Der Ork der Königin (The Queen's Orc)
von jodancingtree, übersetzt von Cúthalion


Kapitel Fünfunddreißig
Aus den Legenden

Es waren vier Hobbits, die auf der kleinen Lichtung herum wieselten, die Feuerholz hackten und ein langes, niedriges Zelt aufstellten. Einer – der Älteste, nach der Pfeffer und Salz-Farbe seiner Haare zu urteilen – hockte neben einem kleinen Feuer und rührte etwas in einer Blechschüssel um.

„So bald wieder da?“ sagte er. „Wir hatten beinahe beschlossen, dass du nach Bree zurück gegangen wärst, für einen Krug Bier, so lange hast du gebraucht. Gib's her; ich kann keinen Zwieback machen, ohne ein wenig Wasser.“ Dann blickte er auf und erstarrte, den Mund halb offen.

Malawens neuer Freund verbeugte sich leicht. „Herrin, darf ich dir meinen Onkel präsentieren, Fordibras Tuk. Er ist der Anführer unserer Expedition, und außerdem der beste Lagerkoch in allen vier Vierteln. Aber,“ fügte er hinzu und wurde scharlachrot, „ich habe ganz vergessen, dich nach deinem Namen zu fragen.“

„Ich bin Malawen von Lothlórien,“ sagte sie und unterdrückte angesichts seiner Verlegenheit ein mitfühlendes Lächeln. „Und auch ich habe vergessen, nach deinem Namen zu fragen, nachdem du mir aus dem Fluss geholfen hast.“

Fordibras stand auf, bürstete sich das Mehl von den Händen und verbeugte sich seinerseits. „Zu deinen Diensten und denen deiner Familie, gnädige Frau. Der Jüngling da ist Farador Brandybock, der jüngere Sohn meiner Schwester. Es freut mich, zu hören, dass er dir ein wenig behilflich sein konnte.“

Ehe sie antworten konnte, ging mit dem Gesicht des älteren Hobbits eine erschreckende Wandlung vor: Furcht, dann grimmige Entschlossenheit, während er nach dem Schwert an seinem Gürtel tastete.

„Hinter mich, Gnädigste! Hobbits, Rücken an Rücken, die Herrin in der Mitte!“ Die anderen sprangen auf und gehorchten, doch Malawen wirbelte herum, schaute hinter sich und fing an, wild zu winken.

„Bleib zurück, bleib zurück!“ rief sie. „Habt keine Angst,“ fügte sie drängend hinzu, „er wird euch nicht weh tun; er ist mein Gefährte und gekommen, um nach mir zu suchen.“

„Es ist Canohando!“ mischte Farador sich ein. „Kannst du das glauben, Onkel Ordi? Canohando, der Ork, in Lebensgröße, eine halbe Tagesreise weg von Bree!“

Der ältere Hobbit hielt seine Waffe gerade und betrachtete Malawen unter gesenkten Brauen. „Ist das wahr, Herrin? Oh, ich sehe klar genug, dass du eine Elbin bist – ich bin in meinen jüngeren Tagen ein bisschen gereist; ich war in Bruchtal. Doch die Elben sind ein stolzes Volk, wenn du verzeihst, dass ich das sage, und ich kann mir nicht vorstellen, dass irgend einer von ihnen einem Ork Liebe und Treue schwört! Auch sprengt es meine Vorstellungskraft, zu denken, was Canohando hier tun sollte, nachdem Frodo Beutlin deutlich gesagt hat, er hätte ihn weit weg in den Östlichen Bergen zurück gelassen. Was bringt euch in diese Gegend? Von Bree ist es eine lange Reise nach Lothlórien.“

Malawen spürte, wie ihr Temperament sich regte, doch als sie sich unter den Hobbits umblickte, die eindeutig verängstigt waren und doch bereit, sich zu verteidigen - und sie gleich mit - da versickerte ihr Ärger.

„Du bist in Bruchtal gewesen?“ sagte sie. „Wir kommen gerade von dort und wir gehen ins Auenland, denn mein Gefährte will die Heimat des Ringträgers besuchen. Sie waren Freunde, weißt du.“

Der Hobbit schaute sie zweifelnd an und kaute auf seiner Unterlippe, doch dann sprach eine ruhige Stimme vom Rand des Waldes. Canohando hatte sich zwischen die Bäume geduckt, einen Kreis um sie geschlagen und sich der Lichtung von der anderen Seite genähert.

