... und schwinden nicht dahin (Not fade away)
von Jael, übersetzt von Cúthalion



10. Kapitel
Auf geht's, Grünblatt, es ist dein Geburtstag!

In diesem Kapitel feiert das Waldlandreich einen ganz besonderen Anlass.

Die Zeit verstrich. Das Julfest kam und ging, und der Baum im Thronsaal wurde abgeschmückt und in den Wald zurückgebracht. Das Leben in der Höhle verwandelte sich für Mariposa in eine einfache Routine. Jeden Morgen ging sie bis zum Mittagessen in die Bibliothek, um Unterrichtsstunden in der schönen, singenden Sprache zu nehmen, die man hier Sindarin nannte. Die Elben waren ihre Lehrer, in einem zwanglosen Wechsel zwischen Grünblatt, Linda und Glenn, obwohl auch Aaron einmal aufgetaucht war.

Tovah sprach ihr Englisch mit einem schweren Akzent, den Posey nur schwer einordnen konnte. Als sie die Hand nach einem Stift ausstreckte, war ihr Ärmel von ihrem Handgelenk zurückgefallen und hatte eine schwache Linie aus Zahlen offenbart, die auf ihrem linken Unterarm eintätowiert waren. Als sie Poseys überraschtes Blinzeln bemerkte, lächelte Tovah traurig.

„Sobibor. In meinem Heimatland Polen war ich Lehrerin, und als die Nazis kamen, war ich in ihren Augen doppelt verflucht. Eine Jüdin und eine gebildete Frau – das konnten sie nicht zulassen. Ich endete in dem Lager dort und ich war eine der Glücklichen, die überlebten, um beim Ausbruch zu kämpfen.

„Ich wurde verwundet und vom Rest der anderen getrennt, als wir in die Wälder flohen. Ich weiß nicht, wie lange ich herumwanderte, bevor ich zusammenbrach und mich in den Schnee legte, um zu sterben. Als sie mich fanden, dachte ich, die Engel wären gekommen, um mich zu holen. Aber es war mein Morrie und der eine, den sie Haldir nennen. Sie brachten mich zurück und hierher, und als Aran meine Geschichte hörte, da schickte er sie wieder aus, um so viele herzuholen, wie sie konnten. Für die nächsten paar Jahre waren diese Hallen überfüllt und der Berg ebenfalls. Dafür segne ich ihn bis zum heutigen Tag.“

Sie seufzte. „Es war nicht sein Kampf, und während er so viele von meinem Volk rettete, wie er konnte, verlor er ein paar Leute von seinem eigenen. Ich weiß, was für ein Opfer das war. Aber oi! – du hättest sie kämpfen sehen sollen! Ich ging viele Male mit ihnen hinaus, bis ich wieder angeschossen wurde,“ sie deutete auf ihr Bein und den Spazierstock, den sie benutzte, „und für mich gab’s keine Kämpfe mehr. Aber ich kann mich nicht beklagen. Wie sonst würde die Tochter eines Rabbi aus Kosalin, die erwartet hatte, ihr Leben als alte Jungfer zu verbringen, zu einem gutaussehenden Ehemann kommen, der denkt, ein Hinkebein und graues Haar wären – wie drückt ihr das aus – sexy?“

*****

Mariposa dachte immer noch über dieses Gespräch nach, als sie im Flur in Grünblatt hineinrannte.

„Ich bin froh, dass ich dich sehe, Mariposa,“ sagte er, und ein Lächeln erhellte sein Gesicht. „Ich habe eine Kleinigkeit, die ich dir schenken möchte, und auf dem Fest heute Abend wird es zu hektisch sein.“

„Ein Fest?“ fragte sie. Hörten diese Elben nie auf, zu feiern? „Was ist denn dieses Mal der Anlass?“

Er senkte ein wenig den Blick. „Es ist ziemlich peinlich, wirklich; der dreizehnte Tag von Narvain ist der Tag meiner Zeugung, und Vater besteht immer darauf, einen Riesenzirkus zu veranstalten. Nach all diesen Jahren bin ich daran gewöhnt.“

„Ich nehme an, ein Vater dürfte verständlicherweise auf eine Zeugung stolz sein,“ sagte sie trocken. „Wisst Ihr tatsächlich über solche Sachen Bescheid?“

