Euch zu Diensten
von Lialathuveril, übersetzt von Cúthalion


Kapitel Drei
Imrahils Tafel

Mithrellas war eine Dienerin von Nimrodel, die sich verirrte, als sie aus Lórien floh. Sie wurde von Imrazôr, dem Númenorer aufgenommen und gebar ihm einen Sohn, Galador, von dem die Fürsten von Dol Amroth abstammen. Seither sagte man stets, dass sie schön von Angesicht seien, und edel in Sprache und Betragen.
(Turgon: Eine kurze Geschichte von Gondor)

Er besaß eine nette Stimme. Sie war voll und dunkel, und Lothíriel hatte keinen Zweifel daran, dass er nicht die geringsten Schwierigkeiten haben würde, sich über ein Schlachtfeld hinweg Gehör zu verschaffen; und doch wurde sie mitunter auch leise und warm – wie in dem Moment, als er von seiner Schwester sprach. Und sie hatte sich geirrt: ein ganz schwacher Hauch des singenden Tonfalls von Rohan schwang darin mit.

Lothíriel stellte sich gern vor, dass Stimmen Farben hatten. Die ihres Vaters war von einem silbrigen Grau, elegant und kultiviert, während die von Amrothos in feurigem Orange glühte, rasch und zuweilen schneidend. Dann war da das tiefe Bernstein von Elphir und das ruhige Blau von Erchirion. Was den König von Rohan anging – es war Rot, entschied Lothíriel, aber so dunkel, dass es fast in Schwarz überging, und vielleicht mit einem Schimmer von Gold. Schließlich war er ein König.

Und sie würde gut beraten sein, sich an diese Tatsache zu erinnern. Er hatte die hochmütige Art, mit der sie ihn behandelt hatte, mit erstaunlicher Freundlichkeit hingenommen, aber sie würde in Zukunft wirklich sorgsam darauf achten müssen, höflicher zu sein. Ihr Vater war in Verlegenheit geraten, als sie mit König Éomer aus dem Garten herein kam. Er hatte zweifellos die Absicht gehabt, den Weg zu ebnen und seinen Verbündeten behutsam auf die Blindheit seiner einzigen Tochter vorzubereiten. Die beiden Männer sprachen gerade miteinander, und König Éomer hatte soeben eine Einladung angenommen, an diesem Abend mit ihnen zu speisen.

Eine drängende Hand zupfte an ihrem Ärmel. „Tante Lothíriel,“ flüsterte Alphros. „Kommst du?“

Bevor sie eine Gelegenheit zur Antwort hatte, wurde sie von ihrer Schwägerin unterbrochen. „Nun, Alphros,“ sagte Annarima, „fall deinem Tantchen nicht auf die Nerven. Es ist Zeit für dich, hinauf zu gehen.“

Lothíriel wusste, dass von ihrem Neffen erwartet wurde, sein Abendessen im Kinderzimmer einzunehmen und dann früh schlafen zu gehen. Wenn er seinen Großvater in Dol Amroth besuchte, wurde diese eiserne Regel oft gelockert, doch es sah so aus, aus würde dies in Minas Tirith nicht geschehen.

„Aber es ist wichtig!“ protestierte er. „Ich möchte ihr etwas zeigen.“

„Sauber zu sein ist wichtiger,“ erwiderte seine Mutter. „Schau dich an, du hast dringend ein Bad nötig. Du kannst es ihr morgen früh zeigen.“

„Aber bis dahin ist es vielleicht zu spät!“ jammerte Alphros.

Seine Mutter zischte ihm zu, er solle seine Stimme dämpfen.

„Ich werde nach dem Abendessen kurz zu dir kommen,“ bot Lothíriel als Kompromiss an, „und dann kannst du mir davon erzählen.“

„Oh, also schön,“ willigte Annarima ungnädig ein, „aber erst wirst du dieses Bad nehmen, junger Mann. Schau dich an, du bist eine Schande, von oben bis unten voller Hundehaare!“

Lothíriel versteifte sich. Sie war zweifellos ebenso mit Ernils Haaren bedeckt, und ihre Schwägerin hätte sie sicherlich gern ebenfalls nach oben geschickt. Allerdings wusste Annarima es besser, als sich in Fürst Imrahils Hörweite offen zu äußern.

