Bevor ich schlafen gehe
von Cúthalion


17. Kapitel
Atempause

Anfang April machte Samweis Gamdschie eine öffentliche Ankündigung; er teilte seinen Mitbürgern in Hobbingen (und den Leuten in Wasserau ebenfalls), dass die Hebamme Lily Stolzfuß nach Beutelsend ziehen würde. Nicht für lange allerdings... nur für ein paar Wochen, für einen Monat oder zwei. Rosie würde sich nach der Geburt nicht richtig erholen, sagte er, und Lily (deren Smial sowieso eine gründliche Rundumehrneuerung brauchte) hatte sich bereit erklärt, zu helfen, so gut sie es vermochte. Sie würde sich um das Baby und Frau Rose kümmern, den Haushalt führen und vielleicht auch nach dem Herrn sehen. Nachdem er von seiner seltsamen Reise zurückgekehrt war, hatte Frodo Beutlin die bürgermeisterlichen Pflichten von Will Weißfuß übernommen, aber mittlerweile wurde er selten in der Öffentlichkeit gesehen. Scheinbar schrieb er irgendeine Art Buch, aber die Leute rissen über ihren Bierhumpen im Efeubusch und im Grünen Drachen Witze darüber, ob er wohl überhaupt noch da sei.

Die schwangeren Frauen und jungen Mütter wurden gebeten, nach Beutelsend zu kommen und sich dort bei Lily zu melden. Sam und Rosie räumten eine kleine Wohnstube, um ein Empfangszimmer mit gepolsterten Sesseln und einer Liege für die Untersuchungen einzurichten; Sam installierte sogar eine Glocke in Lilys Zimmer, um den Rest des Haushaltes davor zu bewahren, von nächtlichen Notfällen gestört zu werden.

Es war ein anstrengender Frühling für die Hebamme, um das Mindeste zu sagen; während der ersten drei Wochen im April war Lily ununterbrochen unterwegs. Sie half Dutzenden von Kindern auf die Welt, erteilte geduldig Ratschläge und untersuchte Mütter und Babys von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang.

„Ich weiß, wir sollten dankbar sein für die Segnungen der Herrin“, sagte sie eines Abends, während Rosie die verkrampften Muskeln in ihrem Nacken und Rücken mit kräftigen, festen Händen knetete, „aber es gibt Tage, da wünschte ich, sie wäre ein bisschen weniger... großzügig.“ Sie stöhnte, als Rosies Finger sich in einen empfindlichen Punkt zwischen ihren Schulterblättern gruben. „Ich werde Aster Straffgürtel um Hilfe bitten müssen, oder ich schwöre, ich schreie der nächsten werdenden Mutter, die einen verdorbenen Magen für den Anfang ihrer Wehen hält, etwas Unfeines ins Gesicht.“

Sie lächelte Rosie an.

„Und wie geht’s dir heute, meine ach so schwächliche Freundin?“

„Elend...“ erwiderte Rosie mit einem Grinsen. „Aber ich habe zwei Körbe Wäsche gebügelt und die Küche und zwei Wohnzimmer geputzt, ehe ich zusammengebrochen bin.“ Sie sah Lilys Stirnrunzeln. „Glaub mir, Liebes, das war der beste Weg, die Tratschbasen von Hobbingen und Wasserau davon abzuhalten, sich die Mäuler zu zerreißen. Und ohne unsere höchst vernünftige Erklärung hätte es jede Menge saftiges Geschwätz gegeben, da bin ich ganz sicher.“

„Und das, obwohl es überhaupt nichts gibt, worüber man schwatzen könnte“, sagte Lily trocken und stand von ihrem Stuhl auf. „Manchmal habe ich den nagenden Verdacht, dass ihr geradezu darauf wartet, dass ich mich endlich in Frodos Schlafzimmer schleiche. Ihr alle beide.“

Rosie spürte, wie sie errötete. „Nun, ich ganz sicher nicht!“ protestierte sie.

Lily warf ihr einen durchbohrenden Blick zu.

„Vielleicht nicht du, aber Sam ganz bestimmt. Ich weiß, er hat mir gesagt, dass er die Instandsetzung meines Smial organisieren möchte, und dass mein Zimmer hier in Beutelsend eine Art Zuflucht sein soll, bis alles wieder sauber und ordentlich ist, aber ich sehe doch, wie er mich anschaut... und Frodo. Er versucht, die Zeit zurück zu drehen... und ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist.“

„Liebst du ihn noch?“

Rosie, sah, wie Lilys Körper sich versteifte. Sie versuchte nicht, Rosies Blick auszuweichen, aber der Ausdruck in ihren Augen war hart und sehr kühl.

„Ich glaube zwar nicht, dass ich dir eine Antwort auf diese Frage schuldig bin, aber... ja, Rosie, ich liebe ihn immer noch. Aber ich bin eine Welt weit weg von dem Mädchen, das ich einmal war, und er ist auch verändert... mehr als er irgend jemanden zu sehen erlaubt, Sam eingeschlossen.“

„Oh, ich glaube, ich habe ganz sicher das Recht zu fragen, Lily Stolzfuß!“ gab Rosie, die Lilys Sturheit durchaus gewachsen war, zurück. „Du bist meine Freundin, Liebes, und anstatt zu mir zu kommen, damit ich dir helfe, hast du den Mund gehalten... ich wusste nichts von dieser Liebesgeschichte, und was noch viel schlimmer ist, ich wusste nichts von deinem Kummer! Hast du nie daran gedacht, dass ich dir gern geholfen hätte? Das ich dich gern getröstet hätte?“

Lily starrte sie an, und langsam wurde ihr Gesichtsausdruck weicher und mündete in ein reuevolles Lächeln.

„Tut mir leid, Rosie“, sagte sie und berührte ihre Freundin an der Schulter. „So hab ich das nie gesehen. Ich nehme an, ich... ich hab mich allzu sehr daran gewöhnt, meine Schlachten allein zu schlagen.“

„Genau wie er.“ Rosie schüttelte den Kopf und schenkte Lily ein grimmiges Lächeln. „Aber selbst er hat gelernt, dass er den ganzen Weg bis zu diesem verfluchten Berg nicht gehen konnte ohne einen Freund an seiner Seite. Und du kannst es genauso wenig.“

*****

Der April wuchs in den Mai hinein, und die Seiten des Roten Buches füllten sich langsam mit Frodos regelmäßiger Handschrift. Sam stand mit den Hühnern auf, aber Lily machte ein zusätzliches Frühstück für Rosie und den Herrn von Beutelsend; Rosie war müde davon, zwei- oder dreimal in der Nacht aufzustehen, um Klein Elanor zu stillen, und Frodo war erschöpft davon, seine Geschichte zu erzählen. Sie saßen beide in der Küche und genossen den köstlichen Duft von brutzelndem Speck, Eiern und Würstchen, während Lily ihnen schweigend den Tisch deckte und ihnen heißen, süßen Tee eingoss. Wenn sie wach genug waren, um eine Unterhaltung anzufangen, war Lily schon draußen, um Wäsche aufzuhängen oder eine Schüssel früher Johannisbeeren zu pflücken.

Frodo verbrachte die meiste Zeit hinter seinem Schreibtisch und rief sich Stück für Stück der Fahrt ins Gedächtnis. Seit Lily in Beutelsend war, ließ er die Tür angelehnt, um ihre Stimme hören zu können, wenn sie vorbei ging. Er sah die Frauen kommen, sah, wie sie begrüßte und hörte wie sie mit ihnen sprach, in dem ruhigen, freundlichen Tonfall, der so sehr ein Teil von ihr war. Während des Tages begegneten sie sich nicht sehr häufig. Nach der Nacht, in der sie in seinen Armen geweint und ihren Kummer und ihre Schande herausgestammelt hatte, war sie noch immer scheu und vorsichtig, aber wenigstens konnte er sie ansprechen, ohne dass die Panik und die Angst in ihre Augen zurückkehrten. Er wartete darauf, dass sie ihm von dem verlorenen Jahr erzählte, aber diesmal war Lily an der Reihe, den ersten Schritt zu tun... er hatte sie schon einmal überlistet, und er würde es kein zweites Mal tun.

