Ein kleines Geschenk (A little favor)

von kielle, übersetzt von Cúthalion

3008
Elf Jahre vor dem Ringkrieg
Minas Tirith, im Herzen von Gondor

Faramir hatte einen Ring in der Hand.

„Das... das ist ein Witz.“

„Wenn es nur so wäre.“ Faramir ließ sich schwungvoll auf die Zinne fallen, ungeachtet der schwindelerregenden Tiefe nur einen Fuß unter ihm. Auf der Westmauer des inneren Kreises von Minas Tirith gab es selbst in den schlechtesten Zeiten kaum Wachgänge, deshalb zog er es vor, Angelegenheiten von tieferer persönlicher Bedeutung hier zu besprechen. So wie dieses spezielle Desaster.

Es war nicht hilfreich, dass er, als er aufschaute, seinen Bruder dabei erwischte, wie er darum rang, einen Lachkrampf zu bemeistern.

„Das ist ernst.“ schnappte er, woraufhin Boromir im Kampf gegen seinen Sinn für Humor endgültig unterlag. Sein Gelächter hallte von den Steinmauern wider und erklang in den darunter liegenden Gärten. Faramir wartete mit steinernem Gesicht, dann streckte er seine offene Handfläche aus und sagte in einem Tonfall, der sich jeden weiteren Spaß verbot: „Was soll ich jetzt damit machen?“

„Trage ihn, Bruder.“ sagte Boromir leichthin. „Er ist ein Unterpfand der Gunst deiner Dame....“

„Das... ist...nicht... komisch.“

„Ich finde es bezaubernd, Obwohl ich bezweifle, dass Vater die Verbindung billigen würde.“

Anstatt den Köder zu schlucken, seufzte Faramir und starrte auf den Stadtkern hinunter. Während die Sonne sank und die Nacht sich näherte, wurden alle Lampen angezündet und der Haupthof summte vor Geschäftigkeit. Der Truchsess hatte Gäste, die Familie aus der Küstenstadt von Dol Amroth, und das Abendessen würde eine üppige Angelegenheit sein. Selbstverständlich wurde erwartet, dass die Söhne des Truchsessen erschienen, und daher waren beide von ihren jeweiligen Feldposten herbeordert worden.

Es war nicht so, dass sie sich über den Befehl ärgerten; sie hatten selten die Gelegenheit, die Sippe ihrer Mutter zu besuchen. Was ihre Vettern anging, war Amrothos immer noch ein Junge und Erchirion war daheim geblieben, um sich um die Angelegenheiten seines Vaters zu kümmern. Wie auch immer, Elphir war beinahe so alt wie Faramir und mehr an den geistigen als an den körperlichen Aspekten des Krieges interessiert. Faramir hatte sich auf die Unterhaltung mit ihm gefreut.

Der Sohn des Truchsessen starrte auf den Ring nieder, der auf seiner Handfläche lag, Und dann musste das passieren.

Er blinzelte, als Boromir den Grund seiner üblen Laune zwischen die behandschuhten Finger nahm. „Sei vorsichtig, das ist...“

„Zerbrechlich? Ich weiß. So wie das Herz der schönen Maid, die ihn dir verliehen hat.“ Boromir bot ihm auch die andere Hand; Faramir zog ein Gesicht, aber er ergriff sie und ließ zu, dass ihn sein Bruder auf die Füße zog. „Lass mich das für dich erledigen. Es ist das Beste und nur anständig, dass der Sekundant eines Mannes in einer solchen Lage vermittelt.“

Faramir hob eine Augenbraue. „Mein Sekundant? Das ist kein Zweikampf."

„Ah... aber es könnte einer werden, wenn dein finsteres Fehlverhalten die Dame dazu provoziert, niederträchtigerweise nach ihren Brüdern zu schreien.“ Er gab seinem eigenen Bruder einen Klaps auf die Schulter. „Geh, mach dich für das Bankett fertig. Wenn ich dein...äh... Liebesleben nicht bis zur zweiten Gang in Ordnung gebracht habe...“

„Ich fordere dich selbst zu einem Zweikampf heraus, wenn du ihre Gefühle verletzt.“

Boromir gluckste verzeihungheischend. „Hab keine Furcht. Eher würde ich mich in trostloser Reue in mein Schwert stürzen.“

*****

Er fand die fraglich Dame dort, wo er erwartet hatte, sie zu finden – in den Stallungen. Sie war fasziniert von Pferden, mit jener eigentümlich weiblichen Bewunderung, die scheinbar nur diejenigen befiel, die nicht tatsächlich mit Pferden arbeiten mussten. Sie verfütterte gestohlene Karotten an Denethors Streitross und umgurrte den riesigen, übellaunigen, biestigen Fuchs, als wäre er ein Kätzchen.

Boromir lehnte sich gegen einen Stützbalken und gab ein höfliches Räuspern von sich. Das Mädchen wandte sich um und ihr Gesicht hellte sich auf, als sie ihn sah... dann wanderten ihre meergrauen Augen hinunter zu dem kleinen Schmuckstück in seiner Hand. Sie erstarrte und runzelte heftig die Stirn.

„Er... er hat ihm nicht gefallen?“ fragte sie, und ihre Lippen fingen ganz leicht an zu zittern.

„Es ist nicht so, dass er ihm nicht gefallen hat. Es ist nur...“

Das Zittern hatte sich zu einem wahrhaft beeindruckenden Schmollen verfestigt. „Er denkt, ich bin zu jung, nicht? Oder... oder nicht hübsch genug?“

Boromir seufzte und ließ sich auf dem nächsten Heuballen nieder. „Du bist sehr hübsch, Lothiriel. Es ist nur... du bist unsere Base. Und du bist neun Jahre alt.“

ENDE

Kleine Anmerkung: Lothiriel gibt es wirklich, sie ist die Tochter von Fürst Imrahil und die spätere Frau von König Éomer von Rohan. Und der Titel A little favor bedeutet witzigerweise zum einen Ein kleiner Gefallen und gleichzeitig Ein kleines Geschenk.


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