... und schwinden nicht dahin (Not fade away)
von Jael, übersetzt von Cúthalion



5. Kapitel
Vertrauen suche ich

In diesem Kapitel trifft unsere Heldin den Chef und bekommt es mit ihrem Exmann zu tun. Achtung: Kräftige Sprache!

Am Montagmorgen lag eine Notiz auf ihrem Schreibtisch, die besagte, dass sie sich um 11.00 Uhr in Aaron Rivers’ Büro melden sollte. „Oh Mist!“ dachte sie.

Mit einem Gefühl düsterer Vorahnung nahm sie den Aufzug drei Stockwerke nach oben. Glenn war dort, hinter einem Schreibtisch im Empfangsbereich; er lächelte ihr sofort zu, und ihr wurde das Herz leichter. „Es gibt überhaupt nichts, worüber Sie sich Sorgen machen müssten. Sie sind seit drei Monaten hier, und er möchte Sie kennen lernen, das ist alles.“

Er öffnete die Tür zu Rivers’ Büro und schickte sie hinein. Die Geschäftsführer-Suite war in keiner Weise mit Leifs zwanglosem Eckbüro ein Stockwerk tiefer zu vergleichen. Ihre Augen huschten über dunkle Holzvertäfelungen, Orientteppiche und Ölgemälde. Sie erkannte einen Edward Hopper, einen Cézanne und das Portrait einer schönen, dunkelhaarigen Frau auf einer Gartenbank; das musste ein Singer Sargent sein. Dieses letzte Gemälde hing über dem Sims eines offenen Kamins, der offenbar in Gebrauch war.

Rivers selbst stand mit dem Rücken zu ihr; sie sah seinen Umriss gegen ein Fenster, das nach Osten blickte, und er hielt ein Glas Rotwein in der Hand, das im Licht vom See her glühte wie ein Rubin. Er war hochgewachsen, auf elegante Weise schlank und trug einen Anzug, den sie zuerst fälschlicherweise für ein Stück von Armani hielt; aber dann wurde ihr klar, dass er maßgeschneidert sein musste. Er starrte auf das Wasser hinaus, wo eine Flotte von Segelbooten die Wellen durchschnitt, während weiße Vögel auf den Strömungen der Sommerbrise dahinritten.

„Möwen,“ sagte er. „Es hat lange Zeit gedauert, ehe ich ihren Flug beobachten oder ihre Schreie hören konnte, ohne Bitterkeit zu empfinden. Jetzt bin ich endlich imstande, ihre Schönheit zu schätzen.“

Sie schnappte nach Luft. Die Stimme, die goldene Haarmähne, sie erinnerten sie an… „Randy!“ sagte sie, als er sich mit einem langsamen Lächeln zu ihr umdrehte.

„Sie müssen mir vergeben, Mrs. Walker. Das ist ein alter Trick von mir. Sie wären überrascht, wie viel man durch die Art und Weise, wie jemand den Hausmeister behandelt, über den Charakter einer Person lernen kann. Wenn Sie – wie soll ich das ausdrücken – mir gegenüber ,den Yuppie markiert’ hätten, dann wäre das Bewerbungsgespräch nicht so gut gelaufen, ganz gleich, wie sehr meinem Sohn Ihre Zeichnung gefallen hat.“

„Ihr Sohn…“ begann sie. Angesichts der maskulinen Schönheit von Aaron Rivers im „Normalzustand“ war sie gänzlich außerstande, einen klaren Gedanken zu fassen. Jetzt, da er sein Licht sozusagen nicht mehr unter den Scheffel stellte, konnte sie die Ähnlichkeit mit Leif erkennen, aber dieser Mann sah aus, als wäre er höchstens ein paar Jahre älter… gewiss nicht genug, um einen Sohn in den Zwanzigern zu haben. „Aber wie…?“

„Ich versuche, mich gut in Form zu halten,“ sagte er sanft. Ihr wurde klar, dass er die Situation genoss, und er schien sich der Wirkung, die er auf sie hatte, ziemlich bewusst zu sein.