Er war überrascht, wie tief er sich nach ihr sehnte, wie er die Nähe vermisste, die er hinter sich gelassen hatte, als er den Ring mit sich nahm und aus dem Auenland floh. Es war nicht so sehr der Wunsch, sie in seinem Bett zu haben; eine andauernde Erschöpfung von Körper und Geist hielt ihn davon ab, irgend ein starkes, körperliches Verlangen zu empfinden, aber er hungerte danach, mit ihr zu reden... über Dinge, die ihn in finsteren Träumen aufschreien ließen, über Erinnerungen, die er nicht einmal mit Sam teilen konnte. Sam... zu nahe, zu besorgt, und trotz der selbst ertragenen Schmerzen zu heil, um zu begreifen, wie tief die Risse in der Seele seines Herrn gingen, wie bitter seine Wunden waren. Frodo behielt Elronds Worte im Gedächtnis und klammerte sich an den weißen Edelstein um seinen Hals, aber er konnte nicht gehen, noch nicht, nicht jetzt. Er schuldete ihr Zeit, und er konnte sie nicht wieder einer unbekannten Zukunft ausliefern.

An einem warmen Abend Mitte Mai hörte er ein leises Klopfen an der Tür. Es war Lily. Sie trug ein Tablett mit einer dampfenden Teekanne und zwei Bechern, und sie stand so angespannt und unsicher im Türrahmen wie eine nervöse Katze. Er schaute sie mit einiger Überraschung an; ihm war klar, wie viel es sie kosten musste, über diese besondere Schwelle zu treten.

„Kamillentee“, sagte sie mit gedämpfter Stimme, „mit zwei Löffeln Kleehonig, glaube ich.“

Er spürte eine plötzliche, unerwartete Wärme in sich aufsteigen.

„Ganz genau“, erwiderte er. „Aber dann müsstest du Apfelblütentee und ein Schälchen braunen Zucker für dich mitgebracht haben.“

„Das weißt du noch?“

Es war das erste, offene Lächeln, das er auf ihrem Gesicht sah, seit sie nach Beutelsend gezogen war.

„Aber natürlich tu ich das“, sagte er sanft. „Ich erinnere mich an dein Festtagsmieder mit den Veilchen und an deinen dunkelblauen Mantel. Ich erinnere mich daran, wie gern du frisches Brot magst und Lily Kattuns Käse, und ich erinnere mich an die besondere Weise, wie du Blumen auf feine Seide stickst. Ich erinnere mich an... alles.“

„Ich auch“, sagte sie ruhig und stellte das Tablett neben einen unordentlichen Stapel Papier auf seinen Schreibtisch. „Und es gibt Tage, da wünschte ich, ich würde es nicht.“

„Ich weiß, was du meinst“, Er schüttelte den Kopf, als sie die Hand nach der Teekanne ausstreckte und bediente sich selbst. „Aber wenn es eins gibt, was ich auf dieser Fahrt gelernt habe – und danach – dann ist es, dass es keinen Sinn macht, vor seinen Erinnerungen davon zu laufen. Es macht den alten, schwärenden Schmerz nur noch größer.“

Lily schaute auf die Papiere auf seinem Schreibtisch hinunter.

„Du läufst auch nicht davon, oder?“ fragte sie. Sie berührte das Blatt ganz oben auf dem Stapel. „Du schreibst alles auf.“

„Ja, Lily.“ Er sah sie an. „Aber manchmal brauche ich ein Gegenüber... jemanden, der zuhört. Pergament und Feder sind allzu stille Gefährten.“

Ich brauche dich. Er sagte es nicht laut, aber die Worte hingen zwischen ihnen in dem stillen Zimmer. Ihr Gesicht verriet nichts, aber dann kam sie sichtlich zu einer Entscheidung.

„Ich habe Rosie versprochen, eine Stickerei fertig zu machen, die sie kurz vor Elanors Geburt angefangen hat. Würde es dir etwas ausmachen, wenn ich herkomme und mich neben das Fenster setze? Das Licht ist immer noch sehr gut.“

„Nicht im geringsten“, antwortete er ernsthaft. „Es wäre mir eine wirkliche Freude, dich hier zu haben.“

Lily ging hinaus und kehrte ein paar Minuten später mit einem kleinen Korb zurück. Sie nahm einen Stickrahmen heraus, eine Nadel und ein paar Stränge goldgelbe Stickseide; als sie seinen neugierigen Blick sah, kam sie zu seinem Schreibtisch hinüber. Es war feiner Stoff, dünn und glatt, und er sah ein halbes Dutzend winziger Blüten, eine davon nur halb fertig.

„Oh... Sonnensterne!“ sagte er.“ Das ist die Blume, nach der Elanor benannt wurde. Sie wachsen in Lothlórien, wo die Herrin lebt. Dort gibt es einen Hügel, in der Mitte ihres gesegneten Reiches... ein hoher Hügel, von weichem Gras bedeckt, wo die Winde süß sind und sanft. Und er ist von diesen Blumen übersät... gelbe Sterne blitzen auf der Wiese, als hätte jemand Himmel und Erde vertauscht.“ Er schloss die Augen, sein Geist erfüllt von der lebhaftem friedevollen Erinnerung, und für einen Moment verspürte er die tiefe, schmerzhafte Sehnsucht, seine Bücher zuzuklappen, sein Bündel zu packen und in Galadriels Reich und zum Cerin Amroth zu reisen, jetzt, auf der Stelle. Er nahm sich zusammen. „Ich bin mit Aragorn dort gewesen – dem König.“ sagte er leise.

„Und du siehst aus, als würdest du nichts lieber tun, als so schnell wie möglich dorthin zurückzukehren.“

Er öffnete die Augen und sah sie neben dem Fenster sitzen, den Stickrahmen im Schoß und ein Lächeln im Gesicht, eine Lächeln, das so erfüllt war von Wissen und Wärme, dass sein Herz einen Schlag aussetzte.

„Du hast recht“, seufzte er, öffnete das Rote Buch und nahm die Feder wieder in die Hand. „Aber ich fürchte, ich habe erst noch etwas zu tun.“

„Das haben wir alle.“ Sie studierte die unvollendete Blüte, die Stirn konzentriert gerunzelt, und er beugte sich über seine Schreibarbeit. Als er eine Seite später den Kopf hob, lag das Lächeln noch immer auf ihrem Gesicht.

*****

Von diesem Tag an verlor das Studierzimmer seinen Schrecken. Lily war nun oft in dem Sessel am Fenster zu finden, während Frodo hinter seinem Schreibtisch saß. Er schrieb, und Lily stickte oder flickte zerrissene Hemden, Hosen oder Jacken. Später im Mai nahm er sein Herz in beide Hände und gab ihr das Rote Buch. Sie legte Nadel und Faden beiseite und fing an, sich durch die wundersame, erstaunliche und beängstigende Erzählung zu kämpfen; sie stellte ihm Fragen und lauschte seinen Erklärungen. Rosie und Sam gewöhnten sich an das Geräusch ihrer Stimmen hinter der Tür. Manchmal hörten sie die beiden sogar gemeinsam lachen und wechselten entzückte Blicke. Elanor fing an, länger zu schlafen, nicht die ganze Nacht hindurch, aber Rosie bekam mehr Ruhe und schaffte es endlich wieder, gemeinsam mit Sam aufzustehen. Frodo aß sein Frühstück noch immer spät, und immer noch saß er still da und sah Lily zu, wie sie den Tisch für ihn deckte und ihm Tee, Eier und Speck servierte. Er genoss ihre gelassene Gegenwart und war mehr als froh zu sehen, wie sie den größten Teil ihrer früheren Unruhe und Vorsicht verlor.

