Unterwegs mit dem anderen Zauberer - Eine Reise zur Heilung
(Following the other Wizard - A Journey into Healing)
von jodancingtree, übersetzt von Cúthalion

Kapitel 1
Vogelvater

Selbst nachdem er schon einen Monat mit dem Braunen Zauberer unterwegs war, gab es immer noch Tage, an denen sich Frodo vorkam, als hätte ihn jemand auf den Kopf gestellt. Radagast war von Gandalf so verschieden wie - er versuchte, sich einen passenden Vergleich einfallen zu lassen – so verschieden wie ein Elb von einem Hobbit, wie er vermutete. Oder von einem Zwerg.

Sie standen im Zwielicht auf, wenn die Vögel zu singen begannen, und während Frodo ihr Frühstück kochte, wanderte der Zauberer umher, hielt zwitschernd Zwiesprache mit den Vögeln und stocherte im Unterholz; nicht selten erklomm er einen Baum, um in ein Nest zu spähen. Frodo sah mit schuldbewusstem Vergnügen zu, wenn Radagast sich in die Baumkronen schwang; es war ein so merkwürdiges Spektakel, der alte Mann mit seinem hoch gerafften Gewand , der entspannt zwischen den Ästen herumkletterte, so sicher auf den Beinen wie ein Eichhörnchen.

„Du führst mich nicht an der Nase herum, Esel,” rief der Zauberer eines Morgens zu ihm hinunter. „Ich kann aus zwanzig Fuß Höhe sehen, wie deine Schultern beben. Wieso lachst du nicht laut heraus und genießt es? Sehr heilsam, so ein Lachen; es wird dir gut tun.“

Frodo blickte verlegen auf und stammelte Entschuldigungen, aber Radagast grinste bloß auf ihn hinunter. „Mir ist wohl bewusst, wie eigenartig ich hier oben ausschaue, Junge, und ich werde nicht beleidigt sein, wenn du lachst. Tatsache ist, dass es mich nicht kümmert, wie ich aussehe, und dich sollte es auch nicht kümmern. Achte auf das, was du tust, das ist alles. Im Augenblick verbrennst du gerade den Speck.“

Jäh an die augenblickliche Pflicht erinnert, fluchte Frodo vor sich hin – er hatte den Speck tatsächlich verbrannt – und dann lachte er, über sich selbst ebenso sehr wie über den Zauberer, der in diesem Moment in halber Höhe auf einem Ast im Baum saß, ein Nest in den Händen, während der Elternvogel vertrauensvoll auf seiner Schulter hockte.

Zuerst hatte er sich gefragt, wo sie in der Wildnis Nahrung finden würden, aber wenn die Zeit des Essens kam, langte Radagast einfach in seinen geheimnisvollen Sack und zog heraus, was nötig war. Er war ein merkwürdiges Ding, dieser Sack; er hing schlaff vor dem Zauberer quer über dem Pferderücken, als wäre er fast leer, und doch holte der die kunterbunteste Ansammlung von Gegenständen daraus hervor! Er schien zu enthalten, was immer er im Augenblick brauchte.

„Die Gemeinschaft hätte einen Beutel wie diesen auf unserer Reise gut gebrauchen können,“ sagte er eines Tages halb im Scherz. „Wieso hatte Gandalf nicht so einen?“

„Jeder von uns hat seine eigenen Gaben, Junge. Gandalf war ein weit besserer Schutz gegen den Schatten, als ich es gewesen wäre – und du, nebenbei, bist ein ausgezeichneter Koch! Ich habe seit vielen Jahren nicht mehr so gut gegessen – in Zukunft muss ich daran denken, immer mit einem Hobbit zu reisen, der sich um die Küche kümmert.“

Was Frodo erneut zum Lachen brachte, ganz wie der Zauberer es beabsichtigt hatte.