Amrothos war unbemerkt neben sie getreten. „Ich muss schon sagen, Annarima, mir kommt dein Sohn reichlich schmutzig vor,“ kommentierte er mit seidenweicher Stimme. „Du musst wirklich darauf sehen, dass du dein Haus sauberer hältst.“

„Ich halte mein Haus fleckenlos sauber!“ gab seine Schwägerin scharf zurück und tappte bereitwillig in die Falle, die ihr gestellt worden war.

„Nicht, wenn es mit Hundehaaren übersät ist,“ merkte Amrothos mit vollkommener Logik an. „Willst du meinen Arm nehmen, Schwester?“ fragte er. „Wir gehen zum Abendessen.“

Lothíriel nahm den angebotenen Arm, aber innerlich seufzte sie. Sie war vollkommen imstande, ihre Schlachten selbst zu schlagen, und tatsächlich zog sie es vor, das auch zu tun. Als sie dies ihrem Bruder mit gesenkter Stimme erklärte, lachte er nur.

„Aber das ist eine Schlacht, die ich liebend gern schlage,“ gluckste er. „Es ist so mitleiderregend einfach, diesen Eiszapfen zu reizen.“

„Du machst die Dinge für Elphir nicht gerade leichter,“ widersprach sie. Es war ihr schon seit einiger Zeit klar, dass die Anziehungskraft von Annarimas Schönheit für ihren älteren Bruder verblasst war, aber er blieb seiner Frau treu ergeben und war sogar nach Minas Tirith umgesiedelt, als deutlich wurde, dass sie mit dem Rest seiner Familie nicht zurecht kam.

„Versuch wenigstens, höflich zu sein,“ bat sie, als er ihr auf ihren Platz an der Tafel half.

Wieder lachte Amrothos. „Nur solange, wie sie auch zu mir höflich ist. Genieß dein Abendessen,“ fügte er hinzu. „Du sitzt links von Vater, gegenüber von unserem Ehrengast.“

„Oh nein,“ stöhnte sie. Annarima würde überhaupt nicht erfreut sein, dass man sie von ihrem üblichen Platz entfernte, aber ihr Vater behielt seine Tochter gern allezeit im Auge, selbst wenn das bedeutete, dass die Frau seines Erben nach weiter unten an der Tafel verbannt wurde.

„Stimmt etwas nicht, meine Herrin?“ forschte eine warme Stimme hinter ihr.

Lothíriel wäre fast vom Stuhl gefallen. Der Mann bewegte sich scheinbar mit der Heimlichkeit einer Großkatze auf der Jagd, und sie hatte ihn überhaupt nicht näher kommen hören.

„Nein, nichts,“ versicherte sie dem König von Rohan, nur um zu begreifen, dass er die letzten Worte ihres Bruders vielleicht mit angehört hatte und nun annahm, dass sie ihm ungern gegenüber saß. Es gab im Augenblick allerdings keine Möglichkeit, ihm ihre Gründe zu erklären, also musste sie es einfach dabei belassen und lächelte entschuldigend zu ihm hoch. Dies war ein Trick, den zu beherrschen sie lange Zeit und viel Übung gekostet hatte, aber inzwischen konnte sie ziemlich gut beurteilen, wo sich das Gesicht ihres Gesprächspartners befand. Manchen Leute war nicht einmal klar, dass sie sie nicht sehen konnte, sobald sie einmal ausgemacht hatte, aus welcher Richtung ihre Stimme kam. Den König von Rohan hatte sie jedenfalls zum Narren gehalten, auch wenn ihr dies zu jenem Zeitpunkt gar nicht bewusst gewesen war.

Stühle scharrten zu beiden Seiten; so wusste sie, dass die anderen eingetroffen waren. Sie erkannte Elphirs Stimme zu ihrer Linken und Amrothos dahinter, also saß Annarima vermutlich neben König Éomer. Dann erschienen die Bediensteten mit Schalen voller Wasser, um sich die Hände zu waschen, und sie musste sich darauf konzentrieren, nichts davon zu verschütten. Der Kniff war, keinerlei hastige Bewegungen zu machen; das hatte sie zu ihrem Verdruss bei früheren Anlässen heraus gefunden.