An einem warmen Morgen Anfang Juni beugte sich Lily über seine Schulter, um ihm eine zweite Tasse Tee einzugießen, und für einen kurzen Moment war er von ihrem Duft umgeben... süß und flüchtig, eine sanfte Mischung aus sauberem Leinen, Lavendel und frisch gebackenem Brot. Ihr Ausschnitt war dicht an seiner Wange, und er wusste, dass es nur eine winzige Bewegung brauchte, um die weichen Rundungen ihrer Brüste zu sehen. Er spürte, wie ihm das Blut ins Gesicht stieg und wandte unwillkürlich den Kopf ab, gleichzeitig überrascht und beschämt.

Sie stand völlig reglos neben ihm, und in der Stille der Küche konnte Frodo ihren Atem hören, flach und schnell. Er schloss die Augen.

„Es tut mir leid...“ murmelte er. „Lily...“

„Entschuldige mich“, sagte sie knapp. „Rosie hat Elanors Windeln eingeweicht, und jetzt müssen sie gewaschen werden. Ich bin sicher, du kannst dir den Rest der Eier selber nehmen.“ Ihr Gesicht war gerötet, und als sie die Teekanne sorgfältig auf den Tisch stellte, konnte er sehen, dass ihre Hände zitterten. Sie eilte mit flatternden Röcken hinaus und die Tür schlug hinter ihr zu.

Er blieb zurück und starrte auf seine dampfende Tasse hinunter; ihm drehte sich der Kopf. Erinnerungen blitzten ihm durch den Kopf, süß und stark wie Bilbos Alter Wingert... eine leuchtende Kette von Bildern und Gefühlen. Seine Hände auf ihrer Haut, ihr Körper nahe, weich und wundervoll willig... der letzte Abend in ihrem Smial, als er sie in einem wahnwitzigen Rausch aus Leidenschaft und Verzweiflung geliebt und sie wie einen Schild benutzt hatte gegen seine Furcht... Nein!

Das war das Letzte, was er tun wollte. Sie war bereits missbraucht worden, und er wollte sie heilen und beschützen. Diesem plötzlichen, unerwartetem Verlangen nachzugeben... nein, das war Irrsinn.

Er kehrte an seinen Schreibtisch zurück, wütend auf sich selbst.

*****

Der Juni blieb warm und Hobbingen summte von den Vorbereitungen für den zweiten großen Mittsommertanz seit den Schwierigkeiten. Lily Kattun bot an, sich um Elanor zu kümmern, damit Rosie und Sam die Gelegenheit hatten, sich zu amüsieren, und Lily überließ diese freudige Aufgabe der stolzen Großmutter. Sie würde wahrscheinlich in Beutelsend bleiben, ihre Vorräte sortieren und ein paar der Rezepte für Kräutergebräue nieder schreiben, die sie während der stillen Abende in Frodos Studierzimmer zusammengestellt hatte... während er schweigend schrieb und sie kleine Lederbeutel mit getrockneten, zerstoßenen Kräutern füllte und das kräftige Aroma von Lavendel, Gundelrebe und Schafgarbe für einen neuen Tee gegen Magenschmerzen von ihren Händen aufstieg.

Und während er sie beobachtete.

Es war nichts Offensichtliches. Er starrte sie nicht an oder folgte ihr ständig mit den Augen, aber sie spürte seinen Blick auf ihren Händen, auf ihrem Gesicht oder ihrem Rücken, wenn sie vorbeiging, so deutlich wie die Berührung warmer Finger. Wonach suchte er? Nach dem Funken unter der Asche, den Überresten verlorenen Zutrauens?

Sie hatte Angst; ein Teil von ihr scheute vor jeder Erinnerung – gut oder schlecht – zurück. Aber ein anderer – und sie wusste nicht, welcher Teil am Ende stärker sein würde – teilte die Sehnsucht, die sie in seinen Augen sehen konnte.

Aber was, wenn ich ihn ermutige? fragte sie sich. Was, wenn ich den Blick erwidere, wenn ich die Berührung zulasse, die er noch nicht wagt? Was, wenn---

Ihre Gedanken rannten im Kreis herum. Es war nicht mehr zwischen ihnen geschehen als das flüchtige Streifen zweier Hände und diese seltsam neugierigen Blicke, aber wann immer sie sich vorstellte, dass er bei ihr lag, schien eine Wolke ihren Geist zu verdunkeln und es endete damit, dass sie das schwere Gewicht eines anderen Hobbits fühlte, das ihr die Luft aus den Lungen presste. Dann musste sie ins Freie rennen und darauf warten, dass ihr Körper aufhörte zu zittern.

Am Mittsommerabend stand sie in der Küche und schrubbte die Spüle, als Rosie mit Elanor auf dem Arm hereinkam. Die junge Mutter war ein hübscher Anblick in ihrem rosafarbenen Kleid, den rosafarbenen Haarbändern und den in ihre honigbraunen Locken geflochtenen Margeriten.

„Was denkst du eigentlich, was du da machst?“ fragte sie. „Du glaubst doch wohl nicht, dass wir dich zu Hause bleiben und herumsitzen lassen wie eine alte Jungfer, oder?“

Lily seufzte.

„Ich hab dir schon gesagt, ich gehe dieses Jahr nicht zum Tanz. Ich fühl mich unter so vielen Leuten nicht wohl.

„Hab ich’s mir doch gedacht.“ Rosie hob eine Augenbraue. „Du wirst dich nicht hinter deiner Arbeit und deinem dicken Wälzer vergraben, anstatt den Spaß mitzumachen. Du kommst mit uns.“

„Nein, das tu ich nicht.“ Lily schüttelte den Kopf und sah ihre Freundin an. „Bitte... es macht keinen Sinn, alte Erinnerungen aufzuwecken.

„Ah – und weshalb doch gleich?“ Die Stimme kam vom Eingang, und beide Frauen wandten den Kopf. Es war Frodo Beutlin – aber nicht der müde Geschichtenerzähler mit dem zerzausten Haarschopf und tintenfleckigen Fingern. Da stand der Herr von Beutelsend; er roch nach Rosies Lavendelseife, trug ein frisches, weißes Hemd, feine rehbraune Hosen und eine dunkelgrüne Samtweste, übersät mit goldenen Blüten – Lilys erstes Geschenk an ihn. „Es gibt Erinnerungen und... Erinnerungen.

Lily starrte ihn an. „Was willst du also, dass ich tun soll?“ fragte sie und hob ihr Kinn.

Er streckte die Hand aus.

„Komm mit mir.“ Seine Stimme war sanft, aber bestimmt. „Schenk mir einen Tanz."

Ein langes Schweigen. Lily spürte Rosies Blick auf sich und hörte, wie Elanor ein kleines Quietschen von sich gab, während die Kleine versuchte, eine Margerite aus den Locken ihrer Mutter zu zupfen. Endlich hob sie besiegt die Hände.

„Du wirst warten müssen, bis ich mir ein anständiges Kleid angezogen und irgendetwas mit meinen Haaren gemacht habe“, sagte sie mit einem tiefen Seufzer. „Und du solltest unsere kleine Elbenprinzessin vielleicht ihrer Mutter abnehmen, oder Rosie wird all diese wunderschönen Blumen los, noch bevor sie den Smial überhaupt verlassen hat.“

*****

Der Tanzboden war voll und die langen, üppig gedeckten Tische waren von Dutzenden hungriger Hobbits besetzt, die das Essensangebot mehr als befriedigend fanden. Rosie und Sam legten Elanor in die wartenden Arme ihrer Großmutter und stürzten sich ins Getümmel. Frodo verschwand kurzzeitig außer Sicht, als die Leute die Möglichkeit beim Schopf ergriffen und ihn ins Gespräch zogen, und Lily wurde von fünf Müttern belagert, die zwischen heißem Schweinebraten und kaltem Apfelwein ihren Rat suchten. Fiedeln und Flöten erzeugten einen heiteren Lärm, und es war nicht einfach, einander zu verstehen, ohne zu schreien.