„Sie waren vor ein paar Tagen in der Bar.“

„Ach, das. Sie sind alle an meine Marotten gewöhnt, und sie spielen mit. Manchmal ist es gut, die Fallstricke der Autorität beiseite zu tun und einfach… Randy zu sein. Das ist einer der Vorteile, wenn man so reich ist wie ich, Mrs. Walker. Die Leute sind nachsichtig.“

Er ging zu einer Anrichte hinüber und füllte ein zweites Glas mit Wein. „Üben Sie jetzt bitte auch Nachsicht, und trinken Sie ein Glas mit mir. Es ist ein 75er Château Margaux. Nicht mein Lieblings-Jahrgang, aber ist recht genießbar.“

Sie war sich nicht sicher, ob sie ihn annehmen sollte. Für den Rest des Tages würde sie für Leif oder Gary kaum von Nutzen sein. Rivers schien das zu spüren und gluckste vor sich hin „Ich bin der Boss der beiden, Mrs. Walker. Wenn ich sage, dass eine Angestellte ein Glas Wein mit mir trinken kann, dann kann sie ein Glas Wein trinken. Ich bestehe darauf.“

Sie lächelte und nahm das Glas.

Rivers hob sein eigenes Glas zu einem Toast. „Um einen Ausdruck eines Freundes von mir auszuborgen – Le Chaim!“

„Einer Ihrer Diamantenhändler?“

„Nein,“ lachte er, „mein Schneider.“

Sie nahm einen Schluck. Der Wein war köstlich – ziemlich berauschend für jemanden, der an das billige Zeugs gewöhnt war.

„Also… wie gefällt es Ihnen bis jetzt, für uns zu arbeiten?”

Es ist wundervoll,“ sagte sie. Wie konnte es anders als wundervoll sein, an einem Ort, wo eine niedere Graphikkünstlerin mit dem unglaublich gutaussehenden Besitzer der Firma Wein trank?

„Ist es das, was Sie Agent Duncan und seinem Partner gesagt haben, als die beiden auf Sie zugekommen sind?“

Sie wurde aus ihren träumerischen Zustand gerissen. „Nicht ganz genau. Ich habe ihnen gesagt, dass ich es mag, hier zu arbeiten, und dass ich nichts gesehen hätte, was dafür gesorgt hätte, dass ich meine Meinung darüber ändere. Ich habe ihnen auch gesagt, sie sollen…“ … sich verpissen, war der Ausdruck, der ihm durch den Kopf ging, und sie sah, dass ein Lächeln um Rivers’ Lippen zuckte. …“ mich in Ruhe lassen.“ beendete sie den Satz.

Sie stellte fest, dass sie ihm in die Augen schaute, und sie erinnerte sich, wie „Randy“ ihr gesagt hatte, dass man hier keine Lügendetektoren nötig hatte.

„Ich glaube Ihnen,“ sagte er. „Unglücklicherweise wird dies nur das erste von vielen Malen gewesen sein, dass Sie mit Leuten umgehen müssen, die unfreundlich zu mir sind. Wessen haben sie mich diesmal beschuldigt? Geldwäscherei? Waffenhandel? Oder Schlimmeres?”

Sie zuckte mit den Achseln.

„Meine Verleumder haben sich nicht die Mühe gemacht, ihre eigenen heiligen Bücher zu lesen. Ich habe mein Brot über das Wasser fahren lassen, und es ist mir in der Tat zehnfach zurückgegeben worden.[1] Die Ironie ist: je mehr ich versuche, es zu verschenken, desto reicher werde ich. Ich habe mehr, als ich brauche; ich habe mehr, als irgendeine Person braucht. Warum sollte ich nicht teilen?“

Sie dachte an die Direktoren von Titanic Insurrance, die ein ganzes Büro von Mitarbeitern ihres Lebensunterhaltes beraubt hatte, um ein paar zusätzliche Dollars Gewinn für sich selbst herauszuquetschen. Sie bezweifelte ganz ehrlich, dass die Ersparnis an die Kunden weitergegeben worden war. Und sie dachte an den Straßenräuber vor wenigen Nächten, so schnell bereit, denen etwas wegzunehmen, die schwächer waren als er selbst. „In dieser Welt ist der Mensch des Menschen Wolf, Mr. Rivers. Die meisten Leute können es nicht auf irgendeine andere Weise sehen. Deshalb nehmen sie natürlich an, dass Sie nichts Gutes im Schilde führen.“