„Ich habe etwas, womit ich beweisen kann, wer ich bin.“

Fordibras fuhr zusammen, aber er fasste sich wieder und drehte sich zu dem Ork um. „Ich wäre froh, es zu sehen,“ sagte er. „Bleib einfach genau da stehen, wo du bist, und halt es hoch. Keine plötzlichen Bewegungen, wenn ich bitten darf! Es gibt fünf von uns, und wir wissen unsere Schwerter zu gebrauchen.“

Canohandos Augen funkelten vor Belustigung; sein Jagdmesser war länger als diese Schwerter, aber die Tapferkeit der Hobbits war darum nur umso lobenswerter. Er hielt Arwens Juwel hoch.

„Hier ist mein Beweis. Und hier auch.“ Er streckte die Hand aus, die Handfläche nach oben. „Ich bin der Blutsbruder von Frodo Neunfinger, und ihr seid sein Volk.“ Wie sie meinem Kümmerling ähneln, dachte er. Vor allem der Jüngling da.

Fordibras trat vor; er nahm das Handgelenk des Orks und untersuchte seine vernarbte Handfläche, ehe er hinauf langte, um den Juwel ehrerbietig mit einem Finger zu berühren. Dann stieß er seine Waffe in die Scheide zurück und packte Canohandos Hand.

„Der Juwel der Königin und diese Narbe sprechen für dich, Canohando von Mordor, aber der beste Beweis ist deine Höflichkeit. Ich weiß nicht, wieso du so weit weg bist von zu Hause, aber du bist willkommen – wenn ich dich denn in einem Land willkommen heißen darf, das mir gar nicht gehört. Und diese Dame ist wahrhaftig deine Frau? Nun, ich gehe nie weg aus dem Auenland, ohne irgendwas Neues zu lernen, aber das ist ganz bestimmt die merkwürdigste Sache, von der ich je gehört habe!“

„Mir kommt es ebenfalls merkwürdig vor, dass sie mich haben will, genau wie ihrem Volk. Es ist mein allergrößtes Glück. Aber wieso wisst ihr von mir?“

Farador ergriff eifrig das Wort. „Deine Geschichte steht in Frodo Beutlins Erinnerungen, die er geschrieben hat, als er aus Mordor zurückkam. Ich habe sie gelesen, als ich meinen Vetter Harding in Beutelsend besucht habe. Mein Bruder dachte, den Teil über die Orks hätte sich der alte Frodo bloß ausgedacht, aber Harding hat nein gesagt, denn Frodo Beutlin hasste es, zu lügen, und was immer er auch schrieb, man konnte drauf zählen, dass es die Wahrheit war.“

Der Ork lächelte. Der Jüngling war tatsächlich so wie der Hobbit, an den er sich erinnerte; die selben blauen Augen unter gewölbten dunklen Augenbrauen, der empfindsame Mund... doch sein Gesicht war unberührt vom Leiden. Dies ist, wie er war, bevor sein Schicksal über ihn hereinbrach, dachte er, und er fühlte einen Stich des Bedauerns, dass Frodo nicht gestattet worden war, sein Leben in Frieden zu verbringen. Aber dann hätte ich ihn nie getroffen, und ich wäre noch immer unter dem Schatten. Es war besser so, wie es war.

Es kam nicht in Frage, die Hobbits zu verlassen, ohne eine Mahlzeit mit ihnen zu teilen. Farador war seinem Onkel beim Vorbereiten nur eine kleine Hilfe; er trieb sich in der Nähe von Canohando und Malawen herum und versuchte sie nicht anzustarren, und der Ork gewann sein Herz, in dem er ungezählte Fragen über Minas Tirith und Mordor beantwortete, vom Sturz des Dunklen Herrschers bis zu den letzten Tagen von König Elessar. Doch an diesem Punkt schritt Fordibras ein.

„Das Abendessen ist so gut wie fertig, und vom Warten wird es nicht besser. Komm und iss, Herr, und deine Herrin auch... und danach, wenn du willst, erzähl uns vom König und davon, was aus König Arwen wurde. Zur Zeit meiner Mutter haben sie das Auenland besucht, und es war traurig, vom Hinscheiden des Königs zu hören. Der junge Eldarion ist im Norden wohl bekannt, und er wird einen guten König abgeben, das bezweifle ich nicht, aber es wird nicht dasselbe sein.“

„Ist hier alles ruhig, seit Eldarion letztes Jahr nach Süden geritten ist?“ fragte Canohando. Es hatte ihn zuweilen in einem Winkel seines Bewusstseins beunruhigt; er hatte sich gefragt, ob die Garnison im Norden treu bleiben würde, wenn sich ihr Befehlshaber weit fort in Gondor befand. Doch der Hobbit blickte überrascht drein.