Lily schaute an dem jungen, neuen Festbaum hoch; Laternen glühten zwischen seinen Zweigen, die in der Brise schwankten. Es war, als hätte sie einen Schritt rückwärts in die Zeit getan... der gleiche Ort, die gleichen Lichter, die selben Geräusche und Gerüche. Ihr Kopf schwamm. Ich bin nicht mehr das selbe Mädchen, erinnerte sie sich. Es nützt nichts, darüber zu weinen. Aber sie spürte den Verlust an freudigem, unschuldigen Vertrauen wie eine schmerzhafte Wunde in ihrem Herzen.

Ein Arm legte sich um ihre Mitte und befreite sie aus ihren düsteren Gedanken. Es war Frodo. Er sagte nichts, aber er führte sie über die Wiese in Richtung Tanzboden. Sie folgte ihm schweigend und ohne Widerspruch. Endlich half er ihr auf die Bretter und die Musik würde lauter. Die Fiedeln spielten eine schnelle, vergnügte Melodie und sie konnte den stampfenden Rhythmus unter ihren Füßen spüren. Es war erstaunlich leicht, dem Tanz zu folgen, den ihre Freundinnen ihr vor mehr als fünf Jahren beigebracht hatten... Lily lehnte sich in Frodos Arm zurück und überließ sich der Musik und seiner Führung.

Es war gut... so gut... Die ängstliche Anspannung verließ ihren Körper, ihre Bewegungen wurden leicht und geschmeidig, und sie erwiderte das Lächeln in seinen Augen, als er sie in eine Drehung hineinstieß und herumwirbelte. Er fing sie in einer lockeren Umarmung ein und gab sie wieder frei. Schritt – Sprung – Schritt von vielen Füßen auf rohem Holz, wie der gleichmäßige Schlag einer Trommel. Sein vertrautes Gesicht war direkt vor ihr... noch einmal Schritt – Sprung – Schritt, und plötzlich zog er sie an sich und hielt sie eng an seine Brust gedrückt, sein Atem schwer nach der lauten, fröhlichen Verwirrung von Tanz und Musik. Sie öffnete den Mund, um zu sprechen, verzaubert und berührt von einer zögernden Freude, aber ehe sie etwas sagen konnte, traf der erste schwere Regentropfen ihre Nase und der Klang von Fiedeln und Flöten ertrank in krachendem Donner.

„Komm“, sagte er, „komm schnell“, und er nahm ihre Hand. Sie bahnten sich im Zickzack ihren Weg zwischen Großväterchen und Großmüttern hindurch, die versuchten, die Köstlichkeiten von den Tischen zu retten, wichen kreischenden Kindern und Bänken aus und hatten die Festwiese endlich sicher überquert. Sie rannten über den Marktplatz, vorbei am Efeubusch, und hasteten den Bühl hinauf.

„Wo sind Sam und Rosie?“ fragte Lily atemlos, als sie durch das Gartentor rauschten.

„... keine Ahnung!“ Die Hälfte seiner Antwort wurde von einem dröhnenden Donnerschlag abgeschnitten. Er brachte die Tür auf und zog sie hinein, bevor die Schleusen des Himmel sich öffneten und einen Wasserfall aus Regen freigaben.

Die Eingangshalle war nach dem lärmenden Aufruhr der Natur draußen erstaunlich still.

„Sie sind wahrscheinlich mit Rosies Eltern gegangen“, sagte Frodo und fuhr sich mit den Fingern durch das Haar. „Ich bin sicher, sie sind gut aufgehoben.“

„Wahrscheinlich hast du Recht.“ Sie wandte sich ihm zu. Plötzlich war jede Einzelheit ihres Gesichtes scharf und klar... als hätte sie ihn nie zuvor wirklich gesehen... die hohe, klare Stirn, die schön geformten Augen, dunkel und tief im Dämmerlicht der Halle, den sensiblen Mund und die ebenholzbraunen Locken. Ohne nachzudenken streckte sie die Hand aus und berührte sie.

„Viel zuviel Silber für dein Alter...“ murmelte sie. Er stand ganz still, und dann hob er die Hand und legte sie über ihre Finger.

„Lily…”

Sie wich zurück und ging langsam durch die Halle zum Fenster. Regen rieselte die Scheibe hinunter und malte ein Muster aus silbrigen Fäden auf das unebene Glas.

„Es hat einmal eine Nacht gegeben, im Frühling vor mehr als vier Jahren“. Seine Stimme war leise, mit dem Hauch eines Lächelns. „Du hast dich kurz nach Mitternacht hereingeschlichen, und deine Bluse und dein Hemd waren vom Regen durchweicht. Du warst so schön, dass ich kaum atmen konnte...“

Lily spürte die Erinnerung wie einen sanften Schauer, der ihren Rücken hinab rann. „Kein Wunder“, sagte sie und drehte sich um. Er war nicht mehr als der weiße Umriss seines Hemdes in der Dunkelheit. „Meine Bluse war nass genug, um hindurch zu sehen.“

„Ja...“ Seine Stimme kam näher. „Und ich habe sie heruntergestreift und dir aus deinen tropfenden Röcken geholfen, und dann hast du gesagt...“

„... die Nacht ist warm. Warum gehen wir nicht nach draußen?’“ Sie grub die Fingernägel in das Fensterbrett und spürte, wie der vertraute Schmerz sich wie eine Faust um ihr Herz schloss. „Dann hast du dich selbst ausgezogen, du hast mich in den Garten getragen und neben Herrn Bilbos Stolz des Westens-Rosen gelegt. Die rochen würzig und süß, und du hast mich in die Arme genommen, und du... du hast mir die Regentropfen von der Haut geküsst.“ (Und ich habe mich deiner Berührung entgegen gebogen, und es war so gut, dich in mir zu fühlen, so gut, zu spüren, wie du dich bewegst. Ich erinnere mich, wie du meinen Schrei sanft mit deiner Hand gedämpft hast, als ich kam, nass vom Regen und zitternd vor Freude. Wie kann ich je wieder so etwas fühlen? Jetzt bin ich beschmutzt und verdorben.)

„Lily.”

Er stand direkt hinter ihr; sie konnte seinen warmen Atem im Nacken spüren. Er legte die Arme ganz leicht und zärtlich um sie, und sie lehnte sich instinktiv zurück, den Kopf an seiner Schulter. (Er ist so nahe.) Doch ihr Körper schrak nicht zurück; er spürte Trost, nicht Verlangen. Lily seufzte und schloss die Augen.

„Während der ersten Monate der Fahrt habe ich von dir geträumt.“ sagte er plötzlich. „Ich lag in meinem Schlafsack, spürte jeden Stein und jede Wurzel unter meinem Rücken und träumte davon, dass du in meinem Bett liegst. Von der Art, wie du mich ansiehst, dein Lachen, davon, wie dein Haar duftet. Es riecht nach Geißblatt, weißt du das?“

„Ja“, Sie lächelte schwach. „Das kommt von meiner Seife.“

„Was immer es ist, für mich war es Zuhause. Es bedeutete du.“ Ganz kurz verstärkte er seinen Griff, löste ihn aber beinahe sofort wieder. (Er weiß, dass ich Angst davor habe, zu sehr festgehalten zu werden, wenn ich hier in Beutelsend bin.) „Später, als ich allein mit Sam wanderte und der Ring schwerer wurde...“ Er holte tief Atem. „Die Erinnerung verblasste. Aber nicht nur die Erinnerung an dich, Lily. Es gab Tage, da wusste ich kaum noch meinen eigenen Namen.“

Ein langes Schweigen.

„Und ich...“ Ihre Stimme war nur ein Flüstern. „Ich habe mich an die Erinnerung an unsere Nächte geklammert bis zu dem Moment, als ich das Feuer von diesem scheußlichen Berg durch meine Adern schießen fühlte. Der Schmerz, der Rauch... er hat meine Hoffnungen beinahe zu Asche verbrannt.“ Sie drehte sich in seinen Armen herum und suchte seinen Blick. „Ich dachte, du wärst tot.“ (Es gab Zeiten, da dachte ich, ich wäre auch tot.)