„Selbst Wölfe benehmen sich besser, Mrs. Walker. Es mag abgedroschen klingen, aber es ist nun mein Vergnügen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, wie immer ich nur kann. Sonst wäre all dies hier,“ er hielt sein Weinglas hoch deutete auf das Zimmer und seine luxuriöse Einrichtung, „eine hohle Sache. Ich würde selbst nicht mehr werden als eine bloße Illusion.“

Er brach ab und hielt seine Hand hoch ins Licht, mit derselben Geste, die er im Aufzug benutzt hatte, und sie fragte sich, was es wohl mit der merkwürdigen Besessenheit dieses Mannes mit seinem Unterarm auf sich hatte.

Er drehte sich um und hielt sie mit seinem Blick fest. „Ich denke, die haben versucht, Ihnen auch Angst zu machen. Sagen Sie mir, Mrs. Walker, haben Sie Angst vor mir?“

Sie nahm einen Schluck von ihrem Wein und starrte ihm in die Augen. Er sah gut aus, war freundlich und nach außen hin voller Güte, und er hatte einen unbestreitbaren Charme. Genau wie ihr Ex-Mann. Es war schwer, danach wieder Vertrauen zu fassen. Es würde viel zu leicht sein, sich von all dieser männlichen Schönheit umwerfen zu lassen, aber sie spürte, dass es da etwas Wildes und Gefährliches gab, gleich unter der Oberfläche. Selbst sein Sohn, der stille Leif, hatte sich in einem Wimpernschlag in etwas ganz anderes verwandelt.

Er zwinkerte ihr zu. „Es ist wahrscheinlich ganz gut so. Vertrauen muss man sich verdienen.“

Eine Sprechanlage summte. „Aaron? Felice ist hier.” Es war Glenns Stimme, und sie kam aus dem Vorzimmer.

„Gut, Mrs. Walker, ich werde nicht noch mehr von Ihrer Zeit in Anspruch nehmen. Wenn Duncan oder irgendeiner von seiner Sorte Ihnen wieder Ärger machen sollten, lassen Sie es mich einfach wissen. Und lassen Sie nicht zu, dass mein Sohn Sie zu lange wach hält.“

„Sie wissen davon?“

Er hob neckend eine Augenbraue. „Ich weiß alles. Vor allem, wenn es meinen Sohn betrifft. Sehr wenig von dem, was er tut, vermag mich noch zu überraschen.“ Er nahm ihren Arm und führte sie aus dem Büro.

Draußen im Vorzimmer saß eine Frau auf Glenns Schreibtisch und baumelte mit ihren langen Beinen. Als sie Aaron erspähte, leuchtete ihr Gesicht auf. „Da bist du ja, Liebling. Zeit für deine Pflichten als Ehemann. Du schuldest mir einen Nachmittag im Kunstinstitut.“

„Die Prairie Style-Ausstellung?“ fragte Glenn.

„Ja,“ sagte Aaron. „Ich würde sie nicht verpassen, selbst wenn ich nicht im Direktorium wäre. Frank war einer der unseren.“[2]

Posey blieb im Hintergrund; sie fühlte sich von der verblüffenden Schönheit dieses jungen Luxusweibchens eingeschüchtert. Einmal in ihrer Gegenwart, hatte sich Rivers gesamtes Verhalten geändert. Er hatte nur Augen für Felice. Er küsste sie sanft auf die Wange und ging daran, sie miteinander bekannt zu machen.