Die erste Hürde war genommen; unauffällig tastete sie nach der Platzierung von Teller und Besteck, bevor sie die Hände sicher im Schoß faltete, während die Diener den Wein einschenkten und den ersten Gang auftrugen. Sie hatte nicht die Möglichkeit gehabt, sich vorher die Speisefolge einzuprägen, deshalb war sie nicht sicher, um was es sich handelte. Es gab Zwiebelsuppe, und sie war ein wenig überrascht, dass ihr Vater nicht, wie er es üblicherweise tat, für sie abwinkte; anscheinend war er durch die Unterhaltung mit seinem Gast abgelenkt. Nicht, dass es ihr etwas ausmachte, aber das bedeutete, dass sie sich so sehr auf die schwierige Aufgabe konzentrieren musste, die Flüssigkeit an ihren Mund zu bugsieren, dass sie zuerst nicht sehr darauf achtete, was zwischen ihrem Vater und König Éomer besprochen wurde. Erst als sie hörte, dass ihr eigener Name fiel, spitzte sie die Ohren und ließ sorgfältig den Löffel sinken.

Anscheinend hatte der König von Rohan sein Versprechen nicht vergessen, dafür zu sorgen, dass sie seine Schwester in ihrem Lager besuchen konnte.

„Ich könnte morgen früh kommen und Prinzessin Lothíriel abholen,“ schlug er gerade vor, „und ich verspreche, sie hinterher wieder sicher zu Hause abzuliefern.“

„Ich weiß nicht...“ Ihr Vater zögerte.

„Oh bitte, darf ich gehen?“ flehte Lothíriel, denn sie wollte die berühmte Frau Éowyn liebend gern kennen lernen.

„Ich bin nicht sicher,“ sagte ihr Vater. „Du hattest eine lange, ermüdende Reise. Sicherlich solltest du dich morgen ausruhen.“

Lothíriel war wohlvertraut mit der Tatsache, dass ihr Vater ihre Hinfälligkeit überschätzte. Seit der langen Genesungszeit nach ihrem Unfall war er davon überzeugt, dass sie ständig überwacht werden musste und selbst beim leichtesten Husten hatte er gleich nach einem Heiler geschickt.

„Wir sind den ganzen Weg auf dem Schiff gereist, also bin ich gar nicht müde,“ merkte sie an, „und ich hätte gern die Möglichkeit, Frau Éowyn vor der Hochzeit zu begegnen.“

„Meine Schwester wäre ebenfalls sehr erfreut, die Bekanntschaft der Prinzessin zu machen,“ fügte König Éomer glattzüngig hinzu.

Ihr Vater kapitulierte. „Also schön,“ willigte er ein, „aber es ist nicht nötig, Euch zur Last zu fallen. Amrothos wird mir den Gefallen tun.“

Ihr Bruder grummelte angesichts dieser eigenmächtigen Entscheidung ein wenig vor sich hin, entschied aber dann weise, dass es sinnlos war, zu protestieren, wenn ihr Vater einmal zu einem Entschluss gekommen war. Die Unterhaltung wandte sich daraufhin den Festlichkeiten zu, die für die in fünf Tagen stattfindende Hochzeit geplant waren. Die Rohirrim würden ihr Geschick auf dem Pferderücken zeigen, und es würde Tanz und Musik geben.

„Nun, da wir mit Harad Frieden geschlossen haben, ist der Jahrmarkt voller Händler und Gauklervolk aus dem Süden,“ bemerkte Elphir. „Ich glaube, jeder, der irgendetwas zu verkaufen hat, ist nach Minas Tirith gekommen.“

„Oh, könnte ich dorthin?“ fragte Lothíriel.

Die Männer lachten, doch Annarima schnaubte abfällig. „Es ist hauptsächlich billiger Tand, und man kann sich bei diesen Menschenmassen kaum rühren.“

Fürst Imrahil schien ihre Meinung zu teilen. „Es würde dir nicht gefallen,“ sagte er. „Es ist viel zu überlaufen.“

Lothíriel senkte enttäuscht den Kopf und konzentrierte sich einmal mehr auf ihr Essen. Sie hatte sich darauf gefreut, zum Jahrmarkt zu gehen; sie hatte gehofft, dass es dort Barden und Geschichtenerzähler gäbe, hoffentlich mit neuen Melodien und Märchen. Allerdings sagte ihr der Tonfall ihres Vaters, dass er sich im Augenblick nicht durch Bitten erweichen lassen würde, und sie musste sich mit dem Gedanken zufrieden geben, dass sie vielleicht immer noch ihren jüngsten Bruder dazu überreden konnte, sie mitzunehmen.

