Bronwe athan Harthad*

von Aratlithiel, übersetzt von Cúthalion

Die Tage hatten ihn entkräftet und die Nächte ihn erschöpft. Festmähler, auf die er keinen Appetit hatte und Lustbarkeiten, die ihn unerklärlicherweise abstießen… all das hatte Frodo dazu gebracht, öfter die Einsamkeit zu suchen, als es seine Freunde vernünftig fanden für ihren Seelenfrieden. Die Zeiten, da es ihm gelang, die untersten Tore der Stadt zu verlassen, ohne überwacht oder gar klammheimlich verfolgt zu werden, wurde ihm immer kostbarer, als ihre Zeit in Minas Tirith sich dem Ende näherte.

Die Stadt erstickte ihn; ihre Steinfundamente und bevölkerten Straßen würgten ihn mit ihre Kälte und ihren Gerüchen beinahe in der Kehle. Er konnte sich nicht dazu überwinden, einen Nachmittag auf den Mauern der siebten Ebene zu verbringen, wo ihr Haus stand, selbst nach den hartnäckigen Aufforderungen von Gandalf und seinen Hobbit-Gefährten. Der Blick vom Hof aus war wie ein richtiges Panorama und bot den unverstellten Ausblick auf eine wogende und vielerorts von der Schlacht vernarbte Landschaft, die sich in alle Richtungen erstreckte. Er vermutete, dass, wäre er an einem anderen Punkt seines Lebens hierher gekommen – wären die letzten, erschöpfenden Monate seines Lebens tatsächlich überhaupt nicht geschehen – er würde anders empfunden haben; er wäre fasziniert gewesen von der Szenerie, die sich weit und endlos vor seinen staunenden Augen ausbreitete. Aber so, wie die Dinge lagen, schien es ihm nicht möglich zu sein, seinen Blick daran zu hindern, ostwärts zu wandern – zu den Überresten des schwelenden Berges, wo er beinahe...

Er schob den Gedanken beiseite, während er entschlossen von der Stadt und seinen Freunden fortwanderte. Es war nicht, dass er nicht mit ihnen zusammen sein wollte... nur wusste er nicht länger, wie. Mehr und mehr ging ihm das Gefühl dafür verloren, wie er sich in der Gegenwart derer verhalten sollte, die er am meisten liebte. Und der ständige Versuch, herauszufinden, was sie von ihm erwarteten, war belastender für ihn, als er ertragen konnte. Er wollte ihnen so gern bieten, was sie zu sehen verlangten; wollte sein, was sie verloren hatten und wovon sie dachten, es sei wiedergefunden. Wenn er nur imstande wäre, sich zu erinnern.

Sie hatten sich so sehr verändert – sie alle. Merry - immer zu schlau, als gut für ihn war. Der Erfinder der „Verschwörung“ besaß nun ein tieferes Wissen von der Welt, als seine jungen Augen es hätten sehen sollen. Augen, die wieder und wieder widerwillig zu dem leeren Zwischenraum zwischen den Fingern seines Vetters abirrten.

Pippin – sein jugendliches Strahlen noch immer offensichtlich, aber nun gemildert und gedämpft von Schmerz und einem Ungemach, vor dem Frodo ihn nicht hatte bewahren können. Noch ein Verrat, den er niemals würde sühnen können.

Sam. Sam, der sein Herz gewesen war und sein Gedächtnis, sein letzter Prüfstein niemals endender Bündnisse. Selbst Sam war verändert; seine Jugend und Unschuld abgetan und als williges Opfer angeboten um des Herrn willen, den er liebte.

Sie alle waren vom Schatten berührt worden, aber nur Frodo blieb in seiner kalten Umklammerung zurück. Nur Frodo war nicht imstande, sich dem eisigen Griff zu entwinden, der an seinem Herzen zerrte und einen tiefen Graben zwischen ihm und seinen Freunden aufriss. Mit jedem Atemzug rang er darum, sie zu beruhigen, sie glauben zu machen, er sei noch immer jemand, der dieser Liebe wert war, die so deutlich spürbar war hinter der drängenden Panik, mit der sie ihn ansahen. Er betrachtete ihre Gesichter, er suchte krampfhaft nach Anhaltspunkten, was sie von ihm wollten und gab ihnen, wovon sie glaubten, dass sie es nötig hatten; ein kleines Grinsen hier, eine trockene Bemerkung da. Und immer wandte er schnell den Blick ab, wenn sie versuchten, ihn festzuhalten... damit sie nicht sahen, was hinter seinen Augen lag und sich in Schrecken und Entsetzen von ihm abwandten. Alles nur, damit sie sich weiter an den Glauben klammern konnten, er sei noch immer, was er einst gewesen war – oder was er sein sollte.

Alle verändert, ja – aber noch immer hatte jeder von ihnen es irgendwie nötig, daran zu glauben, dass Frodo noch derselbe war. Ironie des Schicksals, wirklich, da er der einzige zu sein schien, der unfähig war, sein neues Selbst in einer tröstlichen Umarmung mit dem alten zu vereinen. Der einzige unter den Vieren, der sich schlichtweg nicht daran erinnern konnte, wer er gewesen war, und der deshalb kein Gleichgewicht fand zwischen alter Unschuld und neuem Wissen. Verzweifelt suchte er in sich selbst nach dem, was sie von ihm so dringend zu sehen wünschten... nur, um Leere und Schmerz zu finden im Griff seiner Finger. Und jetzt war es der Schmerz, an den er sich klammerte... denn er war das einzige vertraute Ding, das ihm geblieben war. Der einzige Überrest seiner selbst, an den er sich noch mit einiger Klarheit erinnern konnte.

Er ging unsicher, aber zielbewusst durch das letzte Tor; er ignorierte die Wachen, die ihn offen anstarrten und sich gegenseitig mit den Ellbogen anstießen, als er an ihnen vorbeikam. Er hielt den Blick auf seine Füße gerichtet, damit sie nicht stolperten oder zaudernd innehielten - und irgendjemand wohlmeinend nach dem König schickte, dass er sich um de armen Hobbit kümmerte, der scheinbar keine paar Schritte machen konnte, ohne zu straucheln.