Sie reisten scheinbar ziellos und wanderten kaum einmal zwei Tage hintereinander in dieselbe Richtung; sie schlugen ihre Zelte über mehrere Tage hinweg auf, wenn sie irgendein Geschöpf vorfanden, das Hilfe brauchte. Eine Woche lang blieben sie in einer kleinen Kate tief in den Wäldern und sorgten für einen alten Mann, den sie dort entdeckten, und der vor Fieber glühte. Radagast pflegte ihn wieder gesund und Frodo hackte Feuerholz und schichtete es auf, bis der Holzschuppen randvoll war. In der ersten Nacht brannten seine Handflächen vor lauter Blasen und er versuchte, den Schmerz zu verbergen, während er ihr Abendessen kochte. Vor Radagast gab es allerdings kein Versteck, und Frodo legte sich schlafen, die Hände gut eingeschmiert mit einer stark riechenden Salbe. Am Ende der Woche hatte er einen schönen Satz Schwielen und nährte einen stillen Stolz auf sein Geschick mit der Axt in sich.

An manchen Tagen hätte er den Ring beinahe vergessen. Beinahe.

Eines Abends wurden sie draußen von einem Sturm überrascht, mit kaltem Regen und peitschendem Wind, und kein Unterschlupf war zu finden. Sie zogen ihre Mäntel eng um sich zusammen und die Decken über ihre Köpfe, im Freien zusammen gekauert, und Frodo kam mitten in der Nacht halb zu sich, während er wild nach dem Ring tastete und nach Sam rief. Seine Finger schlossen sich um Arwens Edelstein, und Radagast zog ihn dicht an sich und wickelte seine Decke um sie beide; er sprach leise mit ihm in einer Sprache, die Frodo nicht verstand. Er beruhigte sich und sank zurück in einen unruhigen Schlummer, von Regenwasser durchweicht.

Bis zum Morgen hatte der Regen aufgehört, aber es war zu nass für ein Frühstücksfeuer. Sie aßen Äpfel und Käse aus dem Sack des Zauberers, und sie breiteten ihre Decken und Mäntel über den Büschen aus, um sie zu trocknen. Unter einem Busch fand Frodo ein zerstörtes Vogelnest, von Sturm fortgespült, und ein kleines Stück weiter weg die Küken, die ertrunken im Matsch lagen. Er kauerte sich nieder und berührte sie traurig… und er fühlte, dass eines der winzigen Herzen noch schlug. Hastig hob er dies eine Küken auf und trug es zu Radagast.

„Wärm es auf, Esel, und dann werden wir sehen. Halt es an deiner Brust.“

"Aber was für eine Art Vogel ist es?” fragte er.

Radagast zuckte die Achseln. „Irgend ein Bodenbrüter, so wie es aussieht. Die Elben sorgen sich darum, allen Arten Namen zu geben, Frodo – ich nehme sie einfach so, wie sie kommen. Du kannst diesem hier seinen Namen geben, wenn du möchtest, wenn du ihm schon das Leben rettest.“

In diesem Moment sehnte er sich nach Bilbo, der gewusst haben würde, welche Art Vogel es war, oder der im Falle des Nichtwissens in einem seiner Bücher nachgeschlagen hätte. Der – ebenso wie Frodo – gedacht hätte, dass es zählte, von welcher Sorte der Vogel war, und der nicht damit zufrieden gewesen wäre, sich einfach einen Namen auszudenken. Er schluckte seine Enttäuschung hinunter und machte sich daran, dem Küken das Leben zu retten, wenn er es denn konnte. Er knöpfte sich das Hemd auf und drückte das schmuddelige Geschöpf an seine bloße Brust; dann zog er das noch immer feuchte Hemd über seiner gewölbten Hand zusammen und setzte sich auf einen Felsblock in die Sonne.

Die Luft lärmte von Vögeln. Sie übernahmen da, wo die Frösche in der Dämmerung aufgehört hatten – die Frösche riefen die ganze Nacht, jede Nacht, in jedem kleinen Teich und jedem Tümpel. Nun ja, Radagast hatte ihm Froschgesang versprochen! Er lächelte in sich hinein, hegte das Vogelkind an seiner Brust und spürte, wie sein Herzschlag ihm gegen die Finger trommelte. Die Frösche machten eine ganz andere Musik als die Elben von Bruchtal, aber sie hatte ihren ganz eigenen Zauber. Leichter zu übersetzen war sie ebenfalls. Er dachte, er wüsste, was die Frösche während der Nachtstunden sangen:

Wir sind hier – wir sind hier – wir sind hier - !

