Euch zu Diensten
von Lialathuveril, übersetzt von Cúthalion


Kapitel Vierzehn
Unterpfand

Mein Lieb erbat von mir ein Band,
Dass wir auf ewig soll'n verbunden sein.
Er musste fortgeh'n in ein weit entferntes Land,
Zu kämpfen gegen einen mächt'gen Feind.
Ich warte auf den Tag, an dem er wiederkehrt,
Der Tag, der die Belohnung ihm beschert.

(Beliebte Ballade aus Rohan)

Bei ihrer Rückkehr fanden sie im Lager geregelte Betriebsamkeit vor. Éomers Männer hatten in südlicher Richtung ein großes Feld eingezäunt, das für den Bogenschießwettbewerb und ein paar von den kleineren Reitvorführungen benutzt werden sollte. Außerdem hatten sie einen groben Rennkurs angelegt, der zum nördlichen Tor des Rammas Echor und wieder zurück führte. Kleine Sonnensegel boten Schatten für die Besucher, und in der Mitte war für Éomer und seine Gäste eine erhobene Plattform mit einem großen Pavillon aufgerichtet worden. Das weiße Pferd flog darüber hin und flatterte in der leichten Brise.

Sobald für ihre Pferde gesorgt war, machten sie sich auf den Weg dorthin, wo Elfhelm stand und die Vorbereitungen dirigierte. Éomer hatte dem Marschall der Ostmark die Planung des Ereignisses übertragen, weil er einen Sinn für diese Art Aufgabe und in seiner Frau eine fähige Helferin besaß.

„Éomer König,“ begrüßte ihn Elfhelm. „Wir haben alles vorbereitet. Die ersten Wettrennen beginnen jeden Moment.“

Éomer hatte keinen Zweifel daran, dass sein Marschall die Dinge gut in der Hand hatte. Als junger Reiter hatte Éomer seine ersten Erfahrungen im Kampf gegen Orks unter Elfhelms Befehl gemacht, und er hatte die zielstrebige Entschlossenheit erlebt, die der Mann bei jeder Pflicht zeigte, die man ihm auferlegte.

Er nickte dankend. „Sind irgendwelche von unseren Gästen bereits eingetroffen?“

Elfhelm ging ihnen voraus zu dem Pavillon. „Ein paar von ihnen, ja.“

Die erste, der sie begegneten, war die Herrin Wilwarin. Sie stand im Gespräch mit einem jungen Mann und blickte mit einem erfreuten Lächeln auf, als sie eintrafen. Ihr Gefährte verneigte sich tief und Éomer erkannte ihn als den älteren der beiden Edelmänner wieder, der am Tag zuvor den Warg aufgescheucht hatte. Nach dem, was seine Posten ihm gesagt hatten, hatten die beiden Brüder es nicht vor den frühen Morgenstunden zurück geschafft, doch sie hatten den Wargpelz in einem Stück abgeliefert. Éomer erwiderte den beklommenen Blick des Mannes mit einem kühlen Nicken. Er hoffte, dass der junge Edelmann etwas aus der ganzen Sache gelernt hatte.

Die Herrin Wilwarin streckte ihre Hand aus. „König Éomer, wie schön, Euch wiederzusehen.“

„Es ist mir ein Vergnügen,“ versicherte er ihr.

Elfhelm strahlte sie an. „Die Herrin Wilwarin hat sich freundlicherweise bereit erklärt, später einige der Preise zu verleihen.“

Sie schenkte ihm ein sanftes Lächeln. „Bitte, es ist mir eine Ehre.“

Éomer spürte, wie seine Schwester neben ihm langsam ärgerlich wurde. „Eine ausgezeichnete Idee,“ meinte er hastig, ehe Éowyn irgend etwas sagen konnte. Es kam ihm so vor, als ob seine Schwester eine unvernünftige Abneigung gegen jede der Damen am Hof von Gondor gefasst hatte, an der er auch nur das geringste Interesse gezeigt hatte, doch besonders gegen die Herrin Wilwarin. Vielleicht hoffte Éowyn immer noch, dass jene sagenhafte Frau erschien und sein Herz eroberte, aber er musste realistisch sein. Die Riddermark brauchte eine Königin, und zwar bald. Er machte sich nicht die Illusion, unsterblich zu sein. Ein einziger Orkpfeil, die vergiftete Klinge eines Südlings konnte seine Heimat ihres Königs berauben und die Mark in ein Chaos stürzen, ohne dass es einen eindeutigen Erben gab.