Er ging hinüber zu einer kleinen Baumgruppe in einiger Entfernung von dem äußeren Wachhaus. Sie umstanden etwas, das einst ein hübscher Brunnen gewesen sein mochte, flankiert von Bänken aus Stein. Man konnte noch immer die Steinmetzarbeiten auf der Oberfläche sehen, und Frodo dachte, dass es wohl einmal ein großartiges Zeugnis der Handwerkskunst gewesen war, das dort gestanden hatte als ein stolzes Willkommen in der Weißen Stadt. Jetzt war er hässlich und zerbrochen und das wenige Wasser, das er noch enthielt, war brackig und roch faulig. Er nahm an, dass wenig Zeit oder Anstrengung erübrigt werden konnte für Bequemlichkeit und Schönheit, wenn man sich in einem ständigen Belagerungszustand befand.

Er rümpfte dies Nase angesichts des Gestankes und wich zurück. Er fand einen Baum in einem saftigen Grasflecken, der einladend in der warmen Nachmittagssonne lag. Er ließ sich gegen den Stamm sinken, zog die Knie hoch bis zur Brust und schlang den Mantel um seine Füße. Eine sanfte Brise, die nach Phlox und Hibiskus duftete, strich durch die Bäume und ließ sie sanft erzittern, während sie einander ihre Geheimnisse zuraunten. Das Sonnenlicht schimmerte warm und hauchzart durch die Blätter über ihm und malte Tupfen auf sein Gesicht. Frodo lehnte den Kopf zurück und schloss die Augen, eingelullt vom Wispern der Eichen und Ulmen, die ihn umgaben.

Oh, ich möchte... ICH BRAUCHE...

Er kniff die Augen fester zu und drückte seinen Kopf hart gegen die raue Borke des Baumes. Wann würde es enden?

Niemals. Niemals.

Es würde niemals enden. Er würde immer bei ihm sein. Diese Leere, diese schmerzhaft an seinem Geist nagende Begierde nach dem Ding, das ihn seiner selbst entkleidet hatte... das ihn als eine Kreatur zurückließ, so erbärmlich und mitleiderregend wie die eine, die ihn unter bösartigem, gurgelnden Zischen in eine endlose Dunkelheit geführt hatte. Die ihm mit einem Zuschnappen beißender Zähne alles geraubt hatte und ihn zurückließ mit nichts als einer kahlen, leeren Stelle, wo einst seine Seele gehaust hatte. Das einzige, was ihm jetzt noch geblieben war, war diese endlose, schmerzende Begierde, die an seinen Knochen zehrte und sein Herz wund und blutig rieb.

Er ist dahin, dahin... wie kann Seine Stimme noch immer in meinem Blut singen, sich mit meinem Geist verflechten, in meinem Herzen pulsieren, an meinen Sinnen zerren, bis ich dem Wahnsinn nahe bin? Wie kann ich mir noch immer das wünschen – das BEGEHREN – was mich vernichtet hat?

Hatte er gedacht, dass er Ihn getragen hatte? Sicherlich nicht. War er so naiv gewesen? War er so schlicht im Geist gewesen zu denken, dass er der jenige war, der Ihn getragen hatte und nicht andersherum? Hatte er jemals wirklich geglaubt, Ihn zum Ort seiner Geburt zu bringen sei sein eigener Wille gewesen und nicht der Seine? Dass er ein Werkzeug des Rates gewesen war und nicht das des Dunklen Herrschers?

Ja, das hatte er. Er hatte daran geglaubt mit jedem Gedanken in seinem Kopf, jedem Schlag seines Herzens, jedem Blutstropfen in seinen Adern. Für eine Weile jedenfalls, vor Cirith Ungol, vor dem Orodruin. Was für ein Narr er gewesen war.

Die Brise flüsterte durch ihn hindurch, balsamisch von der Wärme des frühen Sommers, und doch schauderte er unter ihr zusammen. Er konnte sich nicht an das letzte Mal erinnern, da ihm warm gewesen war.

Ach! ICH BRAUCHE...

Ja, er brauchte Ihn. Brauchte Ihn wie er den Atem brauchte, der seine Lungen füllte und sein Herz, dass sein Blut durch den Körper pumpte. Mehr noch, denn er wusste ohne jeden Zweifel, dass er beides aufgeben würde, Herz und Atem, für eine letzte goldene Liebkosung, kalt und glatt auf seiner Haut. Selbst als Er aus seinem klammernden Griff gerissen worden war von dieser jammervollen Kreatur, selbst da hatte er gewusst, dass ein Leben ohne Ihn kein Leben war, sondern bloße Existenz. Schlimmer noch, eine leere Existenz, denn Er hatte alles, was Frodo einst gewesen war, gefangen genommen und seinen gesamten Geist mit sich ins Feuer gerissen. Und Gollum war beides gewesen – Sein Werkzeug und Seine Vernichtung.

Er hasste Gollum mit einem Feuer und einer Leidenschaft, die er kaum wiedererkannte. Bis er in Ithilien aus dem heilenden Schlaf erwachte, hatte er nicht gewusst, dass ein solcher Hass möglich war. Er ist dahin, Dieb! Der Gedanke hatte ihn wie ein frostiger Windstoß getroffen, bevor er auch nur seine Augen geöffnet hatte unter dem fleckigen Sonnenlicht, das durch die Hütte strömte, in der sein zerschlagener Körper lag. Der Schatz, gestohlen. Der Schatz, ermordet. Es war erwacht, während dieser Gedanke in seinem Kopf sang und wie Feuer durch seinen zerbrochenen Leib kreiste... entsetzt über sich selbst, und doch unfähig, die Wahrheit über den Abscheu und Verlust zu verleugnen, die ihn mit jedem Herzschlag durchzitterte. Damals hatte er erkannt, dass er nicht weinen konnte.

