Neun Mann und ein kleines Fräulein
(Nine men and a little lady)
von kielle, übertragen von Cúthalion

(Notiz von kielle: Das Gedicht von Sam und Gollums Tagebucheintrag wurden von mice verfasst)


Bemerkung des Übersetzers

Viele Lieder sind gesungen und viele Sagen geschrieben worden über die Gemeinschaft, die dem letzten Aufstieg Saurons widerstand. Selbst jetzt, da die Geschichte des Dritten Zeitalters verblasst und während die Reste der kalten, klaren Wirklichkeit der neuen Welt der Menschen Platz machen, werden die Legenden wieder und wieder erzählt. Sie ändern sich im Wechsel der Generationen, aber an einem Punkt sind sie immer ganz klar: sie waren zu neunt. Neun Gefährten als Gegenpol der Neun Reiter. Nicht mehr, nicht weniger, bis hin zum Abgrund von Khazad-dûm und dem Zerbrechen der Gemeinschaft jenseits des verblassenden Glanzes, der einst Lothlórien war.

Es scheint jedoch, dass die Legenden sich irren. Gesicherte historische Dokumente, zerbrechlich wie die Geschichten, die in der Dämmerung des Vierten Zeitalters untergehen, sind ans Licht gekommen – Tagebücher und Notizen, von denen man annimmt, dass sie von den legendären Helden selbst aufgezeichnet wurden. Und während die Erforschung dieser Papiere fortschreitet, kommt eine verstörende Tatsache zum Vorschein... ein ungeordnetes Bündel widersprüchlicher Berichte, die nichtsdestoweniger allesamt von einem schrecklichen Übel flüstern, einem heimtückischen Geschwür, das rätselhafterweise aus dem Mythos getilgt wurde.

Sie flüstern von einem zehnten Gefährten.


Elronds Tagebuch
Bruchtal, 26. Oktober 3018

Ich habe versagt.

Meine Wachsamkeit ist zunichte geworden; in Wahrheit muss ich schweren Herzens zugeben, dass ich unfähig war, das Letzte Heimelige Haus vor diesem unvorhergesehenen Fluch zu bewahren. Ich glaubte wahrhaftig, unser verborgenes Tal sei sicher… und trotzdem ist Sie hier.

Nur durch die Wirkung von Vilya an meiner Hand kann ich diesen Eindringling als das wahrnehmen, was Sie wirklich ist. Und doch kann ich nichts tun. Mein Volk liegt unter Ihrem Bann, und es erkennt die Widersprüche nicht, die diesen verdorbenen Schandfleck von einem Weib zeichnen, während Sie durch die Hallen meines Heimes wandelt. Manche sagen, Sie sei schon immer hier gewesen; meine eigene Tochter grüßt Sie als alte Freundin und sie scheinen es beide zufrieden zu sein, albern über jedes männliche Wesen zu kichern, das ihre Wege kreuzt.

Andere sagen, Sie sei in Bruchtal eingeritten, den verwundeten Ringträger in ihren Armen und an der gleichen Stelle verletzt wie er, nachdem Sie mit nur einer Hand die Nazgûl an der Furt abgewehrt habe. Ich habe von Ihr berichten hören, Sie sei eine Elbenmaid, ein Halbelb wie ich selbst, eine „Herrin der Dúnedain”, eine mythische Bestie in Menschengestalt und sogar eine Besucherin aus einer weit entfernten Welt.

Keine dieser Erklärungen hält auch nur einer oberflächlichen Überprüfung stand. Keine zwei Geschichten passen zusammen. Und dennoch… und dennoch wird diese Kreatur akzeptiert, ohne Fragen zu stellen. Sogar… verehrt.

Und Sie hat sich der Gemeinschaft des Ringes angeschlossen.

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Aragorns Tagebuch
Bruchtal, 25. Dezember 3018

Etwas ist nicht in Ordnung. Herr Elrond scheint voller Unruhe zu sein, und nicht nur deshalb, weil wir heute eine gefahrvolle Reise antreten. Er schien besonders besorgt zu sein wegen Kaszia… oder war es Kirthia?… aber ich kann seine Sorge verstehen. Immerhin ist sie Galadriels Tochter, die er praktisch aufgezogen hat wie sein eigenes Kind….