„Meine Schwester hat die Absicht, sich den Jahrmarkt anzusehen,“ sagte König Éomer nach einer kurzen Pause. „Vielleicht würde Prinzessin Lothíriel sie gern begleiten. Ich versichere Euch, mit einer Wache meiner Reiter werden beide völlig sicher sein.“

Es sah so aus, als hätte sie einen unerwarteten Verbündeten gefunden. Lothíriel hob in neuer Hoffnung den Kopf, aber ihr Vater wies das Angebot zurück.

„Das ist sehr freundlich von Euch, Éomer,“ sagte er mit fester Stimme, „aber es ist nicht notwendig, Eurer Schwester Unannehmlichkeiten zu bereiten.“

Und obwohl der König von Rohan darauf bestand, dass es überhaupt keine Unannehmlichkeit sei, drängte er nicht weiter; vielleicht spürte er, dass es nicht der rechte Moment dazu war. Die Suppenteller wurden nun entfernt und der erste Fleischgang wurde aufgetragen. Lothíriel nahm ihr Messer und tastete vorsichtig nach dem Rand des Fleisches – was immer es auch war - nur um festzustellen, dass es bereits in mundgerechte Stücke geschnitten worden war. Ärger durchfuhr sie wie ein Blitz. Immerhin war sie kein Kind mehr und vollkommen dazu imstande, ihr Fleisch selbst zu schneiden. Dann seufzte sie. Sie wusste, ihr Vater meinte es gut; es war nur so, dass sie sich während der Zeit, in der er während des Krieges fort gewesen war, an mehr Freiheit und Selbständigkeit gewöhnt hatte. Jetzt verstimmte es sie zuweilen, sich wieder an die alten Sitten anpassen zu müssen.

Als sie wieder auf die Unterhaltung achtete, hatte sie sich den Pferden zugewandt, was mit dem König von Rohan als Gast vielleicht nur natürlich war. Amrothos fragte ihn gerade über seinen Hengst aus.

„Reitet Ihr noch immer diesen grauen Warg, den ihr auf dem Pelennor hattet?“ wollte er wissen.

„Feuerfuß?“ König Éomer lachte. „Das tue ich wirklich. Er würde vermutlich jedes andere Pferd zertrampeln, das ich zu reiten versuche. Er wird eifersüchtig.“

„Ist es wahr, was sie über die Reittiere der Rohirrim sagen?“ fragte Lothíriel, „dass sie klüger sind als andere Pferde?“

„Wir glauben daran – wenigstens die, die von den Mearas abstammen.“

„Was sind Mearas?“ fragte sie fasziniert.

„Sie sind eine Pferderasse, die von Felaróf abstammt, dem weißen Hengst Eorls des Jungen", erklärte der König von Rohan, der sich für dieses Thema erwärmte. „Von ihm wurde gesagt, dass er die Sprache der Menschen verstand. Sie sind langlebig und schnell, und sie gehorchen nur dem Herrn der Mark und seinen Söhnen.“

„Manchmal schien mir Euer Tier mehr wie ein getreuer Hund zu sein als wie ein Pferd, so, wie er Euch überall hin folgte und Euch den Rücken deckte,“ bemerkte ihr Vater.

„Die Hengste sind darauf abgerichtet, unsere Herden zu bewachen,“ sagte König Éomer, „und sie können es besser als irgendein Hütehund.“

„Also haltet ihr keine Hunde?“ fragte sie.

„Oh, das tun wir,“ erwiderte er. „Aber hauptsächlich,um unsere Heimstätten zu bewachen, oder oben in den Bergen, wo wir Schafe halten. Tatsächlich sind unsere Hütehunde dem Hund Eures Neffen sehr ähnlich. Sie sind uns sehr von Nutzen.“

Wieder schnaubte Annarima verächtlich. „Dann sind sie anders als der Hund meines Sohnes,“ sagte sie. „Er frisst bloß jeden Tag sein eigenes Gewicht in Fleisch.“

Dies traf Lothíriel an einem wunden Punkt. „Ernil ist nützlich,“ sagte sie heftig. „Er würde Alphros mit seinem Leben verteidigen.“

„Lasst uns nicht darüber streiten,“ unterbrach ihr Vater sie hastig. „Seht Ihr, Lothíriel und Alphros haben den Hund davor bewahrt, getötet zu werden, als mein Enkel das letzte Mal bei uns in Dol Amroth war,“ erklärte er seinem Gast.

