Der Ork der Königin (The Queen's Orc)
von jodancingtree, übersetzt von Cúthalion


Vorspiel
Ein anderer Blickwinkel

Frodo stand am Fenster seines Studierzimmer und starrte hinaus in einen Himmel, der so intensiv blau war, dass er darin hätte schwimmen mögen, wenn er nur einen Weg gefunden hätte, hinauf zu tauchen. Um diese Schäfchenwolken herum zu schwimmen, als wenn es Inseln wären, auf Sams Astern- und Chrysanthemenbeete im Garten von Beutelsend hinunter zu schauen... Bei diesem Einfall gluckste er in sich hinein - das wäre ein interessanter Ausblick auf die Welt...

In Mordor sieht man nie einen Himmel von dieser Farbe, dachte er und fragte sich, wieso ihm Mordor heute in den Sinn kam. Mordor und die Orks - nun, Canohando, um ehrlich zu sein. Er dachte nur flüchtig an Lash, und mit einem Lächeln; Lash war vollkommen zufrieden mit seiner menschlichen Frau und seinen kleinen, halb orkischen Kindern. Aber Canohando... Ich wünschte, ich hätte ihm das Auenland zeigen können, dachte er. Canohando war wie Frodo selbst; unbeweibt, kinderlos. Abwesend befingerte er den geschnitzten Bärenzahn, der ihm um den Hals hing, ein Geschenk seines Orkbruders. Ich werde sie nie wiedersehen, keinen von ihnen. Der Gedanke machte ihn traurig.

"Fertig für den Tee, Herr Frodo?" Sam kam herein, mit einem Tablett beladen, und Frodo beeilte sich, es ihm abzunehmen.

"Sam, wieso musst du dieses schwere Ding hier hereinschleppen, wenn wir unseren Tee genauso gut schlicht und einfach  in der Küche trinken könnten?"

"Es gibt Dinge, die sind wichtiger als ,schlicht und einfach', Herr Frodo." Sam machte einen Teller für ihn fertig, dünn geschnittenes Brot mit Butter und ein Schüsselchen später Himbeeren, mit Sahne beträufelt. "Es ist passender, wenn du den Tee in deinem eigenen Studierzimmer nimmst. Ich habe ihn immer gern hier getrunken, als ich der Herr war."

"Der Herr bist du immer noch, Sam." Frodo grinste; sie führten dieses Streitgespräch wieder und wieder, seit er nach Hause gekommen war, so oft, dass es zu einem Scherz zwischen ihnen geworden war. "Und der Beweis dafür ist, dass wir den Tee im Studierzimmer trinken, herin getragen vom dickköpfigsten Hobbit, der jemals sieben Mal hintereinander Bürgermeister des Auenlandes gewesen ist!" Er nahm Sam den vollen Teller aus der Hand. "Dankeschön, alter Junge. Jetzt setz dich hin, ich gieße ein."

"Bist du froh, dass du wieder daheim bist, Herr Frodo? Wirklich? Als ich herein gekommen bist, da hast du irgendwie niedergeschlagen ausgesehen." Sam betrachtete ihn, die Augen von Besorgnis umwölkt. und Frodo legte seinem alten Freund eine Hand auf die Schulter.

"Ja, Sam, ich bin froh! Keine Sorge, ich werde ich nicht wieder davonmachen. Ich bin wieder ich selbst, so wie ich vorher war... bevor alles geschah. Vor dem Ring."

Sam runzelte die Stirn. "Da musst du aber weit zurückschauen bis vor die Zeit, bevor du dieses verfluchte Ding gehabt hast. Du hattest es seit dem Tag, an dem du jährig geworden bist, eine ganze Menge Jahre, ehe du wusstest, was es war. Und du bist nicht der selbe, der du mal warst... nicht mal in den Jahren, als du den Ring schon hattest... bevor wir das Auenland verlassen haben."

Wieder ging Frodo hinüber zum Fenster, um hinaus zu schauen; er nahm seine Tasse mit. "Nein, ich vermute, das bin ich wohl nicht. Wieviel davon ist der Ring und wieviel ist nur das Alter... die Dinge, die uns im Laufe der Zeit zustoßen?"

"Woran hast du gedacht, als ich mit dem Tablett reingekommen bin? Du hast ausgesehen, als wärst du tausend Meilen weit weg." Sam errötete, "Bitte um Verzeihung, Herr Frodo, ich wollte nicht aufdringlich sein; es hat mir bloß Kummer gemacht, du warst so - "

"Du musst dich nicht entschuldigen, alter Junge, Nach dem letzten Mal - ich kann dir keinen Vorwurf machen, dass du mich im Auge behältst, nicht wahr, nacdem ich mitten in den Nacht davon geritten bin, ohne auch nur ein Wort! Obwohl... was hätte ich sagen können, unter diesen Umständen..." Seine und Sams Augen begegneten sich; sie wussten beide, was für Umstände das gewesen waren. Frodo war verschwunden, um seinem Leben ein Ende zu setzen, bevor die Qual über den verlorenen Ring ihn in den Wahnsinn trieb.

"Keine einzigen Tag hat es seither gegeben, an dem ich dem alten Radagast nicht in meinem Herzen gedankt hab,dafür, dass er dich gerettet hat," sagte Sam mit gesenkter Stimme. "Kein einziger, aber ich sag immer noch, sie hätten dich mitnehmen sollen, Gandalf und Elrond, als sie über das Meer gefahren sind. So viel waren sie dir schuldig, nachdem du Mittelerde vor Sauron gerettet hast!"