Und ich bin auch hier, dachte er. Gegen alle Widrigkeiten bin ich hier, und mein Herz schlägt, und ich werde diesem kleinen Vogel das Leben retten, oder ich werde wissen, wieso nicht.

Er streichelte den kleinen Kopf zart mit einem Finger.

„,Cuina’ werde ich dich nennen. ,Lebendig’.“

*****

Er hatte gedacht, dass sie rein nach Zufall reisten, ohne wirkliches Ziel, und dann tauchten die Ausläufer des Alten Waldes vor ihnen auf und er erinnerte sich an Radagasts Absicht, Tom Bombadil zu besuchen.

Der Wald war so luftlos und abweisend wie vier Jahre zuvor, als er ihn mit Sam und seinen Vettern betrat, aber er schreckte ihn nicht länger. Es war, als ginge er an einem wilden Hund vorbei, in Gesellschaft von dessen Herrn – als machten die Bäume dem Zauberer respektvoll, wenn auch zögerlich Platz, und ihm deshalb ebenfalls.

Und was noch dazu kam - es kümmerte ihn nicht wirklich, ob die Bäume ihn töteten. Aber nein, erinnerte er sich, er musste noch immer das Vogelkind retten. Er langte nach oben, um ihm das flaumige Köpfchen zu streicheln und wurde mit einem leisen Tschiepen belohnt.

Radagast hatte ihm aus einem Fellstreifen, den er aus seinem Sack holte, einen weichen Beutel gemacht; deshalb reiste der kleine Vogel nun bequem und sein improvisiertes Nest hing an einem Riemen um Frodos Hals. Der Zauberer gluckste, als er ihn über seinen Kopf streifte. „Armer Esel, wir hängen dir andauernd Dinge um den Hals, nicht? Aber ich hoffe, Cuina wird sich als weit weniger schwierig herausstellen als die letzte Bürde, die du auf diese Weise getragen hast.“

Und Cuina war nicht schwierig, oder doch nicht sehr. Frodo war damit beschäftigt, Mücken und Fliegen zu fangen, um sie zu füttern – Radagast hatte ihm versichert, dass der Vogel ein Weibchen sei, aber woher er das wusste, entzog sich seinem Verständnis – aber die Insekten zu fangen war mehr Spaß als Mühe. Zu dieser Jahreszeit waren jede Menge dieser Kreaturen in der Luft; sie schwirrten um sie herum, während sie ritten und er musste nur auf dem Pony sitzen bleiben, während er sie zwischen den Händen einfing und dann in Cuinas offenen Schnabel fallen ließ.

„Du gibst einen ausgezeichneten Vogelvater ab, Frodo,“ sagte ihm Radagast. „Dieses Küken wird so rundlich wie nur irgend ein Hobbit sein, wenn die Zeit kommt, dass es fliegen lernt.“

„Dann wird sie ein anständiger Auenlandvogel sein,“ gab Frodo zurück. “Das Auenland ist großzügig.”

„Das ist es, und es zieht ein großzügiges Volk heran. Das kann niemand bestreiten, der die Geschichte des Ringes kennt.“ Frodo wurde scharlachrot und verfiel in Schweigen.

Sie hörten Gesang, der den Pfad vor ihnen entlangkam, und sie lenkten ihre Reittiere auf eine Seite, um zu warten. Tom Bombadil kam in Sicht; er tanzte mit langen Schritten und warf die Fersen hoch, seine gelben Stiefel wie Sonnenstrahlen in den Waldschatten.

He nun, kommt nun, Frühling ist zurück nun!
Kommt, dann grüßt den Morgen, fröhlich kommt der Sommer!
Merry dol, derry dol, Goldbeere kommt nun!
Zurück nach Haus vom Besuch dort im strömenden Wasser,
heim zu Tom tanzt sie nun, schöne Tochter des Flusses.