Grünblatt lachte. „Für uns ist es ein Jahr bis zum Tag vor unserer Geburt. Dies ist die Entsprechung für meinen Geburtstag, denn es ist tatsächlich der Tag, an dem ich zur Welt kam.“

„Lässt sich das immer so klar vorhersagen?“

„Unsere Körper funktionieren perfekt – wenigstens fast immer,“ sagte Grünblatt, und sein Gesicht verdunkelte sich ganz kurz. „Aber hier… ich hoffe, es gefällt dir.“ Er drückte ihr ein kleines, in Pergament gewickeltes Päckchen in die Hand.

Sie zerbrach das Wachssiegel, das Grünblatts Ahornsymbol trug und machte das Päckchen auf. „Ach du meine Güte!“ sagte sie, und ihr wurden die Augen feucht. „Das ist wunderschön!“ Sie hielt ein flaches Stück geschnitzten, leichtgewichtigen Stein in der Hand, mit einer breiten, flachen Schale und einem anderen, tieferen Behältnis in der oberen, rechten Ecke. Um den Rand verliefen eine Weinranke und Blätter in einem asiatischen Design. Dazu kam noch ein feiner Pinsel aus Fuchshaar und ein dunkler, rechteckiger Block aus fester Tinte mit eingeprägten, chinesischen Schriftzeichen in Gold.

„Es ist nichts sehr Teueres,“ sagte Grünblatt und klang fast entschuldigend. „Es ist keine Jade oder so etwas – bloß Speckstein. Aber der Tintenstein ist chinesisches 19. Jahrhundert. Man würde diese Dinge normalerweise für asiatische Tuschezeichnungen benutzen, aber ich dachte, sie kommen dir vielleicht gelegen, um deine Tengwar zu lernen.“

„Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll“, protestierte sie. „Ich habe überhaupt nichts für dich.“

„Das musst du auch nicht. An meinem Zeugungstag bin ich derjenige, der allen anderen ein Geschenk gibt.“

„Bitte sag mir jetzt nicht, dass das noch so ein elbischer Brauch ist!“

„Nein“, sagte er mit einem weichen Lächeln. „Dieser Brauch ist mein ganz eigener, zu Ehren von ein paar sehr alten Freunden.“

„Du wirst dich ruinieren!“

Er lachte und deutete auf seine Umgebung. „Wie könnte ich jemals arm sein mit all dem hier?“

„Und was schenkst du deinem Vater?“

Grünblatt grinste verschmitzt. „Was schenkt man bloß einem Mann, der alles hat? In diesem Fall schenke ich ihm, was ich ihm seit meinem fünfzigsten Zeugungstag jedes Mal geschenkt habe. Ich dekoriere mich selbst wie den Sonnwendbaum und trage etwas ganz Besonderes.“

„Und was soll das sein?“

Er gönnte ihr ein rätselhaftes Zwinkern. „Du wirst es sehen!“

*****

Ihr Aufenthalt in den Höhlen war ihr wie eine einzige, lange Party vorgekommen, aber dieser Abend war etwas Besonderes. Der Wein war vom Besten; die Köche hatten sich selbst übertroffen. Aaron saß am Kopf der Tafel, in eine goldene Robe gekleidet, die zu seinem Haar passte, und er schien im Fackellicht zu glühen. Neben ihm trug Felice ein Gewand aus weichem, taubengrauem Samt und ein schlankes Diadem aus Silber in ihrem Haar. Mariposa hatte bemerkt, dass zwischen ihnen immer eine spürbare Zuneigung herrschte, aber heute Abend war es anders. Felice schien sich an ihren Mann zu lehnen, und oft stahl sich seine Hand zu ihrem Unterarm, um dort liegenzubleiben und sie zu streicheln. Sie waren wie Liebende.

„Sie ist wie der Mond für seine Sonne,” flüsterte Mariposa Linda zu, die neben ihr an der hohen Tafel saß.