Warte. Was sage ich denn da? Wie närrisch. Natürlich ist sie meine eigene Zwillingsschwester Aragwen. Ich habe sie selbst das Kämpfen gelehrt, obwohl meine Männer nur Hohn und Spott für die Idee übrig hatten, einer Frau den Waffengebrauch beizubringen. Sie war immer besser als ich…

Nein. Nein, das kann auch nicht stimmen. Waldläufer kümmert es nicht, ob ein wahrer Kämpfer männlich oder weiblich ist… und ich habe gar keine Schwester. Oder? Und doch, da ist sie… und noch schöner als Arwen…

Also gut. Das ist jetzt völlig falsch.

Was habe ich gerade eben gesagt? Aaach! Ich kann mich nicht erinnern!

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Legolas Tagebuch
Westhang der Nebelberge, 2. Januar 3019

Es passiert schon wieder! Warum kann niemand sonst es sehen? Sie beobachtet mich. Ununterbrochen. Ich spüre ihren Blick im Nacken, als wolle er in meinen Kopf eindringen… an einem dieser Tage werde ich völlig aufgelöst oben auf einem Baum enden und Liebesgedichte rezitieren. Gerade gestern war ich gezwungen, sie vor einem zufällig aufgetauchten Ork zu retten – jawohl, ein zufällig aufgetauchter Ork. Irgendwie neigen die dazu, in ihrer Nähe aus dem Boden zu wachsen. Mir blieb keine Wahl! Hätte ich das nicht getan, sie hätte sich ihm selbst vor die Füße geworfen und sich dabei eine scheußliche Verletzung zugezogen… und das hätte „erfordert”, dass ich sie gesund pflegen muss.

Uach! Ich frage mich, ob ich sie nicht „aus Versehen” in den Kopf schießen könnte, wenn wir das nächste Mal in ein Scharmützel geraten. Nein… nein, dank der ganzen Angeberei, die ich schon mit dem Bogen veranstaltet habe, würde mir das niemand glauben. Möglicherweise sollte ich Gimli ins Vertrauen ziehen? Vielleicht würde er mir helfen… aber was denke ich da? Gimli kann mich bis irgendwann nach der Mitte dieses Buches nicht einmal leiden.

Ich weiß nicht, wie ich das so lange aushalten soll.

Autsch! Ich kaue schon wieder an meinem rechten Zopf herum. Schlechte Angewohnheit. Aber… sie starrt mich an. Heute abend sind ihre Augen violett und ihr Haar flammend rot – die Farben beißen sich, aber an ihr sieht das erstaunlich aus, fast… fast unwiderstehlich

Ich darf das nicht denken. Darf nicht nachgeben. Darf nicht… sei stark, Mann, sei stark

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Sams Tagebuch
Unterhalb des Rothornpasses, Caradhras, 9. Januar 3019

Heute morgen ist eine seltsame Sache passiert. Obwohl ich hätte schwören können, dass dieser verwünschte Ring unter mindestens fünf Lagen Kleidung versteckt war, schaffte es Herr Frodo, ihn nach einem besonders hässlichen Sturz im Schnee zu verlieren, und dieser verschlagene Boromir bekam ihn in die Finger.

Ich schäme mich nicht, zuzugeben, dass es ein übler Moment war, und das ist eine Tatsache. Ich denke nicht, dass er ihn wieder hergeben wollte. Glücklicherweise hatte ihn Streicher fast wieder in der Hand… aber das war, als Tanja – nein, warte, ich meinte Jeriah… also gut, du weißt, wen ich meine, also Sie – dazwischen sprang, um ihn zurückzugeben, mit dramatischer Ansprache und allem Drum und Dran (In sowas ist sie gut. Jede Nacht am Feuer kriegen wir die neueste Geschichte ihrer Herkunft zu hören.).

Und jetzt kommt die wirklich seltsame Sache: ich kann mich täuschen, aber ich bin ziemlich sicher, dass es ihr besonders darauf ankam, Frodo den Ring selbst zu überreichen… mit bloßen Händen und ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Es hätte mich nicht gewundert, wenn wir Tom Bombadis kleine „Tralala, schau, wie ich mit dem Einen Ring ohne jede Wirkung herumspiele”-Nummer zu sehen gekriegt hätten. Dass die nicht kam, hat mich wirklich ziemlich überrascht. Das alles ist mehr als unnatürlich. Und reichlich lästig.