„Er war nur ein Welpe, und sie wollten ihn ersäufen.“ Lothíriel verspürte bei der Erinnerung an die Szene, in die sie zufällig hinein geraten waren, noch immer Zorn. Alphros hatte ihr erzählt, dass ein paar Kinder den Hund in einen Sack gestopft hatten und ihn gerade in den Fluss werfen wollten, der am Schloss vorbei strömte.

„Ich habe ihnen ordentlich die Meinung gesagt!“ Soviel Vehemenz lag in ihrer Stimme, dass alle Männer lachten.

„Du und deine Streuner! Was sollen die Leute denn sonst mit all diesen überflüssigen Welpen und Kätzchen tun?“ fragte Annarima. „Sie können sie wohl kaum alle behalten!“

Lothíriel hatte sehr entschiedene Vorstellungen in dieser Sache. „Sie sollten darauf schauen, dass die überflüssigen Welpen überhaupt nicht erst geboren werden,“ verkündete sie. „Es wäre viel menschlicher, die Hunde einfach kastrieren zu lassen, wenn sie noch klein sind.“

Ein würgendes Geräusch kam aus Annarimas Richtung, und eine kurze Stille senkte sich herab. Verspätet dämmerte es Lothíriel, dass sie gerade etwas angesprochen hatte, das man nur als höchst unpassendes Thema bezeichnen konnte, und noch dazu eines, worüber junge Damen nicht das Mindeste wissen sollten. Sie konnte spüren, wie ihr das Blut in die Wangen stieg, entschied sich aber, in die Offensive zu gehen.

„Also, was tut ihr in Rohan?“ fragte sie ihren Gast. Ein rasch unterdrücktes, schnaubendes Lachen kam von Amrothos, deshalb sagte sie nichts mehr. Ihr Trotz ging nicht so weit, dass sie hinzufügte, dass er – da die Rohirrim ihre Pferde kastrierten – einige Ahnung von dem technischen Vorgang haben musste, der dazu gehörte.

„Ich bin nicht sicher,“ antwortete er. „Ich habe mich nie wirklich mit dieser Frage beschäftigt, aber ich verspreche, ich werde Nachforschungen anstellen, wenn ich heimkehre.“ Seine Stimme war ernst, aber ein Hauch von Lachen klang darin mit.

Es folgte eine weitere, kurze Stille, dann stellte ihr Vater eine Frage über einen gemeinsamen Bekannten, die der König von Rohan bereitwillig beantwortete. Auf diese Weise gerettet, beschloss Lothíriel im Geiste, den Rest des Essens hindurch zu schweigen oder sich an das Wetter zu halten.

Der nächste Gang bestand aus Gemüsestücken in einer dicken Sauce mit verschiedenen Gewürzen. Es war eine Delikatesse aus dem Süden und eine von Lothíriels Lieblingsspeisen. Auf ihrem Rundgang durch das Haus hatte sie in der Küche Station gemacht, wo nach wie vor Aerin herrschte und hatte mit der alten Frau geplaudert. Es sah so aus, als würde sich die Köchin noch immer an ihre Vorliebe für das scharfe Essen erinnern, das im tiefen Süden von Gondor so verbreitet war. Allerdings machte es durstig. Lothíriel streckte die Hand nach ihrem Weinglas aus.

Es war nicht da.

Sie war sich sicher, dass sie es das letzte Mal, als sie einen Schluck nahm, direkt rechts von ihrem Teller abgestellt hatte, und doch war es jetzt verschwunden. Mit einigem Ärger fragte sich Lothíriel, ob ihr Vater es weg geräumt hatte. Er hatte die nervenaufreibende Angewohnheit, geistesabwesend alles in ihrer Reichweite beiseite zu stellen, was sie vielleicht verschütten mochte. Sehr langsam strich sie mit einer Hand in die ungefähre Richtung ihres Vaters über den Tisch. Das Tischtuch war weich unter ihren Fingern, und das einzige Hindernis, auf das sie traf, war das Salzfässchen. Keine Spur von ihrem Weinglas, und inzwischen war sie sicher, dass jedermann an der Tafel sie heimlich beobachtete, obwohl die Gespräche rings herum ohne Unterbrechung weitergingen.

Endlich fand sie den glatten Stiel ihres Glases. Dann erstarrte sie, als sie plötzlich auch warme Finger berührte. Das Glas wurde sachte auf sie zu geschoben, aber sie war so überrascht, dass sie ihre Finger mit einem plötzlichen Ruck zurückzog. Das Ergebnis war vorhersehbar und für Lothíriel keineswegs neu.

