte er es nur mit einem Feind auf einmal aufnehmen.

Eine Bewegung dicht am Tor zog seinen Blick auf eine Gruppe von Neuankömmlingen. Das Schwanenbanner war unverwechselbar, und er beugte sich interessiert vor. Gestern Abend hatten sich Gerüchte über einen Bruch zwischen Fürst Imrahil und König Éomer auf dem Jahrmarkt verbreitet. Die Art, wie sich die beiden Männer zunickten, kam ihm ziemlich kühl vor; die beiden Gruppen betrachteten einander wachsam und mischten sich in keiner Weise. Mûzgash lächelte befriedigt – es konnte nur eine gute Sache für Harad sein, wenn seine Feinde sich gegenseitig an die Kehle gingen.

Dann drängte Frau Éowyn ihr Pferd nach vorne, um Fürst Imrahil zu begrüßen, und die Stimmung schien sich aufzuhellen. Nur der König von Rohan blieb zurück, und plötzlich entdeckte Mûzgash einen überraschenden Ausdruck auf seinem Gesicht: eine Mischung aus Zorn und Verlangen. Er folgte dem Blick des Königs und sah die Prinzessin von Dol Amroth, reich gekleidet, ihre gesamte Haltung kalt und reserviert, während sie mit geradem Rücken auf ihrem Pferd saß. Bei diesem Anblick hätte Mûzgash beinahe gelacht. Tatsächlich - ein Spalt in König Éomers Rüstung! Was für ein Narr, einer Frau diese Art Macht über sich zu geben. Aber andererseits hatten die Männer des Westens ohnehin keinen Verstand, was das Ausmaß an Freiheit anging, das sie ihren Frauen zubilligten. Diese da war sicherlich niemals über ihren angemessenen Platz im Leben belehrt worden. Doch sie würde es lernen. Bald.

Er nickte seinen Männern zu. „Ich habe genug gesehen. Gehen wir weiter.“

Sie suchten sich möglichst unauffällig einen Weg zurück in den Hintergrund der Menge, und dann am Fuß der Mauer entlang zu den Großen Toren. Weil so viele Bewohner von Minas Tirith unterwegs waren, um sich die Hochzeit anzusehen, stellte es sich als einfach heraus, unbemerkt an den Wachen vorbei zu schlüpfen, die dort standen. Einige seiner Männer waren am Tag zuvor sowieso schon in der Stadt gewesen und führten sie nun die Hauptstraße hinauf. Zwei Kreise weiter oben nahmen sie eine wenig belebte Seitengasse und erreichten endlich einen kleinen Durchgang zwischen zwei Häusern.

Mûzgash warf einen raschen Blick den Weg zurück, den sie gekommen waren. Niemand zu sehen. Auch würden die Häuser halb leer stehen, da die meisten Bewohner fort gegangen waren, um zu sehen, wie der Festumzug sich in Bewegung setzte. Er nickte seinen Männern zu, und sie verschwanden wortlos die Gasse hinunter. Sie war mit Dornen und Nesseln überwuchert, die Wände zu beiden Seiten dick mit Efeu bedeckt. Einer seiner Männer machte für einen anderen die Räuberleiter, und indem er sich an den dicken, haarigen Zweigen fest klammerte, kletterte der Mann über die Mauer. Kurz darauf öffnete er ein kleines Seitentor in der Nähe und ließ sie in den Garten des Hauses.

Die Tür knarrte laut, als sie sie hinter sich schlossen, und Mûzgash lauschte gespannt darauf, ob drinnen jemand Alarm schlug, aber alles blieb still.

„Du bist sicher, dass nur ein Mann hier lebt?“ fragte er einen seiner Späher.

Der Mann nickte. „Ja, mein Prinz. Die Familie, deren Besitz dieses Haus war, hatte keine Nachkommen, und jetzt ist nur noch ein Hauswart übrig. Mehr noch, er ist alt und die meiste Zeit über betrunken.“

„Hin und wieder verdient er sich damit ein paar Münzen, dass er Leute die Zimmer für ein heimliches Stelldichein benutzen lässt,“ fügte der andere Späher hinzu. „So haben wir davon gehört.“

Dem Garten waren die langen Jahre der Vernachlässigung anzusehen; die Wege waren mit Gras überwachsen und die Beete von Unkraut bedeckt. Überall dämpften verrottende Blätter ihre Schritte und machten ihren Weg lautlos. Sehr bald erreichten sie einen Torbogen, der in einen kleinen Vorhof führte; in einer Ecke befand sich ein Brunnen. Das Haus erstreckte sich auf drei Seiten des Hofes, und seine Männer versuchten, die Türen zu öffnen. Die allererste erwies sich als unverschlossen, und auf ein Nicken von Mûzgash gingen sie hinein, um das Innere zu durchsuchen. Mûzgash blieb im Vorhof und blickte sich um. Dieser Ort würde sich gut zum Töten eignen, weit genug entfernt von den Häusern in der Nachbarschaft, dass ihre Gegenwart nicht bemerkt werden konnte. Wenigstens nicht, bis es zu spät war.

Der Lärm von Flüchen und zerbrechendem Geschirr, der aus einem der Fenster kam, ließ ihn herumwirbeln, dann zerrten zwei seiner Späher einen Mann ins Freie. Wässrige Augen starrten verwirrt zu Mûzgash auf.

„Was geschieht denn hier?“ stammelte der Mann.

„Du bist der Verwalter dieses Hauses?“

Der Mann nickte; seine Kleidung war abgerissen und roch nach saurem Wein.

Mûzgash würde sein Schwert nicht mit solch einem armseligen, alten Säufer besudeln. Er wandte sich an einen seiner Leute. „Töte ihn.“

Einen Moment später krümmte sich der Verwalter auf dem Boden und umklammerte den Dolch, der ihm aus der Brust ragte. Ein letzter Krampf, und er lag still. Niemand würde ihn vermissen.

Mit einem Lächeln schaute Mûzgash zu, wie das Blut auf dem Kopfsteinpflaster langsam zu Pfützen zusammen lief – das erste Blut.


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