Na ja, wie der Ohm immer sagt… nein, warte, Gimli hat mir angedroht, er steckt mich mit dem Kopf zuerst in einen Sack, wenn ich ihm wieder mit dem Ohm komme. Also gut. Notiz an mich selbst: Die Ringkette an Herrn Frodos Hemdkragen heften.

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Tagebuch von Lutz, dem Pony
Hinteres Tor von Moria, 13. Januar 3019

Tut mir echt leid, Sam, alter Kumpel, aber ich mach mich vom Acker, und keinen Augenblick zu früh. Ich rede nicht bloß von diesem nach Fisch miefenden Stinker, der aus dem See da rausplatzt... wenn dieses Möchtegern-Mädchen-Dingsbums noch ein einziges Mal seine Streichel-Fummel-„Ich kann mit Pferden sprechen”-Nummer durchzieht, beiß’ ich ihr die Finger ab.

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Gimlis Tagebuch
Große Halle in Moria, 15, Januar 3019

Verflucht witzlos war das. Ehrlich, ich meine, da sind neun – zehn, in Ordnung, zehn – von uns, und eine Million Orks, und ein kolossal großer Höhlentroll, jede Menge gutes, altmodisches Futter für meine Axt… und dann kriegt dieses kleine Fräulein „Zum Teil bin ich ein Einhorn” eine hallende Stimme und fängt an „heilig” zu strahlen, und sie machen sich allesamt aus dem Staub. Auch noch der allerletzte. Wie kann man von einem anständigen Sohn Aules erwarten, seine Sippschaft zu rächen, wenn ein kleines Weibsstück im Kettenhemd damit herumprotzt, wie wundervoll sie ist und diese ganze Sauerei????

Ich habe keine Ahnung, wen sie damit beeindrucken will. Der Elb zappelt mit glasigen Augen herum, als würde sie ihn demnächst zum Frühstück fressen, und der sogenannte König scheint sich nicht entscheiden zu können, ob er mit ihr herumschmusen oder sich vor ihrer Nase möglichst tapfer aufführen soll. Was auch immer, es macht mich richtig krank. Die Göre hat sowieso überhaupt keinen Geschmack – mir hat sie noch keinen zweiten Blick gegönnt. Ich bin nicht sicher, ob ich beleidigt bin oder verflucht dankbar…

Pfffth! Das letztere, möchte ich wetten. Sie hat sowieso viel zu viel Bein. Und jede Menge Titten, keine Muskeln. Gebt mir lieber für jeden Tag des Monats ein nettes, sehniges Zwergenmädel. Wieso dreht sich alles um sie? Wir müssen uns um viel wichtigere Dinge kümmern ---

---??? Ich rieche Rauch. Schwefel. Und Fräulein Zimperliese jault schwächlich herum: „Das Böse kommt immer näher!” – als ob wir das nicht selber merken würden! Pffth, sage ich. Später. Muss mich prügeln.

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Gandalfs Tagebuch
Westhang von Moria, 17. Januar 3019

Wenn das so weitergeht, werde ich meinen vorherbestimmten Tod nie sterben… solange Gewisse Leute darauf bestehen, einen im dramatischsten aller möglichen Momente davor zu retten.

Ich weiß genau, was ich tue, klar? Ich mag nur von minderer Göttlichkeit sein, aber göttlich bin ich trotzdem, vielen Dank auch. Und du solltest dir denken können, dass ich diesen sicheren Tod selbst vermeiden kann, wenn ich das will, richtig? Du solltest dir auch denken können, das es einen Grund gab für das ganze, dramatische Szenario. Hallo? Weg mit dem grauen Mantel, her mit dem weißen Gewand??? Wichtige Gründe für die Handlung, Jungchen, wichtige Gründe für die Handlung.

Aber dann erliegt dieser Jemand Der Ungenannt Bleiben Soll Der Aber Sämtliche Gesetze Übertritt Die Eru Selbst Niedergelegt Hat dem Wahn des Heldentums und zerrt dich tatsächlich vom Rande des sicheren (obgleich kurzzeitigen) Todes zurück. Wie es aussieht, werde ich mich in mein Schwert Glamdring stürzen müssen, wenn ich das mit dem Sterben diese Woche noch hinkriegen will.