Glücklicherweise war sie mit einem besonders großen Mundtuch versorgt worden und konnte damit den meisten Wein aufsaugen, ehe er die Tischkante erreichte. Die Bediensteten waren gut geschult, umringten sie von allen Seiten und wischten den Rest des verschütteten Weines auf; sie brachten ihr ein frisches Tuch und füllten ihr Glas nach.

"Es tut mir Leid!“ rief sie aus, verärgert über sich selbst, dass sie bei ihrer ersten Mahlzeit seit der Rückkehr nach Minas Tirith einen solchen Aufruhr veranstaltet hatte.

„Ich fürchte, es war mein Fehler,“ entschuldigte sich der König von Rohan. „Ich hätte das Glas nicht auf Euch zuschieben sollen.“

Lothíriel war nicht klar gewesen, dass er es war. Wenn irgendjemand für ihr Missgeschick verantwortlich gemacht werden konnte, dachte sie, dann ihr Vater. Er musste es gewesen sein, der ihr Glas weg geräumt hatte, aber sie verzichtete darauf, das zu sagen. Sie war ohnehin daran gewöhnt, um Verzeihung zu bitten.

„Es war ungeschickt von mir,“ erwiderte sie. „Ich sollte inzwischen wissen, dass ich keine plötzlichen Bewegungen machen darf.“

Sie gratulierte sich soeben zu dieser diplomatischen Antwort, als Annarima in offensichtlicher Bestürzung aufschrie.

„Mein König, Euer Hemd!“ rief sie. „Der Ärmel ist vollkommen von Wein durchtränkt!“

Lothíriel sank das Herz. Jetzt hatte sie auch noch sein Hemd ruiniert. Irgendwie schien ihr Umgang mit dem König von Rohan sich immer weiter zum Schlechteren zu entwickeln.

„Es tut mir so Leid. Kann man es nicht waschen?“ fragte sie.

„Bitte macht Euch keine Gedanken, meine Herrin,“ versuchte er sie zu beruhigen. „Es ist nur ein kleiner Fleck.“

„Ein kleiner Fleck?“ fragte Annarima ungläubig. „Ihr werdet den gesamten Ärmel ersetzen müssen, wenn Ihr es retten wollt.“

„Unsinn!“ sagte Amrothos laut.

Lothíriel biss sich auf die Lippen. Sie konnte spüren, dass ihr Vater über sie nicht erfreut war, auch wenn er nichts gesagt hatte. Doch was konnte sie tun? Sie konnte ihrem Gast nicht einmal anbieten, den Ärmel zu ersetzen, denn die Qualität ihrer Näherei war sehr weit von dem entfernt, woran ein König sicherlich gewöhnt war.

König Éomer lachte. „Bitte, Frau Annarima, das ist nichts,“ sagte er. „Ihr hättet mich sehen sollen, als ich von dem Marsch zum Schwarzen Tor zurück kam. Tatsächlich musste ich mir frische Kleidung von Eurem Mann ausborgen.“

„Das musstet Ihr?“ fragte Lothíriel. Es war ihr neu, denn ihre Brüder sprachen sehr wenig über ihre Erlebnisse während des Krieges.

„Ich hatte nur die Tunika, die ich trug, als wir Edoras verließen,“ erklärte er, „denn wir hatten beschlossen, mit so wenig Gepäck wie möglich zu reiten. Also mochten sie, nachdem ich zwei Schlachten durchlebt hatte, noch nicht einmal mehr die Waschfrauen anfassen.“

Lothíriel grinste. „Und was ist damit passiert?“

„Ich habe nicht allzu gründlich nach ihrem Schicksal geforscht, aber ich glaube, sie wurde verbrannt,“ antwortete er.

Die anderen lachten und Amrothos gab eine lustige Geschichte darüber zum Besten, was eines Nachts in Cormallen mit seiner Kleidung geschehen war, als er zuviel getrunken hatte und einen Spaziergang am Fluss entlang machte. Danach wandte sich die Unterhaltung den Erinnerungen an den Krieg zu, und Lothíriel seufzte erleichtert.

Auch wenn die Mahlzeit noch nicht vorüber war, entschuldigte sie sich bald darauf und zog sich nach oben zurück, um ihrem Neffen den versprochenen Besuch abzustatten. Es war ein langer und aufregender Tag gewesen, und sie freute sich auf eine Nacht mit gutem Schlaf. Ganz sicher hatte sie für einen Tag genügend Katastrophen angerichtet.


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