Er bohrte die Fäuste in seine Beine, verstärkte seine Umklammerung, verkroch sich in sich selbst. Die verräterische Kreatur hatte Ihn genommen... hatte Ihn von seiner Hand gebissen und Ihn festgehalten, als er fiel... Sein Name der letzte Atemstoß von seinen lügnerischen Lippen.

Verräterisch? Lügnerisch? Vielleicht.

Aber ohne diesen Verrat läge jetzt alles in Finsternis, oder nicht? Denn sicher hätte er, zerschlagen und zerbrochen wie er war, die Macht nicht handhaben können, die ihn durchströmt hatte, als er Ihn auf seinen Finger gesteckt hatte. Das Auge hat ihn in diesem Moment der Schwäche entdeckt... hatte ihn mit seiner Bosheit mitten durch das Herz aufgespießt und ihn festgehalten, während er sich krümmte. Sicherlich hätten die Diener des Dunklen Herrschers ihn ergriffen, und Mittelerde mit dazu, und alles in die Finsternis gestürzt, wenn Gollum Ihn nicht von seinem Finger gerissen hätte.

Wer verdiente hier wirklich, gehasst zu werden?

Er schauderte. Gollum hatte den Schatz gestohlen, ja. Aber er hatte Ihn auch mit sich ins Feuer genommen, eine Tat, zu der Frodo sich nicht hätte bringen können – zu der er sich nicht gebracht hätte. Und dafür hasste er Gollum sogar noch mehr; dass er die Aufgabe vollendete, die zu erfüllen Frodo sich in seinen letzten chaotischen Momenten als der Ringträger geweigert hatte.

Leer. Es gibt keine Hoffnung. Ich fürchte die Dunkelheit... das Licht durchbohrt meine Seele... und das Zwielicht dazwischen weist mich zurück. Es gibt jetzt keinen Platz mehr für mich. Ich bin der Verräter, ich habe sie betrogen.

Was würden sie alle denken, fragte er sich, wenn sie wüssten dass sein erster und letzter Gedanke dem Ring gehörte und der hoffnungslosen Sehnsucht, Ihn noch einmal mehr in seiner ruinierten Hand zu halten? Was würden sie denken, wenn sie jemals entdeckten, dass ihr Freund und Verwandter ersetzt worden war durch eine Kreatur, deren Verzweiflung und wahnwitziges Bedürfnis nach dem bösen Ding mit der Gier von Gollum rivalisierte – nein, sie sogar noch übertraf?

Merry wusste es – oder wenigstens argwöhnte er etwas: Du hast Ihm so viel überlassen, wie du musstest, und von dir bewahrt, so viel du konntest. Es war nicht dein Fehler, dass Er dich am Ende überwältigt hat. Frodo hatte ein erschrockenes Aufkeuchen erstickt und einen munteren Kommentar über die Herzen der Brandybocks und über Enttränke abgegeben; dann war er aus der wohlmeinenden, aber herzzereißenden Gesellschaft seines Vetters geflohen. Wenn er nur glauben könnte...

Ein trockenes, gequältes Schluchzen entrang sich seiner Kehle und er presste die Augenlider fest zusammen. Wie konnten die Freunde seine Gegenwart ertragen? Wie konnte Sam, der Zeuge seiner Treulosigkeit gewesen war, es ertragen, ihn anzuschauen? Den klaffenden Spalt an seiner rechten Hand, das unleugbare Zeugnis seiner Falschheit? Warum hatte man ihn nicht auf dem Berg zurückgelassen, damit sein Körper verschlungen wurde, genauso wie sein Herz und sein Geist zuvor?

Warum ließen sie ihn nicht sterben? Warum hatten sie ihm seine letzte Hoffnung genommen?

Er ist fort, fort, aber oh! ICH BRAUCHE...

Er spitzte die Ohren angesichts eines stetigen Raschelns durch das Gras und das leise Murmeln von Stimmen, die sich näherten. Er brauchte die Augen nicht öffnen, um zu sehen, wer ihm gefolgt war. Das sanfte Flüstern wollener Gewänder und das Geräusch von Eisen, das gegen geöltes Leder schlug, erzählten ihm, was seine Augen nicht sehen mochten. Vielleicht, wenn er still blieb und so tat, als ob er schlief...

„Du solltest nicht allein außerhalb der Stadttore herumwandern, Frodo. Es ist noch nicht sicher.“

Frodo seufzte, öffnete die Augen und kam auf die Beine.

Er verbeugte sich tief. „Guten Nachmittag, mein Herr.“ sagte er. „Er hielt seinen Blick auf die Stiefel des Königs geheftet und drehte leicht den Kopf, um Gandalf respektvoll zuzunicken. „Ich bin nicht herumgewandert. Ich bin mit Absicht hierher gekommen.“

Aragorn musterte ihn einen Moment und warf Gandalf einen Seitenblick zu, bevor er sich mit gekreuzten Beinen Frodo gegenüber im Gras niederließ.

„Ich möchte nicht, dass sich jemand vor mir verbeugt, dem ich selbst meine Reverenz erweisen sollte.“ sagte der König. „Bitte setz dich hin, Frodo.“

Frodo gab nach, setzte sich, wo er stand und zog seine Knie an die Brust, die Augen auf das Gras zu seinen Füßen gerichtet. Gandalf nahm neben Aragorn Platz; seine Kniegelenke knackten, als er sich mit einer Grimasse und einen Stöhnen niederließ.