Als er den feindseligen Blick mitbekam, den Éowyn der Herrin Wilwarin zuwarf, dachte er, dass es besser sei, seine Schwester abzulenken, ehe es zum Austausch von Unfreundlichkeiten kam.

Er wandte sich an Lothíriel. „Ich muss jetzt als Preisrichter den Bogenschieß-Wettbewerb überwachen. Vielleicht kann Euch Éowyn in der Zwischenzeit herumführen.“ Er dachte, dass diese Veranstaltung für die Prinzessin ohnehin überaus langweilig sein würde.

Sie zog ihre Hand von seinem Arm zurück; ein Teil der vorigen Lebhaftigkeit wich aus ihrem Gesicht. „Natürlich. Ich fürchte, ich habe schon zuviel von Eurer Zeit in Anspruch genommen.“

Das war es nicht, was er gemeint hatte. Doch ehe er Widerspruch äußern konnte, hatte die Herrin Wilwarin seinen anderen Arm ergriffen. „Ich habe so viel über die fabelhaften Fähigkeiten der Rohirrim auf dem Pferderücken gehört. Wie aufregend, dass ich sie endlich selbst zu sehen bekomme!“

Seine Schwester warf ihm einen harten Blick zu, aber sie hakte sich bei Lothíriel und Faramir unter. Als sie sich zum Gehen wandten, verspürte Éomer ein merkwürdiges Bedauern. Allerdings war er bald zu beschäftigt, den Rest seiner Gäste zu begrüßen, um einen weiteren Gedanken daran zu verschwenden.

Éomer hatte den Preis für den Bogenschieß-Wettbewerb selbst ausgesetzt, einen feinen Wallach aus der königlichen Herde von Edoras, und er war neugierig darauf zu sehen, wie die berühmten Bogenschützen von Gondor wohl auf dem Pferderücken zurecht kommen würden, verglichen mit den Rohirrim. Eine rechteckige Fläche war markiert und an einem Ende Zielscheiben aus Stroh aufgestellt worden. Die Regeln waren einfach: die Wettkämpfer mussten in leichtem Galopp quer über das Feld reiten und drei Pfeile auf die Zielscheiben abschießen, die nach jeder Runde zehn Schritte weiter nach hinten versetzt wurden.

Jedermann hatte das Recht, teilzunehmen, und der Nachmittag schleppte sich hin, während die hoffnungslosen Bogenschützen Schritt für Schritt aussortiert wurden. Seine Männer mussten nicht weniger als drei Pferde einfangen, die ihre Reiter abwarfen und durchgingen. Éomer konnte nur den Kopf schütteln, als ein Mann es nicht einmal fertig brachte, seinen Gaul zu einem leichten Galopp zu bewegen. Wenigstens enttäuschten seine eigenen Reiter ihn nicht; die besten von ihnen verblüfften die Menge geradezu durch die Leichtigkeit, mit der ihre Pfeile ins Schwarze trafen. Und trotzdem sah er, dass einige von Faramirs Waldläufern und die Männer der Turmwache nicht so einfach zu besiegen sein würden.

Die Herrin Wilwarin überreichte die Preise für die Wettrennen, silberne Becher mit eingravierten, stilisierten Pferden. Éomer musste zugeben, dass sie das sehr hübsch machte, und doch stellte er fest, dass seine Aufmerksamkeit nach einer Weile abschweifte; er suchte die Menge nach Éowyn und Lothíriel ab. Angesichts der Beliebtheit seiner Reiter gab es da eine ganze Menge blonder und schwarzhaariger Paare. Lauter Jubel und Gelächter wehte von den anderen Einfriedungen herüber, und er hatte den quälenden Verdacht, dass sie viel mehr Spaß hatten als er selbst.

Éomer verspürte einige Erleichterung, als nach einer Weile Aragorn und Imrahil sich ihm anschlossen. Aragorn fuhr zusammen, als er einen jungen Soldaten vorbei reiten sah, der gefährlich im Sattel schwankte und das Ziel komplett verfehlte.

„Wie geht der Wettbewerb voran?“ fragte er.