Springt voran, meine fröhlichen Freunde,
denn ihr kommt heim noch vor uns
Im Garten setzt Euch zur Rast, bis wir folgen, Euch zu sehen.
Um den Tisch woll’n wir uns freuen, wenn ihr kommt zum Essen:
Obst und Käse und süßer Honig, weißes Brot und Butter.

Herab kommt meine Herrin schön, hell wie glitzerndes Wasser –
Tom bringt sie mit sich nach Haus, liebliche Tochter des Flusses!

Er lachte und zog vor ihnen den Hut, wo sie standen, aber er hielt nicht an und folgte dem Pfad weiter, bis er außer Sicht war und das Echo seines Liedes zu ihnen zurück kam und sich mit den Stimmen der Vögel hoch in den Bäumen mischte.

„Komm mit, Esel, wir werden auf der Lichtung des Hauses auf sie warten. Tom wird Goldbeere jetzt wieder nach Hause singen, nach ihrem Besuch im Fluss.“

Das Haus war, als sie dort ankamen, größer, als Frodo es in Erinnerung hatte, niedrig und von heimeligem Aussehen, mit einer kleinen Wiese mit Gras und Wildblumen davor und den Höhen, die dahinter aufstiegen. Sie folgten dem Pfad um den hinteren Garten; sie stiegen ab und streckten die Beine, während sie die Gartenwege entlanggingen, während Rauchwolke und Streicher über die Wiese wanderten und am langen Gras zupften.

„Das würde Sam gefallen, “ sagte Frodo, „Es war Herbst, als wir hier waren, und nebenbei hat es geregnet – er hat den Garten nie gesehen.“

„Sam würde es wirklich gefallen, und selbst er würde hier etwas lernen, obwohl er ein feiner Gärtner ist. Ich habe die Hoffnung, dass Goldbeere mir Samen mitgeben kann, um sie nach Mordor mitzunehmen, ein paar Pflanzen, die eine heilende Wirkung haben auf die Erde dort. Wenn überhaupt jemand, dann werden sie und Tom wissen, was man für ein so zerstörtes Land tun kann.“

Frodo erinnerte sich an die Schlackengruben von Mordor und schauderte. „Du hast wirklich vor dorthin zu gehen? Doch noch ein paar Jahre nicht, hast du gesagt.“

"Noch ein paar Jahre nicht, nein. Nicht, bis mein Esel geheilt genug ist, um mich zu verlassen, wenn er nicht mit mir gehen möchte.“

Frodo starrte auf den Garten hinaus, hell im Sonnenschein; Bienen summten rings um die duftenden Kräuterbüschel. Es würde ihm Leid tun, sich von Radagast zu trennen, wenn es soweit war – er konnte sich nicht vorstellen, wie er ohne ihn weitermachen sollte, wenn es dazu kam. Aber noch weniger konnte er sich vorstellen, nach Mordor zurückzukehren.

Trostlosigkeit schlich sich in sein Herz, wie so oft, seit der Ring ins Feuer gegangen war, und er tastete nach Arwens Edelstein an der Kette um seinen Hals. Stattdessen fand seine Hand den kleinen Vogel, fragend und warm an seinen Fingern, auf der Suche nach Futter. Er befreite seinen Geist von den Spinnweben und durchsuchte den Garten nach einem Bissen, den Cuina fressen konnte.

Er war noch immer dabei, sie zu füttern, als Goldbeere um das Haus herumkam, purpurne Wasserlilien in ihr Haar gewunden; sie sang klare, fließende Triller ohne Worte. Sie trug ein langes Gewand von derselben Farbe wie die Blumen, und ihr goldenes Haar strömte ihr in Wellen und kleinen Locken den Rücken hinab. Bombadil hüpfte um sie herum wie ein junger Geißbock und machte schrille, süße Musik mit einer Weidenflöte. Sie hielten beim Musizieren nicht inne, als sie an Frodo und dem Zauberer vorbeikamen, aber Goldbeere lächelte und winkte ihnen zu und Tom wedelte komisch mit den Ellbogen; er wollte ganz klar, dass sie ihm folgten. Radagast lachte und schubste Frodo vor sich her, und seine tiefe Stimmer erklang als Kontrapunkt zu Goldbeeres Trillern. Er sang in einer Sprache, die Frodo nicht kannte.