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Aragorns Tagebuch
Westhang von Moria, 17. Januar 3019

Schreckliche, schreckliche Neuigkeiten. Mithrandir wurde grausam von uns genommen. Ich… ich bin nicht sicher, was geschah, aber… als wir zu den Ausläufern herunterstiegen, stolperte er, und… und es scheint, dass er ihn sein Schwert gefallen ist.

Selina – oder ist es Tathalia? Nein, vielleicht war s auch Rilliana – hat es das Herz gebrochen. Wir mussten sie förmlich von seinem Körper fortreißen. Gimli murmelte etwas darüber, dass ihr Klagegeschrei „die Halblinge aufregt”, und wenn man bedenkt, dass Pippin Tränen vergießt wie ein zerbrochenes Bierfass, dann bedeutet das schon einiges.

Heute hat sie silbernes Haar und kristallblaue Augen, und sie hat etwas darüber gesagt, dass sie ein „Teenager von der Erde” sei. Ich bin so schrecklich verwirrt. Ist das falsch? Ist das richtig?

Und habe ich Legolas gerade wirklich aufkreischen hören wie ein kleines Mädchen? Nein… kann nicht sein. Sie sehen gerade so glücklich aus zusammen.

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Legolas Tagebuch
Lothlórien, 5. Februar 3019

Weh mir Iluvatar! Fast war ich verloren… sie hatte mich erwischt. Ich war in ihrer Umklammerung, und ich habe es genossen. Nun, da wir die ersten Buchenzweige vom Wald der Herrin hinter uns lassen, klärt sich mein Kopf und… weh und ach! Ich trage den „Klassenring” dieser Bestie an einem Band um den Hals! Wann ist…!?

Ooohh… warte. Ich erinnere mich. Und ich erinnere mich auch, dass ich Liebesgedichte zitiert habe für sie.

Weeeh und aaach! Galadriel, süße Herrin des Goldenen Waldes, beschütze mich!

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Boromirs Tagebuch
Lothlorien, 6. Februar 3019

Habe letzte Nacht nicht viel geschlafen. Aragorns Fehler. Macht euch euren eigenen Reim drauf.

Ach! Ich mag diesen Ort nicht. Ich hätte nie gedacht, dass ich froh sein würde, wenn wir auf dem Weg nach Mordor sind, aber je eher ich aus diesem Wald rauskomme, desto besser. Diese Elbenhexe macht mich fix und fertig, fast genauso sehr wie Berel. Oder heißt sie Ravyne? Ich bringe ihren Namen einfach nicht auf die Reihe. Hat noch jemand außer mir bemerkt, dass sich auch ihre Haarfarbe ständig ändert…?

Das Schlimmste ist, sie wirft mir dauernd diese… Blicke zu. Mitleidige Blicke. Als ob sie irgend etwas wüsste. Verflucht soll sie sein! Es ist mühsam genug, zu schlafen mit diesem verdammten Ring in der Nähe, auch ohne dass sie sich aufführt, als hätte ich eine tödliche Krankheit. Bloß weil sie „den Ring berühren kann, ohne dass es ihr etwas ausmacht”, was sie mir bei jeder Gelegenheit unter die Nase reibt. Miststück!

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Sams Tagebuch
Lothlórien, 13. Februar 3019

Liebe Güte, jetzt haben wir aber eine Menge Zeit zum Ausruhen. Die Herrin hat mir dieses hübsche Kästchen voller Dreck gegeben – aber he, ich mag Dreck – und jedermann sonst hat auch hübsche Geschenke gekriegt, bloß dass das keiner weiß, weil sie die Szene raus geschnitten haben, damit Herr Frodo noch besser dasteht. Na schön.

Obwohl, ich hatte Zeit, mit meiner Dichterei weiter zu machen. Das hier ist mein neuestes Stück; ich glaube, ich werde richtig gut. Was denkt ihr?

Myrishna (oder war es Aelithea?) hatte Augen wie Sterne
Oder vielleicht auch Smaragde - oder waren sie bleich anzuschau’n?
Doch ihr Haar war wie Mithril!
Oder wie die Nacht... die Sonne ... oder wie Bier so braun.
Sie schwingt das Schwert ohnegleichen
Zack! Bumm!
Und kommt nicht mal ins Keuchen
Schnauf! Grunz!
Ist so schön, dass es kaum zum Aushalten ist...
Zu traurig, dabei ist sie ein solches Stück ---

(Ab dieser Stelle ist die Schrift auf der Seite zu verwischt, um den Rest abschreiben zu können.)