„Ja, sicher ist es ruhig; die Waldläufer sind immer noch hier, und Celeborn in Bruchtal, obwohl ich gehört habe, dass die Brüder der Königin nach Süden gegangen sind, als Eldarion es tat. Ich versuche, mich auf dem Laufenden zu halten,“ fügte er entschuldigend hinzu. „Ich hab angefangen, mich dafür zu interessieren, in Bruchtal. Aber der Norden wird zum König halten, wer immer es auch ist; es ist gut zu wissen, dass die Straßen sicher sind, für die, die darauf reisen wollen, und die Männer des Königs schützen die Grenzen des Auenlandes.“

Canohando nickte; er hatte von dem Überfall von Räubern während des Krieges gehört. Es war schwer vorstellbar gewesen: ein Heer kleiner Leute wie sein Kümmerling, die mit Heugabeln und Jagdbögen gegen Menschen kämpften, die zweimal so groß waren wie sie. Doch als ihm klar wurde, dass Frodo den Namen jedes einzelnen Hobbits aufzählen konnte, der in dieser Schlacht getötet worden war, da hatte es dem Ork die Sprache verschlagen. Dies hatte ihm die Art des Auenlandes vor Augen geführt, mehr als irgend etwas anderes, das Frodo ihm je erzählt hatte. Jeder Tote hatte seinen Namen, und man erinnerte sich in Ehren an ihn.

„Allerdings geht Celeborn fort,“ sagte Malawen. „Sie gehen alle zu den Anfurten.“

„Nein! Tun sie das wirklich? Und du gehst dann wohl auch, Herrin?“ Fordibras warf Canohando einen neugierigen Blick zu, aber Malawen sprach mit Entschiedenheit.

„Nein, ich bleibe hier.“

„Seid ihr wieder unterwegs nach Bruchtal?“ fragte Canohando den Hobbit. „Ihr könntet ihnen auf der Straße begegnen, es sei denn, ihr beeilt euch. Sie segeln am Ende des Sommers.“

Fordibras holte seine Pfeife heraus und fing an, sie zu stopfen. Als er sie angezündet hatte und gemütlich vor sich hin paffte, sagte er: „Wir gehen nach Bruchtal, jawohl. Du hast mich gefragt, ob in diesen Landen alles ruhig ist. Nun, das ist es, und auch wieder nicht, sozusagen. Jedenfalls ist nicht alles gut, und ich will Celeborns Rat. Wir hatten in den letzten zwei Sommern eine Krankheit im Auenland, eine Art Fieber, aber eines, das wir vorher noch nicht gesehen haben. Es trifft meistens die Kinder, und es tötet. Oder manchmal, da tötet es nicht, aber es hinterlässt sein Zeichen, ein verkrüppeltes Glied oder eine Schwäche, die selbst dann noch anhält, wenn man sagen würde, dass das Kind eigentlich wieder gesund ist. Die Elben haben einen guten Ruf, wenn es um Heilung geht...“ Seine Stimme erstarb.

Malawen zog Canohandos Arm um ihre Schultern und lehnte sich an ihn. „Elben erkranken nicht am Fieber,“ sagte sie. „Mein Vater war ein Heiler. Er hat mich unterrichtet, aber das hatte alles mit der Versorgung von Wunden und Verletzungen zu tun, nicht von Krankheiten.“

„Vielleicht nicht, Elbchen, aber das ist Celeborn,“ sagte der Ork. „Er würde doch sogar noch mehr wissen als dein Vater, oder nicht?“

„Weißt du irgendetwas über das Heilen, Canohando von Mordor?“ fragte Fordibras, doch der Ork lachte kurz.

„Wenn du Hand oder Fuß verlierst, dann stoß den Stumpf ins Feuer,“ sagte er. „Heiße Umschläge gegen die Fäulnis. Orks haben keine Heiler; wir kümmern uns um unsere eigenen Wunden, oder wir sterben.“

„Und doch haben deine beiden Freunde deine Verbrennungen versorgt,“ sagte eine leise Stimme neben ihm, und er schaute erstaunt auf Farador hinunter.

„Du hast Recht, Junge. Ich darf es nicht vergessen, denn es war ein großes Wunder.“ Canohando betrachtete ihn mit Wohlgefallen, und der junge Hobbit lief rot an.

„Ich dachte, Bruchtal hätte beim Heilen einen guten Namen,“ sagte er. „Ich dachte, Bilbo Beutlin hätte sich von dort Bücher über Kräuter schicken lassen und solche Sachen.“

„Und das tat er auch,“ sagte Fordibras zustimmend. „Vielleicht war es eher Elrond als Celeborn, doch gab es ohne Frage ein solches Wissen in Bruchtal. In jedem Fall werden wir uns beeilen, um dort anzukommen und es herauszufinden, denn unsere eigenen Heiler haben nicht die Heilmittel, die hier nötig wären. Ich nehme nicht an, dass Elrond seine Bücherei mit sich trug, als er in den Westen ging; die Weisheit, die wir brauchen, könnte immer noch da sein.“

Sie unterhielten sich weiter, während die Dunkelheit herab sank. Endlich gab einer der Hobbits ein Gähnen von sich, das ausgiebig genug war, um sein Gesicht zu spalten, und Fordibras reckte sich und stand auf.