Frodo hatte sich davor gefürchtet, über die Fahrt reden zu müssen, aber der alte Tom stellte keine Fragen. Er hieß seine Gäste Willkommen, als hätte er sie erwartet, machte die Bekanntschaft des Vogelkindes und ließ es an seinen Fingern knabbern. Er setzte sich mit ihnen nieder, gewaschen und erfrischt, zu einem Mahl aus Erdbeeren, Salat und weißem Käse, Brot, Butter und Honig.

„Es ist lange her, dass du diesen Weg entlang gekommen bist, Radagast Vogelfreund,“ sagte Tom, als sie ihrem Hunger die Spitze genommen hatten. „Ich hatte gedacht, du wärst mit Gandalf über das Meer gegangen.“

„Nein, ich bleibe noch, der Letzte meiner Gemeinschaft im Westen. Das große Werk ist getan und die Arbeiter trennen sich, aber das Aufräumen muss noch erledigt werden. Ich brauche Euer Wissen von Erde und Wasser, Eures und das von Goldbeere.“

Goldbeeres Stimme war wie lispelnde Musik. „Was an Wissen wir haben, wollen wir mit Freuden geben. Aber geht dieser Kleine denn mit dir? Sicher hat er die Aufgabe, die ihm übertragen wurde, doch beendet!“

„Esel geht nur so weit mit mir, wie er es wünscht. Im Augenblick leisten wir einander Gesellschaft.“

„Des Zauberers Esel?“ sagte Tom und grinste. „Das ist ein passender Spitzname. Sorg nur dafür, Freund Zauberer, dass du ihn nicht überlädst.“

„Ich lege ihm keinerlei Last auf,“ sagte Radagast. „Es war seine Einfall, das Küken aufzusammeln.“

Frodo nickte. „Cuina ist keine Bürde.“ Unter Goldbeeres suchendem Blick wurde er rot. “Ich lerne gesund zu werden,” sagte er. “Ich konnte nicht im Auenland bleiben.”

„Tatsächlich, das konntest du nicht,“ sagte sie leise. Dann wandte sich die Unterhaltung Angelegenheiten der Heilung zu, und Frodo lauschte schweigend, während er aß. Als das Abendessen vorüber war, erhob sich Tom und führte sie zu der Schlafkammer, wo die Hobbits zuvor geschlafen hatten.

„Frühe Ruh heute Nacht, für Tom und seine Herrin! Und ihr müsst auch erschöpft sein, von der Reise vieler Tage. Morgen ist es früh genug für lange Gespräche,“ sagte er. Und wahrhaftig wurden Frodo die Augen schwer. Er legte sich hin und versank in Schlaf, als fiele er in ein dunkles Loch.

Cuina weckte ihn früh und schrie schrill nach ihrem Frühstück. Er schlüpfte hinaus und ließ Radagast schnarchend in dem dämmrigen Raum zurück. Nebel hing noch immer in den Vertiefungen, obwohl die Sonne anfing, die Hügel über ihm zu erhellen. Ein Vogelvater zu sein war eine endlose Aufgabe.

Er hatte nicht gut geschlafen, und sein Kopf schmerzte. In all seinen Träumen war es um die Fahrt gegangen, ein hoffnungsloses, stolperndes Gekletter durch die Emyn Muil, mit Sam immer gerade so eben außer Sicht, während er sich beeilte, aufzuholen. Er war nicht in der Stimmung, es für das Frühstück eines Vogels mit der taunassen Wiese aufzunehmen. Aber Cuinas weiter Schnabel klaffte ihm hoffnungsvoll entgegen, und so watete er also in das hohe Gras hinein und teilte die langen Halme, um Insekten zu finden, die von der Nachtkälte noch träge waren. Das Vogelkind schnappte eifrig nach jedem, das er fand und knabberte an seinen Fingern. Binnen kurzem war er nass bis über die Knie und seine Füße waren taub vor Kälte.