Éomer zuckte die Achseln. „Das war der Letzte. Dreiundzwanzig Rohirrim haben es in die zweite Runde geschafft, und einunddreißig Gondoreaner.“

Nach einer höflichen Verneigung vor der Herrin Wilwarin blickte sich Imrahil suchend um. „Wo ist meine Tochter?“

„Sie macht mit Éowyn einen Rundgang. Faramir ist bei ihnen.“

Imrahil runzelte die Stirn. „Als Eure Schwester sie heute morgen abgeholt hat, war mir nicht klar, dass damit gemeint war, dass Lothíriel sie den ganzen Tag über begleiten sollte.“

Éomer setzte sein farblosestes Gesicht auf. „Ein bedauerliches Missverständnis. Ich denke, meine Schwester ist sehr erfreut darüber, in Lothíriel eine neue Freundin gefunden zu haben.“

Imrahil verneigte sich steif. „Das ist uns natürlich eine Ehre.

Aragorns Augen zwinkerten. „Ich glaube, ich kann sie jetzt sehen; sie sind auf dem Weg durch die Menge.“

Éomer drehte sich rasch um und entdeckte die beiden Frauen fast sofort. Er bemerkte auch, dass Cadda sich ebenfalls der Gruppe angeschlossen hatte. Die Frauen lachten über irgendetwas, das der Barde sagte, und er reichte Lothíriel die Hand, als sie die Stufen erklommen, die zu der hölzernen Plattform hinauf führten, von wo aus die Gäste den Bogenschieß-Wettbewerb beobachten konnten. Imrahil trat vor. „Lothíriel!“

Die Prinzessin stolperte leicht, fing sich aber rasch wieder. „Vater? Bist du schon lange hier?“

„Nein. Ich bin gerade erst angekommen. Ich habe nach dir gesucht.“

Lothíriel winkte vage in die Menge. „Éowyn hat mich herum geführt.“ Sie strich sich die Haare glatt. Plötzlich entdeckte Éomer, dass ein blaues, glänzendes Band durch den langen Zopf gewunden war, der ihr über den Rücken hinunter fiel. Ein rascher Blick auf seine Schwester zeigte ein ebensolches in grün, eingeflochten in ihr blondes Haar. Dann erinnerte er sich daran, dass Éowyn eine ganze Menge davon auf dem Jahrmarkt gekauft hatte.

„Éowyn, auf ein Wort,“ sagte er auf Rohirric und bedeutete seiner Schwester, mitzukommen.

Er zog sie auf die Rückseite des Pavillons, außer Hörweite der anderen und wies ruckartig mit dem Kopf Richtung Prinzessin. „Was glaubst du eigentlich, was du da machst?“

Éowyn warf ihm ihren hochmütigsten Blick zu und ließ ihn damit wissen, dass sie ihm seinen früheren Versuch, sie loszuwerden, noch nicht verziehen hatte. „Ich weiß nicht, wovon du redest.“

„Éowyn, du weißt ganz genau, dass ich das Band meine,“ sagte er, und sein Ärger verstärkte sich.

Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Was ist damit?“

„Habt Ihr Bänderfangen gespielt?“

„Was wäre, wenn?“ fragte sie und hob das Kinn.

Das war ein beliebter Zeitvertreib bei Zusammenkünften und auf Jahrmärkten, und er bestand daraus, dass die Reiter Schals und lange Bänder aus der Hand einer Frau fingen, während sie in hoher Geschwindigkeit an ihr vorbei ritten. Die Wagemutigeren unter ihnen zogen sie tatsächlich geradewegs aus dem Haar der erwählten Dame.

„Sie ist unser Gast. Du solltest sie nicht zu so gefährlichen Unternehmungen ermutigen.“

Éowyn warf trotzig ihr Haar zurück. „Da gibt es überhaupt keine Gefahr. Elfhelms Männer haben einen Zaun aufgestellt, um irgendwelche Unfälle zu verhindern. Man steht dahinter und hält sein Band einfach dem Reiter hin, dem man seine Gunst erweist.“

„Nun, es ist würdelos,“ protestierte Éomer.