„An dem Tag habe ich mir gewünscht, ich wäre es.“ erwiderte er; seine Stimme war fast unhörbar. „Glaub mir.“

„Und... jetzt?“

„Jetzt bin ich dankbar für jeden Morgen, an dem ich ohne Schmerzen aufwache, oder den Nachhall eines Alptraums in meinem Herzen.“ sagte er sanft. „Ich trete ans Fenster und sehe das grüne Gras und das Vergissmeinnicht, das den Pfad entlang blüht, und ich kann nicht glauben, dass ich noch lebe.“ Seine Hand berührte ihr Gesicht mit fast schmerzhafter Zärtlichkeit. „Und was noch unglaublicher ist, du bis hier in diesem Raum, bei mir. Es ist ein Wunder.“

Sie hob die Hand und verschlang ihre Finger mit den seinen.

„Ich bin nicht mehr das Mädchen, das ich einmal war“, sagte sie. „Ich fürchte, es ist nichts mehr übrig von der Lily, die du im Frühlingsregen geliebt hast.“

„Auch ich bin anders“, erwiderte er; sein Daumen streichelte langsam ihre Handfläche. „ich habe mich mehr als einmal selbst verloren, und ein Teil von mir ist für immer fort. Aber...“ und er beugte sich vor, um mit einer schmetterlingszarten Berührung mit den Lippen über ihren Mund zu streifen, „der Teil von mir, der noch immer hier ist, hat nie aufgehört, etwas für dich zu fühlen. Und das wird er auch nie.“

„Frodo…”

Zu viele Nächte, allein in einem leeren Bett verbracht, zu viele Nächte, erfüllt mit der bitteren, sinnlosen Sehnsucht nach einem Schemen, verloren in der Dunkelheit. Sie wollte, dass er blieb; sie wollte davor errettet werden, in eisiger Furcht vor dem Akt zu zittern, den Lotho in eine Angelegenheit der Qual und des Entsetzens verwandelt hatte. (Wie kann ich dir sagen, dass ich dir hier bei mir haben will?)

Er machte es ihr leicht.

„Mein Liebstes...“ flüsterte er. „Meine geliebte Indil... du siehst so müde aus. Du solltest jetzt ins Bett gehen... darf ich dir helfen?“

Sie nickte, zutiefst dankbar dafür, dass er anbot, worum zu bitten sie nicht imstande war.

„Danke.“ (Hilf mir, bitte. Ich brauche dich mehr, als ich sagen kann.)

*****

Sie gingen in ihr kleines Zimmer und Frodo folgte ihr hinein; er schloss schweigend die Tür ab. Er öffnete die kleinen Häkchen ihres Mieders, streifte es herunter und knöpfte ihre Bluse auf. Dann löste er das Gurtband von ihrem Rock und half ihr, aus den wollenen Falten heraus zu steigen. Die ganze Zeit über streiften seine Hände kaum ihre Haut; seine Berührung war fast unpersönlich.

Er reichte ihr das Nachthemd und wartete geduldig, bis sie sich zwischen Kissen, Laken und Decken niedergelassen hatte. Sie schloss die Augen und spürte, wie er hinter sie in das Bett schlüpfte und sich als natürliche Wiege für ihren Körper darbot. Lange Minuten hindurch geschah nichts anderes; sie spürte das Heben und Senken seiner Brust, und endlich folgte ihr eigener Atem seinem Rhythmus und wurde ruhig und regelmäßig. Aber sie schlief nicht ein; sie war hellwach und wartete mit einer Mischung aus schwacher Furcht und Erwartung darauf, was er als nächstes tun würde.

Sein Mund berührte ihren Nacken mit geschlossenen Lippen, anhaltend, wartend... sie seufzte leise und spürte, wie seine Hand über ihre Schulter glitt; er streichelte zärtlich ihr Schlüsselbein, ihr Kinn und die Linie ihres Kiefers. Sie schmiegte sich dichter an ihn. Wieder küsste er ihren Nacken, diesmal mit offenem Mund, und nun spürte sie seine Zunge, eine kurze, kitzelnde Nässe, die sie nach Luft schnappen ließ. Er hielt sofort inne, und die Tiefe seiner bedachtsamen Zärtlichkeit ließ ihre Augen von unvergossenen Tränen brennen. (Er fühlt etwas für mich. Das tut er wirklich. Wenn ich ihm sagen würde, dass er gehen soll, er würde es tun, da bin ich mir sicher. Aber ich will ihn nicht wieder verlieren, nicht jetzt, nicht heute nacht.)

Sie fing eine seiner Hände ein und tupfte winzige Küsse auf jeden Finger. Er strich mit dem Daumen über ihre Lippen; noch immer berührte sein Mund ihren Nacken und bewegte sich jetzt zu ihrer Schulter hinunter.

Plötzlich erinnerte sich Lily an das allererste Mal, dass sie jemals in seinem Bett gelegen hatte. Er hatte sich damals genauso verhalten; langsam und geduldig seinen Weg ertastend, auf ihre Reaktion wartend, sein hauptsächliches Ziel ihre Erfüllung und ihr Vergnügen. Sie wusste mit durchbohrender Klarheit, dass er der Einzige war, dem es möglich sein würde, sie von dem zu heilen, was sie erlebt hatte. Er hatte sie gelehrt, wie es sein sollte zwischen Liebenden. Sie behielt die Erinnerung an diese erste, verzauberte Nacht im Gedächtnis, hielt die leuchtenden Bilder in ihren Händen und spürte seinen Körper dicht an ihrem Rücken. (Bitte, hilf mir. Hilf mir. Ich habe Angst davor, dich zu wollen. Ich habe Angst, mich dem zu überlassen... und mich plötzlich wieder auf dem Boden des Studierzimmers wiederzufinden, halb erstickt unter Lothos schwerem Gewicht.)

Seine Hand hatte den Weg unter den Saum ihres Nachthemdes gefunden; sie zog eine Spur ihr Rückgrat hinab und mit federleichter Berührung über ihren Bauch. Dann bewegten sich die sanften Finger aufwärts und fanden eine Brust... und die Narbe. (Oh Sterne... nein. Nicht das. Nicht da.)

Sie erstarrte in seinen Armen.

„Lily?”

Sie biss die Zähne zusammen.

Er nahm die Hand weg und zog sich zurück. Sie hörte das Rascheln von Stoff in der Dunkelheit, und plötzlich flackerte ein Licht auf; er hatte die Kerze auf dem Nachttisch angezündet.

„Lily, schau mich an.”

Sie drehte sich um. Er saß aufrecht auf dem Bett, den Oberkörper entblößt. Die Haut war sehr blass, und wieder registrierte ihr geübtes Heilerauge, dass er zu dünn war. Als er sah, dass er ihre Aufmerksamkeit besaß, berührte er die runzlige, weiße Narbe unterhalb seiner rechten Schulter.

„Das ist die Stelle, wo die Klinge des Morgul-Königs zustieß“, sagte er in seltsam sachlichem Ton. „Und hier...“ er wandte sich ab und legte einen Finger auf seinen Nacken, „... hier kannst du sehen, was von dem Spinnenbiss übrig ist. Und ich bin sicher, du bemerkst die Narben von der Peitsche des Orks in Cirith Ungol.“ (Du weißt es nicht, aber das ist nicht das erste Mal, dass ich sie gesehen habe. Der Anblick ist noch immer wie ein Schlag in die Magengrube.)

Er hielt ihren Blick fest und lächelte sie an, halb zärtlich, halb kummervoll.

„Ich habe mir angewöhnt, Dinge wie diese Schlachtennarben zu nennen, mein Liebstes“, sagte er, „empfangen im Laufe eines langen, verzweifelten Kampfes. Sie erinnern uns an den Schmerz und die Angst, und manchmal quälen sie uns sogar, aber sie sind keine Schande. Man sollte sie ehren. Verstehst du, was ich damit sagen will?“ (Ich wage es nicht.)

Sie sah ihn schweigend an; dann zog sie sich, noch immer zögernd, das Nachthemd über den Kopf. (Du wirst mich hassen. Das ist abstoßend.)