Ein trillerndes Lied erhob sich hinter ihm; er drehte sich um und sah Goldbeere, in Sonnenscheingelb gekleidet, das Haar in zwei Flechten über den Schultern. „Frodo, du bist zeitig auf,“ sagte sie. „Ich hatte nicht gedacht, dass das Hobbitvolk so früh aus den Betten kommt.“

Cuina steckte ihren Kopf über den Rand des Fellbeutels und tschiepte, und Goldbeere lachte; sie kam herüber, um den Kopf des Kükens mit einem schlanken Finger zu berühren. Sie trällerte ein Stückchen Vogelgesang und Cuina lauschte, den Kopf schräg gelegt. Als Goldbeere inne hielt, tschiepte der kleine Vogel erneut, dann wiederholte er stockend die Melodie.

Frodo wagte kaum zu atmen; er lauschte staunend, als Goldbeere noch ein Stückchen Musik pfiff und Cuina sie nachahmte. Der Nebel begann aufzureißen und davonzutreiben. Licht flutete durch den Garten und sein Herz hörte auf, wehzutun. Goldbeere bückte sich und richtete sich mit einer kleinen, gelben Spinne in der Hand wieder auf; sie verfütterte sie an das Vogelkind.

„Frodo, dein Herz ist betrübt,“ sagte sie sanft. „Als wir uns das letzte Mal begegnet sind, hattest du Angst, aber jetzt bist du voller Trauer.“

Er nickte, ohne zu antworten. Eine Mücke schwirrte aus dem Gras vor ihm nach oben, und er fing sie und gab sie Cuina.

„Ich habe bei meiner Fahrt versagt, Herrin,“ sagte er endlich.

Sie hob sie Arme und breitete sie weit aus, als wollte sie den gesamten hellen Garten einfangen, so grün und duftend, um ihn in seine Hände zu legen. „Schau, Frodo, heb die Augen auf! Hier ist kein Schatten! Irgendeinen Teil deiner Aufgabe musst du wahrhaftig zu Ende gebracht haben.“

„Ich konnte ihn nicht wegwerfen,“ Seine Stimme war gesenkt vor Scham und er bückte sich wieder, um Fliegen zu fangen, sorgsam bemüht, sie nicht anzusehen. Er hielt einen weiteren Bissen an Cuinas Schnabel, und Goldbeere streckte die Hand aus und hielt sein Handgelenk fest. Er versteifte sich und ertrug ihre Berührung, während sie die vernarbte Hand mit dem fehlenden Finger untersuchte.

„Seht Ihr, Herrin – er wurde mir abgenommen.”

Er wagte einen Blick in ihr Gesicht. Sie begegnete seinen Augen mit einer gespannten Aufmerksamkeit, die ihn beschämte, aber er konnte nicht wegsehen. Und sie gab seine Hand nicht frei; sie hielt ihren Finger an seine Narbe gedrückt, als wollte sie die Heilung geradewegs in sein Fleisch hineintreiben.

„Ringträger wurdest du genannt, und getragen hast du ihn wahrhaftig, bis zu den Schicksalsklüften, beinahe bis in deinen Tod hinein. Ringzerstörer warst du nicht, und niemand hat dich je so geheißen! Der folgte dir auf den Fersen und in sein eigenes Verderben.“

Er schüttelte den Kopf. Ring-Träger, Ring-Zerstörer. Natürlich hatte er vorgehabt, den Ring zu zerstören; deshalb war er ausgesendet worden. Sie wollte ihn trösten, aber diese fadenscheinige Behauptung brachte ihm keinen Trost.

„Nein, Frodo, denk niemals, dass Goldbeere müßig spricht! Erinnerst du dich, Gandalf sah – bevor du überhaupt aufgebrochen bist – dass du den Ring nicht in deinen eigenen Kamin werfen konntest! Glaubst du nicht, dass ihm klar war, dass du ihn nicht zerstören kannst? Und doch warst du getreu – du hast ihn zum Berg gebracht. Ein anderer wurde geschickt, um es zu beenden, als du geschwankt hast.“

„Smeagol hat mit mir darum gekämpft und das Gleichgewicht verloren – er hatte nicht die Absicht, ihn zu zerstören!“