„Nun Frodo... du sagtest, du bist mit Absicht hierher gekommen.“ sagte Aragorn. „Darf ich fragen, was für eine Absicht das war?“

Frodo rutschte unruhig hin und her und warf dem König einen schnellen Blick zu, bevor er seine Augen wieder senkte. „Ich kam, um Zeit für mich selbst zu suchen.“ erklärte er. „Ich habe mir ein paar Momente für mich allein gewünscht,“

„Ah.“ sagte Aragorn zustimmend. „Zeit für sich selbst ist wahrhaftig kostbar... aber du scheinst sie öfter zu suchen als die, die dich lieben, es für weise halten. Etwas bekümmert dich.“

„Viele Dinge bekümmern mich, mein Herr.“ gab Frodo zu. „Die, die mich lieben, sollten versuchen, das zu verstehen, wenn sie sich wünschen, dass ich Trost finde.“

„Das tun sie, Frodo.“ versicherte Gandalf. „wir tun es. Aber du musst verstehen, dass es schwer für uns ist, dir zuzusehen, wie du deinen Kummer in dir verschließt und nicht zu versuchen, dir in deinem Kampf beizustehen.“

Frodo spürte ein verächtliches Glucksen seiner Kehle entweichen, und er schluckte es schnell herunter. Ich habe meinen Kummer seit einem Zeitalter in mir verschlossen – was würdet ihr tun, um mir zu helfen, was ihr nicht schon getan habt? Er blieb still, den Blick zu Boden gerichtet.

Aragorn hob die Augenbrauen. „Du bezweifelst unsere Absichten?“ fragte er.

Frodo spürte, dass er errötete. „Nein, mein Herr.“ sagte er leise.

Aragorn seufzte und lehnte sich zurück; er streckte seine Beine im Gras aus und hielt den Blick gerade und stetig auf Frodo gerichtet. Entmutigt schüttelte er den Kopf.

„Frodo, soll ich dich als Ringträger ansprechen?“

Frodo erbleichte und holte scharf und zischend Atem. Sein Kinn bebte und er zog die Knie noch dichter an die Brust.

„Nein, mein Herr.“ würgte er. „Ich wünschte, du würdest es nicht tun.“

„Dann schlage ich vor, dass du damit aufhörst, mich mein Herr zu nennen. Ich bin dein Freund, und als solcher möchte ich angeredet werden.“

Frodo schwieg einen Moment. „Ich entschuldige mich, Aragorn.“ murmelte er. „Ich wollte dich nicht verärgern.“

„Ich habe keinen Zweifel daran,“ sagte Aragorn. Seine Augen wurden schmal; er fixierte Frodo mit einem durchbohrenden Blick. „Frodo... warum willst du mich nicht ansehen?“

Frodo rutschte unbehaglich hin und her, Seine Schultern krümmten sich und zitterten, als er wiederum zischend Atem holte. Langsam hob er den Kopf und seine Augen begegneten denen des Königs.

Aragorn wich angesichts der Vielzahl von Gefühlen zurück, die er in diesen allzu weisen, beinahe uralten Augen wirbeln sah. Schmerz, Trauer, Wut, Qual. Seine eigenen Augen wurden rund und sein Atem stockte. Schnell wandte Frodo den Blick ab und schlug die Augen nieder. Aragorn saß einen Moment wie erstarrt; sein Herz schlug ihm hart in der Brust.

Solcher Schmerz und solche Dunkelheit. Hilf mir, dich zu finden, Frodo. Lass mich deine Hand nehmen und dich aus der Schwärze ziehen, die in deine Seele gezeichnet ist. Hilf mir, die Leere auszufüllen, die dein Herz verschlingt.

Aragorn schaute zu Gandalf hinüber, aber auch der Zauberer hielt seinen Blick auf den Boden gerichtet, seine Schultern gebeugt wie ein Echo auf Frodos Haltung. Der König sammelte sich mit einem tiefen Atemzug, den er langsam und zischend zwischen seinen Zähnen entweichen ließ.

„Wir machen uns Sorgen um dich, Frodo.“ sagte er. „Bitte kannst du nicht mit uns, deinen Freunden, darüber reden?“

Frodo fuhr zusammen; er öffnete und schloss den Mund mehrere Male bevor er endlich sprach.

„Ich fühle mich nicht wohl dabei, dies mit dem König der freien Völker dieser Welt und meinem Lehnsherren zu diskutieren.“ erklärte er.

„Aber zuerst einmal bin ich Streicher,“ gab Aragorn zurück, „so wie ich es in Bree war, am Beginn unserer gemeinsamen Reise.“ Er hielt inne, aber Frodo blieb still und unbewegt. „Frodo,“ sagte Aragorn, „sag mir, mein Freund, was bekümmert dich?“

Frodo ballte die Fäuste noch fester und bohrte sie schmerzhaft in seine Waden. Warum wollten sie ihn nicht einfach in Ruhe lassen? „Meine Kümmernisse sind des Königs unwürdig.“ sagte er durch zusammengebissene Zähne.

Aragorn setzte sich schnell auf und beugte sich vor. „Unwürdig!“ rief er aus. „Mein lieber Frodo, ich kann mir viele Worte vorstellen, um dich und deine Taten zu beschreiben, aber unwürdig ist keines davon. Du hast ganz Mittelerde gerettet durch Schmerz und Leiden, die ich mir nicht einmal in meinen finstersten Gedanken ausmalen kann. Ich fange an zu fürchten, dass du mein Königtum mit deiner Seele erkauft hast.“

Frodos Kopf fuhr hoch und seine Augen blitzten Aragorn an. „Ich habe nichts erkauft!“ sagte er, vor Wut kochend. „Denn die Währung, mit der ich gehandelt habe, war falsch und fehlerhaft.“

„Fehlerhaft?“ gab Aragorn zurück. „Vielleicht, denn das sind alle Sterblichen. Aber falsch? Niemals.“

„Welche Rettung auch immer gewonnen wurde, sie geschah durch zufällige Umstände!“ wütete Frodo, seine Wangen hochrot, sein Gesicht verzerrt zu einer Maske des Zornes, die Aragorn in ihrer Intensität beinahe beängstigend fand. „Die Tat wurde getan... aber nicht durch meine Hand!“ Er hob seine Rechte und wedelte damit in höhnischem Spott vor ihren Augen hin und her. „Das ist aus meiner noblen Fahrt geworden, mein König! Ein bloßés Zeichen meiner Schwäche und meines Versagens!“

„Frodo Beutlin!“ dröhnte Gandalf.