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Galadriels Tagebuch
Lothlórien, 15. Februar 3019

Heute reist die Gemeinschaft weiter. Ein großes Übel geht fort aus meinem Reich, und ein riesiger, finsterer Schatten hebt sich von den Herzen meines Volkes.

Ach ja, und der Eine Ring verlässt uns ebenfalls.

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Merrys Tagebuch
Ostufer des Anduin, 26. Februar 3019

Wenn du mir vor einem Monat gesagt hättest, ich sollte den ärgsten Tag meines Lebens beschreiben, dann hätte ich dir erzählt, dass gar nichts den Moment übertreffen könnte, in dem Bauer Maggotts Hund an einem ordentlichen Bissen aus meinem Hinterteil herumknabberte, genau vor dem Überraschungsfest für meinen 24. Geburtstag (das mag sich komisch anhören, aber komisch angefühlt hat es sich nicht!). Und noch vor einer Woche hatte ich kreischende Alpträume von der Wetterspitze, also wäre das deine Antwort gewesen.

Aber jetzt, wo ich hier mit zusammengebundenen Füßen herumsitze, kalt und hungrig, um mich herum lauter verdammte, enorm große Riesenorks, die aussehen, als wollten sie sich mit meinen Knochen in den Zähnen pulen oder mich zur Freundin nehmen, und während Boromirs Tod sich in meinem armen wehen Kopf ständig wiederholt... Ja. Ich sollte trübsinnig genug sein um zu sagen: „Der ärgste Tag? Ich wette, der ist morgen.“

Trotzdem... selbst, wenn man das alles bedenkt, fühl ich mich in Ordnung. Diese Monster sind nicht völlig schlecht. Sicher, die halten es für schrecklich spaßig „Peitscht den Hobbit, damit er schneller rennt“ zu spielen, aber keiner von denen hat versucht, mir das Haar zu zerzausen, oder hat gruselige, geflüsterte Kommentare abgelassen über mich und Pip, oder hat mich über Frodo ausgequetscht, oder hat versucht, sich hinter mir zu verstecken, wann immer sie... nein, das am Schluss war Legolas.

Aber jetzt, wo wir von der Gemeinschaft weg sind, ist es so offensichtlich! Nichts an ihr macht Sinn. Niemand ist dermaßen perfekt! Es war schlimm genug, wenn sie Aragorn oder Legolas auf den Fersen war wie ein Nerz in Hitze, aber als sie ein bisschen „süße, süße Hobbitliebe“ wollte – igitt! Ich krieg das Zittern, wenn ich an ihre „naives, aber tapferes Auenlandmädel“-Vorstellung denke. Wenigstens war sie meistens hinter dem armen Frodo her... in einer Nacht mussten Pippin und ich Wache schieben, damit er ein bisschen Schlaf bekam...

Jawoll. Es gibt eine gute Seite daran, von den Orks fortgeschleppt zu werden zu sicherer Folter und Tod.

Wenigstens stimmt die Handlung wieder.

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Pippins Tagebuch
Ostufer des Anduin, 26. Februar 3019

Au. Au. Au. Hatte einen wirklich lausigen Tag. Fühl mich nicht danach, was zu schreiben. He... guck mal, ein sprechender Baum ---

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Gimlis Tagebuch
Westufer des Anduin, 26. Februar 3019

Ich hätte euch vorher sagen können, dass Boromirs Schicksal besiegelt war. Es ist immer der Kerl zuviel, der ins Gras beißt, und wir haben schließlich schon einen vor sich hin brütenden Menschenmann, der das Ganze überleben muss, sonst macht der Titel „Die Rückkehr des Königs“ ja wohl gar keinen Sinn, oder wie oder was?