„Schatz, das ist Mariposa Walker aus der künstlerischen Abteilung. Mrs. Walker, meine Frau Felice.“

Felice lächelte, hüpfte vom Schreibtisch herunter und streckte die Hand aus. „Dann haben Sie also dieses Blatt gezeichnet, von dem mein Sohn so bezaubert war. Wissen Sie, dass er es zu Hause gerahmt an der Wand hängen hat?“

Nein, das hatte sie nicht gewusst, aber die Informationen ging in einer Welle der Überraschung unter. Das war Leifs Mutter? Gelobt sei der Herr und die Schönheitschirurgie! Posey zog ernsthaft die Möglichkeit in Betracht, sich selbst unters Messer zu legen, wenn die Sache so gut funktionierte. Felice Rivers kam ihr – abgesehen davon, dass sie absolut wunderschön und unglaublich jung war – eigenartig bekannt vor. Sie war dunkelhaarig, zierlich (Posey konnte sehen, wo diese Hälfte von Leifs Aussehen herstammte), und sie trug die Sorte schlichter Sommertunika und locker geschnittenen Hosen, für die man vermutlich ein halbes Vermögen hinblättern musste. Um ihren Hals lag ein Collier aus Silber und Mondstein, das zu ihren blassgrauen Augen passte. Also, wo…

Aaron und Felice traten in den Aufzug, und die Tür schloss sich hinter ihnen.

„Er hat Ihnen was von dem Margaux gegeben, oder?“ sagte Glenn mit einem Seufzer.

Sie nickte, im selben Moment, als die Erkenntnis sie traf. Sie wirbelte zu dem Sargent-Portrait herum, das sie durch die offene Tür sehen konnte. Die Frau auf dem Gemälde war Felice Rivers. Sie trug sogar das Mondstein-Collier über dem Mieder ihres Kleides…. und Kleider wie diese waren um das Jahr 1910 herum in Mode gewesen.[3]

Glenn verdrehte die Augen. „Für dieses starke Zeug ist es reichlich früh am Tag. Armes Liebchen, ich sollte Ihnen lieber etwas zu Essen eintrichtern,“ sagte er, während er die Tür zu Rivers’ Büro schloss. „Oder Sie fangen noch an, Gespenster zu sehen.“

*****

Der Sommer war zum Herbst geworden. Posey saß am Ende eines Arbeitstages in der Harfe und wartete darauf, dass der Rest der Clique eintraf. Es hatte keine weiteren Besuche mehr von Tweedledum und Tweedledee gegeben, wie sie angefangen hatte, Duncan und Fitzhugh in Gedanken zu betiteln. Es hatte nach dem Schließen des Pubs auch keine Straßenräuber mehr gegeben, obwohl sie so manchen Abend mit Linda und der Gruppe hier bei O’Dell verbracht hatte. Trotzdem schien Glenn sie adoptiert zu haben, und er bestand darauf, sie jeden Abend sicher nach Hause zu bringen. Er war so ein netter Mann; seine Gesellschaft auf den U-Bahn-Fahrt nach Hause und auf dem Weg zu ihrer Haustür machte ihr nichts aus. An einem dieser Abende musste sie ihn mal auf einen Kaffee hereinbitten.

Im Job lief alles gut. Der augenblickliche Spiel-Hintergrund, an dem sie arbeitete, war ein dunkler, brütender Wald, und ihr war klar geworden, wieso Leif die Fähigkeit erwähnt hatte, eine riesige Spinne zu zeichnen. Allein die Spinnweben hatten ihr eine Gänsehaut verschafft.

Ein Schatten glitt vor dem grünen Neon-Kleeblatt vorbei, und die Tür öffnete sich. Sie schaute auf und erwartete Linda oder Leif zu sehen, und ihre Mundwinkel sanken herab.

„Hallo, Sue. Ich habe bei deinem Job nach dir gesucht, und die sagten mir, ich würde dich hier finden.“

„Hallo, Michael.“ Sie wünschte sich, sie hätte sagen können, dass es gut war, ihn zu sehen, aber das war es nicht. „Weiß deine neue Freundin, dass du hier bist und mit deiner Exfrau redest? Du willst bestimmt nicht riskieren, dass sie die Stirn runzelt; du weißt doch, wie teuer diese Botox-Spritzen sind.“

„Bitter, Sue? Das steht dir nicht.“

Er hatte Recht, wenigstens einmal. Bitterkeit stand ihr nicht. Sie seufzte. “Also, was bringt dich her?”

