Vier Morgen im Winter
von Cúthalion

Für Ariel, zum Geburtstag

Dezember 1416

Lily öffnete die Augen. Am Abend zuvor war sie begleitet von flüchtigen Geräusch von Regentropfen an der Fensterscheibe eingeschlafen. Nun war es völlig still. Sie stand auf, zog die Vorhänge vom Fenster zurück – und schnappte entzückt nach Luft.

Das Glas war mit zarten Blüten bedeckt, und die aufgehende Sonne ließ sie in Farbtönen von strahlendem Rosa und blassem Gold schimmern und glitzern. Sie erinnerten Lily an die Blumen, die sie auf den grünen Samt der neuen Weste gestickt hatte, die sie ihm heute schenken würde, und eine heimliche Freude fing an, in ihrem Herzen Blüten zu treiben.


*****


Dezember 1417

Als sie die grüne Tür erreichte, waren ihre Zehen und Finger steif und taub. Bevor sie klopfen konnte, öffnete sich die Tür, und Wärme und Licht strömten ins Freie wie eine unerwartete Umarmung.

„Um Himmels Willen, meine Kastanie, du bist ja halb erfroren!“

Er zog sie hinein und hielt sie fest, seine Lippen zärtlich und willkommenheißend auf ihrem Mund. Er trug das neue Hemd (wie sie es gehofft hatte), und die oberen Knöpfe waren offen. Er nahm ihre Hände, drückte sie unter dem Stoff auf seine Haut und lächelte über ihren zufriedenen Seufzer, als sie spürte, wie seine Wärme sie erfüllte und in ihrem Blut kreiste.


*****


Dezember 1420

Der Smial war zu still.

Sie ging in den leeren Raum, wo Fredegar seine Tage verbracht hatte, eine tapfere Seele, die ihr Elend Tag für Tag ertrug und niemals aufgab… bis seine Stärke zuletzt nachließ und der Morgen kam, an dem sie ihn hier fand, wo er seinen letzten Schlaf schlief.

Ich liebe dich Kind. Ich wünschte, ich wäre ein besserer Vater gewesen.

Du bist der beste Vater gewesen, den sich eine Tochter nur wünschen konnte. Ich vermisse dich so sehr, Papa.

Sie stand da, starrte auf das sauber gemachte Bett hinunter und spürte, wie der endlose Winter ihr Herz gefrieren ließ.


*****


Dezember 1421

Rosie schenkte ihr die pelzgefütterte Decke am Julabend, und sie wiederholte noch einmal ihre Einladung.

„Komm mit mir, Lily“, sagte sie, „Es macht mich traurig zu denken, dass du diesen Abend allein verbringen solltest.“

Aber Lily lehnte lächelnd ab, und als die Dunkelheit herabsank, saß sie am Schlafzimmerfenster, die Decke um ihre Schultern gelegt; der warme, weiche Pelz kitzelte sanft ihr Kinn. Mitternacht rückte näher, und sie hörte die Stimmen der Kinder, ihre Gesichter gerötet und mit strahlenden Augen im Licht der Fackeln. Ihre hohen, klaren Stimmen waren Boten des neuen Tages… sie besänftigten die Furcht, die in ihrem Herzen fortdauerte.

Er ist in Sicherheit, flüsterte sie bei sich. Frodo wird gesund werden. Ich habe das Richtige getan. Er wird gesund werden.

Sie saß da, die Augen geschlossen und beide Hände in einer Geste ausgestreckt, als wollte sie eine flackernde Flamme der Hoffnung behüten.

Ich weiß, er wird gesund.


ENDE


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