Éowyn schnaubte. „Du bist aber plötzlich sehr gesetzt, Bruder. Ich meine mich zu erinnern, dass du ganz schön geschickt warst darin. Auch, wenn es darum ging, anschließend deine Belohnung einzufordern...“

Éomer holte tief Luft und erinnerte sich selbst daran, wie sehr er in Wirklichkeit seine Schwester liebte. Nebenbei mochte Faramir etwas dagegen einzuwenden haben, dass er sie kurz vor der Hochzeit erdrosselte. Ein rascher Blick auf seine Gäste zeigte, dass sie den Zank zwischen Bruder und Schwester hinter ihnen höflich ignorierten. Glücklicherweise würden die meisten von ihnen ohnehin nicht imstande sein, ihn zu verstehen, da sie beide Rohirric sprachen. Trotzdem senkte er die Stimme. „Du machst sie zum Lagergespräch.“

„Ich mache das?“ Sie hob eine Augenbraue. „Gestern bist du den halben Abend mit ihr in den Gärten verschwunden, bist zurückgekommen, von oben bis unten mit Staub und Spinnweben bedeckt und hast den Rest des Abends über mit ihr getanzt.“

„Ich habe dir schon gesagt, dass ich ihr gefolgt bin, weil ich mir Sorgen machte, ihr wäre etwas passiert. Sie hat mir den Irrgarten gezeigt, das ist alles.“

Éowyn zuckte die Achseln. „Ich sage ja nur, dass Lothíriel den Leuten dank dir sowieso schon beträchtlichen Gesprächsstoff liefert. Ein wenig Bänderfangen wird ihr nicht schaden. Tatsächlich hat sie es genossen.“ Sie streckte beschwichtigend eine Hand aus. „Komm schon, Bruder. Es ist einfach so, dass die Geschichte von ihrer Tapferkeit diesem Warg gegenüber mit dem Weitererzählen gewachsen ist, und unsere Reiter glauben, dass ein Unterpfand aus ihren Händen ihnen bei den Rennen Glück bringen wird.“

Éomer wusste, wie abergläubisch seine Landsleute sein konnten. Er dachte an Guthláf und seufzte. „Das ist das einzige Glück, das bei dieser Sache herauskommt.“

Éowyns Gesicht wurde weicher, und sie hakte sich bei ihm unter. „Oh Éomer, wir wollen uns nicht streiten. Und ich glaube, die zweite Runde des Bogenschieß-Wettbewerbs fängt gleich an.

Sie machten sich wieder auf den Weg zu ihren Gästen. „Wie auch immer,“ flüsterte Éowyn ihm ins Ohr, „du musst dir keine Gedanken machen, dass irgendeiner deiner Reiter die Verwegenheit haben könnte, das traditionelle Pfand einzulösen. Ein Blick auf dich, und sie werden es nicht wagen."

Unglücklicherweise hatte Éomer nicht die Zeit, sich auf diese Feststellung eine angemessen vernichtende Erwiderung auszudenken, ehe seine Gäste wieder seine Aufmerksamkeit erforderten.

Tatsächlich war die zweite Runde schon in vollem Gange, und einige weitere Wettkämpfer waren gezwungen gewesen, sich zurückzuziehen. Faramir ließ einen besitzergreifenden Arm um Éowyns Mitte gleiten, als sie neben ihn traten.

„Irgendwelche Schwierigkeiten?“

„Nein,“ erwiderten die beiden gleichzeitig. Sie wechselten ein Grinsen.

„Nur eine kleine Meinungsverschiedenheit,“ erklärte Éomer.

Genau in diesem Moment fing er einen fröhlichen Blick von Aragorn auf, der in der Nähe stand und mit Imrahil sprach. Plötzlich fiel ihm das legendär scharfe Gehör des Waldläufers wieder ein, und dass er Rohirric sprach. Doch wie gut kannte er die Gebräuche der Mark? Mit einem Mal hatte er den Verdacht, dass er sie nur zu gut kannte.

Faramir nickte zu einem Reiter hinüber, der vorbei galoppierte und seinen Pfeil mit trügerischer Leichtigkeit im Zentrum der Zielscheibe platzierte. „Dieser da ist ziemlich gut.“

Éomer erkannte Beow, den besten Bogenschützen seines Éored. „Das ist er. Aber ich denke, ein paar deiner Waldläufer werden schwer zu schlagen sein.“

„Vielleicht, wenn sie ihre Langbögen benutzen dürften,“ meinte Faramir zustimmend, „aber ich glaube, dass auf dem Pferderücken die Rohirrim im Vorteil sind.“

Wirklich waren am Ende der zweiten Runde mehr Wettkämpfer aus Rohan als aus Gondor übrig. Zwei der Zielscheiben wurden entfernt, die andere wurde weiter nach hinten verschoben, und die verbliebenen zwanzig Männer machten sich wieder zum Schießen bereit. Bei achtzig Schritt konnten nur die besten von ihnen hoffen, es in die nächste Runde zu schaffen. Éomers eigene Sachkunde lag beim Schwert. Doch er wusste genug, um ausmachen zu können, welche Bogenschützen nur Glück gehabt hatten und welche echtes Können besaßen – die Glücklichen hatten dieses Mal das Nachsehen.