Ach zur Hölle. Ich mochte den Burschen irgendwie. Wirklich eine Schande. Trotzdem, so läuft es eben. Tatsächlich musste ich mich höchstpersönlich auf unsere Immerzu-unwiderstehliche Liebesspenderin draufsetzen, um sie daran zu hindern, ihn irgendwie mit ihren Tränen wieder zu erwecken, oder etwas anderes anzustellen, das genauso grauenvoll kitschig gewesen wäre. Was hätte ich sonst tun können? Sie hatte diesen: „Jetzt komme ich, um die Lage zu retten“-Blick in ihren Augen (im Moment sind sie gerade „smaragdgrün“), und es sah nicht so aus, als hätte sonst noch jemand genug Verstand, sie rechtzeitig aufzuhalten.

Genug Verstand ist etwas, das es in dieser Gemeinschaft nicht mehr gab, seit wir Lothlórien verlassen haben. Kurz, Wie-auch-immer-sie-aussieht, hat es geschafft, sich in ein gemeinsames Boot mit Legolas zu schlängeln. Der arme Kerl hatte nicht die geringste Chance; bis die Nacht hereinbrach, war er Hals über Kopf verliebt in diese klebrige kleine Sahneschnitte. Und diesmal kommt er nicht mehr davon – sie hält ihn um ihren kleinen Finger gewickelt, indem sie ihr „Fürwahr-ich-bin-eine-rebellische-geflohene-halbelbische-Prinzessin“-Getue gnadenlos durchzieht.

Ach was, wenigstens hält sie das beschäftigt. Was mich angeht, ich bin ziemlich bereit, die Würde des Elbenknaben zu opfern, wenn Aragorn dadurch genügend Zeit erkauft wird, wieder zu sich zu kommen und für uns einen Weg aus diesem Durcheinander zu finden. Ich werde ihm die ganze Sache in Helms Klamm erklären.

Moment mal--- wo ist sie hin? Wenn sie es schon wieder geschafft hat, dramatisch verletzt zu werden...

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Legolas Tagebuch
Westufer des Anduin, 27. Februar 3019

Oooh... fühle mich komisch... muss Liebesgedichte mit modernem Reimschema schreiben...

... warte...

In Ordnung. In Ordnung. Atmen. Nachdenken. Pfeile weg. Orks tot. Bin voller Blut, aber nicht verletzt, glaube ich. Irgend etwas ist passiert. Irgend etwas...

Aragorn hat etwas Wichtiges gesagt. Wir jagen... Orks? Richtig. Weil sie jemanden... entführt haben. Und jemand anderes ist... gestorben...

Reiß dich zusammen, Mann!

Es ist immer noch mühselig, klar zu denken, aber während ich dies schreibe, verzieht sich der Nebel. Ihre unreine Gegenwart ist dahin, und mein Geist gehört wieder mir! Meine schlimmsten Befürchtungen haben sich bewahrheitet. Das Boot! Sie hat mich in die Falle gelockt, in die Falle gelockt wie ein Tier--- mich schaudert, wenn ich denke, was...

... oh nein. Ich habe einen schwachen Eindruck von leidenschaftlichen Erklärungen wahrer Liebe im Sternenlicht, und ich... ich habe Lippenstift gefunden (Haben wir überhaupt Lippenstift in Mittelerde?). Auf meiner Wange. Wahrscheinlich auch weiter unten, aber ich habe im Augenblick zuviel Angst, um nachzusehen.

Gimli hat mich den ganzen Abend angegrinst.

Jetzt reicht es mir. Bei der ersten Rast, die wir einlegen, werfe ich mich Aragorn an den Hals. Das wird sie auf Abstand halten, wenn sie wiederkommt. Was sie auch tun wird. Natürlich tut sie das. *schauder* Es wird niemals aufhören.

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Frodos Tagebuch
Emyn Muil, 28. Februar 3019

Wisst ihr, ich war gewissermaßen dazu bestimmt, der Held dieser Geschichte zu sein. Hallo? Ringträger? Freiwillig gewillt, in sein sicheres Schicksal zu rennen? Und zwar ich? Ich will ja nicht eigensüchtig klingen – ich wäre ehrlich lieber daheim mit einem guten Essen auf dem Tisch, wer würde das nicht wollen? – aber es wäre tatsächlich nett, wenn ich etwas Hilfe bekäme, so weit es Sie angeht. Ein bisschen Konzentration wäre ganz reizend.

Also, zur Hölle mit dem ganzen Haufen! Sam und ich, wir kommen allein damit zurecht. Ein – also gut, zwei Hobbits haben eine weit bessere Chance, sich nach Mordor hineinzuschleichen als ein Rudel lärmender, waffenklirrender Großer Leute an jedem beliebigen Tag der Woche. Wir können es tun. Ich weiß, dass wir es können.