"Es war Gandalf, oder welche Macht auch immer, der er diente, die Mittelerde gerettet hat." Frodo rieb sich die Stirn, als hätte er Schmerzen. "Ich hatte meine Rolle, genau wie du und Aragorn und der Rest... Aber es war Radagast, der mich rettete." Er gab ein kleines, schnaubendes Lachen von sich. "Eine wesentlich kleinere Tat, aber ich bin dankbar dafür. Es ist schon gut, Sam - ich dachte an Mordor, aber ich gehe nirgendwo hin. Ich wünschte mir, ich hätte Canohando mit nach Hause bringen können, um meinem Samweis zu begegnen."

"Deinen Ork? Na, dann bin ich aber froh, dass du's nicht getan hast! Die Orks, die wir auf der Fahrt gesehen haben, die waren mehr als genug für mich; wieso sollte ich noch einen kennenlernen wollen?"

Frodo lächelte leicht. "Weil er mir das Leben gerettet hat? Das hat er nämlich, weißt du. Ich wäre ertrunken, wenn er mich nicht aus dem Wasser gezogen hätte. Oder weil er mein Bruder geworden ist?"

Sam starrte ihn schweigend an, und Frodo ging zu ihm und setzte sich neben ihn.

"Ich bin ohne Brüder und Schwestern aufgewachsen, und dann kam ich her, um bei Bilbo zu leben. Er hat mich adoptiert und zu seinem Erben gemacht, aber du hast mich auch adoptiert. An meinem allerersten Morgen hier bist du an die Tür gekommen; du hast mich an der Hand genommen und mich im Garten herumgeführt, als hättest du mich schon dein ganzes Leben lang gekannt."

"Es hat sich so angefühlt," murmelte Sam, und Frodo nickte.

"Ja, Ich hatte das Gefühl, als hätte ich einen kleinen Bruder gefunden. Du hast Beutelsend für mich zu einem Heim gemacht, von Anfang an."

"Und dieser Ork, dieser - Canohando? Wie kann er dein Bruder sein?"

"Nun - " Frodo zog ein Gesicht. "Er hat ganz sicher nicht dafür gesorgt, dass ich mich zu Hause fühlte! Zuerst hatte ich Angst, er könnte mich erschlagen - " Sam blicke ruckartig auf und öffnete den Mund, als wollte er etwas sagen. "Aber er tat es nicht, Sam! Er rettete mir das Leben, als Yarga versuchte, mich umzubringen. Und später, viel später, hat er mir seine Freundschaft angeboten, Seine Bruderschaft."

Frodo streckte die Hand aus und offenbarte eine weiße Narbe, die sich quer über seine Handfläche zog. Sam zeichnete sie mit dem Finger nach, deutlichen Abscheu klar ins Gesicht geschrieben.

"Du hast Blutsbruderschaft geschlossen mit einem Ork, Frodo? Mit einem Ork?"

"Ja, Sam, mit einem Ork. Deshalb habe ich jetzt noch einen Bruder... oder hast du vor, mich zu verstoßen?"

Sam starrte Frodo ins Gesicht, und langsam füllten sich seine alten Augen mit Tränen. "Nein, verstoßen werd ich dich nicht, Herr Frodo, egal, was du gemacht hast. Das könnte ich niemals tun." Er senkte den Kopf, und Frodo nahm seine Hand zwischen seine eigenen.

"Was ist denn los, alter Junge?" fragte er, aber wieder schüttelte Sam den Kopf, ohne zu antworten. 

"Sam?" Frodo kam eine Idee - sie schien ihm lächerlich, nach allem, was sie gemeinsam durchgemacht hatten; aber konnte es möglich sein, dass Sam eifersüchtig war? "Sam? Wir sind schon Brüder; du bist mir näher, als Canohando es jemals sein könnte. Aber - würdest du denn mit mir Bruderschaft schließen wollen, sogar jetzt noch?"

Bei diesen Worten schaute Sam auf; seine Lippen zuckten und verzogen sich zu einem schrägen Lächeln. "Wir sind ein bisschen alt für dieses Spiel, oder nicht? Nein, du hast Recht; wir sind die ganze Zeit schon Brüder gewesen, schon als wir noch Jungs waren, obwohl ich nie so darüber gedacht hab. Uns in die Hände zu schneiden, würde es nicht wirklicher machen, als es das schon ist, und wir würden sowieso bloß Blut auf den Teppich tropfen."

Frodo lachte, bis ihm die Tränen über das Gesicht liefen; endlich lernte er sich zurück, als er sich beruhigt hatte, und sein Blick war warm vor Zuneigung. "Das ist es, was ich vermisst habe, all diese Jahre, in denen ich weg war - du würdest mir bis in die Schicksalsklüfte folgen, wenn ich dich brauche, aber für den Zustand des Teppichs hast du immer noch einen Gedanken übrig! Schlichter Hobbitverstand - Sam, ich bin so froh, dass ich zu Hause bin!"

Sam lächelte, "Gieß mir einfach noch eine Tasse von dem Tee ein, Herr Frodo. Du bist dichter dran."


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