„Heute Nacht ist ein besonderer Jahrestag für sie. Ein Anfang, ein Ende und ein neuer Anfang,“ erwiderte Linda mit einem Seufzer. „Und wenn sie die Sonne und der Mond sínd, dann kommt hier die Erde.“

Ein Murmeln tiefen Atemholens ging durch die Halle, als Grünblatt eintrat, sich vor seinen Eltern verneigte und sich an Aarons andere Seite setzte. Er trug eine waldgrüne Samttunika, mit winzigen Edelsteinen am Kragen und Silberstickerei an den Ärmeln. Und in seinem bleichen Haar befand sich ein Diadem, das so fein war wie das von Felice.

„Mit dieser Krone sieht er aus…“

„… wie ein Mädchen.“ beendete Linda den Satz für sie. „Er würde fast alles tun, um zu vermeiden, dass er sie tragen muss… außer seinen Vater zu enttäuschen. Und es amüsiert mich, dir zu erzählen, dass Aaron mit dieser Krone genauso aussah, als er der Prinz des Grünwaldes war. Er kam sich mit diesem Ding genauso albern vor.“ Sie lächelte. „Und der Rest von uns fand sie beide wunderschön.“

Mariposa lachte leise. “Ist es höflich zu fragen, was er dir heute geschenkt hat?”

„Nein, aber ich sag es dir trotzdem,“ erwiderte Linda gutmütig. „Grünblatt hat mir ein Buch geschenkt, dass er selbst eingebunden hat. Shakespeares Sonette, ins Sindarin übertragen und von seiner eigenen Hand geschrieben. Ein süßes Geschenk.“

Mariposa warf ihrer Freundin einen Seitenblick zu. Wie begriffsstutzig war Linda eigentlich? Sie schaute auf und begegnete Glenns Augen, der auf der anderen Seite des Tisches saß. Er zwinkerte ihr zu und hob sein Glas.

Dem festen Bund getreuer Herzen soll kein Hindernis erstehn, dachte Mariposa. Und dann sah sie an der Tafel hinunter zu Magorion und Tovah. Lieb’ ist nicht Liebe, die, in der Zeiten Wechsel wechselvoll, unwandelbar nicht stets im Wandel bliebe.* Wahrhaftig, sie würde diese Elben nicht begreifen, und wenn sie noch tausend Jahre lebte – und sie wusste, dass es nicht so war. Wieso eine kostbare Minute verschwenden, selbst wenn man alle Zeit der Welt hatte?

Das Abendessen war zu Ende gegangen und die Tische wurden weggeräumt. Die Harfen kamen heraus, das Tanzen begann und der Wein floss weiter.

Mariposa musste die Musik und die Tänze der Elben erst noch verstehen. Die Musik war in Noten und Rhythmus eigenartig wild; für ihre ungeschulten Ohren klang sie wie rumänische Volksweisen. Sie hätte nie versucht, selbst an den Tänzen teilzunehmen, denn die meisten bestanden aus einer Reihe von verwickelten Sprüngen und Wirbeln, allesamt im Kreis getanzt. Grünblatt ließ an diesem Abend als der Ehrengast keinen Tanz aus. Linda blieb wie üblich mit Posey an der Seitenlinie.

„Wieso gehst du nicht da raus und tanzt selbst?“ fragte Mariposa, nachdem sie gesehen hatte, wie Grünblatt ihnen ungefähr zum zehnten Mal an diesem Abend einen verstohlenen Blick zuwarf.

Linda schüttelte den Kopf. „Ich habe mich noch nie unter die Leute gemischt. Darin bin ich nicht sehr gut.”

„Blödsinn,“ sagte Mariposa. „Es ist Grünblatts Geburtstag, und ich denke, einen bist du ihm schuldig.“ Bevor Linda die Chance hatte, zu protestieren, hatte Posey sie am Arm gepackt und sie hinaus in den Kreis gewirbelt. Meryl, die mit Grünblatt getanzt hatte, fächelte sich zu, als wäre sie plötzlich erschöpft, trat beiseite und ließ ihn ohne Partnerin zurück. Die überrumpelte Linda hatte keine Wahl, als sich zu mit Grazie zu fügen und mitzuspielen.

Trotz Lindas Verschämtheit in punkto Tanzen war sie die Anmut in Person, während sie und Grünblatt sprangen, wirbelten und einander umkreisten. Grünblatts bleiches Haar fing das Fackellicht ein, die Juwelen an seinem Kragen glitzerten wie viele, winzige Sterne, aber seine Augen hatten sich verdunkelt. Mariposa spürte, wie die Stimmung im Raum sich ganz leicht veränderte, als Köpfe sich ach so unauffällig umwandten und Blicke begannen, den Tänzer von der Seite zu folgen. Mariposa fühlte, wie Glenn zu ihr kam, und er stand da und wiegte sich leicht zum Rhythmus der Musik.