Sie lächelte traurig. „Nein, die Absicht hatte er nicht, aber beabsichtigt war es. Tatsächlich wurde Smeagol gefangen – selbst wenn du ihn tief in das Herz des Feuers geworfen hättest, Smeagol wäre ihm gefolgt. Tatsächlich war er an ihn versklavt, aber du befreist dich davon.“

Es war, als risse eine der Ketten um sein Herz und fiele von ihm ab, und er nahm einen tiefen, erleichterten Atemzug. Smeagols feuriges Ende hatte ihn verfolgt – hätte er nicht gezögert, hätte er den Ring sofort ins Feuer geworfen, das Geschöpf hätte nicht auf diese Weise ums Leben kommen müssen. Aber nein ---

„Das hätte er wohl, oder? Er hätte sich selbst hinterher geworfen.“ Er brauchte ihr ruhiges „Ja.“ nicht mehr. Er wusste es bis in die Knochen – ein paar Jahre länger im Besitz des Rings, und er hätte dasselbe getan. Aber jetzt befreite er sich davon.

Plötzlich hatte er das Gefühl zu verhungern. „Ich glaube, Cuina hat erst einmal genug. Gibt es drinnen Frühstück für einen hungrigen Hobbit?“ Goldbeere lachte fröhlich, nahm wieder seine Hand und führte ihn ins Haus.

Sie blieben viele Tage bei Bombadil, und Radagast besprach sich lange mit Tom und Goldbeere, während Frodo die Umgebung durchwanderte und Futter für seinen Nestling fand. Inzwischen empfand er einen herzhaften Respekt für Vogeleltern; er sah ihnen zu, wie sie von ihren Nestern fort und wieder zurück flogen und ihre Brut fütterten, während er daran arbeitete, seine kleine Waise zu nähren.

„Es ist eine gute Sache, dass ich bloß die eine habe,“ sagte er kläglich zu Bombadil. „Ich wüsste nicht, wie ich es hinbekäme, wenn es drei oder vier wären!“

„Dann würdest du dir eine Gefährtin suchen müssen, um dir bei der Plackerei zu helfen!“ Tom lachte. „Dein kleiner Vogel hat Glück mit seinem Ziehvater.“

Eines Tages kam er zu einem Wäldchen aus Bäumen, die allesamt blühten. Sie summten vor Bienen, die sich in die Blüten hinein und wieder hinausdrängten, und während er zuschaute, kam eine der Bienen allzu schnell heraus und fiel Hals über Kopf zu Boden. Plötzlich streckte sich eine braune Hand aus und hielt ihren Fall auf, und ihm wurde klar, dass Tom dort im hohen Gras des Obstgartens saß. Die Biene richtete sich auf und wanderte bedachtsam Toms Finger hinauf, bevor sie davonflog.

„Ich hätte gedacht, dass sie Euch stechen würde,“ sagte Frodo.

„Du dachtest, sie würde Bombadil stechen? Nicht diese kleine Dame! Schau mal her, Freund Frodo.“ Er erhob sich vom Boden, ging zum Baum hinüber und hielt seine Hand an eine Blütentraube. Erst verließen eine Biene, dann drei oder vier weitere die Blüten und landeten auf seiner bloßen Haut, und er neigte sein Gesicht über sie und flüsterte ihnen etwas zu. Endlich streckte er den Arm aus und sie flogen weg. Aber die letzte, die seine Hand verließ, drehte ab und summte an seinem Gesicht vorbei; nur für einen Augenblick setzte sie sich auf seine Nase, bevor sie sich zu ihren Schwestern zwischen den Blüten gesellte.

