Weise, furchtlos und schön (Wise, fearless and fair)

von Philosopher at Large, übersetzt von Cúthalion


'Und nun kommt es zu guter Letzt – alles, was ich begehrt, wonach ich mich gesehnt, wonach ich gesucht und wofür ich gekämpft habe, all die Träume voller Jugend, so ungeformt und doch so hell, umso heller noch ihrer vagen Launenhaftigkeit wegen. Dann all ihre besonneneren Nachkömmlinge, geformt von den Erfahrungen und den Zeugnissen der Zeit, solide und elegante Träume, hätte ich nur die Hoheit über die Erde, meinem Willen gleich – und nun fällt sie mir in die Hand, nach all diesen langen Zeitaltern... die Macht, alle Dinge so zu gestalten, wie sie sein sollten---

Soll ich feige zurückschrecken vor meiner Vision, nun, da nach so vielen Jahreszeiten müßiger Vermutungen der Traum sich als Wahrheit herausstellt... wäre nur mein Mut meinem langen Begehren ebenbürtig? Denn ich könnte herrschen als jemand, der mächtiger wäre als mein Lehrer – aber sollte ich, anstatt eine Mauer gegen die Welt zu errichten, mein Reich über die ganze Erde ausdehnen und alle Völker auf einen Weg des Friedens und der Schönheit ziehen, auf dass kein Fehl, kein Übel, keine Schöpfung oder Vernichtung es beschmutzen möge, sondern dass alle die Freude kennen, die ich einst kannte, die zeitlose Zeit, die ich – und mit mir wenige, die jetzt noch leben - mir ins Gedächtnis rufen kann?

Soll denn die Welt nicht zurecht gebracht werden? Und Licht, strahlender als der Schnee des Oiolossë will ich mit meiner Hand allen geben, so dass all die Kinder des Einen, jung und alt, die der Sterne, der Steine und der Sonne, beieinander leben sollen ohne Furcht und Trennung, und die einen sollen von den anderen lernen und Freude schöpfen aus dem Werk anderer Hände. – Und wir werden das Elend heilen, das angerichtet wurde, und wir werden das zerrissene Land einen, und das verbrannte Land süß machen, und jedes wachsende Ding das lebt, soll prachtvoll blühen und gedeihen unter dem unbefleckten Himmel. Und Städte sollen wir bauen, schöner noch als das vieltürmige Tirion, erfüllt von süßerer Musik als die hallenden Straßen von Valimar, und alle Künste sollen dort ausgeübt werden, jedes Handwerk und jede Gabe , und neue auch, nie erdacht oder erträumt, alle – außer den Künsten des Krieges. Denn diese soll ich allein kennen, und niemand anderes soll sie jemals benötigen, wenn ich die Welt zurecht gebracht habe.

Und wenn jemand sich erhebt – was sicherlich einer tun wird – um wider mich aufzustehen, um meine Geschenke zurückzuweisen und mich für meine Taten zu verspotten, mich Lügner zu nennen, Heuchler und Tyrann – was dann? Soll ich zuschlagen und diesen undankbaren, verstockten Emporkömmling ausmerzen... denn keine Steinigung bringt so etwas zum Schweigen – oder soll ich ihn beugen, anstatt ihn zu beschneiden, so, wie man einen schlecht wachsenden Schössling beugt, bevor er zu hart wird, und ihn zwischen seine Kameraden zurücksetzt, damit er nicht schief wächst... ein Zweig, der splittert unter seinem eigenen Gewicht und den Baum tötet, aus dem er sprießt?

Soll ich die Erzählung neu anfangen, die Spur zum Beginn zurückverfolgen und das grauenvolle Spiel noch einmal spielen... wunderbar Gutes tun und schrecklich Böses, im Namen des Besseren? Soll ich Falsches tun und für mich beanspruchen, dass ich allen diene, wo ich in Wahrheit nur einem diene – meinem eigenen Willen?

Soll ich alles wegwerfen in meiner Gier, soll ich mich noch wahnwitziger erheben als Fëanor und die Welt in eine noch dunklere Nacht führen als es selbst die sonnenlosen Zeiten waren, bevor der Mond aufging? Soll ich mich selbst Macht nennen und Sklave sein, bis ich am Ende in grauenvoller Einsamkeit sitze und alle fürchte, weil alle mich fürchten, in Erwartung eines Rivalen, der mich stürzt oder beraubt, umgeben von Lampen, aus Furcht, dass sich mein Schicksal in den Schatten verbirgt?