Posey hatte diesen Tanz schon vorher gesehen. And Ende war es Tradition für die Paare, sich auf irgendeine Weise zu berühren, üblicherweise Handfläche an Handfläche, oder Stirn an Stirn. Manche der Paare küssten sich sogar ganz leicht auf die Lippen, falls sie verheiratet waren und genügend Wein im Spiel war.

Einer der Harfenspieler ließ währen der letzten Takte der Melodie einen Akkord aus, so gebannt war seine Aufmerksamkeit auf die Tänzer gerichtet. Als die Musik erstarb, stand Grünblatt da und starrte Linda an. Er streckte die Hand aus und berührte mit den Fingern ihre Wange… erst zaghaft, und dann, als sie die Bewegung erwiderte, fing er ihre Hand ein und küsste die Handfläche.

Niemand in der Halle wagte zu atmen, während das Paar sich in die Augen starrte. Und dann küsste Grünblatt Linda voll auf den Mund, und es war kein sanfter Kuss. Linda schien für einen Moment zurückzuweichen, dann schlangen sich ihre Arme um seine samtbedeckten Schultern und sie klammerte sich an ihn, als gäbe es kein Morgen.

Ich wette, dass sie Sterne sieht, dachte Mariposa, während der Kuss sich in die Länge zog.

Der Kuss und die Umarmung brachen ab. Grünblatt hielt Linda an der Hand und verbeugte sich knapp vor seinen Eltern, bevor er und Linda praktisch im Laufschritt die Halle verließen. Posey entdeckte, dass Aaron grinste wie ein Idiot und seine lachende Frau um die Schulter gefasst hielt.

Manchmal, sagte sich Mariposa, ist alles, was nötig ist, ein kleiner Schubs quer durch den Saal.

„Na, wer hätte das auch kommen sehen? Bloß ich… seit dem napoleonischen Zeitalter!“ Der Tonfall war entschieden ironisch und ein bisschen verwischt.

„Glenn, bist du betrunken?“ fragte Posey.

„Ganz ohne Zweifel,“ antwortete er. „Ich war schon betrunkener, aber nicht oft. Miss Mariposa, würde es dir etwas ausmachen, mit mir einen Spaziergang an der Nachtluft zu machen, während ich den Kopf klar bekomme?“

Sie nahmen sich ein paar Umhänge aus einer Kammer dicht am Tor. „Ist früher der Wachraum gewesen“, murmelte Glenn, „aber Wachen braucht jetzt keiner mehr. Orks und Spinnen sind alle weg.“ Draußen fiel der Schnee so weich wie Seifenflocken, und ein voller Mond ließ den Wald hell genug erstrahlen, dass man in dem Licht hätte lesen können.

Ein paar Meter weiter den Pfad in den Wald hinauf versank Mariposa prompt bis über beide Knie in einer Schneewehe. Glenn, der im Schnee keinerlei Probleme hatte, drehte sich um, lachte und fischte sie heraus. „Tut mir leid, ich hab’s vergessen,“ sagte er, als sie sich zum Ende der Brücke zurückzogen. Sie standen in dem Lichtkreis der Fackeln, die die Brücke beleuchteten und sahen zu, wie der halb gefrorene Fluss träge darunter hindurchströmte.

„Na schön,“ seufzte Glenn, „ich bin sowieso nicht der Typ for Mondlichtspaziergänge im Wald. In den alten Tagen war das Selbstmord, und ich bin nie wirklich imstande gewesen, daran Geschmack zu finden. Fühlst du dich wohl hier?“

Posey nickte. „Mir geht’s gut. Vielleicht ist mir ein bisschen kalt.“ Die Temperatur war nicht niedrig genug, dass der Fluss vollständig zufror, aber sie reichte immer noch aus, um selbst jemanden mit einer Mittlerer Westen-Konstitution, der an die Winter des Mittleren Westens gewöhnt war, die Kälte spüren zu lassen.