Sie straffte den Rücken und schloss die Augen. Sie wartete auf... einen Ausruf des Schrecken? Feurige Worte, die eine Rache ankündigten, die er nicht mehr nehmen konnte? Statt dessen spürte sie seine Finger; sie berührten die vernarbte Haut und streichelten sie sachte.

„Als ich nach Hause kam, fühlte ich mich unglaublich schuldig“, sagte er. „Ich hatte den furchtbaren Eindruck, dass ich mit meinen Freunden und Gefährten die Zeit in Minas Tirith verschwendet hatte. Wäre ich nur eher heimgekehrt... ich dachte, ich hätte mein Land im Stich gelassen, genau wie die Frau, die auf mich wartete.“

„Das hast du nicht“, flüsterte sie mit zugeschnürter Kehle. „Du musstest doch gehen.“

„,Die Welt hat sich weiter gedreht, während du ausgezogen bist, sie zu retten, Frodo Beutlin’“ zitierte er mit mehr als einer Spur Ironie, aber als sie zusammenzuckte, lächelte er und strich ihr eine lange, lockige Strähne hinter das Ohr.

„Als ich das gesagt hab, war ich nicht ich selbst“, murmelte sie. (Wie um Himmels Willen habe ich es bloß fertig gebracht, derartig gemein zu sein? Ich schäme mich so sehr... wirst du mir jemals vergeben?)

„Aber du hattest ja Recht, meine Indil“, erwiderte er. „Du hast deinen eigenen Kampf gegen die Finsternis geführt. Und dies hier...“ sein Finger zog einen Kreis um die Stelle, „ist deine Schlachtennarbe.“ Er senkte den Kopf und seine Lippen streiften darüber hin. „Wie auch immer – ich wünschte, ich hätte es dir ersparen können.“

Sie streckte die Arme aus und zog ihn an sich, und es war ein Augenblick von unerwarteter Süße und Freude. Er stützte sie, als sie sich wieder hinlegte und schlüpfte erneut hinter sie. Diesmal waren seine Hände ein wenig bestimmter, und sie nahm und führte sie, bis sie sich um ihre Brüste schlossen.

„Ich will’s versuchen“, sagte sie, ihre Stimme sehr gedämpft. „Hilf mir herauszufinden, ob ich jemals wieder sein kann, was ich einmal war.“ (Vielleicht ist das die einzige Chance, die ich jemals haben werde.)

*****

Er hielt sie in den Armen, die Stirn an ihren Nacken gelehnt; er spürte, wie ihr Körper weich und geschmeidig wurde, und er spürte seinen eigenen Körper, der nach ewig langer Taubheit, Erschöpfung und Angst wieder erwachte. Da war nicht die heftige Leidenschaft, an die er sich erinnerte, sondern statt dessen eine tiefe, schmerzhafte Sehnsucht zu geben, zu fühlen und zu lieben.

Er berührte sie überall in Reichweite, liebkoste sie mit großer Vorsicht und Achtung, und er nahm sich Zeit. Es war eine atemberaubende Wiederentdeckung... die seidige Glätte ihrer Haut, die Schönheit ihrer weichen Kurven, der würzige Duft ihres Haares, das Aroma von Rosmarin, Lavendel und Holzrauch an ihren Händen. Sie riecht nach Heilung, dachte er, als seine Finger eine Spur die süße Vertiefung ihres Rückgrates hinunter zogen, sich behutsam den Weg zwischen ihre Beine bahnten und endlich ihre geheimste Stelle fanden. Einen langen Moment – er fühlte sich an wie eine Ewigkeit – erstarrte sie, und er wartete und wagte nicht die geringste Bewegung. Dann seufzte sie; er spürte, wie sie zusammenschauderte und sich ihm öffnete. Seine Finger glitten hinein in ihre enge Wärme; er reizte und liebkoste den Körper, der ihm fast so vertraut war wie sein eigener. Endlich spürte er, dass sie rascher atmete, und die schmale Passage wurde um seine forschenden Fingerspitzen schlüpfrig und heiß.

Frodo zog sie dichter an sich und schob sich sachte vorwärts, schon fast eingeschlossen von ihrem samtig weichen Fleisch, noch immer streichelnd und liebkosend, noch immer zögernd, weiter zu gehen. Plötzlich fühlte er ihre Finger; sie berührten die Spitze seiner Härte und zogen einen aufreizenden Kreis darum. Er unterdrückte ein lautes Stöhnen und spürte, wie er in ihrer Hand zuckte; er erschauderte und merkte, wie sich sanft und ermutigend an ihn schmiegte. Endlich drang er in sie ein, langsam, sehr langsam, immer wieder innehaltend, bis er vollständig von ihr umgeben war. Sie lagen still und schwer atmend da, und als er ihr Gesicht berührte, entdeckte er, dass ihr die Tränen über die Wangen liefen.

„Tu ich dir weh?“ flüsterte er. „Soll ich aufhören?“

„Nein.“ Ihre Stimme bebte. „Nein... bitte...“

Er wagte einen ersten, langsamen Stoß und sie wölbte den Rücken und stieß einen sehr leisen Schrei aus. Dann bewegte er sich erneut und fand den vertrauten, berauschenden Rhythmus wieder, und das unvergessliche Gefühl absoluter Vollständigkeit. Er drängte sich gegen sie, hielt ihren Körper an sich gepresst und ergab sich der Empfindung, überwältigt und zutiefst erschüttert.

„Lily...“ Die Stimme blieb ihm in der Kehle stecken, heiser und erfüllt von unaussprechlicher Erleichterung – Erleichterung, dass ihm mehr blieb als zu leiden, zu ertragen und aufzugeben, wenigstens jetzt, wenigstens heute Nacht. Er besaß die Macht, sie zu trösten, und sein Körper, seine Seele und sein Begehren hatten ihn nicht im Stich gelassen, als er sie am meisten brauchte. „Lily...“ Ihr Name wurde zu einem Zauberwort... einem leisen Seufzen...einem tiefen Stöhnen... „Lily...!“ Er hörte, wie sie seinen Namen flüsterte, während sein Höhepunkt sich näherte wie eine große Welle, die ihn endlich mit blendender Helligkeit und loderndem Feuer überspülte. Seine Tränen mischten sich mit den ihren, und als er sich in ihre Wärme ergoss, spürte er, wie sie sich um ihn herum ein letztes Mal anspannte und schaudernd den Gipfel erreichte.

*****

Tief in der Nacht erwachte er aus traumlosem Schlaf. Sie schlug und trat um sich, die Augen geschlossen, das Gesicht wieder tränennass.

„Lily... schsch... schsch, meine Kastanie...“

Sie kam zu sich und wurde langsam still in seinen Armen. Er wiegte sie wie ein Kind. Endlich vergrub sie ihr Gesicht an seiner Brust.

„Ich dachte, ich wäre wieder im Studierzimmer eingesperrt“, flüsterte sie fast unhörbar. „Und ich konnte ihn hinter mir spüren, und dann waren seine Hände auf meinen Schultern, und ich konnte nicht... ich konnte nicht hinaus.“

Er hielt sie an sich gedrückt, erfasst von plötzlicher Besorgnis.

„Ist das meine Schuld?“ fragte er leise. „Ist das geschehen, weil ich dich geliebt habe?“

Sie schüttelte den Kopf.

„Das habe ich schon früher geträumt“, sagte sie; ihre Stimme war traurig, aber ruhig. „Dann bin ich allein aufgewacht und konnte meine Schreie als Echo von den Wänden zurückkommen hören. Du warst nicht da, um mich zu halten... aber jetzt bist du’s. Jetzt bist du’s.“

Er streichelte ihr den Rücken, bis er hörte, wie ihr Atem regelmäßig und langsam wurde, während sie in den Schlaf zurück glitt. Er lag wach, tief in Gedanken, bis die Dämmerung ihr graues Licht durch die Vorhänge schickte.

*****

Als Lily erwachte, regnete es immer noch. Sie öffnete die Augen und stellte fest, dass Frodo dicht neben dem Bett saß, vollständig angezogen, den Blick unverwandt auf ihr Gesicht gerichtet. Auf dem Nachttisch stand ein Tablett mit zwei Bechern und einem Schüsselchen braunem Zucker.