Die Wettrennen waren inzwischen beendet worden, die letzten Preise anmutig durch die Herrin Wilwarin verliehen. Éomer registrierte grimmig, dass eine beträchtliche Anzahl der Gewinner sich mit grünen oder blauen Bändern schmückten. Es waren eindeutig übermäßig viele.

Einer nach dem anderen schieden die noch vorhandenen Bogenschützen aus, bis bei hundert Schritt nur noch drei übrig waren. Als – sehr zu Aragorns Leidwesen – ein Mann der Turmwache beim nächsten Mal daneben schoss, blieben nur noch Beow und einer von Faramirs Waldläufern. Die Menge jubelte wie wild, als es beiden gelang, ihr Ziel zu treffen. Éomer musste zugeben, dass er Bogenschießkunst von dieser Güte seit langer Zeit nicht mehr zu Gesicht bekommen hatte.

„Was geschieht gerade?“ fragte eine Stimme an seinem Ellenbogen. Lothíriel war zu ihnen gekommen, Cadda an ihrer Seite.

„Es sind jetzt nur noch zwei Wettkämpfer übrig,“ erklärte Éomer. „Aber ich fürchte, Ihr habt einen eher langweiligen Nachmittag gehabt.“

Sie schüttelte den Kopf. „Oh, nicht im mindesten. Cadda war so freundlich, mich mit Geschichten aus Rohan zu unterhalten.“

„Mit einer so begeisterten Zuhörerin ist es ein Vergnügen.“ sagte der Barde mit einem Lächeln. Éomer konnte nicht anders, als die Stirn zu runzeln, als er das blaue Band sah, das er sich um ein Handgelenk gewunden hatte. Noch so einer.

„Wer ist denn übrig?“ fragte Lothíriel. „Irgendjemand aus Dol Amroth?“

Éomer schüttelte den Kopf. „Es tut mir Leid, aber nein. Die letzten beiden sind ein Reiter aus meinem eigenen Éored und ein Waldläufer aus Ithilien.“

Die Menge schnappte nach Luft, als es Beow erneut gelang, mit seinem Pfeil ins Schwarze zu treffen. Lothíriel packte ihn am Arm. „Und nun?“

„Beow hat es in die nächste Runde geschafft.“ Éomer gelang es nicht, den Stolz aus seiner Stimme zu verbannen.

Faramirs Waldläufer kam als nächstes heran geritten; er hielt sich mit Leichtigkeit im Sattel und fasste das Ziel ins Auge. Die Menge war in Vorfreude verstummt, und Éomer fiel besonders ein hübscher Rotschopf auf, die den Reiter gespannt beobachtete, einen Ausdruck heftiger Konzentration auf dem Gesicht, als wäre sie es, die schoss. Ein Schätzchen vielleicht, oder eine Ehefrau? Das Schwirren eines Pfeiles durchbrach die erwartungsvolle Stille, und dann begann die Menge zu jubeln.

Éomer gab einen überraschten Ausruf von sich. „Ich glaube es nicht, noch ein Treffer! Wir werden die Zielscheiben noch weiter nach hinten bewegen müssen.“

Er warf einen Blick zum Himmel. Gerade war die Sonne hinter dem Mindolluin unter gegangen, und das Licht schwand rasch.

Lothíriel klatschte in die Hände. „Oh, ich freue mich für Faramir. Obwohl ich sicher bin, dass Euer Reiter auch sehr gut ist,“ fügte sie hinzu und legte ihm tröstend eine Hand auf den Arm. „Wirklich, es ist eine Schande, dass sie nicht beide gewinnen können. Es wäre so nett – ein Mann aus Rohan und einer aus Gondor.“

Éomer starrte sie einen Moment lang an. Wieso hatte er nicht selbst daran gedacht?