„Hab ich auch vergessen,“ sagte Glenn. „Hier, komm hier herunter.“ Er hielt seinen eigenen Umhang weit auf und wickelte ihn um sie herum.

Sie kuschelte sich unter seinen Arm, teilte die Hitze seines Körpers mit ihm und fand es verstörend erfreulich. Er war einen Kopf größer als sie, und sein Oberkörper war schlank und muskulös für jemanden, der seine Zeit hinter einem Schreibtisch verbrachte. Er roch genauso gut, wie er es auf dem Flug getan hatte. Verdammt, dachte sie, zu schade, dass er schwul ist.

„Aber das bin ich gar nicht,” flüsterte er, drehte sie zu sich um und küsste sie.

Wow! Jetzt war Posey damit an der Reihe, Sterne zu sehen, während sie die süße Mischung aus Rotwein und Glenn schmeckte. Und damit war wenigstens eine ihrer nagenden Fragen zum Thema Elben beantwortet. Es gab einen Stecker A, der in die Öffnung B passte, genau wie bei ganz normalen Leuten. Und wenn man von dem ausging, was da gegen ihre mittlere Körperregion stieß, dann war Stecker A dem Job mehr als gewachsen.

„Leidenschaft,“ murmelte er, als er sich endlich zurückzog. „Ich hätte nie gedacht, dass ich sie je wieder fühlen würde. Nach all diesen Jahren! Was soll ich mit dir machen, Mariposa?“

„Was würdest du denn gern machen?” sagte sie; im Moment waren ihr die geistreichen Bemerkungen ausgegangen.

„Es ist nur der Wein, der mir den Mut gibt, das zu sagen, aber ich würde dich gern mit zurück in meine Schlafkammer nehmen und mit dir das anstellen, was, wie ich sehr stark vermute, unser Prinz gerade mit unserer Frau Heilerin anstellt, während wir miteinander reden.“

„Also…?“

„Es… es ist ein bisschen komplizierter als das.“

Jesus, nein – Elben! dachte Posey. Immer machten sie die Dinge schwieriger, als sie es sein mussten. „Wo liegt denn das Problem? Du scheinst bestens zu funktionieren, literweise Wein hin oder her!“

Er lachte. „Mein Können ist nie ein Thema gewesen. Es ist nur, dass wir diese Angelegenheit sehr ernst nehmen. Der langen Rede kurzer Sinn: wenn ich mit dir ins Bett gehe, dann heirate ich dich.“

„Du meinst, ihr würdet niemals… dass Leif und Linda…?”

„Ja, Mariposa. Heute hast du eine Hochzeit gesehen. Eine sehr hastige Hochzeit, ziemlich sicher, aber ganz legal und nach unseren Sitten ordnungsgemäß. Oft warten wir aus Höflichkeit ein wenig, aber so, wie ich Thranduil kenne, hat er die letzten zwei Jahrhunderte darauf gewartet, diese beiden zusammen einzusperren, damit die Ungewissheit für den Rest von uns endlich vorbei ist.“

„Dann ist es der ,Code des Waldes’, dass du, wenn du mit einem Mädchen schläfst, es auch heiraten musst?“ Das machte die Dinge ein wenig komplexer.

„Nicht ,müssen’, Mariposa. Wenn wir uns… äh… miteinander vereinigen, dann sind wir verheiratet, nach uraltem Brauch. In letzter Zeit hat Sid vorgeschlagen, dass vielleicht auch die Gelübde nötig wären, um einen geistlich bindenden Vertrag zu schließen, aber bis jetzt war noch niemand gewillt, dieses Experiment zu machen.“

„Wow!” sagte sie. „Das muss euer Sexualleben aber ganz schön komplizieren!”

