Der Sprung (The Leap)

von Lindelea, übersetzt von Cúthalion

„In den Wänden und auf dem Boden klafften Risse und Spalten, und dann und wann tat sich
plötzlich ein Abgrund vor ihren Füßen auf. Der größte war gut drei Meter breit, und es dauerte eine
Weile, bis Pippin den Mut beisammen hatte, die fürchterliche Kluft zu überspringen. Von tief unten
drang ein Geräusch von brodelndem Wasser herauf, als ob dort ein großes Mühlrad sich drehte.”

(J.R.R. Tolkien, „Der Herr der Ringe” Bd. 1 / „Auf dunklen Straßen”)

„Der geht daneben!” zischte Fredegar Bolger, als Merry seinen Schläger noch fester packte. „Du wirst ihn verfehlen! Der geht daneben!”

„Wenn er ihn verfehlt, dann war das das letzte „Aus“! Dann sind wir dran!“ gluckste ein anderer Bolger-Vetter.

„Er haut daneben!“ krähte Dick Bolger. „Den trifft er nie!“

Gerade als der Ball auf ihn zurollte, zerrte eine Hand an seinem Ärmel und eine kleine Stimme brach seine Konzentration. „Merry!“

Merry schwang den Schläger nur einen Hauch zu spät und verfehlte den Ball; er rollte an ihm vorbei und schlug gegen den Baum, der hinter ihm stand.

„Aus!“ schrie Dick triumphierend.

Merry legte den Schläger hin und sagte (mit weniger Geduld als sonst): „Was ist los, Pippin?“

Jung-Peregrin Tuk, der gemeinsam mit anderen Tuks und Brandybocks in Haus Balgfurt in Brückenfelde zu Besuch war (zu allerhand Festlichkeiten, die in einer Bolger-Hochzeit gipfeln sollten), ließ Merrys Ärmel los. „Bist du denn noch nicht fertig?“ fragte er. „Du hast gesagt, du nimmst mich auf ein Abenteuer mit!“

„Nein, Pippin, wir sind noch nicht ganz fertig.“ sagte Merry, trat nach dem Schläger und und ging vom Spielfeld, während die Bolgers und Tuks herankamen, um ihre Schläge zu machen.

„Zu schade, Merry.“ sagte Berilac. „Ich weiß, du hättest ihn treffen können, wenn Pippin deinen Arm nicht abgelenkt hätte.“

„Ich hab deinen Arm abgelenkt?“ fragte Pippin ernüchtert.

Merry lächelte und zerzauste ihm den lockigen Haarschopf. „Ich fürchte, das hast du, aber es macht nichts. Dieser Gundabar Bolger wirft einen tückischen Ball, und es wäre in jedem Fall schwierig gewesen, ihn zu erwischen.“

„Tut mir leid, Merry.“ sagte Pippin traurig.

„Mach dir nichts draus, Pip.“ antwortete Merry leichthin. „Warum gehst du nicht, setzt dich da drüben hin und schaust zu, bis das Spiel vorbei ist? Danach suchen wir uns unser Abenteuer.“
„Das werde ich.“ versprach Pippin. Merry sah, wie er zu dem Baum hinüberging, wo schon ein paar andere kleine Vettern saßen, dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder dem Spiel zu. Die Brandybocks lagen mehrere Runden zurück und konnten es sich nicht leisten, dass die Bolgers und Tuks noch mehr Druck machten.

Nach dem er eine Weile gesessen und dem Spiel zugesehen (und ein bisschen mit Doderic und Ilberic herumgebalgt hatte), wurde Pippin wieder unruhig. Es sah so aus, als würde das Spiel ewig dauern.

Doderic hatte den selben Gedanken. „Lass uns unser eigenes Abenteuer suchen.“ sagte er. „Merry kommt da niemals weg, und es ist schon beinahe Teezeit!“ Er stieg von Ilberic herunter, dessen Kopf er in den Dreck gerieben hatte, und sagte: „Wer kommt mit mir?“

„Ich mach’s!“ sagte Pippin und sprang auf die Füße. „Wo gehen wir hin?“

Ilberic kämmte sich den Schmutz mit den Fingern aus den Haaren und sagte: „Immer der Nase nach.“

Pippin beäugte ihn kritisch. „Deine sieht gerade ziemlich platt aus.“

„Das ist Doderics Schuld.“ sagte Ilberic und langte wieder nach seinem Bruder, aber Pippin ging dazwischen und schubste sie auseinander.