„Aber das können sie,“ sagte er langsam. „Ihr habt Recht. Es wäre eine passende Erinnerung an die Freundschaft zwischen unseren Ländern.“ Er blickte dorthin hinüber, wo Faramir und Éowyn beieinander standen. „Und auch an die Heirat, die bald noch engere Bande zwischen uns schmieden wird.“

Lothíriel nahm die Hand von seinem Arm. „Ja, natürlich.“

Er runzelte für einen Augenblick die Stirn. Hatte er irgendetwas gesagt, um sie zu verärgern? Doch in diesem Moment erblickte er Elfhelm und winkte den Marschall zu sich her. Die Planänderung zu erklären dauerte nur eine Minute, und dann wurde sein Knappe eilig in ihr Lager geschickt. Bis Oswyn zurück kehrte und einen weiteren feinen Wallach aus Éomers eigener Herde am Zügel führte, hatten die beiden Gewinner sich bereits vor dem Pavillon aufgestellt.

Éomer wandte sich an Éowyn, die die ganze Zeit über die Aufgabe gehabt hatte, die Preise in diesem Wettbewerb zu überreichen. „Wirst du mir die Ehre erweisen?“

Sie nickte. „Ja, sicher. Aber warum lässt du nicht Lothíriel eines der Pferde überreichen? Immerhin war es ihre Idee.“

„Ich?“ stammelte die Prinzessin. „Oh nein, das könnte ich nicht.“

Éomer nahm ihre Hand. „Bitte, tut es.“

Sie zögerte einen Moment, doch dann schenkte sie ihm ein scheues Lächeln. „Wenn Ihr es wünscht.“ Er half ihr die Stufen hinunter und führte sie zu den beiden Pferden hinüber. „Ihr wählt eines für Beow. Auf diese Weise kann niemand mich beschuldigen, meinem eigenen Reiter den Vorzug zu geben.“

„Wie heißen sie?“

Éomer nahm den ersten Wallach beim Zaumzeug und führte ihre Hand, damit sie ihm den Kopf streicheln konnte. „Das hier ist Flinkfuß.“

Das Pferd schnaubte leise, als sie es streichelte. Neugierig – oder vielleicht in der Hoffnung auf eine Leckerei – streckte der andere Wallach ebenfalls seinen Hals nach vorne.

„Und hier kommt Graumähne,“ fügte Éomer hinzu.

Lothíriel ließ ihre Hand an seiner Nase entlang gleiten. „Ich denke, ich kann erraten, welche Farbe er hat, also werde ich nicht fragen,“ sagte sie mit einem frechen Grinsen. „Und ich wähle ihn.“

Er lachte und half ihr, Graumähne dorthin zu führen, wo Beow und Faramirs Waldläufer standen und auf ihre Preise warteten. Éowyn folgte ihnen und führte Flinkfuß am Zügel. Eine Menge hatte sich rings um sie versammelt und Stille senkte sich herab, als er sich bereit machte, die Gewinner zu verkünden.

„Euer Name?“ fragte er den Waldläufer.

„Damrod, mein Herr.“

Der Mann hatte das Aussehen der Menschen von Númenor – schwarzes Haar und graue Augen, die seinem Blick gerade heraus begegneten. Éomer erinnerte sich, dass er ihn auf dem Marsch zum Schwarzen Tor gesehen hatte.

Er bestieg die Plattform und erhob seine Stimme. „Hört mich, Leute von Gondor und Rohan! Vor euch stehen Damrod von Ithilien und Beow aus der Ostmark. Keiner von beiden war heute imstande, den anderen zu übertreffen, also erkläre ich sie zu gemeinsamen Siegern.“

Die Menge brach in Beifallsrufe aus (sonst wird mir hier zuviel gejubelt...)und die beiden Männer schüttelten sich die Hände; der gegenseitige Respekt, den sie empfanden, war offensichtlich.

„Lasst dies ein Zeichen für die ewige Freundschaft zwischen unseren Ländern sein,“ fuhr Éomer fort, „und dass jeder von uns bereit ist, dem anderen in Zeiten der Not zu Hilfe zu eilen.“

Er glaubte nicht an lange Ansprachen, deshalb sprang er, als das neuerliche Klatschen und Jubeln wieder erstarb, von der Plattform hinunter und nickte Éowyn zu, dass sie fortfahren sollte.

Sie hielt Damrod die Zügel entgegen, und der Waldläufer verneigte sich vor der zukünftigen Gemahlin seines Herrn und dankte ihr. An seiner Seite stand die rothaarige Frau, die Éomer schon früher gesehen hatte, ein Baby auf der Hüfte.

Er drehte sich um, um Lothíriel zu helfen, aber als er ihr Stichwort hörte, hatte sie Beow bereits Graumähnes Zügel gereicht.

