Szenen aus Mittelerde
von Saphira


Eins
Das Leben geht immer weiter (Frodo)

Ich wusste von Anfang an, dass dieser Tag nicht gut enden konnte. Ich wusste nicht genau, was passieren würde, aber es war wie eine dunkle Vorahnung, ein Vorbote der Angst, eine unbestimmte Beklemmung tief in meinem Innern. Dabei war es ein wunderschöner Tag, die Sonne schein und der Himmel war strahlend blau, die Vögel zwitscherten.

„Mama, darf ich draußen spielen?“ fragte ich eifrig und unterbrach dabei die Arbeit meiner Mutter, die gerade dabei war, einen Korb mit Essen zu füllen.

„Natürlich, Frodo, warum nicht. Frag doch Berilac und Ilberic, ob sie nicht mitgehen wollen. Dein Vater und ich werden den Tag auf dem Fluss verbringen. Mach du dir nur eine schöne Zeit mit deinen Freunden. Ich mache dir auch etwas zu essen, das du dann mitnehmen kannst, ja?“

Überschwänglich und fröhlich hüpfte ich nach draußen in die Sonne. Ilberic und Berilac waren schnell damit einverstanden, mich zu begleiten.

Ich versuchte, das Gefühl der Beklemmung und der Angst zur Seite zu schieben, aber völlig gelang es mir nicht. Ich hätte nicht gehen dürfen. Aber hätte ich es verhindern können? Als wir später am Fluss entlang nach Hause gingen, bemerkten wir zuerst die große Traube von Leuten, die dort am Ufer standen.

Das Gefühl der Furcht und das, etwas falsch gemacht zu haben, verstärkte sich. Irgendetwas lief ganz fürchterlich schief.

Ich wusste nicht warum, aber ich rannte. Ich rannte den Leuten entgegen, die dort standen. Und mit einem Mal öffneten sich ihre Reihen für eine einzige Person, die mir entgegengestürmt kam. Noch bevor sie mich erreichte, sah ich etwas, dass mich stolpernd zum Halt kommen ließ. Da lag ein Boot, mit dem Kiel nach oben und daneben…

Ich wollte zu ihnen rennen, ihnen aufhelfen, sie…

Doch da hatte mich mein Onkel erreicht und hielt mich fest, bevor ich noch einen weiteren Schritt machen konnte.

„Saradoc, bring ihn hier weg. Er muss das nicht sehen,“ sagte eine Stimme wie aus weiter Ferne und mein Onkel hob mich auf und wollte mich davontragen. Ich schlug um mich und wehrte mich mit all meinen Mitteln, doch er hielt mich einfach nur fest.

„Schsch, Frodo. Es ist alles in Ordnung, du musst nicht…“

„ Nein! Nein! Mama! Mama!“

Ich wollte mich nicht beruhigen. Ich wollte zu ihr.

„Frodo, du kannst ihnen nicht helfen. Sie sind…“

Er beschleunigte seine Schritte. Ich konnte nicht mehr kämpfen. Jetzt wusste ich, ich wusste es instinktiv, was mich heute Morgen so nervös gemacht hatte.

Ich schluchzte leise und wollte mich nicht beruhigen.

Den ganzen Abend wartete ich darauf, dass sich alles nur als Scherz herausstellte, das meine Eltern wieder im Türrahmen auftauchten und mich in die Arme schließen würden. Aber nichts von alldem geschah. Ich verließ mein Zimmer immer seltener, sprach mit niemandem. Ich wollte nur in Ruhe gelassen werden.

Und eines Nachts fasste ich einen Entschluss. Ich wollte fort gehen. Für immer.

Ich packte meine Sachen und machte mich heimlich davon. Wohin sollte ich gehen? Das wusste ich selbst nicht. Aber wie magnetisch zog der Alte Wald meine Aufmerksamkeit auf sich und ich lenkte meine Schritte unter diese uralten Bäume, um wenigstens hier ein bisschen Trost zu finden.

Es dauerte Tage, bis man mich endlich fand. Ich wollte nicht zurück, aber ich musste. Niemand war ernstlich böse über mein Verhalten. Sie verstanden, warum ich so hatte handeln müssen. Und auch ich war endlich zu dem Schluss gekommen, dass alle Gegenwehr vergeblich wäre. Sie wollten mir nur helfen, die ganze Zeit über. Und ich ließ sie nicht.

„Frodo,“ sagte mein Onkel eines Tages zu mir. „Wir alle verstehen, was in dir vorgeht. Uns anderen geht es ebenso. Das ist für alle schwer, den Tod von jemandem, den man liebt, zu verkraften. Aber deswegen darfst du nicht aufgeben! Sei stark! Das Leben geht weiter.“

Er hatte Recht, aber das verstand ich da noch nicht. Das Leben geht weiter.


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