„Nenn mich nicht bei diesem Namen!“rief Frodo, kam auf die Füße und wich zurück. „Es gibt keinen Frodo Beutlin! Frodo Beutlin wurde Stück für Stück in Mordor zurückgelassen. Jetzt gibt es nur noch Frodo mit den Neun Fingern, und selbst der ist ein Gaukler. Denn er ist ein tapferer und edler Held, und ich bin nichts von alledem. Ich bin nichts als eine leere Lücke, wo einst ein Hobbit stand, der sich selbst für gut und wahrhaftig hielt.“ Frodo wandte sich ab und machte ein paar mühselige Schritte, seine Knie unsicher und sein Gang schwankend.

„Frodo!“ schrie Aragorn auf. „Du kannst die, die dich lieben, nicht länger hinter dir lassen! Geh nicht!“

Frodo blieb stehen, ohne sich umzuwenden. „Ist das die Bitte eines Freundes oder der Befehl des Königs?“ fragte er steif.

Aragorn seufzte und schüttelte ermattet den Kopf. „Es ist die Bitte aus dem Herzen eines Freundes.“ erwiderte er. „Aber wenn sie unbeantwortet bleibt, dann werde ich einen Befehl daraus machen.“

Frodos Schultern beugten sich noch mehr, und das Kinn sank ihm auf die Brust. Seine Hände hoben sich zu seinen Schläfen, um sie langsam zu massieren. Er nahm ein paar zittrige Atemzüge, dann ließ er die Hände sinken, straffte seinen Rücken und drehte sich um. Er ging zu seinem Platz vor dem König zurück und setzte sich, dann erhob er seinen Blick trotzig zu Aragorn.

Aragorn erwiderte seinen Blick mit Stetigkeit; seine Augen bohrten sich in die von Frodo.

Was ist mit dir im Land der Schatten geschehen? Welche Schrecknisse haben deine Augen erblickt?

Eine Dunkelheit, die du nicht ermessen kannst.

Was für eine Dunkelheit hat dich gefangen genommen und deinen Geist und dein Herz ausgedörrt? Wie kann ich dir helfen?

Du kannst es nicht.

Er fühlte sich gefangen in Frodos Augen, wirbelnd in einer Schwärze, die er nicht ertragen wollte, aber zu machtlos, um etwas anderes zu tun, als sie zu umarmen, weil sein Freund sonst für immer in ihren strudelnden Tiefen eingesperrt bliebe. Ah! Kann jemand solche Trauer ertragen und trotzdem leben? Kann eine Seele allein sich eine solche Leere aufbürden?

Ich muss es ertragen. Es ist mein Schicksal.

„Frodo.“ sagte Gandalf leise und schreckte beide, Frodo wie Aragorn, aus ihrem seltsamen, zauberischen Zusammenprall von Willen und Augen auf. „Deine Freunde fürchten um dich. Sie sagen, du bist nicht mehr du selbst.“

„Und woher wollen sie das wissen?“ gab Frodo scharf zurück. „Selbst ich weiß nicht mehr, wer ich bin. Ich suche mich selbst in den Augen meiner Freunde und gebe vor, dass ich bin, was sie wollen... was sie brauchen, dass ich bin.“ Plötzlich sprang er auf und begann, hin- und herzugehen, dann schwankte er und lehnte sich schwer gegen einen Baum. „Ich suche nach Spiegelbildern von Frodo Beutlin in ihren Augen, damit ich weiß, welches Verhalten von mir erwartet wird. Wann ich lachen soll, wann ich weinen soll, wann ich aufschreien soll vor Empörung und Pein, weil alles so unerträglich geworden ist. Ich bin wirklich nicht ich selbst! ... Vielleicht bin ich es doch, Gandalf. Vielleicht ist diese leere Hülle alles, was noch da ist von dem, der ich war. Vielleicht ist dies alles, was geblieben ist! Was dann?“

„Frodo.“ begann Gandalf kummervoll, „liebster der Hobbits, ich kann nicht einmal anfangen zu begreifen...“

„Nein!“ schrie Frodo wild. „Du kannst es nicht, also versuch es bitte gar nicht erst!“ Seine Augen wurden schmal und er machte einen Schritt auf den Zauberer zu. „Oder vielleicht kannst du es doch.“ sagte er bitter. „Du vergisst, Freund Gandalf, dass ich den Einen getragen habe. Frag mich, was ich sah, als ich in an meinen Finger steckte.“

„Frodo!“ rief Aragorn. „Du kannst doch sicher nicht glauben, dass Gandalf wusste...“

„Nein?“ höhnte Frodo und wandte seinen glühenden Blick Aragorn zu. „Hast du so wenig Vertrauen zu Zauberern, mein König?“ Er drehte sich wieder zu Gandalf. „Sag ihm, was du wusstest und was du nicht wusstest. Sag uns beiden, welche Hoffnung du hattest in meine Fahrt. Sag mir, dass dir klar war, dass es keine Hoffnung gab. Sag mir endlich, dass ich schon zu grausamem Versagen verdammt war, bevor ich noch einen Fuß aus Bruchtal herausgesetzt hatte!“

Gandalf war einen langen Moment still; seine scharfen Augen glitzerten, sein Gesicht war erschöpft und voller Qual. „Ich kann dir nicht sagen, was ich nicht weiß.“ stellte er ruhig fest. „Ich kann nicht alle Dinge sehen – nur die, die mir gezeigt werden. Und die auch nur, wenn sie mir gezeigt werden.“

„Aber du wusstest es!“ rief Frodo. „Du wusstest, ich würde versagen!“

„Nein, Frodo, das tat ich nicht.“ sagte Gandalf.