„Möge er Euch einem glücklichen Ziel entgegen tragen,“ sagte sie feierlich.

„Danke, meine Herrin.“ Der Reiter berührte seinen Arm, an dem er ein blaues Band befestigt hatte. „Euer Unterpfand hat mir Glück gebracht.“

Lothíriel legte ihren Kopf schräg. „Oh, Ihr seid einer von denen,“ lachte sie. „Es freut mich zu hören, dass es wirkt, obwohl Euer Geschick mehr mit Eurem Erfolg zu tun haben dürfte.“

Éomer trat zu ihnen hinüber und nahm ihren Arm. Irgendwie dachte er nicht, dass es Imrahil belustigen würde, von den Aktivitäten seiner Tochter an diesem Nachmittag zu hören. „Prinzessin Lothíriel,“ sagte er – mit Betonung auf ihrem Titel, „wir müssen uns bald bereit machen, zum Anduin hinunter zu reiten.“

Sein Reiter begriff den Wink und entschuldigte sich mit einem weiteren Wort des Dankes. Lothíriel lächelte zu Éomer auf. „Natürlich, die Feuerboote! Ich würde sie nicht verpassen wollen. Müssen wir uns beeilen?“

„Nun, es ist noch reichlich Zeit, aber der Bogenschieß-Wettbewerb hat länger gedauert als erwartet.“

Faramir winkte sie zu sich herüber. „Lothíriel! Erinnerst du dich an Damrod von meinem Besuch in Dol Amroth letzten Winter?“

Sie streckte ihre Hand aus. „Ja, natürlich erinnere ich mich. Herzlichen Glückwunsch zu Eurem Gewinn.“

„Ich danke Euch, meine Herrin.“ Der Waldläufer beugte sich über ihre Hand. „Darf ich Euch Noerwen vorstellen, meine Frau?“

Die Frau gab ihrem Mann den Säugling und versank in einem anmutigen Knicks. „Es freut mich, Euch kennen zu lernen, Prinzessin Lothíriel.“

Das Baby suchte sich diesen Moment aus, um gegen den plötzlichen Ortswechsel zu protestieren. „Ist das Eures, Damrod?“ fragte Lothíriel. „Ihr hattet erwähnt, dass Noerwen Euer erstes Kind erwartet.“

„Ja, das ist es,“ erwiderte der Mann voller Stolz. „und es ist eine Tochter. Ihr Name ist Lírulin.“

„Darf ich sie halten?“

Damrod reichte das Baby herüber, und als hätten sie nur auf dieses Zeichen gewartet, versammelten sich die meisten anwesenden Damen ebenfalls um das Kind. Éomer fand sich plötzlich inmitten einer Horde Frauen wieder, die das winzige Geschöpf in Lothíriels Armen umgurrten und mit entzückten Ausrufen bedachten. Während er zusah, wie die Kleine glücklich und zahnlos lächelte, fragte er sich, ob er wohl jemals eine Frau an seiner Seite haben würde, und ein eigenes Kind. Ein eifriger Sohn oder eine lebhafte Tochter, denen er beibringen konnte, wie man den Wind quer über die Riddermark jagte.

Er blickte auf Lothíriel hinunter, die sachte das flaumige Haar des Babys streichelte und entdeckte einen wehmütigen Ausdruck auf ihrem Gesicht. Einen Moment lang konnte er beinahe glauben, dass sie ihr gemeinsames Kind in den Armen wiegte. Sie sah wunderschön aus.

Er schüttelte angesichts dieser phantastischen Vorstellung den Kopf und wurde dann von seinen Männern abgelenkt, die ihre Pferde herbeiführten.

„Wir müssen jetzt gehen,“ erinnerte er Lothíriel.

Zögernd gab sie das kleine Mädchen ihren Eltern zurück und verabschiedete sich von ihnen. Éomer half ihr schwungvoll auf Winterhauchs Rücken und wandte sich ab, um Feuerfuß zu besteigen. Währenddessen fiel sein Blick auf Oswyn, der die Zügel hielt. Sein Knappe trug ein blaues Band um den Oberarm gewickelt.

Blitzartiger Ärger schoss durch ihn hindurch. War eigentlich irgendjemand übrig, der keines von denen hatte?

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Anmerkung der Autorin:

Vielen Dank an Cúthalion, dass sie mir erlaubt hat, Damrod und Noerwen aus ihrer Geschichte Winterfeuer auszuborgen!

Gern geschehen! :-)


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