„Nicht viel. Bloß ein paar lose Enden, die noch verknüpft werden müssen.“ Er hielt inne, um sich eine Zigarette anzuzünden. Wann hatte er sich denn diese scheußliche Angewohnheit zugelegt? Wahrscheinlich hatte er es getan, um seine erfahrenen Freunde zu beeindrucken, aber Posey konnte schon jetzt sehen, dass seine Fingernägel gelb verfleckt waren.

Sofort tauchte O’Dell auf und zeigte auf das „Rauchen verboten”-Schild. „Ausmachen.“ Michael starrte ihn böse an, aber er drückte seine Zigarette aus.

„Ich dachte, wir wären letzten April mit den losen Enden durch gewesen.” sagte Posey.

„Es hat sich was ergeben.“

„Was denn? Du hattest einen besseren Anwalt als ich.“ Besserer Anwalt – zur Hölle, die hatte kaum überhaupt einen Anwalt gehabt, bei dem, was sie sich hatte leisten können.

„Etwas, das ich nicht erwartet hatte. Die Sache ist die… ich habe etwas von dem Geld aus dem Studentenkredit investiert, und jetzt, wo es Zeit ist zu verkaufen, gibt es eine… Formsache.“

„Du hast – was?“

„Ich habe das Geld von dem Studentenkredit genommen und damit Aktien gekauft. Du hast genügend Geld verdient, um den größten Teil von meinem Unterricht zu bezahlen, und ich konnte eine Dividende mit den Aktien erzielen, die höher war als die Zinsen für den Kredit. Es war ein schlauer Schachzug.“

Ein schlauer Schachzug, in der Tat - abgesehen davon, dass er ihr nie davon erzählt hatte. „Deinem Anwalt hast du auch nichts davon gesagt, oder?“

„Äh… nein. Es ging alles auf meinen Namen, und da ich den Kredit aufgenommen habe, dachte ich, das wäre kein Problem.“

„Bitte sag mir nicht, dass du das Geld verloren hast!“

„Nein, ich verkaufe mit Gewinn. Aber du musst ein paar Sachen unterschreiben, damit ich alles flüssig machen und den Kredit abbezahlen kann. Es ist ein technisches Detail; bloß, weil wir verheiratet waren, als ich die Aktien gekauft habe.“ Er schob ihr einen Stapel Papiere hinüber.

Sie betrachtete die Papiere, erst misstrauisch, dann mit wachsendem Zorn. „Du lässt zu, dass ich mir den Hintern abschufte, um deine Studiengebühren zu bezahlen, während du von dem Studentenkredit Aktien kaufst?“

„Schätzchen, ich habe das Risiko getragen, also sollte ich auch den Gewinn haben. Ich hätte ja auch den Verlust auf mich genommen, wenn die Dinge anders gelaufen wären.“

Ach wirklich, Michael? dachte sie. Wenn wir zusammen geblieben wären, dann wären die Schulden genauso meine gewesen wie deine.

„Schätzchen, bitte,“ sagte er mit einem Lächeln. „Ich könnte ein bisschen Arger kriegen, wenn du mir nicht aus dieser Sache heraushilfst.“

Sie war zornig, und so verbittert, wie Michael es gesagt hatte. Aber unwillkürlich musste sie an die Gespräche mit Linda denken, früh am Morgen, und an die Worte, die Leif zu dem Straßenräuber gesagt hatte. Gnade. Sie wollte sein Geld nicht, und bei all dem, was er ihr einmal bedeutet hatte, wollte sie ihn nicht leiden sehen. „Also gut. Wo soll ich unterschreiben?“

„Hier. Und hier, und auf der nächsten Seite. Ich habe alles mit einem gelben Textmarker angestrichen.”

Ist wohl besser, damit ich nicht vom Kleingedruckten abgelenkt werde, dachte sie. Aber was soll’s? Um so schneller hab ich’s hinter mir.