„Ich sah es!“ beharrte Frodo. „Ich habe dein Herz gesehen! Du wusstest es!“

„Du hast nur gesehen, was dir gezeigt wurde.“

„Dann verleugnest du, dass das, was ich sah, die Wahrheit war?“

„Frodo...“seufzte der Zauberer, „versuch zu verstehen. Du hast einen Teil der Wahrheit gesehen, ja...“

„Einen ziemlich wichtigen Teil, oder vielleicht nicht? In all deinen Warnungen, in all unseren Gesprächen hast du mir nicht einmal gesagt, dass es nicht getan werden kann. Du hast mich glauben lassen, dass es Hoffnung gäbe, und die ganze Zeit wusstest du, dass ich keine Chance hatte!“

„Ich wusste, dass es eine unmögliche Aufgabe war, den Ring ins Feuer zu werfen, ja.“ sagte Gandalf. „Aber ich wusste auch, dass du der einzige warst aus all der Völkern der Welt, der vielleicht einen Weg finden würde, das Unmögliche zu vollbringen.“

„Ich habe nichts vollbracht!“

„Das hast du doch!“ versicherte Aragorn. „Der Eine Ring wurde zerstört, oder nicht?“

„Das bedeutet nichts!“ schrie Frodo. „Es geschah nicht durch meine Hand! Ich habe ihn für mich beansprucht, und die Weisen wussten, dass ich das tun würde!“

„Frodo,“ sagte Gandalf, „ich kann nicht behaupten, die Absichten von Ilúvatar zu kennen... nur, dass er das, was er tut, aus Liebe zu seinen Geschöpfen tut. Alles, was geschehen ist, ist durch seine Hand geschehen, nicht durch meine. Ich wusste nicht was dich erwarten würde, wenn du die Klüfte erreichst... ich wusste nur, dass du dazu bestimmt warst, den Ring dort hinzutragen.“

„Bestimmt?“ rief Frodo. „Was soll das heißen, bestimmt? Dass jedes Ereignis in meinem Leben zu diesem Augenblick des Versagens geführt hat? Dass meine Eltern dazu bestimmt waren zu sterben, würgend an faulem Flusswasser... damit ich mit hineingezogen werden konnte und damit ein niederträchtige Erbe zu mir kam von jemandem, der ebenso übertölpelt wurde durch Ilúvatars kleines Spiel? Dass mein Leben dazu bestimmt war, Tag für Tag mehr ausgedörrt zu werden, bis ich mich nicht einmal mehr an den kleinen Rest meines Ich klammern konnte, den ich noch hatte? Bestimmt dazu, im Augenblick der Wahrheit genau jenen Ursprung meiner Qual in Besitz zu nehmen? Dass ich dazu bestimmt war, ausgehöhlt zu werden von einem Ring aus Gold, von dem dein kostbarer Ilúvatar zuließ, dass er geschmiedet wurde... um zurückgelassen zu werden, zusammengekrümmt in der leeren Schale meiner Seele, nachdem ich bei der Aufgabe versagt habe, für die ich bestimmt war? Bitte, Gandalf, spar mit deine schwächlichen Verteidigungen dieser grausamen Gottheit, die mit einer Hand ihre Liebe anbietet, während von der anderen rot das frische Blut tropft! Ich habe einfach nicht das Herz, mir das anzuhören.“

Er starrte dem Zauberer in die Augen; sein Atem kam in schweren Stößen und Schweiß stand ihm auf der Stirn. Er hob die Hände, bedeckte sein Gesicht und stöhnte leise.

„Du wirst mir vergeben, Gandalf,“ sagte er und ließ die Hände sinken, „wenn ich dem Gott gegenüber, den du so innig liebst, nicht gerade in nachsichtiger Stimmung bin. Derselbe Gott, darf ich hinzufügen, der Sméagol ohne genügend Willen zum Widerstand erschuf, und Menschen, die dazu verdammt waren, seine hochfliegenden Erwartungen zu enttäuschen... der selbst Morgoth machte, dessen Brut wiederum das erschuf, was uns beinahe allesamt zerstört hätte. Wenn er so versessen darauf war, mein Leben auf verschlungenen Pfaden zu meinem Schicksal inmitten eines Infernos zu führen - meinst du nicht, er hätte seine Zeit besser dazu nutzen sollen, ein Auge auf die üblen Geschöpfe zu haben, mit denen das ganze schreckliche Durcheinander anfing? Er schaffte es, Bilbo in eine schattige Höhle zu geleiten, meine Eltern zu töten und mich auf einen Weg zu bringen, der mich ausgehöhlt hat wie einen reifen Kürbis... und doch konnte er weder die Zeit noch die Lust aufbringen, mir in dem Berg zu helfen, als ich es am meisten nötig hatte?“

Es folgte ein Moment betäubter Stille; der Zauberer und der König sahen, wie die Haltung des Hobbits schwankte und in sich zusammenfiel. Frodo zuckte zurück, während die Gewissheit, die ihn erfüllt hatte, floh, zerrissen von seinen eigenen rauen Atemzügen.

Es war Aragorn, der endlich das angespannte Schweigen brach.

„Es ist wahr.“ räumte der König ruhig ein. Frodo wandte sich ihm zu, und schwache Überraschung zeichnete sein Gesicht.

„Es war nicht gerecht.“ fuhr Aragorn fort. „Du hättest dies nicht tragen sollen, aber ich kann nicht bedauern, dass du es warst, der erwählt wurde.“

Frodos Gesicht verschloss sich, kalt vor Zorn. Aragorn fuhr sanft fort.

„Denn ich kann mit nicht vorstellen, dass irgend jemand anderes vollendet hätte, was du getan hast. Ich fürchte, wäre ein anderer außer dir am Orodruin gewesen, wäre jemand anderer tatsächlich so weit gekommen, wir lägen jetzt unter dem Schatten. Es gab keinen anderen – du warst der Einzige.“

Frodo ballte die Fäuste und gab ein unartikuliertes, entmutigtes Stöhnen von sich. „Aber ich habe versagt!“rief er. „Siehst du das nicht? Ich habe nichts vollendet, statt dessen habe ich den Schatten beinahe mit eigener Hand über Mittelerde gebracht!“

„Wieso bestehst du darauf zu glauben, dass du versagt hast?“ fragte Aragorn.