„Fangt nicht wieder damit an, oder wir kommen niemals irgendwohin.“

„Du hast recht.“ sagte Doderic. „Geh du voraus, Jungchen, Immerhin hast du von uns allen die längste Nase.“

Pippin entschied, diese Bemerkung im Interesse des Abenteuers zu übergehen, aber er war sicher, dass er einen Weg finden würde, sie Doderic später heimzuzahlen. Im Moment gab es reichlich Frösche, weil die Teiche und Straßengräben nach den schweren Regenfällen des letzten Monats überliefen... sogar nach dem klaren Wetter, das sie diese Woche gehabt hatten.

Sie wanderten von der Wiese herunter auf Weißfurchen zu und warfen Steine in den Straßengraben auf der einen Seite, nur um zu sehen, wer den größten Platscher zustandebrachte; sie erzählten sich gräuliche Geschichten und suchten vergebens nach ihrem Abenteuer. Pippins Magen knurrte plötzlich, und Ilberic jammerte: „Ich hab Hunger. Sollten wir nicht zurückgehen? Ich will den Tee nicht verpassen!“

„Den verpassen wir schon nicht.“ sagte Pippin fröhlich. „Merry und Merry kriegen große Schwierigkeiten, wenn wir zur Teezeit nicht da sind.“ Natürlich sprach er von Meriadoc und seinem anderen Brandybock-Vetter Merimas.

„Geschieht ihnen recht.“ grummelte Doderic. „Und Berilac auch.“ Plötzlich erhellte sich seine Miene. „Kuckt mal!“ sagte er. „Sind ist das nicht eine Gruppe von Jungs aus der Stadt, da vorne?“

Pippin grinste. „Ganz sicher! Und was machen die da?“

„Was Interessanteres als wir, das ist mal sicher.“ sagte Ilberic. Genau in diesem Moment sprang einer der Jungen über den randvollen Straßengraben und der junge Brandybock schnappte nach Luft. „Hast du das gesehen?“ sagte er bewundernd. „Wie hat er das hingekriegt?“

„Er hat eine lange Stange.“ sagte Pippin, „Die hilft ihm, hinüber zu kommen.“

„Das sieht nach Spaß aus!“ sagte Doderic. „Ich frage mich, ob sie uns wohl mitmachen lassen?“

„Kommt schon!“ sagte Pippin, und die drei fingen an zu rennen.

*****

Das Spiel war vorüber, und die Tuks und Bolgers hatten die Brandybocks gründlich geschlagen. „Ihr habt bloß gewonnen, weil ihr mehr Leute in eurer Mannschaft hattet als wir!“ schrie Merimas Brandybock aufsässig.

Gundy Bolger packte ihn am Kragen, um seinem Kopf eine Abreibung mit den Knöcheln zu verpassen. „Qualität setzt sich immer durch.“ sagte er selbstzufrieden. „Ihr konntet nicht gewinnen, und wenn ihr doppelt so viel gewesen wärt wie wir.“

Während Merimas sich unter seinem Griff wand und gleichzeitig versuchte, ihn zu packen und auf den Boden zu werfen, unterbrach eine erwachsene Stimme den sich anbahnenden Ringkampf. „Teezeit!“ trällerte Rosamunda Bolger. „Teezeit – schon nach vier! Wer Kuchen will, der kommt mit mir!“

Dick legte auf der Stelle seinen Schläger hin und trottete zu seiner Mutter hinüber. „Da bin ich, Mama!“ sagte er. „Was gibt’s zum Tee?“

„Sechs Sorten Kuchen und zehn Sorten belegte Brote.“ lächelte sie, und es erhob sich ein allgemeiner Jubel. Sie betrachtete die Jungen genauer und runzelte die Stirn. „Aber ihr habt eine ordentlich Reinigung nötig, bevor man euch vorzeigen kann.“ schimpfte sie. „Was habt ihr gemacht – euch im Schlamm gewälzt?“

„Wir haben bloß gespielt, Tantchen!“ protestierte Gundy Bolger.