Sie nahm den Stift und setzte ihn auf die erste Linie.

„Nicht so rasch.“ Eine langfingrige Hand packte ihr Handgelenk.

„Wer verdammt noch mal sind denn Sie?“

„Ein Freund von Mariposa,“ sagte Glenn, der leise hereingekommen war und sich neben sie setzte.

„Was geht es verflucht noch mal Sie an, was sie unterschreibt?“ Michael klang wütend.

Posey war selbst ein klein wenig verärgert. Glenn hatte nicht das Recht, sie wie ein Kind zu behandeln, und sie warf ihm einen zornigen Blick zu.

„Es schadet nicht, es vor dem Unterschreiben noch mal von unseren Anwälten durchsehen zu lassen.“ sagte Glenn gelassen. „Vor allem, da Rechtsbeistand zu den Zusatzleistungen für unsere Angestellten gehört. Ich nehme das einfach mal mit.“

Sie sah den Blick in den Augen ihres Mannes, während er Glenn von oben bis unten betrachtete. „Mit dieser Sorte Leute hängst du herum, Sue? Jetzt schon? Ist das nicht irgendwie jämmerlich?“

„Gay ist okay, solange der Job erledigt wird.“ erwiderte Glenn betont. „Dann auf Wiedersehen.“ Michael starrte ihn wütend an und stakste davon.

„Seit wann ist Rechtsbeistand denn eine Zusatzleistung für die Angestellten?“ fragte Posey.

„Seit ich entschieden habe, dass man diesem Sohn von einem Ork nicht trauen kann. Aaron wird mich darin unterstützen.“

„Ich will nicht gierig sein,“ sagte sie. Sie reagierte auf die Freundlichkeit in seinen Augen und beruhigte sich. „Ich will ihn bloß loswerden.“

„Vielleicht bin ich schon zu lange bei Aaron und einfach paranoid. Ich weiß nicht viel über Steuern und Haftungsrecht. Wir wollen Sid und Morrie einen Blick darauf werfen lassen, ehe Sie irgendwas unterschreiben, okay?“ Er lächelte und sie lächelte zurück.

„Glenn, was ist ein Ork?“

Er lachte. „Das ist mein höflicher Ausdruck für das, was Ihr Exmann ist. Heutzutage sehen sie besser aus, aber unter uns sind sie immer noch.“

„Höflich ist gut. Ich habe meinen eigenen Ausdruck für ihn, aber wenn ich den benutze, dann halten Sie mich nicht länger für eine Dame.“ Sie lächelte. „Es tut mir Leid, was er über Sie gesagt hat. Das war absolut daneben.“

Glenn zuckte mit den Schultern. „Diese Art Zeugs lasse ich einfach von mir abtropfen. Old and gay, oh so old; thousands of years if all be told.“

„W.B. Yeats! Im College habe ich eine Arbeit über ihn geschrieben.“ sagte sie mit einem Lächeln des Wiedererkennens. Aber das erklärte, warum Glenn immer so ein Gentleman war, wenn er sie nach Hause brachte. Wenigstens bedeutete das weniger Komplikationen, wenn sie ihn irgendwann dieser Tage einmal auf einen Kaffee mit zu sich hinaufnahm. .[4]

Sie war sich nicht sicher, ob sie enttäuscht war oder nicht.

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[1] aus der Bibel, Altes Testament, Prediger Salomo, Kapitel 11, Vers 1

[2] Frank Lloyd Wright – berühmter amerikanischer Architekt (1867 – 1959). Der Prairie–Style, den er entwickelte, verbindet hochmoderne Bauweise mit Weite und der Einbindung in die Landschaft.

[3] John Singer Sargent – amerikanischer Portraitmaler (1856 – 1925)

[4] William Butler Yeats – irischer Dichter (1865 – 1939). Die Zeile stammt aus seinem Gedicht Faerie Song, und ich habe sie im Original belassen, weil das hübsche, englische Wortspiel von gay (schwul) und gay (antiquiert für „fröhlich“) im Deutschen leider überhaupt nicht funktioniert.


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