„Hast du nicht zugehört?“ fragte Frodo ungläubig. „Ich habe den Einen für mich beansprucht! Ich stand an den Schicksalsklüften mit Ihm auf meiner Handfläche und ich konnte Ihn nicht hineinwerfen!“

„Ja,“ beharrte Aragorn, „du sagst, du hast Ihn beansprucht und das ist es, was du glaubst.“ Er beugte sich vor und fing Frodos bebende Hände in seinen eigenen ein. „Aber, Frodo...“sagte er liebevoll, „könnte es nicht sein, dass Er dich beansprucht hat?“

Frodo starrte den König an, mit weit offenem Mund. Es war nicht dein Fehler, dass Er dich am Ende überwältigt hat. Merrys Stimme hallte in seinem Geist wider, ein Kontrapunkt zu der des Königs. Er wankte, seine Knie zitterten. Konnte das sein?

„Nein.“ sagte er, seine Stimme kaum ein Flüstern. „Ich war dazu bestimmt, Ihn in die Klüfte zu werfen. Gandalf hat das gesagt. Und statt dessen beanspruchte ich Ihn. Wenn ich also dazu bestimmt war, Ihn zu tragen, dann war ich auch dazu bestimmt, zu versagen... und was für eine Art gnädiger Gott würde so etwas jemandem antun, den er liebt? Nach all meinen Anstrengungen und all meinen Leiden – nicht zu erwähnen, was ich den armen Sam alles habe durchmachen lassen – meinst du nicht, ein wenig Erlösung am Ende wäre angebracht gewesen?“

„Bist du so sehr besessen von dem Gedanken, dass du vom Schöpfer aller Dinge nicht geliebt wirst?“ fragte Aragorn sanft. „Glaubst du nicht, dass du diese Liebe verdienst?“ Frodo senkte den Kopf, sein Atem kam in schnellen, harten Stößen. „Sag mir“ fuhr Aragorn mit leiser Stimme fort, „wie ging der Ring ins Feuer?“

Frodo sah den König an und versuchte, seine Hände wegzuziehen, aber Aragorn hielt sie fest. „Du weißt, wie er hineinging.“ flüsterte er.

„Ich will, dass du es mir sagst.“ sagte Aragorn unerschütterlich.

Frodo schaute zu Boden. „Ich beanspruchte Ihn für mich.“ sagte er, die Stimme schwach und bebend in der Erinnerung. „Ich steckte Ihn auf meinen Finger. Gollum kam, und wir kämpften. Er fiel ins Feuer, und er nahm Ihn an meinem Finger mit sich.“

Die Tränen, die hinter seinen Augen verschlossen gewesen waren, strömten jetzt brennend über seine Wangen.

„Wäre nicht... “ Er stieß ein gebrochenes Schluchzen aus. „Wäre Gollum nicht gewesen, ich würde nicht...“ Er hob seine von Qual erfüllten Augen zum König. „...ich hätte mich nicht von Ihm getrennt.“

„Und wie kam es, dass Gollum dort war?“ fragte Gandalf.

Frodo schloss die Augen und senkte den Kopf, seine Hände noch immer in denen von Aragorn gefangen.

„Du weißt, wie.“ Seine Stimme klang flehend. „Bitte...“

„Beantworte die Frage, Frodo.“ beharrte Aragorn leise. „Wie kam es, dass Gollum zu den Sammath Naur gelangte und nicht tot in den Emyn Muil lag?“

Frodo holte mit einem schaudernden Zischen Luft und ein trauervolles Schluchzen entrang sich seiner Kehle. Aragorn zog ihn dicht an sich und drückte den Kopf des Hobbits an seine Schulter. Einen Moment lang gestattete sich Frodo diesen Halt; er gab der Umarmung nach und verlangte nach dem Trost, den sie bot, aber er war unfähig, ihn zu erfassen. Mit einem erstickten Schrei machte er sich los, rang die Hände und machte ein paar unsichere Schritte.

„Frodo,“ sagte Gandalf, „war es nicht, weil du Samweis nicht erlauben wolltest, Gollum niederzuhauen, als sich die Gelegenheit bot? Obwohl du wusstest, dass er dir übel wollte, hast du ihm noch immer Freundlichkeit und Mitleid erwiesen. Ist es nicht so?“

Frodo hielt inne und schloss die Augen; er schwankte vor ihren Augen. Aragorn streckte die Hände aus und fand nur leere Luft, als Frodo auf die Knie fiel. Seine Finger krümmten sich und gruben sich schmerzvoll in Gras und Erde. „Was macht das schon?“ weinte er; seine Tränen strömten und benetzten die Erde unter ihm. „Was hat das zu tun mit...“

„Mein lieber Hobbit.“ sagte Gandalf tadelnd. „Du kannst doch sicher sehen, dass es alles damit zu tun hat. Habe ich nicht einst gesagt, dass Bilbos Mitleid noch das Schicksal vieler bestimmen würde? Nun... ich möchte sagen, dass das Mitleid von Frodo das Schicksal aller bestimmt hat.“ Gandalf streckte eine Hand aus und legte sie sanft auf Frodos Rücken. „Siehst du das nicht?“

„Nein...“ krächzte Frodo. „nein, ich sehe es nicht! Bitte! Du verwirrst mich mit Worten, die keinen Trost enthalten und nichts bedeuten. Was bedeutet es schon, dass ich dieser jämmerlichen Kreatur Mitleid erwiesen habe, wenn ich die Aufgabe, die zu vollenden mir vom Rat übertragen wurde, nicht vollenden konnte? Ich habe versagt! Keine beruhigenden Worte oder vergangene Taten können das ändern!“ Er beugte seinen Kopf zu Boden und schluchzte, sein Körper geschüttelt von der Heftigkeit seiner Qual. „Bitte, Gandalf.“ kam das heisere Flehen. „Ich kann nicht mehr zuhören. Sag nichts mehr und lass mich allein.“

Gandalf zog Frodo an sich und hielt die elende, zusammengesunkene Gestalt an seiner Brust. „Frodo,“ sagte er leise, „du hast gefragt, ob Erlösung am Ende nicht angebracht gewesen wäre. Ich sage dir jetzt, dass die Erlösung nicht am Ende zu dir kam, sondern in dem Moment, als du die Hand von Samweis aufgehalten hast. Deine Erlösung kam in den Emyn Muil zu dir, nicht in den Sammath Naur.“

Frodos Atem stockte abrupt; sein Körper spannte sich. Konnte das sein?