“Was habt Ihr zu ihnen gesagt?“

„Ich habe ihnen erzählt, wer du bist und wie du deinen Nestling fütterst. Jetzt bist du für sie ein Vogel, der im hohen Gras raschelt.“

Frodo zog ein Gesicht. „Erst ein Esel, dann ein Vogel! Über kurz oder lang werde ich vergessen, dass ich als Hobbit angefangen habe!“

„Sei sicher, dass du dich daran erinnerst, bis du es begreifst!“ Bombadil sprach in leichtem Ton, aber er ließ seine Hand auf Frodos Kopf ruhen, während er redete, und Frodo wurde still und hörte zu. „Ein Hobbit ist alles, was du jemals warst, nicht irgendein Held aus den Legenden.“ Dann lachte er und sprang zurück. „Du magst noch viele Dinge sein, bevor du das Ende erreichst. Aber noch immer Hobbit, unter allem anderen – vergiss das nicht, Frodo!“

Es war wenig genug, und doch erleichterte es ihm den Geist. Er war bloß ein Hobbit, wenn alles gesagt und getan war, und er hatte sein Bestes getan. Der tiefe Frieden von Bombadils Haus fing an, auf ihn zu wirken, und er schlief traumlos Nacht für Nacht und erwachte in der Morgendämmerung zu seinen Pflichten als Vogelvater.

Cuina verlor ihren weichen Flaum und ihr wuchsen Federn. Eines Morgens erschreckte sie Frodo; als er sich niederbeugte, um eine Spinne für sie zu fangen, hüpfte sie aus dem Beutel und versteckte sich in einem Grasbüschel.

„He! Cuina, komm zurück!” Er hielt ihr die Spinne hin, und sie schlich sich vorwärts und schnappte sie ihm aus den Fingern, ehe sie sich wieder in das Gras wegduckte. Sie zu füttern wurde zu einem Versteckspiel, weil er erst ein Insekt für sie und dann sie selbst finden musste, um es ihr in den Schnabel zu stecken. Wenn sie endlich zufrieden war, verweigerte sie den Beutel, ritt oben auf seinem Kopf zum Haus zurück und zog ihn an den Haaren.

Über mehrere Tage hinweg führte sie ihn auf eine fröhliche Jagd; sie versteckte sich hinter Körben und drinnen hinter Möbelstücken, oder in Grasbüscheln und unter den Gartenpflanzen im Freien. Wenn sie hungrig war, pflegte sie zu seinen Füßen zu hüpfen mitleiderregend zu tschiepen und ihm zu folgen, wenn er für sie Käfer jagte. Es war eine Erleichterung, als sie ihre erste Raupe fing, und binnen eines Tages oder zwei konnte sie selbst für sich sorgen und fing an, vom Boden aus auf seine Schulter zu flattern, wenn sie Gesellschaft wollte.

Eine Woche später flog sie tatsächlich; sie erhob sich hoch über die Bäume und brach in Gesang aus, während sie aufstieg. Er folgte ihr mit den Augen, hin und hergerissen zwischen dem Bedauern, sie zu verlieren und einer jubelnden Freude, sie so frei zu sehen, hingegeben an ihre Melodie. „Eine Feldlerche!“ flüsterte er. „Nun weiß ich, von welcher Art du bist!“ Sie schwebte am Himmel und ihr Lied strömte zu ihm hinunter, und dann plötzlich ließ sie sich fallen… und das Nächste, was er wusste, war, dass sie wieder auf seinem Kopf saß und ihn ins Ohr zwickte.

Radagast gluckste neben ihn in sich hinein. “Es wird ihr schwer fallen, dich fortgehen zu sehen, Esel. Du hast zu gut für sie gesorgt.”

Frodo versuchte gerade, den Vogel von seinem Kopf herunter und auf seinen Finger zu locken. Er hielt inne, die Hand noch immer erhoben. „Dann gehen wir also fort?“

„Ja, es ist an der Zeit. Ich habe von Tom und Goldbeere gelernt, was ich kann, und Goldbeere hat mir Samen gegeben. Der Sommer ist über uns, und es gibt Dinge, die ich in den Nordländern zuwege bringen muss, bevor die Kälte wiederkommt.“ sagte der Zauberer.

„Und Cuina wird hierbleiben.” Es würde schmerzhaft sein, sich von ihr zu trennen, und ihm zog sich das Herz zusammen.

„Das würde ich annehmen, Esel. Wenn ich ein Vogel wäre, würde ich Goldbeeres Garten nicht verlassen.“ Radagast lachte und legte Frodo einen Arm um die Schultern. „Würdest du es tun?“


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