„Gut, dann wascht euch und eure jüngeren Vettern schnell, oder wir lassen keinen Kuchen für euch übrig!“ drohte Rosamunda und gab ihrem Sohn einen Nasenstüber, bevor sie sich wieder in Richtung Balgfurtheim wandte.

„Jawoll!“ sagte Dick möglichst zackig zu ihrem sich entfernenden Rücken, dann aber wandte er sich mit einem Zwinkern wieder den anderen zu. Er wusste, dass seine Mutter stets genug Teeleckereien produzierte, um das halbe Auenland einzuladen. Aber er war immer noch hungrig und Eile schien ihm das Gebot der Stunde zu sein.

„Kommt schon, lasst uns diese kleinen Vettern holen... wo sind denn die kleinen Vettern?“ sagte er und schaute zu dem Baum hinüber, wo sich vorhin noch zwei kleine Brandybocks und ein kleiner Tuk befunden hatten.

„Genau da waren sie!“ sagte Merry.

Merimas erwiderte seinen Blick mit der gleichen Bestürzung. „Vielleicht sind sie nach Haus Balgfurt zurückgegangen.“

„Wenn wir dort ohne sie auftauchen...“ sagte Berilac.

Merimas traf eine schnelle Entscheidung. „Ich renne hin“ sagte er, „und schaue, ob sie da sind. Andererseits... Dick, wo würden sie wohl hingehen? Wo gehen die jungen Bolgers hin, wenn sie sich langweilen?“

„Die Straße runter.“ sagte Dick prompt. „Die Gräben laufen gerade über... macht einen Riesenspaß, Stöcke hineinzuschmeißen und sie wegschwimmen zu sehen.“

„Stockrennen.“ sagte Merry. Er nahm an, dass es aufregend sein konnte, wenn man den Brandyweinfluss nicht direkt vor der Tür hatte, so wie er. „Also gut, Merry.“ sagte er zu Merimas, „du gehst nach Haus Balgfurt zurück, aber lass die Großen nicht mitkriegen, dass uns die kleinen Jungs verloren gegangen sind. Ich bin sicher, wir finden sie bald.“

„In Ordnung!“ sagte Merimas und rannte davon.

„Wenn keiner von uns zum Tee aufkreuzt, werden sie Verdacht schöpfen.“ sagte Berilac.

„Du hast recht.“ sagte Merry. „Gundy, du und Dick, ihr kommt mit Berilac und mir. Der Rest von euch geht zurück und wäscht sich. Macht eine Menge Krach und Geplätscher, lasst es so aussehen, als ob wir alle da wären, aber macht so langsam ihr könnt, und wir schmuggeln uns so bald wie möglich dazwischen.“

„Die Mädels werden Fragen stellen.“ warnte einer von den Bolgern,

„Spritzt sie nass.“ sagte Merry mitleidlos. „Dann sind sie viel zu sehr damit beschäftigt, herumzurennen und zu kreischen, um Köpfe zu zählen. Jetzt zeig mir den Weg, Dick.“ Dick dachte an die Teeköstlichkeiten, die auf ihn warteten, und seufzte. Er setzte sich in Trab; je eher sie die verlorenen Vettern fanden, desto eher kamen sie zu ihrem Tee.

*****

Die drei Ausreißer hatten allesamt die Gelegenheit gehabt, mit der langen Stange über den Graben zu springen, und sie gratulierten den Stadtjungen zu ihrem Einfallsreichtum. Dies war ein Riesenspaß, viel besser, als den Brandybucks dabei zuzusehen, wie sie von den Tuks und Bolgers auseinandergenommen wurden.

Dann dachte sich einer der älteren Stadtjungen – er war schon beinahe in den Zwanzigern – ein neues Spiel aus. „Ich wette, ich schaff’ den Sprung auch ohne die Stange.“ prahlte er.