„Es ist reichlich Platz für euch in unserem Zelt, und wir wären geehrt, euch sozusagen unter unserem Dach zu haben,“ sagte er.

Malawen schüttelte den Kopf.

„Wir hätten lieber die Sterne über unseren Köpfen als einen Streifen Tuch.“

„Es ist gut, beim Volk meines Bruders zu sein,“ fügte Canohando hinzu. „Wir werden unser eigenes Bett finden, aber wir kommen zum Frühstück, wenn ihr wollt.“

Der Hobbit gluckste. „Ich kann mir nicht vorstellen, einer Elbin zu sagen, dass sie zu einer Mahlzeit nicht willkommen ist, und auch nicht dem Ork des Ringträgers. Wir wären entzückt, wenn ihr euch uns anschließt. Früh, wenn es euch nichts ausmacht, denn wir müssen schnell weiter reisen, sobald wir Licht zum Wandern haben.“

Er verschwand im Zelt, und Canohando und Malawen gingen fort, um einen Schlafplatz zu suchen. Doch als sie sich endlich nieder gelassen hatten, fragte Canohando: „Wieso bist du nicht bei dem alten Mann, Elbchen? Und wo ist er?“

Sie lagen in ihren Hängematten, hoch oben, denn der Ork wollte nicht auf dem Boden schlafen, wenn Radagast nicht bei ihnen war.

Malawen antwortete nicht; sie umarmte sich selbst und starrte durch die gekreuzten Zweige des Baumes nach oben. Es war sehr dunkel. Canohando wartete, doch als sie immer noch nichts sagte, setzte er sich auf, streckte eine Hand aus und zog ihre Hängematte zu sich heran.

„Er hat versucht, dich zu überreden, mit zu segeln. Bist du ihm davon gelaufen?“

Sie schauderte und wandte das Gesicht ab, und er ließ los. Einen Moment später hatte er seine eigene Hängematte verlassen und kletterte in ihre hinüber; sie schaukelte wild, während er sich neben sie legte und sie in seine Arme zog.

„Ich schäme mich so sehr.“ Ihre Stimme war heiser. „Dich zurück zu halten, wenn du das Segensreich mehr verdient hast als viele Elben... Ich bin so glücklich in der Wildnis, nur mit dir allein. Aber eines Tages wirst du mich hassen, wenn du nicht segelst. Du solltest gehen, Melethron.“

Er schlang seinen gesamten Körper um sie und spürte, wie ihre angespannten Muskeln weich wurden und ihr Zittern nachließ, als die Hitze seines Leibes sie wärmte. „Ich würde freudig segeln, wenn du mit mir kämst,“ sagte er. „Ohne dich werde ich nicht gehen, und hassen werde ich dich nie! Du wirst mir Söhne schenken, und wir werden glücklich sein. Könnten wir in Valinor Kinder haben?“

Ein kleines, gurgelndes Lachen wallte in ihr auf. „Ist das der Preis für dein Glück, ein Sohn? Wie viele sind nötig, um dich zufrieden zu stellen, und was, wenn ich dir statt dessen eine Tochter schenke?“

Er vergrub sein Gesicht an ihrer Haut und küsste ihre Halsgrube. „Ein Dutzend Söhne, und so viele Töchter, wie du möchtest. Orks haben riesige Familien.“

„Ein Dutzend - “ Sie wich zurück und versuchte, ihm ins Gesicht zu starren. Aber es war zu dunkel, um etwas zu sehen, und sie ließ sich wieder gegen ihn sinken. „Oh, du ziehst mich auf! Wirst du wahrhaft glücklich sein, so lange wir Kinder haben?“

Er gluckste tief in der Kehle. „Ach nein, Melethril, ich ziehe dich nicht auf!“ Er ließ seine Finger über ihr Gesicht gleiten, ihre Lippen und Wangen, tastete sich an ihrer Kinnlinie entlang und zu ihren Schultern hinunter...

„Ich liebe dich, ich werde dich immer lieben, und wir werden viele, viele Kinder haben, und wir werden sie lieben...“ Seine Stimme erstarb, als seine Lippen die Spur aufnahmen, die seine Finger hinterlassen hatten. Malawen schloss die Augen und ließ ihre Finger unter seine Tunika gleiten, die Fingerspitzen so leicht wie Distelflaum, während sie zärtlich die Tiefen und Grate seines vernarbten Rückens erforschten.


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