Außer... da ist nur ein Problem.

Sie ist uns gefolgt.

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Mary Sues Tagebuch
Emyn Muil, 28. Februar 3019

Bin immer noch nicht sicher, ob ich die richtige Wahl getroffen habe... das ist der Knackpunkt. Weil, immerhin gibt es drei verschiedene Handlungsstränge zu verfolgen, und die sind alle so cool! Ich meine, soll ich mich durch die Orks entführen lassen und das ganze Zeugs, damit ich Merry und Pippin tapfer beschützen kann, während die traumhaften Jungs versuchen, mich zu retten? Oder soll ich mit den beiden die Orks jagen, damit sie sehen, wie beherzt ich bin „für eine Frau“?

Oooh! Ich könnte wieder mal verletzt werden, das wäre großartig! Und dann sind da noch jede Menge Sachen in Rohan und Gondor, wo ich helfen könnte – ich meine, klar, wenn Éowyn dieses ganze „Als-Mann-verkleiden-und-das-Böse-erschlagen“-Dings durchziehen kann, wieso nicht ich? Ich hab diese Nummer praktisch erfunden! Und, he! Kann sie etwa dauernd ihre Gestalt verändern? Ha! Glaub ich nicht.

Aber dann dachte ich: hallo, bring den Ring nach Mordor, in Ordnung? Das muss ich machen. Große, wichtige Sache. Ich muss mithelfen, den Ring zu tragen, und dabei werde ich gefangen genommen, während ich versuche, Frodo zu retten, und ich werde gefoltert, und jede Menge Angst und Schrecken. Jawoll! Und dann gibt es noch mehr Verwundungen und so’n Zeugs, aber ich könnte immer noch die Lage retten (wer braucht schon Gollum, er ist kein bisschen niedlich), und vielleicht würde Aragorn mich hinterher höchstpersönlich gesund pflegen. Oder Legolas. Oder alle beide. Mmmmh...

Und am Ende ist jedermann glücklich, weil ich vorbeigekommen bin und alles in Ordnung gebracht habe. Gott, es ist so gut, ich zu sein.

Oooh! Ich kann es kaum erwarten, diesen Sauron-Knaben kennenzulernen! Ich bin sicher, er braucht bloß mal eine Umarmung.

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Gollums Tagebuch
Emyn Muil, 1. März 3019

Ooohhh, mein Schatzzz, ich kann’ssss fühlen, wie du näher und näher kommssst. Gollum kann’sss kaum erwarten, dich zzzu finden, und dich den garssstigen Hobbitssen wegzzunehmen, damit du für immer und ewig unsss ganzzz allein gehörssst.

Oh, mein Schatzzz, wir sssind Beutlin ssso viele Tage gefolgt, und wir waren sssehr, sssehr hungrig. Und dann haben wir wasss anderesss gefunden... wasss anderessss, dasss auch hinter Beutlin her war. Ssssie sssagte, sssie sssucht auch nach ihrem Schatzzz, aber wir denken nicht, dasss sie dich gemeint hat.

Aber wir können’sss nicht drauf ankommen lasssen, können wir, mein Schatzzzz?

Vielleicht müsssen wir anhalten und unsss ein bissschen ausssruhen... unsssser Bauch fühlt sich nicht ssso gut.

Musss irgendwasss sein, wasss wir gegesssen haben.


ENDE


P.S. von Cúthalion:

Meine Mary Sue von vor 20 Jahren hatte übrigens rote Haare (und „smaragdgrüne“ Augen, ja, ja...) und sie hieß nicht Selina, sondern Sabrina. Sie hat tatsächlich das „Als-Mann-verkleiden-und-das-Böse-erschlagen“-Dings durchgezogen und alle waren am Ende der Geschichte froh, dass sie vorbeigekommen war. Sie hat sich übrigens nie an einem der Gefährten „vergriffen“ (was wahrscheinlich noch das Netteste ist, was man über sie sagen kann). Ich hätte ein solches Verhalten damals als Sakrileg betrachtet. Trotzdem – Schande über mich. Und danke, kielle! Ein paar Sachen kamen mir sehr bekannt vor...


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