Gandalf streichelte sein Haar. „Du hast den Erfolg deiner Fahrt gesichert, lange bevor du Mordor betreten hast.“ sagte er. Frodo hob langsam den Kopf und sah den Zauberer, seine Augen nass und flehend. „Hätte Frodo Beutlin nicht die Hand von Samweis Gamdschie aufgehalten, alles wäre verloren gewesen. Niemand anderes hätte Gollum so verschont, wie du es getan hast, und niemand hätte an den Schicksalsklüften stehen können... er wäre schon lange vorher unterlegen. Niemand anders hätte der Dunkelheit so widerstehen können wie du, oder wäre so lange treu geblieben.“

„Du vergisst, Frodo,“warf Aragorn sanft ein, „du hast mitten im Schatten gestanden, im Angesicht seiner größten Macht. Du hast ihn nicht beansprucht... er hat dich übernommen. Du hattest keine Wahl.“

Frodo schluckte; sein Mund arbeitete stumm, unfähig, Worte zu formen. Er holte tief Atem und krächzte: „Ich wählte...“

„Nein, Frodo.“ beharrte der Zauberer. „Das tatest du nicht. Du konntest es nicht. Deine Möglichkeiten, zu wählen waren dahin, als du die Sammath Naur betreten hast und Sauron in seiner ganzen Macht gegenübergetreten bist. Da gab es keine Wahl. Du hast deine Wahl zum einzig möglichen Zeitpunkt getroffen: als du Gollum am Leben gelassen hast.“

Frodo regte sich nicht; er starrte den Zauberer nur an, die Augen weit in schockierter Hoffnung. War es genauso ausgegangen, wie es vorherbestimmt gewesen war? War es vorherbestimmt gewesen, dass Gollum und nicht er derjenige sein sollte, der den Ring seinem Schicksal auslieferte? War seine Rolle in dieser Fahrt nicht vergeblich gewesen... seine Verluste nicht umsonst?

„Du bist Bronwe athan Harthad, mein lieber Hobbit.“ sagte Gandalf. „Und ich habe dich nicht leichtfertig so genannt.“

Frodo starrte in die Augen des Zauberers; die flüchtige Aussicht auf Erlösung wurde sofort wieder verschlungen von immer noch wachsender Schwärze.

„Oh, aber Gandalf...“ flüsterte er. „Das bedeutet nichts. Ich bin trotz alledem verloren, und alles, was mir bleibt, ist Dunkelheit. Es ist ein zu Unrecht gegebener Name, denn ich bin ausgehöhlt und leer und wahrhaftig jenseits aller Hoffnung.“ Er ließ seinen Kopf auf Gandalfs Brust sinken und weinte.

Aragorn sah ihn, sein Herz zerrissen angesichts der Qual, die sein Freund nicht nur ertragen hatte, sondern immer noch ertrug. Wieder wunderte er sich darüber, dass ein so kleines Wesen eine solch gewaltige Last auf sich nehmen konnte, und er verfluchte sich selbst, dass seine heilenden Hände nichts zu tun vermochten, um die Pein einer solch noblen Seele zu lindern.

Ist das der Lohn für den Ringträger und Retter der Völker? Die dunklen Orte seines Herzens zu durchwandern, wohin keine Hand sich ausstrecken kann, um Trost und Licht zu verbreiten? Wie ich wünschte...

... was wünschte er? Zu trösten, zu beruhigen, zu heilen.

Er betrachtete seinen Freund, der in den Armen des Zauberers lag... verloren in den Tiefen seiner Seele, erschöpft von Leere und Elend. Wie konnte er helfen? Gab es keinen Weg, diese Ungerechtigkeit zunichte zu machen, verübt an jemandem, der so gütig und gerecht war? Gab es nichts, was er anbieten konnte, um die Lücke in dieser Seele zu füllen, oder die Leere, wo sein Geist ihm durch die üblen Künste des Einen entrissen worden war, um mit Ihm ins Feuer getragen zu werden?

Er schaute auf seine Hände und spreizte sie im Gras, um sie dann zornig zur Faust zu ballen. Die Hände eines Heilers, in der Tat! Wozu waren seine heilenden Hände gut, wenn sie die Leere im Herzen seines Freundes nicht berühren und in die Feuer zurückdrängen konnte, wo sie herkam? Welchen Wert hatte seine Herrschaft, wenn sie um den Preis der Seele dieses Hobbits erkauft worden war?

Und was konnte er tun, um zu helfen und zu heilen?

Nichts. Nichts!

Er schloß die Augen, bedeckte sein Gesicht mit den Händen und weinte in ihrem Schutz.

Er konnte nichts tun, als zu hoffen und... er konnte nur hoffen. Eine andere Möglichkeit gab es nicht.

Wie klein der Trost auch war, den er jetzt geben konnte, er würde es tun... und er würde den Rat seiner Liebsten suchen, wenn sie eintraf. Er würde mit Arwen sprechen.

Vielleicht war sie imstande, Hoffnung zu finden, wo es keine gab.


ENDE


*Bronwe athan Harthad – Endurance beyond Hope, etwa: „Ertragen über alle Hoffnung hinaus“


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