„Oh Tolly, sei nicht blöd.“ sagte einer der Jüngeren. „Was, wenn du reinfällst?“

„Ich werde nicht reinfallen.“ sagte Tolly. „Kuck mir zu!“ Er stand an der Grabenkante; er studierte den gegenüber liegenden Rand, steckte seine Zehen in das schnell dahinströmende Wasser und schauderte. „Da würde ich auch nicht reinfallen wollen – also hüpf ich wohl besser drüber!“ Er trat ein paar Schritte zurück, und mit einem schnellen Anlauf war er über dem Straßengraben und auf der anderen Seite. Alle anderen Hobbits jubelten.

„Das kann ich auch.“ sagte Doderic und maß die Grabenbreite mit den Augen. „Ganz leicht!“

„Nein, Vetter, nicht!“ sagte Pippin und packte seinen Arm.

„Schau mal.“ sagte Doderic. „Von hier bis zu dem Felsen da ist es die gleiche Entfernung.“ Er machte ein paar Schritte rückwärts, rannte los und sprang. „Siehst du?“ – und ohne seinen Vettern Zeit für weitere Proteste zu lassen, rannte er zum Graben und setzte hinüber.

Einer nach dem anderen sprangen die Jungen über den Graben und das aufgeregte Geschrei wurde bei jedem erfolgreichen Versuch lauter. Ilberic kam kaum hinüber, landete mit wild fuchtelnden Armen und kam am Rand der anderen Seite ins Taumeln, worauf Doderic und einer der Stadtjungen ihn packten und in Sicherheit zogen. Nur Pippin blieb übrig; er stand zögernd an der Kante, schaute hinunter und lauschte auf das vorbeirauschende Wasser.

„Komm schon!“ schrie Tolly. „Alle haben es getan! Du bist der letzte! Komm schon!“ Ein höhnisches Lächeln huschte über sein Gesicht. „Was ist los? Hast du Angst?“

„Sag nicht, dass mein Vetter Angst hat!“ sagte Ilberic. „Pip fürchtet sich vor gar nichts!“

„Und wie der sich fürchtet,“ hänselte Tolly. „Schaut euch bloß mal sein Gesicht an! Angsthase! Schiss vor einem bisschen Wasser?“

Ein paar von den anderen Stadtjungen stimmten in das Hohngeschrei mit ein.

„Pip!“ brüllte Doderic. „Du musst nicht springen, wenn du nicht willst!“

„Nein, Babies müssen nicht springen, wenn sie nicht wollen...“ höhnte Tolly. „Warum gehst du nicht nach Hause? Ich glaube, du brauchst frische Windeln!“

„Pip, nein!“ schrie Doderic. „Bleib da! Ich komme zurück! Ilberic und ich, wir kommen beide zurück!“

„Wir sind wahrscheinlich sowieso zu spät zum Tee, so wie die Dinge liegen.“ sagte Ilberic. „Wir nehmen sicherheitshalber die Stange, um wieder zurückzukommen; ich hab keine Lust, noch mal zu springen.“

„Also hast du auch Schiss?“ fragte Tolly.

Ilberic unterdrückte den Wunsch, dem Stadtjungen sein höhnisches Grinsen aus dem Gesicht zu wischen.

„Nein.“ sagte er ruhig.„Ich bin bloß nicht blöd. Es war ein spaßiges Spiel, aber kein besonders schlaues.“ Er hob die Stimme. „Pippin!“ rief er. „Wirf die Stange hier herüber, ja?“

*****

Merry und Berilac, Dick und Gundy trotteten die Straße hinunter und schrieen nach ihren verlorenen Vettern. Als sie um eine Biegung kamen, sahen sie vor sich ein Grüppchen Hobbits.

„Was tun die da?“ fragte Merry.

„Grabenhüpfen.“ sagte Gundy grimmig, als der nächste losrannte und hinübersprang. Nur noch zwei Gestalten blieben auf der Straßenseite des Grabens zurück, der Rest wartete am anderen Rand. „Stadtjungs machen gern Unsinn.“

„Glaubst du, sie haben unsere Jungen gesehen?“ fragte Berilac. Genau in diesem Moment wagte die vorletzte zurückgebliebene Gestalt den Sprung; sie wäre fast rückwärts ins Wasser gefallen, wären die beiden nicht gewesen, die sie zu fassen bekamen, um sie in Sicherheit zu ziehen.