Glenn seufzte. „Du hast ja keine Ahnung.“

„Na schön, ich verstehe, wieso du vielleicht zögerst, so einen großen Schritt mit einer Sterblichen zu tun.“ Posey starrte auf den Schnee hinunter, der sich an den dünnen Eisflächen sammelte, die die offene Strömung des Flusses säumten. Über ihre eigene Bereitschaft, eine Verbindung mit Glenn einzugehen, war sie sich auch nicht so sicher. Seine Freundschaft war über die letzten Monate hinweg unverzichtbar geworden. Er war immer an ihrer Seite, brachte sie zum Lachen, hielt nach ihr Ausschau. Und jetzt die Aussicht auf etwas, das mehr war…

„Nein, mein lieber, kleiner Schmetterling. Du hast mich missverstanden. Es war so eine Freude, dir dabei zuzuschauen, wie du während dieses letzten Jahres aus deinem Kokon herausgekommen bist… es hat Gefühle in mir erweckt, die ich in Zeitaltern nicht mehr empfunden habe. Du hast mein Herz. Für mich ist der Bund geschlossen, zum Guten und zum Bösen.“ Er brach ab und hielt sie noch ein wenig dichter an sich gedrückt. „Aber,,, du musst wissen, dass ich schon einmal verheiratet war.“

„Glenn, ich war auch schon einmal verheiratet, für den Fall, dass du das vergessen hast. Ich könnte kaum Einwände haben, wenn du ein paar Exfrauen hättest, hier oder in Chicago.“

„Sie ist weiter weg als Chicago, fürchte ich, Meine erste Frau starb vor langer Zeit, in den frühen Jahren, als der Schatten über den Düsterwald fiel. Wir hatten noch nicht gelernt, die Spinnenbisse wirkungsvoll zu behandeln, und sie war eine der ersten, die auf diese Weise verloren ging. Obwohl traurigerweise noch lange nicht die Letzte.“

„Aber wenn sie… dahingeschieden ist, wieso gibt es da für uns ein Problem?“

Er seufzte. „Wir sterben nicht. Nicht wirklich. Wenn unsere Körper durch Unfälle oder Verwundung zerstört werden, dann werden unsere fëar – du würdest sie Seelen nennen – zu den Hallen von Mandos gerufen, im Westen. Nach einer Zeit der Heilung werden uns neue Körper geschenkt. Aber wir können nicht nach Hause kommen. Der Weg nach Westen ist eine Einbahnstraße. Abgesehen von einer Gelegenheit – und unglücklicherweise entschied sich meine Frau, Grünblatt nicht zu begleiten, als er die anderen zurückbrachte. Ich weiß nicht warum – Furcht vor den Valar, nehme ich an. Sie war eine gute Frau, ich liebte sie, und ich wünsche ihr alles Gute, aber wir sind tatsächlich voneinander getrennt, denn ich habe die Absicht, dem Ende aller Dinge hier zu begegnen, mit meinem König.

„Genauso unglücklicherweise bin ich nach unseren uralten Regeln noch immer ein verheirateter Mann. Nach vielem Nachdenken hat Aaron diese Regeln geändert, um zweite Ehen zu gestatten, aber das war erst, nachdem sein eigener Interessenkonflikt ein Ende gefunden hatte, und nachdem er auf immer mit den Valar gebrochen hatte. Als Grünblatt Felice zu ihm nach Hause brachte.“

Plötzlich machte die geheimnisvolle Unterhaltung von Felice und Linda bei der Thanksgiving-Party für Posey Sinn. Im Westen leben. „Meinst du, Felice ist nicht… gesegelt?“

Glenn schüttelte den Kopf. „Felice, und Aaron aus irgendeinem Grund verlassen? Kaum. Nein, sie starb, kurz nachdem Grünblatt geboren wurde, und es hat ihm fast das Herz gebrochen. Das ist der Grund, warum ich ihn nicht verlassen werde.“ Glenn hielt inne und wurde plötzlich von einem Hustenanfall gepackt.

Posey wurde klar, dass sie noch nie einen der Elben auf irgendeine Weise krank gesehen hatte. Bei manchen Gelegenheiten niesten sie vielleicht, aber niemals hatten sie eine Erkältung oder einen Husten. „Geht es dir gut, Glenn?“

Er zuckte mit den Schultern. „Ja, es geht mir gut. Die kalte Luft reizt meine Lunge. Es ist eine alte Wunde, aber sie ist nie richtig geheilt.“

„Manche Wunden tun das nie,“ sagte sie. Er sah so stattlich aus im Mondlicht und im Glühen der Fackeln, und ein wenig traurig. Über die letzten Monate hinweg war er ganz leise ein solcher Teil ihres Lebens geworden, dass sie sich nicht mehr vorstellen konnte, ohne ihn zu sein. Seine Liebeserklärung kam allerdings ziemlich plötzlich, und der Gedanke an die Art ernsthafter Verbindung, die diese Leute verlangten, war reichlich einschüchternd. Die Besonnenheit sagte ihr, dass sie sich etwas Zeit lassen sollte, um darüber nachzudenken. Aber eine kleine Stimme in ihrem Kopf flüsterte ihr ihre eigenen Gedanken von früher an diesem Abend wieder ein: Wieso eine kostbare Minute verschwenden, selbst wenn man alle Zeit der Welt hatte?