„Guten Morgen, Liebes.“ sagte er. „Ich habe Apfelblütentee für dich.“

„Guten Morgen.“ Er reichte ihr den Becher und sie nahm einen ersten, dankbaren Schluck; sie schaute zu ihm auf, noch immer müde und erfüllt von stillem Staunen. Ist das hier wirklich?

„Tolman Kattun hat vor einer halben Stunde Nibs vorbeigeschickt.“ sagte er. „Es ist, wie ich dachte; Rosie und Sam haben die Nacht auf dem Hof verbracht.“

Sie streckte die Hand aus und zog die Kontur seines Mundes mit einer zärtlichen Fingerspitze nach.

„Und du hast die Nacht in meinem Bett verbracht“, sagte sie leise, „ich kann es nicht glauben.“

Frodo beugte sich vor und küsste sie, und sie zog ihn an sich. Er sieht erschöpft aus.

Er zog sich zurück und holte tief Atem.

„Da ist etwas, das ich dir sagen muss.“ Er schloss die Augen, wie um sich zu konzentrieren. „Sam hat mir gesagt, du warst hier, als ich letzten Oktober krank war?“

Lily stellte den Becher auf das Tablett zurück und setzte sich auf.

„Ja, war ich,“ sagte sie. „Ich habe die ganze Nacht bei dir gesessen.“ Sie zögerte. „Du... du hattest hohes Fieber... und schreckliche Träume.“

schwarz... die welt ist schwarz und ausgebrannt und ich irre durch die asche...

Sie fuhr zusammen und sein Blick wurde scharf.

„Habe ich im Schlaf geredet?“ fragte er, seine Stimme gesenkt und angespannt.

„Nein, hast du nicht“, Sie blickte auf ihre Hände hinunter. „Aber ich hab es gehört. Ich habe meine Stirn gegen deine gelegt, und ich hab es gehört.“ Oh Sterne, das fühlte sich so schrecklich falsch an. „Ich weiß, ich hätte das nicht tun sollen. Aber ich wollte doch helfen... und ich hatte keine Ahnung...“ Endlich wagte sie es, den Blick wieder zu heben. „Damals kannte ich das Rote Buch noch nicht.“

Zu ihrer großen Erleichterung sah sie, dass Frodo lächelte.

„Du musst verängstigt gewesen sein“, sagte er sanft. „Und ich bin nicht sehr überrascht... nicht nach dem, was du mir in der Nacht von Elanors Geburt erzählt hast.“ Ein Schatten umwölkte sein Gesicht. „Du hast keinen Grund, dich schuldig zu fühlen. Ich bin es, der dich um Verzeihung bitten sollte... offenbar warst du gezwungen, meine schlimmsten Augenblicke mit mir zu teilen.“

Sie biss sich auf die Lippen.

„Ich war froh, dass ich wenigstens etwas mit dir teilen konnte“, flüsterte sie. Er setzte sich auf die Bettkante und nahm sie in die Arme.

„Meine Lily“, Er seufzte in ihr Haar hinein. „Weißt du, ich bin nicht, was ich... was...“ Einen langen Moment war er still. Instinktiv schlang sie ihre Arme um ihn und erwiderte die Umarmung. Sie konnte seinen Herzschlag dicht an ihrem Ohr hören, rasch und laut. Er hat Angst. „Ich habe dir viele Dinge erzählt, Lily“, sagte er endlich. „Über die seltsamen Wege, die wir genommen haben, über den Schrecken von Moria und die Wunder von Lothlórien. Ich habe dir von den Orks erzählt und von Cirith Ungol.“

Ein weiterer Seufzer ließ seinen Körper dicht an ihrem erzittern.

„Was ich dir nicht erzählt habe, war, dass der Ring mich verändert hat. Er veränderte mich vollkommen. Nach all diesen Monaten an der Kette um meinen Hals entwickelte Er seine eigene Stimme... eine weiche, verführerische Stimme. Er versprach mir keine Macht oder Sklaven für meine Willkür... er versprach, mich nie zu verlassen. Er versprach, mich davor zu bewahren, verloren zu gehen... und dass ich nie wieder allein sein würde.“

Sie lehnte sich zurück, um ihm in die Augen zu sehen, erschüttert von der nackten, bitteren Ehrlichkeit seines Geständnisses. Er erwiderte ihren Blick, ohne zu blinzeln.

„So wurde er gemacht“, sagte Frodo mit tiefer Traurigkeit. „Er konnte die tiefsten Sehnsüchte derer aufspüren, die ihn trugen... und dann verdrehte und verdarb Er sie, bis nur noch bloße Schatten von dem blieben, was sie einst gewesen waren. Er narrte Isildur mit Träumen von einem immerwährenden Königtum, und Er narrte Gollum, indem er seine niederen Instinkte und Träume benutzte, seine eigene Sippe zu hintergehen. Ich nehme an, Bilbo war der Einzige, der zumindest weniger beschädigt entkam, weil er die Kraft hatte, Ihn weg zu geben. Ich... ich war nicht so tapfer.“

Er rieb sich die Stirn; sie konnte sehen, dass seine Hand bebte. Wortlos legte sie ihre Finger darum und küsste die Handfläche.

„Als wir nach Mordor kamen, änderte sich Seine Stimme“, fuhr er fort. Die Worte kamen jetzt leichter – als wäre es eine große Erleichterung, die lang verborgene Wahrheit auszusprechen. „Er fing an, mir zu drohen. Du darfst mich nicht verlieren, sagte Er, in dem Moment, in dem du mich verlierst, wirst du sterben. Sam zerrte mich durch dieses verfluchte Land, und wir stolperten mit wunden Kehlen und blutenden Füßen voran. Ich kroch diesen Berg hinauf, bis ich zusammenbrach, und mein treuer Sam schleppte mich auf seinem Rücken, bis ihn seine Beine nicht mehr trugen.“

Aber ich will nicht mehr tun, weswegen ich gekommen bin. Ich will diese Tat nicht mehr vollbringen.

„Du konntest dich nicht dazu überwinden, ihn fortzuwerfen“, sagte Lily; ihr Mund war trocken von der grausamen Erinnerung an sengende Hitze und Asche. „Du wolltest ihn behalten.“

„Ja.“ Er nickte. „Ich wollte Ihn behalten. Ich hatte die Aufgabe auf mich genommen, Mittelerde zu retten, indem ich den größten Schatz des Dunklen Herrschers zerstöre... und ich habe versagt. Am Ende hatte Er mich überwältigt.“

„Natürlich“, sagte Lily nüchtern. „Es ist ein Wunder, dass du ihm so lange widerstehen konntest, wie du es getan hast.“

Er warf ihr einen langen, nachdenklichen Blick zu.

„Das hat Aragorn auch gesagt“, erwiderte er. „Er sagte, dass der Berg im Herzen von Saurons bösem Reich lag, und dass seine Macht zu groß war, um noch irgend einen freien Willen aufzubringen.“

„Ich würde ihn gern einmal treffen.“ Lily lächelte schwach und spürte seine Lippen auf ihrer Stirn.

„Und er würde dich sicher auch gern kennen lernen. Er würde deine Weisheit lieben und deinen hellen Geist, meine Indil.“ antwortete Frodo. „Gollum tat, was ich nicht konnte, und seine Niederlage war unser Sieg. Sam trug mich aus dem zusammenbrechenden Berg und Gandalf kam, um uns beide zu retten. Aber das war nicht das Ende der Geschichte.“

Er stand vom Bett auf und fing an, durch das Zimmer auf und abzugehen.

„Ich sagte dir, dass der Ring mich verändert hat... aber ich habe dir nicht gesagt, wie sehr. Er hinterließ eine Leere, die seitdem nie wieder gefüllt worden ist. Die Rettung von Mittelerde, die Krönung des Königs... alles war grau und sinnlos neben der Abwesenheit des kühlen, goldenen, beruhigenden Glanzes an der Kette um meinen Hals, neben der Sanftheit Seiner süßen Stimme.“

Er unterbrach seine rastlose Wanderung und blieb vor dem Fenster stehen und wandte ihr den Rücken zu.