Merry schnappte nach Luft. „Das ist Ilberic.“ sagte er erschrocken. „Dann machen Pippin und Doderic bestimmt auch mit. Los, kommt!“ Sie rannten auf die kleine Gruppe zu.

*****

Pippin ging zu der Stange zurück; der Spott der Stadtjungen klang ihm in den Ohren. Er fasste einen plötzlichen Entschluss. Er war älter als Ilberic, es sollte doch möglich sein, dass es ihm genauso gut gelang, sogar noch besser. Er straffte die Schultern, drehte sich um, nahm noch einen tiefen Atemzug und rannte auf den Graben zu.

„Nein, Pippin!“ schrie Ilberic. „Nicht!“

Pippin war nur noch einen Schritt vom Graben entfernt, als er hörte, wie jemand hinter ihm seinen Namen rief. Er verpasste diesen letzten Schritt, warf sich in die Luft und verlor das Gleichgewicht. Er grabschte wild nach den ausgestreckten Händen seiner Vettern und stürzte in das rauschende Wasser. Er wollte schreien, aber sein Kopf ging unter; er schluckte Wasser und würgte, strampelte kraftlos und starrte hinauf in das wässerige Sonnenlicht über sich. Er kämpfte darum, an die Oberfläche zu kommen, aber die Strömung riss ihn mit sich, und da war keine Luft zum Atmen, nur Wasser. Seine Lungen gierten nach Sauerstoff, den es nicht gab, und über ihm wurde das helle Wasser dunkel.

*****

„Pippin! Nein!“schrie Merry, als er sah, wie sein junger Vetter auf den Graben zurannte. Er sah Pippin stolpern und als er den Körper anspannte in dem mitfühlenden Versuch, die Entfernung zwischen ihnen zu überwinden, sah er, wie Pippin zu kurz sprang. Das Wasser schlug über seinem Kopf zusammen und er wurde rasch in Richtung seiner entsetzten Vettern gespült.

„Schnappt euch einen Stock!“ schrie Berilac den Bolger-Vettern zu und tauchte in den Graben, Merry dicht hinter sich, als das Wasser Pippin an ihnen vorbeischwemmte. Die beiden Brandybocks ließen sich von der Strömung tragen und machten kräftige Schwimmzüge, um ihren Vetter zu erwischen.

Berilac erreichte Pippin als erster; er packte ihn an den Haaren und strebte dem Grabenrand entgegen. Merry packte Pippins Kragen von der anderen Seite und nahm etwas von dem schlaffen Gewicht auf sich. Berilac schaute auf und sah, dass Gundy neben ihnen mit einem Stock am Graben entlangrannte; dann war er über ihnen und stieß den Stock über das Wasser, und mit einem riesigen Ausfall gelang es Berilac, sich festzuhalten. Merry verfehlte den Stock und wurde vorbeigeschwemmt; er ließ Pippin los, so dass die Bolgers Berilac samt Pippin in Sicherheit zerren konnten. Er konzentrierte sich darauf, den Rand des Grabens zu erreichen, grabschte nach ein paar Baumwurzeln, fühlte ein kräftiges Ziehen an seinen Haaren... und dann half ihm Dick, aus dem Wasser zu krabbeln.

„Wie geht’s Pip?“ keuchte er. Er kam schwankend auf die Beine. Dick nahm seinen Arm, legte ihn sich um die Schultern und gemeinsam stolperten sie, so schnell es Merry fertigbrachte, zurück zu der kleinen Gruppe.

Gundy weinte und schüttelte den Kopf. Einer der Stadtjungen flüsterte eingeschüchtert: „Er ist tot. Er ist vertrunken.“

„Er atmet nicht.“ sagt ein anderer.

Berilac schaute auf. „Er hat Wasser eingeatmet, Merry... wir müssen es wieder aus ihm rauskriegen.“

„Da drüben liegt ein Baumstamm.“ sagte Merry verzweifelt. Sie hoben den schlaffen Körper hoch, trugen ihn zu dem Stamm und fingen an, Pippin darauf hin- und herzurollen.