Sie hatte nicht alle Zeit der Welt. Sie hatte nur den Rest ihres Lebens, und ihr wurde klar, dass sie den nicht mehr ohne diesen Mann verbringen wollte. „Glenn, fragst du mich, was ich glaube, dass du mich fragst?“

Er nickte. „Aber du verdienst Besseres als nur das Zweitbeste. Ich bin vielleicht nicht imstande, dir Kinder zu schenken. Und ich kann dir nur schwören, bei dir zu sein, solange du lebst. Danach…“

Posey lachte beinahe. „Meine erste Ehe hätte dauern sollen, bis der Tod uns scheidet. Und alles, was ich gekriegt habe, waren sieben mittelmäßige Jahre. Ich halte das, was du mir anbietest, nicht für das Zweitbeste. Kinder… darüber machen wir uns später Gedanken. Und soll die Ewigkeit für sich selber sorgen. Die Antwort ist Ja.“

Er lächelte und küsste ihr die Hand. „Ich nehme an, du möchtest eine lange Verlobungszeit…?“ Sein Ton war zaghaft und hoffnungsvoll.

„Sehr lange. Wenigstens zehn Minuten,“ lachte sie. “Also, wie machen wir das jetzt?”

„Wir rufen den Segen von Eru Ilúvatar auf unsere Verbindung herab, und wir versprechen, uns aneinander zu binden, solange du lebst. Du kannst dein Gelübde an Jehovah, Yahweh oder Vishnu leisten, oder welche höhere Macht du auch immer bevorzugst. Wenn es um religiöse Angelegenheiten geht, bin ich aufgeschlossen.“

„Was bedeutet Eru?“

„Der Eine. Der Einzige.“

„Dann wird das ausreichen. Aber Glenn… da ist eine Sache, die muss ich vorher wissen.“ Sie hielt inne und ein besorgter Ausdruck legte sich über sein Gesicht, als könnte er sie in diesem letzten Moment noch verlieren. „Wie ist dein richtiger Name? Ich würde den Mann gern kennen, den ich heirate.“

Er lächelte und gluckste in sich hinein. „Galion. Das war der Name, den meine Mutter mir gegeben hat… vor sehr langer Zeit.“

Sie hielten sich an den Händen, während rings um sie der Schnee fiel, und Glenn half ihr, die Gelübde auf Sindarin zu rezitieren. Als das getan war, legte er seinen Arm um sie und führte sie zurück, auf das große Tor zu.

„Ich liebe dich, Galion,“ flüsterte sie glücklich.

„Ich liebe dich auch, Mariposa. Ich verspreche dir, dass ich dich alle Tage deines Lebens in Ehren halten werde, und ich werde mich an dich erinnern, bis die Welt einmal zerbricht. Jetzt kommt der gute Teil.“

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*Dem festen Bund getreuer Herzen soll
Kein Hindernis erstehn: Lieb' ist nicht Liebe,
Die, in der Zeiten Wechsel wechselvoll,
Unwandelbar nicht stets im Wandel bliebe.
Ein Zeichen ist sie fest und unverrückt,
Das unbewegt auf Sturm und Wellen schaut,
Der Stern, zu dem der irre Schiffer blickt,
Des Wert sich keinem Höhenmaß vertraut.
Kein Narr der Zeit ist Liebe! Ob gebrochen
Der Jugend Blüte fällt im Sensenschlag,
Die Liebe wankt mit Stunden nicht und Wochen,
Nein, dauert aus bis zu dem Jüngsten Tag!
Kann dies als Irrtum mir gedeutet werden,
So schrieb ich nie, ward nie geliebt auf Erden!
(Sonett 116, William Shakespeare)


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