„Es gab Tage, da stand ich im sechsten Kreis von Aragorns wunderschöner Stadt, starrte hinunter auf dieses Wunder aus weißem Stein und tief in meinem Herzen wusste ich, dass die Stimme des Ringes Recht gehabt hatte; als ich Ihn verloren hatte, war ich gestorben. Und es wäre einfach gewesen – so schrecklich einfach – den letzten Schritt zu tun.“

Er musste ihr plötzliches, scharfes Luftholen gehört haben, aber er sprach mit müder, gleichmäßiger Stimme weiter.

„Die Fahrt hat eine schreckliche Wunde in meinem Leben hinterlassen... ein Muster aus Erinnerungen und Schmerz. Im Licht des Tages kann ich sie vertreiben, aber nachts kehren sie zurück und sammeln sich um mein Bett. Mein Körper erinnert sich an das Datum, als mich die Spinne in den Nacken stach, an die Nacht auf der Wetterspitze, als die Morgulklinge traf und an jenen Tag im März, als der Ring mitsamt meinem Finger ins Feuer ging.“

Er starrte auf seine vernarbte Hand herunter, sein Gesicht eine Grimasse stiller Qual.

„Komm her.“ sagte Lily ruhig. Er gehorchte und setzte sich wieder neben sie. Sie nahm die Hand, liebkoste die wulstige Narbe und drückte sie an ihre Brust.

„Bestraf dich nicht selbst. Bitte, lass mich dir helfen.“

„Aber du hilfst mir doch, Lily“, erwiderte er ernsthaft, „mehr, als du jemals wissen wirst.“ Er beugte sich zu ihr herüber, bis sie Stirn an Stirn saßen. „Es gibt noch immer etwas zu erzählen, meine Indil. Als es mir in Minas Tirith am schlechtesten ging, rief mich die Königin, um mir ein Geschenk zu geben.“

Seine freie Hand verschwand hinter seinem Hemdkragen und erschien mit einer feinen Silberkette. Ein großer, weißer Edelstein hing daran, seinen strahlendes Leuchten eingefangen in einer Fassung, die wie ein Korb aus zarten, verflochtenen Blüten geformt war. Sie starrte ihn an, den Mund geöffnet in sprachloser Ehrfurcht.

„Darf... darf ich ihn anfassen?“

„Natürlich.“

Sie schloss ihre Finger um die besänftigende Kühle von Silber und Stein... und plötzlich war ihr Geist von weißem Licht erfüllt. Für einen kurzen Moment glaubte sie, ein Lied zu hören, von kristallklaren Stimmen gesungen, und der Raum verschwand vor ihren Augen. Sie sah eine atemberaubende schöne Symphonie aus Himmel und Meer, grün und silbern, und das Lied wurde stärker, durchbohrte ihr Herz und ließ ihre Augen überfließen. Sie lockerte ihren Griff, zitternd und überwältigt, und die Musik verging.

Er lächelte sie an, und in seinen Augen spiegelte sich wieder, was sie gesehen hatte... diese wundersame, unerklärliche Helligkeit. Er trägt sie in sich, dachte sie. Er ist wie eine Lampe, und niemand sieht es.

„Hast du das Lied gehört?“

Sie nickte wortlos, noch immer zu überwältigt, um zu sprechen.

„Der Edelstein hat ein ganzes Zeitalter lang um den Hals der Herrin Celebrían gehangen, der Frau von Herrn Elrond Halbelb, und sie gab ihn ihrer lieblichen Tochter Arwen.“ erklärte Frodo. Er sprach leise und behutsam. „Arwen gab ihr Geburtsrecht auf, als sie den König heiratete, und als sie mein Elend sah, gab sie es an mich weiter, zusammen mit der Kette und dem Anhänger.“

Lily runzelte die Stirn. „Was bedeutet das?“

„Das bedeutet, dass mir erlaubt ist, was keinem sterblichen Wesen je zuvor gestattet wurde: ich darf an Bord eines Elbenschiffes gehen und gemeinsam mit den Elben in die Unsterblichenlande segeln – sollte ich jemals entscheiden, dass ich die Bürde meiner Erinnerungen und den alten Schmerz nicht länger tragen kann.“

Er hielt sie an sich gedrückt und tat sein Bestes, den Schock aufzufangen, aber er konnte spüren, wie sie in seiner Umarmung einfror.

„Du gehst weg“, flüsterte sie mit schwacher Stimme. „Du gehst wieder weg.“

„Das war meine Entscheidung“, sagte er und streichelte dabei sanft ihren Rücken. „Ich habe letzte Woche einen Brief von Herrn Elrond erhalten. Er wird im September zu den Grauen Anfurten reisen. Und ich bin eingeladen, mich ihm anzuschließen – gemeinsam mit Bilbo.“

Sie antwortete nicht.

„Ich sagte, dass es meine Entscheidung war“, fuhr er behutsam fort. „Aber ich hatte nicht damit gerechnet, was geschehen würde... was in diesem letzten Wochen geschehen ist... und letzte Nacht.“

Lily hob den Kopf; ihre Augen brannten.

„Ich wollte dir helfen, meine Indil“. Seine Stimme wurde ein wenig unsicher. „Aber ich wusste nicht, wie tief deine Heilung auch mich berühren würde. Weißt du...“ er liebkoste ihre Wange, „ich fühle mich tief geehrt vom Angebot der Elben, und ich bin sicher, ich sollte Arwens Weisheit bei einem solchen Geschenk vertrauen, aber wenn ich mich entscheide, das Angebot anzunehmen, dann muss ich alles hinter mir lassen. Und ich bin nicht länger sicher, ob ich das wirklich will.“

Er machte eine Bewegung in Richtung seiner Westentasche, aber sie bemerkte es kaum; ihr Blick hing an seinem Gesicht.

„Vielleicht ist der Preis für diesen wundersamen Segen zu hoch“, sagte er. „Vielleicht sollte ich bleiben und gegen die Dunkelheit kämpfen, wenn die Belohnung dafür ist, dass ich Elanor zu einem Mädchen von erstaunlicher Schönheit heranwachsen sehen kann, dass ich mit erlebe, wie Rosies und Sams Liebe blüht und gedeiht, und, vor allem, dass ich dich an meiner Seite habe.“

Sie fühlte, wie etwas Kühles, Glattes über den Mittelfinger ihrer linken Hand glitt. Als darauf hinunterschaute, sah sie eine Blume aus flüssigem Gold, die in der blassen Morgensonne auf ihrer Haut leuchtete.

Primulas Ring.

„Nein.“ flüsterte sie. „Nein. Du kannst doch nicht...“

„Lily hör mir zu.“ Er hob ihr Kinn an und die Tiefe der Gefühle in seinen Augen ließ ihr Herz erbeben. „ich habe den Brief an Herrn Elrond noch nicht beendet. Ich kann noch immer meine Meinung ändern und den Weg in meine Zukunft . Es hängt von dir ab, Lily. Ich liebe dich. Ich habe dich schon geliebt, als du dich das erste Mal in mein Studierzimmer geschlichen hast, um nach Elbisch-Stunden zu fragen. Und ich habe seither nie aufgehört, dich zu lieben.“

Frodo erhob sich vom Bett und stand vor ihr.

„Du musst nicht sofort antworten. Wenn ich meinen Brief nächste Woche abschicke, dann wird er Bruchtal wahrscheinlich noch rechtzeitig erreichen.“

Er holte tief Atem.

„Ich werde Herrn Elrond sagen, dass ich froh und geehrt sein werde, ihm und meinem Onkel an den Grauen Anfurten Lebwohl zu sagen. Aber ich werde ihm auch sagen, dass ich nicht mit an Bord gehe. Ich bleibe. Lily Stolzfuß, ich bleibe und gehöre dir... wenn du meinen Wunsch erfüllst und dich entscheidest, meine Frau zu werden.“