„Tot...“ wiederholte einer der Stadtjungen, als der junge Hobbit plötzlich anfing, Wasser zu spucken; er übergab sich, hustete und würgte. Merry hatte noch nie in seinem ganzen Leben ein so wunderbares Geräusch vernommen.

„Komm, komm, Pippin, so ist’s gut, immer raus damit.“ sagte Berilac ermutigend. „Gundy, wir machen einen Damensitz und tragen ihn zurück nach Haus Balgfurt. Dick, du läufst voraus, sag den Großen, was passiert ist. Merry, bist du in Ordnung? Hilf uns, ihn hochzuheben.“

„Kommt , Leute, wir gehen.“ sagte Tolly zu dem Rest der Stadtjungen. Sie zerstreuten sich rasch und waren verschwunden. Die Vettern trugen Pippin langsam nach Haus Balgfurt, bis die Erwachsenen sie erreichten und ihnen den schlaffen Hobbit abnahmen. Wie sich herausstellte, gab es an diesem Tag keinen Kuchen zum Tee.

*****

Spät in dieser Nacht erwachte Pippin und fand Merry zusammengerollt neben sich liegen.

„Merry?“ sagte er verwirrt.

„Merry war auf der Stelle munter. „Sie haben gesagt, ich kann bei dir bleiben.“ flüsterte er. „Wie geht’s dir?“

„Ich habe Hunger.“ sagte Pippin.

Merry gluckste. „Das ist ein gutes Zeichen.“ sagte er, setzt sich auf und schlug die Decken zurück. „Ich gehe und sag ihnen, dass du wach bist, dann bringt dir jemand was.“

„Merry?“ Pippin Stimme hielt ihn auf, ehe er vom Bett aufstehen konnte.

„Was ist denn, Pippin?“ fragte Merry.

„Wir haben unser Abenteuer gar nicht gekriegt!“ Pippins Stimme klang betrübt.

Merry lachte widerwillig. „Ich weiß nicht, wie es dir geht, Pip aber ich hatte genügend Abenteuer für einen Tag...“ sagte er und setzte hinzu: „... und ich weiß, was wir morgen machen.“

„Was denn?“ wollte Pippin wissen und verzieh seinem Vetter sofort. Er war immer eifrig dabei, einen neuen Tag willkommen zu heißen.

„Wir fangen an mit deiner ersten Schwimmstunde.“ sagte Merry fest. „Wenn du wieder mal zum Grabenhüpfen gehst, solltest du besser wissen, was du tust, wenn du danebenspringst.“

*****

Pippin stand zögernd am Rand der Kluft und hörte tief unten das Wasser rauschen. Dies war viel breiter als der Straßengraben, den er vor gar nicht so vielen Jahren nicht hatte überspringen können. Er bildete sich beinahe ein, das Hohngeschrei der Stadtjungen als Echo in den Ohren zu haben, aber jetzt erklangen andere, nähere Stimmen und er fing an, zuzuhören.

„Komm schon, Pippin! Du kannst es!“ sagte Merry.

„Ich strecke meinen Stab aus.“ kam Gandalfs Stimme. „Greif danach, wenn du springst.“

„Nimm einen Anlauf.“ sagte Frodo. „Du schaffst es, Pip, beim letzten Sprung über eine Spalte war noch jede Menge Platz.“ Sam fügte eigene, hilfreiche Worte hinzu und bereute für sich wieder einmal das vergessene Seil.

„Wir fangen dich auf, Kleiner.“ ermutigte ihn Boromir. Er hielt die Hände bereitwillig ausgestreckt.

Pippin holte tief Luft und nickte. Er trat von der Kluft zurück und zählte seine Schritte, dann hielt er an und drehte sich um. Er begegnete Merrys furchterfülltem Blick mit einem unausgesprochenen Wunsch in den eigenen Augen... beinahe einer Entschuldigung: Wenn ich es nicht schaffe...

„Komm schon, Pippin.“ flüsterte Merry, und seine Stimme hallte im Höhlendunkel wider.

Pippin nahm noch einen tiefen Atemzug und rannte los.


ENDE


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