Denn wirklich, so würde es kommen – ich sehe es deutlich, sehe mich selbst deutlich, mein eigenes Bild in dem stillen Spiegel, als wäre das Wasser ein Becken voll vergossener Tränen anstelle des Schattens vom See der Träumer... ausgegossenes Silber, das die Spuren der Macht des Silbernen Baumes bewahrt, wie Tau gefallen von den weit entfernten Sternen.

Was soll ich tun mit denen, die sich meinen Befehlen verweigern – sei es, um mir zu trotzen oder weil sie ihren eigenen Willen vorziehen, wenn es nicht der meine ist? Sei es das rasch zerschmetternde Urteil oder ein raffinierter Raub des Verstandes mit sanfter Gewalt; beides wäre Grausamkeit, ob mit Freude angewandt oder unter Tränen. Beides wären unbarmherzige Missetaten an denen, die sich mir entgegenstellen – selbst wenn das, was sie täten, falsch wäre, oder noch weniger... selbst, wenn ich es täte, um sie zu bessern. Ebenso hat er zuerst argumentiert – jenes blinde Auge, das nichts wahrnimmt als seine eigene Berechnung, ebenso hat er uns durch unsere Eitelkeit und unseren Eigenwillen in die Sklaverei geführt, als ich nicht die Macht hatte, ihm zu widerstehen – und meine elbischen Gefährten gegen ihren Willen zu bemeistern.

Ich will mich nicht selbst betrügen – es wäre eine Wohltat für meine Seele, Rache an ihm zu nehmen, und durch ihn an seinem Meister, der weit außerhalb meiner Reichweite ist. Täglich Rache zu üben für Großväter, Brüder, Vettern, Onkel, Nichte – Tochter – für alle, die unter der Peitsche versklavt wurden oder in Blut und Feuer fielen, ihre Namen vergessen in diesen sterblichen Tagen -

Es ist die alte Lüge, nicht wahr, beinahe die älteste von allen, das Flüstern, dass diese Lande die unseren sind, für immer, als hätten wir sie gemacht, ehe die Sterne aufgingen... als ob alles unverändert bliebe, als ob ungetan sei, was geschehen ist und zunichte gemacht; und wir, die wir unseres Geburtsrechtes beraubt wurden, so dass ein milderes Geschlecht und ein schlichteres (und umso leichter zu leiten, wie einst einer sprach, der noch nie einem Sterblichen begegnet war!) an unsere Stelle gesetzt wurde... wir sollten erneut beanspruchen, erneut erobern und unsere Nachfolger ersetzen, noch bevor sie geboren würden. Und in diesem Glauben folgte meine Sippe einem falschen Versprechen in den Tod, in Sklaverei und Leid, und so wurde die Lüge zu halber Wahrheit – dass die zerbrochenen Lande denen überlassen wurden, die nach uns kamen, und dass die Herrschaft auf sie überging von dem armseligen Rest der Erstgeborenen, die noch übrig sind.

Und ich könnte all dies ändern, würde ich nur dieses Geschenk annehmen...

Soll ich mich selbst verändern um meines Verlangens willen, soll ich alles, was ich bin und jemals war, vergehen lassen wie Tau im Feuer? Soll ich alles vergessen, was ich selbst gelehrt habe, und an das ich allein mich erinnere? Soll ich, die ich Narrheit gesehen und sie furchtlos beim Namen genannt habe, ebenso wie das Böse... soll ich denn fürchten, vergessen zu werden, als hätte die Tat keinen Wert, die rettende Hand keine Kraft, es sei denn, der Geber bleibt im Gedächtnis, die Tat wird gepriesen und der Gerettete findet Worte des Dankes, größer als das ihm geschenkte Leben?

Soll ich mich an diesen Ort klammern, weit entfernt von dem Land meiner Geburt, an der Macht festhalten, an den Dingen dieser Erde, den Schätzen der Vergangenheit... soll ich nichts gewinnen und mich weigern, den Weg freizugeben, selbst für meine Nachkommen... unsere Kinder, ungeboren, die vielleicht noch sein werden? Soll ich die Liebe vergessen und mich weigern, die Botschaft der Hoffnung zu beachten, die über das Meer kommt und von jenseits der Tage?

Soll ich nicht gestatten, dass ein anderes Lied gesungen wird außer meinem eigenen, soll ich danach trachten, jeden anderen Wohlklang zum Schweigen zu bringen, und mir selbst die alleinige Hoheit über dieses Land zuschreiben?

Welche andere Krone brauche ich außer meiner eigenen?

Oder soll ich denn aufgeben zu sein, was ich bin – Galadriel?


ENDE


Top          Stories ab 18          Stories bis 18          Home